Business Class Edition
Merz ohne Mehrheit: Der Winterkönig
Gabor Steingart, 24.11.2025
"Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Sie bleibt richtig."
Sein
Vorstoß, wenige Tage vor der Bundestagswahl mit der AfD gemeinsame
Sache zu machen, hat seinen Spielraum nicht erweitert, sondern
eingeengt. Die gegenüber einer empörten Öffentlichkeit getroffenen
Festlegungen und die kurz darauf schriftlich erfolgten Vorgaben von Angela Merkel machen Merz zum Gefangenen der SPD.
Damals sagte Merkel:
Falls er eine Strategie für den Umgang mit der AfD besaß, war sie
hiermit zerstört. Ein derart diffiziles Unterfangen wie die Annäherung
an die Rechtspopulisten erfordert Fingerspitzengefühl, Vorbereitung und
Verbündete. Merz besaß nichts von alledem.
2. Merz verfügt über Faktenwissen, was ihm fehlt, ist Empathie
Merz hat seine größte Fanbasis innerhalb der Union binnen weniger Wochen vor den Kopf gestoßen: die Nachwuchspolitiker. Aus Freunden wurden Kritiker, aus Kritikern mittlerweile Rivalen.
Einmal Sturkopf, immer Sturkopf. Und so flog er
zurück nach Berlin und sauste direkt in das TV-Studio der ARD, wo
eigentlich JU-Mann Winkel auf dem Programm stand. Der musste, als er
sich schon auf dem Weg ins Fernsehstudio befand, umdrehen. Merz bekam
Vorfahrt.
3. Merz ist Kanzler, aber kein geschickter Unterhändler
Noch bevor sein Fraktionschef Jens Spahn
die heikle Rententhematik mit der Spitze der SPD-Fraktion neu
austarieren konnte, hatte Merz bereits alle Verhandlungsoptionen
zerstört. Spahn wollte pokern, aber Merz deckte das Blatt auf, indem er sagte:
Und gestern, aus Südafrika vom G20-Treffen, meldete er sich in der ARD, im Bericht aus Berlin, erneut zu Wort:
"Wir müssen uns hier alle bewegen, um zu einer guten Lösung zu kommen. Die SPD hat sich bereits bewegt."
Spätestens damit war die Fachfrage zur Machtfrage geworden: Ihr oder ich, heißt es nun gegenüber den Jungen. Wie The Pioneer erfuhr, hat Merz am vergangenen Mittwoch Arbeitsministerin Bas bereits erklärt, dass er womöglich gezwungen sei – ohne ein Entgegenkommen der SPD –, intern mit der Vertrauensfrage zu drohen.
4. Merz hat sich im eigenen Kabinett eingemauert
Weil
er unbedingt der Außenkanzler sein wollte, und daher keinen
Außenminister der SPD akzeptieren wollte, gab er die strategisch
wichtigen Ressorts, das Finanzministerium und das Sozialministerium, den
Sozialdemokraten.
Damit ist er nicht Herr im Hause des eigenen Kabinetts, sondern ein abhängig Beschäftigter. Eingemauert zwischen den Sparvorgaben des Finanzministers und den Ausgabenwünschen der Sozialministerin besitzt er de facto keinen politischen Spielraum. Zumal er sich selbigen im Koalitionsvertrag auch nicht gesichert hat.
5. Merz wirbt für Reformen, die gar nichts bringen
Die Reformen des Friedrich Merz sind so klein, dass sie den Lauf der Dinge nicht verändern werden. Sein eigener CDU-Generalsekretär weiß nicht nur, sondern sagt es auch, dass es nicht reichen wird, den Koalitionsvertrag Stück für Stück umzusetzen. Linnemann bei der Buchvorstellung zu „Systemversagen: Aufstieg und Fall einer großartigen Wirtschaftsnation“:
"Es wird nicht ausreichen, wenn wir Stück für Stück den Koalitionsvertrag abarbeiten und glauben, der Dimension der Probleme gerecht zu werden. Die Zeit rennt uns davon."So sehen das alle namhaften Experten, weshalb am Wochenende 22 Wirtschaftswissenschaftler, darunter Veronika Grimm, Clemens Fuest, Lars Feld, Johanna Hey und Bert Rürup, davor warnten, jetzt wieder billige Kompromisse zugunsten der Zukunft zu machen. In dem Aufruf heißt es über den schwarz-roten Rentenentwurf:
"Die demografisch bedingten strukturellen Probleme des Rentensystems würden weiter verschärft und es käme zu einer zusätzlichen Lastenverschiebung zwischen den Generationen – zulasten der Jüngeren, die schon heute unter steigendem finanziellem Druck stehen. Das Rentenpaket sollte deshalb in Gänze zurückgezogen werden."
6. Merz besitzt keinen Plan B
Merz rast mit großer Kompromisslosigkeit genau dahin, wo die Wand steht mit der Aufschrift: Bis hierher und nicht weiter.
Eine Minderheitsregierung traut er sich nicht zu. Neuwahlen würde er aber auch nicht überleben, da die Union es schon im Aufstellungsverfahren mit einem anderen Kandidaten probieren würde. Insofern bleibt ihm nur die Drohung mit der Vertrauensfrage als letztes Instrument der Disziplinierung. Jens Spahn im TV gestern Abend:
"Jeder weiß, worum es geht, an dieser Stelle."
Doch diese Rhetorik kann man nicht häufig benutzen, wie Markus Söder etwa zur gleichen Zeit im Bericht aus Berlin anmerkte:
"Vertrauensfragen sind übrigens kein Element, um Vertrauen zu stärken, sondern meistens die Vorstufe von Schlechterem."Fazit: Friedrich Merz ist ein Mann mit eisernem Willen und begrenzten Möglichkeiten. Er glaubt, an seiner Misere sei eine unglückliche Verkettung der Umstände schuld. Voltaire würde dem widersprechen:
"Zufall ist ein Wort ohne Sinn; nichts kann ohne Ursache existieren."
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