28 November 2025

Der ahdere Blick - Die Teilung der Ukraine ist unausweichlich – das Land braucht jetzt Frieden (NZZ)

Der andere Blick

Die Teilung der Ukraine ist unausweichlich – das Land braucht jetzt Frieden (NZZ)
Von Eric Gujer, 28.11.2025, 8 Min
Ein Plan für eine Waffenruhe in der Ukraine liegt in zwei Versionen vor. Jede ist besser als das endlose Sterben, und keine bedeutet eine Kapitulation. Doch der Westen streitet, und Moskau freut sich.
In fast jedem Krieg kommt der Moment, an dem sich die Gegner überlegen müssen, ob sie Opfer auf dem Schlachtfeld oder am Verhandlungstisch bringen wollen. Die Ukraine steht an diesem Scheideweg.
Der ursprüngliche amerikanische Friedensplan sieht für das Land bittere Bedingungen vor. Genauso entscheidend aber ist, was sich die Ukraine ersparen würde: einen weiteren Kriegswinter, unzählige zivile Tote, dazu an der Front Gefallene, Verwundete und Traumatisierte.
Diese Härten lassen sich vermutlich ertragen, wenn sich mit ihnen die Hoffnung auf einen Sieg oder wenigstens eine deutlich verbesserte Lage verbindet. Dem aber ist nicht so. Die Ukraine kann nur erwarten, in weiteren Kämpfen den militärischen Status quo zu erhalten. Und schon das ist reichlich optimistisch.
Die Hauptfrage lautet also nicht, ob Putin allenfalls die meisten seiner taktischen Ziele erreicht. Die Hauptfrage ist vielmehr, ob Kiew durch einen noch höheren Blutzoll das Schicksal zu seinen Gunsten zu wenden vermag.
Es ist Zeit für Realismus. Eine Fortsetzung des Krieges liegt nicht im ukrainischen Interesse. Zugleich ist Präsident Selenski zu schwach, um sein Volk von der Notwendigkeit schmerzhafter Konzessionen zu überzeugen.
Trumps Plan bietet einen Ausweg aus dem Dilemma. Er bedeutet keine Kapitulation. Die Ukraine erreicht das Hauptziel ihres heroischen Verteidigungskampfes. Das Land bleibt ein souveräner Staat. Es sinkt nicht zum Vasallen des russischen Despoten herab. Wer hätte das am 24. Februar 2022 zu hoffen gewagt?
Der Schurke ist Putin und nicht Trump
Das böse Wort von der Kapitulation ist auch deshalb deplatziert, weil Aussenminister Rubio den Plan bereitwillig nachjustiert hat. Ohnehin ist eine US-Regierung, die aktiv Frieden sucht, allemal besser als eine, die dem Blutvergiessen gleichgültig zuschaut.
Denn so viel Ehrlichkeit muss sein: Auch wenn die Europäer beleidigt die Backen aufblasen, weil sie vor der Präsentation der ursprünglichen Version nicht konsultiert wurden, fehlt ihnen die Macht, um ihre Vorstellungen durchzusetzen.
Auch geht gerne vergessen, dass der eigentliche Schurke Putin ist, nicht Trump. Die Kritik an seinen bisweilen erpresserischen Methoden ist wohlfeil. Trump wandte diese bei den Gaza-Verhandlungen auch auf Israel an und erntete dafür Zustimmung.

Zudem ist die Nörgelei eine Ersatzhandlung der Europäer, weil sie keinen Einfluss auf Putin besitzen. Den hat nur Trump. Putin freut sich über den Streit im Westen und hat damit erst recht keinen Grund, auf das in Genf revidierte Konzept einzugehen. Dieses ist aber Makulatur, solange der Kreml nicht mitspielt. Beide Versionen sind einem endlosen Krieg vorzuziehen, und beide sind wohl nur eine Etappe der zähen Diplomatie.

Abgesehen von möglichen ukrainischen Gebietsverlusten in der Oblast Donezk orientiert sich die vorgesehene Demarkationslinie am Frontverlauf. Von Anfang an war klar, dass Moskau okkupierte Gebiete nur unter Zwang räumen würde. Auch das gehört zur Anerkennung der Realitäten.

Müsste Kiew darüber hinaus Territorium aufgeben, wäre das eine ethnische Säuberung. Die Empörung darüber ist gross. Hier aber liegt der Unterschied zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Natürlich revoltiert das Gewissen jedes rechtschaffenen Menschen dagegen, wenn der Aggressor auf diese Weise belohnt würde.

Die Verantwortungsethik aber fragt danach, ob zu einem moralisch vertretbaren Preis eine Alternative möglich scheint. Die nüchterne Antwort lautet: nein. Weder werden die USA oder die EU ihre Unterstützung intensivieren, noch wird Selenski im erforderlichen Mass neue Soldaten ausheben. Die Alternative besteht in einer Verlängerung des sinnlosen Sterbens. Denn Putin wird den Krieg nicht ohne Teilung der Ukraine beenden.

Dasselbe gilt für die Sicherheitsgarantien. Selbstverständlich wäre die Aufnahme der Ukraine in die Nato sinnvoll. Nur hat in vier Jahren niemand einen Vorstoss in diese Richtung unternommen. Alle scheuen die damit verbundenen Risiken.

Die nächstbeste Lösung sind die abgeschwächten Sicherungen, die Washington im Anhang zum Friedensplan vorschlägt. Ein Verzicht auf die Stationierung westlicher Truppen in der Ukraine würde schwerer wiegen als die zahlenmässige Beschränkung der ukrainischen Streitkräfte, die mehr symbolische als praktische Bedeutung hätte.

Selbst 600 000 Mann sind in Friedenszeiten schon wegen der immensen Kosten genug. Zum Vergleich: Vor dem Krieg waren es 250 000 Soldaten. Wichtiger ist eine fähige Organisation, um im Spannungsfall den schnellen Aufwuchs der Armee zu gewährleisten. Die endemische Korruption bietet dafür nicht die beste Voraussetzung.

Russland führt bereits einen hybriden Krieg gegen Europa

Alle Garantien stehen nur auf dem Papier, aber dasselbe gilt für die Beistandsverpflichtung der Nato. Entscheidend ist der politische Wille. Daran fehlte es nach der Annexion der Krim im Jahr 2014. Obama zuckte mit den Schultern, und Merkel gönnte sich noch eine russische Pipeline.

Das hat sich geändert. «Deutschland bewaffnet sich bis an die Zähne», stellt die «Financial Times» anerkennend fest. Alle Nato-Mitglieder haben sich verpflichtet, 3,5 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung aufzuwenden. Das bedeutet für die meisten eine Verdopplung ihrer Militärausgaben.

Man begreift allmählich, dass Russland mit Drohnen und Sabotage einen hybriden Krieg gegen Westeuropa führt – der sich zu einem konventionellen Krieg auswachsen kann.

Das Bewusstsein für die Bedrohung unterscheidet die Gegenwart von den neunziger Jahren. Damals gab der Westen der Ukraine bereits ein Schutzversprechen. Er brach es schmählich, weil er vom vermeintlichen Ende der Geschichte beseelt war.

Europa hat es in der Hand, dass die Geschichte diesmal besser ausgeht. Putins Obsession, von der Nato umzingelt zu werden, dürfte einer seiner Kriegsgründe gewesen sein. Daher ist der Beitritt Kiews zur Allianz eine rote Linie. Aber er akzeptiert eine Mitgliedschaft in der EU.

Betrachtet man die Vorgeschichte der ukrainischen Tragödie, ist das ein echtes Zugeständnis. Von der Hinwendung Kiews zur EU zieht sich eine direkte Linie bis zum Krieg. Als der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch ein Assoziierungsabkommen mit Brüssel abschliessen wollte, stimmte ihn Putin mit Drohungen und Geld um. Damals brüstete sich der Kreml, ihm sei die Ukraine immer mehr wert als dem Westen.

Jetzt kann die EU zeigen, was ihr die Ukraine wert ist. Sie müsste dazu ihre langwierige Aufnahmeprozedur über den Haufen werfen: erst die politische Integration, dann die Klärung der Details. Die Mitgliedschaft in der Union gewährt faktisch denselben Schutz wie die Nato.

Da fast alle EU-Staaten der Nato angehören, würde ein Angriff auf die Ukraine die Allianz in den Konflikt hineinziehen. Die Ukraine wäre kein Pufferstaat zwischen Ost und West, sondern hätte zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen festen Platz.

Putin mag seine taktischen Ziele erreichen, aber er erleidet eine strategische Niederlage. Seit zwanzig Jahren arbeitet er daran, Kiew in der russischen Einflusssphäre zu halten. Denn ohne die Ukraine, das Tor zu Europa, ist Russland kein Imperium. Das liegt nicht nur an der geopolitischen Schlüsselstellung der Ukraine im Osten des Kontinents. Ohne die Kontrolle über Kiew ist Russland zwar immer noch ein sehr grosser Staat, aber es ist seiner metaphysischen Identität beraubt.

Kiew macht den Albtraum Putins wahr und schickt sich an, sich endgültig vom russischen Joch zu befreien. Eine in der EU verankerte und mit westlichem Geld wiederaufgebaute Ukraine ist eine latente Bedrohung für Moskau.

Das Land würde zum Schaufenster des Westens, so wie einst Westberlin. Eine klare Westbindung und die wenigstens vorläufige Anerkennung der Teilung waren auch damals der Schlüssel zum Erfolg. Die Ukraine könnte ein demokratisches und rechtsstaatliches Gegenstück zur Moskauer Tyrannei werden. Solche Vorbilder fürchtet Putin wie jede Regung der Freiheit in seinem Reich.

Russland denkt nur militärisch, weil Armee und Geheimdienste seine einzigen Machtmittel sind. Der Westen sollte diesen Fehler nicht machen. Natürlich ist ohne militärische Stärke alles nichts. Aber mit seiner Politik der Gewalt hat Putin die Ukraine in die Arme des Westens getrieben und einen neuen kalten Krieg entfacht. Solange der Westen geeint auftritt, hält er in dem welthistorischen Ringen genügend Trümpfe in der Hand.

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