18 November 2025

The Pioneer - „Minderheitsregierungen sind die Zukunft“

The Pioneer „Hauptstadt – Das Briefing“
„Minderheitsregierungen sind die Zukunft“
Guten Morgen,
auffällig deutlich weisen die Spitzen von CDU und CSU dieser Tage die Option einer Minderheitsregierung zurück. Söder sagt nein, Merz sagt nein – und trotzdem geht die Debatte weiter. Mein Name ist Jonathan Packroff am 18.11.2025
Richterwahl, Stadtbild, aktuell die Rente: Die schwarz-rote Koalition stolpert von einem Streit zum nächsten. In der Union sehnen sich manche nach einem „Plan B“.
Die Idee einer Minderheitsregierung geistert im Regierungsviertel herum – spätestens seit Jens Spahn in einer internen Runde vor zwei Wochen in Richtung SPD gesagt haben soll
"Wir werden nicht gemeinsam mit denen sterben."
Kanzler Friedrich Merz versuchte gestern, die Diskussion einzufangen. Auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel sagte er:
"Glaubt jemand ernsthaft, wir könnten in diesem Bundestag mit wechselnden Mehrheiten arbeiten und dann noch vernünftige Gesetzgebung machen?"
Ja, das glauben manche: CDU-Mitglied und Wirtschaftslobbyist Thorsten Alsleben sagt meinem Kollegen Nils Heisterhagen
"Entweder die SPD bekommt die Kurve oder die Union muss ohne die SPD weitermachen."
Eine Minderheitsregierung könne „auch ohne Zusammenarbeit mit der AfD erfolgreich sein“, sagt Alsleben.
Kann eine Minderheitsregierung also funktionieren?
Der Politikwissenschaftler Prof. Christian Stecker forscht seit Jahren zu dem Thema. Er sagt meinem Kollegen Jan Schroeder:

Wir müssen uns gedanklich vom Konstrukt der Mehrheitskoalitionen befreien, wenn wir in Zukunft funktionsfähige Regierungen wollen.

Mehrheitskoalitionen hätten dazu beigetragen, dass sich die großen Volksparteien programmatisch abgenutzt haben, so Stecker.

Nicht mehr zeitgemäß:

Angesichts eines fragmentierten Parteiensystems sind Minderheitsregierungen die Zukunft, sie sind viel funktionaler als Mehrheitskoalitionen.

Durch den Koalitionszwang in Mehrheitskoalitionen sei es nur schwer möglich, politische Programme umzusetzen. Bei knappen Mehrheiten werde das Land schnell unregierbar.

Er attestiert der politischen Kultur in Deutschland:

Wir sind gedanklich eingemauert.

Es geht, Herr Merz: Die Mehrheitsbildung gelinge in Skandinavien auch mit wechselnden Partnern. Die Inhalte entscheiden. Scheitere ein Gesetz mal, stürze das die Regierung nicht in eine Krise.

Bei uns stellt das direkt die ganze Regierung infrage, wenn die Koalition mal keine Mehrheit bekommt.

Blick nach Thüringen und Sachsen: Auch dort funktioniere das Modell Minderheitsregierung relativ geräuschlos.

Wie sähe der Weg zu einer Minderheitsregierung aus?

Der erste Schritt: Merz müsste nur den Bundespräsidenten um die Entlassung der SPD-Minister bitten. Dafür braucht es keine Neuwahlen.

Zweiter Schritt: Die CDU würde alle Ministerien mit ihren Leuten besetzen.

Kann die Opposition Merz direkt abwählen? Nein, denn:

Für ein konstruktives Misstrauensvotum bräuchte ein Kandidat der Opposition eine absolute Mehrheit.

Unwahrscheinlich, dass sich SPD, Grüne, AfD und Linke auf einen Kandidaten einigen könnten.

Der Haken: Dennoch geht der Politikwissenschaftler nicht davon aus, dass Merz mit einer Minderheitsregierung Erfolg hätte. Denn:

SPD, Grüne und Linke würden eine CDU-geführte Minderheitsregierung sofort der Zusammenarbeit mit der AfD beschuldigen und wahrscheinlich in eine Totalblockade übergehen.

Langfristig gebe es aber wenig Alternativen zu einer Minderheitsregierung, sollte die Fragmentierung des Parteiensystems weiter zunehmen. „Derzeit spricht alles für den Trend hin zur Minderheitsregierung.“

Fazit: Die Ampel war kein Einzelfall, sondern eher das neue Normal. Damit Blockaden nicht zum Dauerzustand werden, braucht es neue Ansätze.

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