06 November 2025

Wie Syrer über Abschiebe-Debatte denken - Nach drei Monaten Syrien ist Osama wieder in Deutschland: "Ich bräuchte 150.000 Euro" (Focus-Online)

Wie Syrer über Abschiebe-Debatte denkenNach drei Monaten Syrien ist Osama wieder in Deutschland: "Ich bräuchte 150.000 Euro" (Focus-Online)
Von Niklas Golitschek, Donnerstag, 06.11.2025
Osama kehrte nach Syrien zurück, musste aber feststellen, dass nach dem Krieg alles zerstört ist. Für einen Neustart in der Heimat bräuchte er 150.000 Euro. Die CDU-Forderung nach Abschiebungen macht seinen Landsleuten in Deutschland nun große Angst.
Drei Monate hat er es in Syrien ausgehalten, dann kehrte Osama zurück nach Bremen. Am Dienstagabend steht der 31-Jährige im Lokal eines syrischen Feinkostgeschäfts im Bremer Steintorviertel und erzählt FOCUS online von den Eindrücken aus seinem Herkunftsland.
Dass er überhaupt noch einmal syrischen Boden betreten durfte, hat Osama selbst lange nicht für möglich gehalten. „Für mich war das richtig schön. Ich dachte, ich würde Syrien nie wieder sehen“, sagt er über die Rückkehr im vergangenen Sommer.
Zweimal sei er unter der Assad-Diktatur im Gefängnis gelandet. Einmal, weil er Freiheit gerufen habe. Die Misshandlungen in Haft haben sich in das Gedächtnis eingebrannt. Vor acht Jahren kam er dann nach Deutschland.
„Ich wollte unbedingt hin“: Osama hielt es nur 3 Monate in Syrien aus
Mit dem Sturz des Regimes war für den heute 31-Jährigen klar, dass er wieder mit seiner Mutter leben möchte. Sie hat die ganze Zeit über in Damaskus verbracht. „Ich wollte unbedingt hin“, erzählt er. An der Grenze sei er mit Wasser und Datteln empfangen worden. „Das war richtig gut“, sagt Osama über die Ankunft. Mit den neuen Machthabern scheint er keinerlei Probleme zu haben: „Das ist jetzt tausendmal besser."Trotzdem folgte wenig später die Ernüchterung. „Es war richtig schön“, sagt Osama zwar über seine Zeit in der alten Heimat: „Aber nach 14 Jahren Krieg ist alles kaputt.“

Er habe selbst erlebt, wie seine Landsleute aus Geldnot nicht täglich essen konnten. Trotz neu aufgebauter Wohnheime sei Damaskus voll von Obdachlosen. Andernorts sei die Lage noch schlimmer. 

„Es wird jetzt aufgebaut. Aber das kostet alles Geld, das Assad uns geklaut hat“, sagt er. Ehemalige, noch bewaffnete Regierungstruppen und bei der Machtergreifung befreite Straftäter bedrohten zudem noch immer die Sicherheit des Landes, berichtet Osama.

Keine Arbeit, kein Einkommen: Osama kehrt zurück nach Deutschland

Mangels Arbeitsmöglichkeiten, Einkommensquellen und Perspektiven entschied sich Osama deshalb für die Rück-Rückkehr. Da er inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, war das vergleichsweise einfach für ihn. 

Aktuell arbeitet er als Fachberater bei einem Mobilfunkunternehmen. So könne er seiner Mutter immerhin ein paar Hundert Euro im Monat schicken, damit sie in Damaskus ein besseres Leben führen kann. 

Aus diesem Grund hat Osama bereits vor einigen Jahren sein Physikstudium abgebrochen, als sein Vater starb. „Das ist eine Sache von Leben und Tod. Da verzichten wir auf einiges“, betont Freund Mohamad. Er überweise selbst zwischen 200 und 300 Euro monatlich von seinem Gehalt an Angehörige nach Syrien.

Für Neustart in Syrien bräuchte Osama „150.000 Euro“

Nach den Erfahrungen in Syrien hat sich Osama Gedanken gemacht, wie viel Geld er für einen Neustart in Syrien bräuchte. „Ganz ehrlich?“, fragt er zunächst und zögert: „150.000 Euro.“

Ja, das sei viel Geld. Doch um sich in dem zerstörten Land eine Existenz aufzubauen – eine intakte Wohnung und ein beruflicher Neustart –, brauche es das. Vielleicht wären auch 100.000 Euro ausreichend. Aber die seien das Minimum, um über längere Zeit in dem vom Krieg gebeutelten Land über die Runden zu kommen und sich eine Perspektive zu schaffen.

CDU fordert Syrien-Abschiebungen: „Das macht vielen Angst“

Die deutsche Bundesregierung erhöht indes den Druck auf in Deutschland lebende Syrer. Obwohl Außenminister Johann Wadephul (CDU) nach einem Besuch in Damaskus vorschnell Abschiebungen ausschloss  und damit parteiinternen Wirbel auslöste –, setzen Parteikollegen wie Innenminister Dobrindt und Unions-Fraktionsvorsitzender Jens Spahn auf schnelle Rückkehrprogramme sowie die Abschiebung von Gefährdern und Schwerstkriminellen.

Bei den Syrern in Bremen löst die Politik damit Irritationen aus. „Die Abschiebung macht vielen Angst“, sagt Osamas Freund Mohamad – vor allem denjenigen mit befristeten Aufenthaltstiteln. Viele könnten die neue Regierung noch nicht einschätzen, und auch die freiwillige Rückkehr erscheine ihnen abstrakt: „Die meisten wissen nicht, wie die Lage in Syrien ist. Sie waren die ganze Zeit nicht dort.“

„Ich habe mir hier ein Leben aufgebaut, bin hier aufgewachsen“

Hinzu kommt, dass längst nicht alle Syrer den neuen Machthabern so aufgeschlossen gegenüberstehen wie Osama. In einem Geschäft im Bremer Steintorviertel arbeitet ein 21-jähriger Deutsch-Syrer aus einer arabisch-kurdischen Familie. Seinen Namen möchte er für das Gespräch nicht nennen.

„Die Regierung existiert nicht wirklich“, sagt er. In Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa und dessen Gefolge sieht er vielmehr ehemalige Milizen, Terroristen, die ihre neu gewonnene Macht nun auf die Straße trügen.

Nach neun Jahren in Deutschland könne er sich nicht vorstellen, zurück nach Syrien zu gehen. „Ich habe mir hier ein Leben aufgebaut, bin hier aufgewachsen. Meine jüngeren Geschwister sind hier geboren, sprechen nicht richtig Arabisch oder Kurdisch“, sagt der 21-Jährige, der bereits sein Abitur in der Tasche hat. 

Um eine Abschiebung müsse er sich ohnehin nicht sorgen – sein deutscher Pass warte bereits auf dem Amt zur Abholung. Allerdings gelte das nur für ihn und nicht den Rest der Familie. Nur: „Wie soll meine kleine Schwester Bildung in Syrien bekommen?!“

„Die meisten Syrer geben Deutschland auch etwas zurück und zahlen ihre Steuern“ 

Der junge Deutsch-Syrer betont: „Die meisten Syrer geben Deutschland auch etwas zurück und zahlen ihre Steuern.“ Er fragt, warum Menschen, die sich hier mühsam eine Existenz aufgebaut haben, dies in der zerstörten Heimat wiederholen sollten, zumal dort eine erneute, ungewisse Integration nötig wäre.

Der kurdische Deutsch-Syrer schildert die anhaltende Unsicherheit: Er hört von bewaffneten Gruppen, von Kinderarbeit bei Zehnjährigen und der Verheiratung von 14-jährigen Mädchen. Hinzu kommen Berichte über Massaker an Minderheiten (Aleviten/Drusen) sowie das militärische Vorgehen Israels und der Türkei. Er konstatiert, dass dies eine Welt sei, die er und viele andere kaum kennen. Er fragt: „Wohin soll man zurück? Viele besitzen nichts – das ist zerstört oder geklaut.“

Minderheit Drusen: „Unser Akzent ist unser Fluch“

Für Hosam (Name geändert), dessen Familie zur Minderheit der Drusen zählt, ist die Rückkehr nach Syrien unvorstellbar. Er berichtet, dass das Siedlungszentrum as-Suwaida von Regierungstruppen belagert werde, weshalb die Bewohner auf Hilfslieferungen angewiesen seien und ihm im ganzen Land Verfolgung drohe. 

Die Bedrohung reiche bis nach Deutschland, wo er seinen Kindern verbietet, Arabisch zu sprechen, um Angriffe von Dscholani-Anhängern zu vermeiden. Hosam fasst die Angst zusammen: „Unser Akzent ist unser Fluch.“ Er betont zwar, dass sunnitische Rückkehrer unterstützt werden sollten, doch fehle für Minderheiten die Sicherheit außerhalb ihrer engeren Gemeinschaften.

Deutsch-Syrer: Abschiebung von Straftätern ja, von Arbeitnehmern nein

Angesichts der unübersichtlichen Lage im Land stößt der Vorstoß zu Abschiebungen bei Deutsch-Syrern auf Unverständnis. „Ich finde das einfach dumm“, kommentiert die 27-jährige Rana die Debatte und fragt: „Wo sollen sie leben oder in die Schule gehen?“ Sie beurteilt die Sicherheitslage als kritisch: „Der Krieg ist zu Ende, aber wir müssen abwarten.“ Auch die geplante Einladung des syrischen Machthabers durch Kanzler Friedrich Merz wird abgelehnt: „Das ist so lächerlich!“

In einem Punkt gibt es jedoch Zustimmung: Die Abschiebung von Straftätern wird befürwortet. Osama meint: „Straftäter sind was anderes – auf jeden Fall!“ Er betont aber, es erschließe sich ihm nicht, warum jemand abgeschoben werden solle, der arbeitet und keine Probleme bereiten. 


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