30 November 2025

Klassenkampf fürs Klima: Die Grünen wollen die Partei der kleinen Leute werden (NZZ)

Klassenkampf fürs Klima:

Die Grünen wollen die Partei der kleinen Leute werden (NZZ)
Nach dem Weggang des Führungsduos Baerbock und Habeck orientieren sich die Grünen neu. Statt die Menschen für ihren Konsum zu kritisieren, wollen sie Konzerne und Reiche zur Kasse bitten.
Anna Schiller, Berlin, 30.11.2024, 4 Min
Die Grünen hatten es lange Zeit leicht. Deutschland ging es wirtschaftlich gut, Klimaschutz war für viele Wähler ein zentrales Thema. Junge Menschen gingen mit Fridays for Future auf die Strasse – und wählten wie selbstverständlich die Grünen. Bei der Bundestagswahl 2021 sah es zeitweise sogar so aus, als habe die Partei eine realistische Chance auf das Kanzleramt. Doch auf den Höhenflug folgte ein ebenso dramatischer Absturz.
Bei der vergangenen Bundestagswahl kam die Partei nur noch auf rund 11 Prozent der Stimmen, ein herber Verlust im Vergleich zu den 23 Prozent, bei denen sie einst während ihrer Regierungszeit lagen. Auch jetzt liegen die Grünen stabil auf diesem niedrigen Niveau.

In Zeiten, in denen das Land wirtschaftlich zurückfällt, erscheint Klimaschutz vielen als Luxus. Junge Wähler wenden sich inzwischen eher der AfD oder der Linken zu. Die einstigen Zugpferde der Grünen, Robert Habeck und Annalena Baerbock, haben nicht nur die Parteispitze, sondern inzwischen auch den Bundestag und das Land verlassen. Kurzum: Der Partei fehlen derzeit nicht nur charismatische Führungspersönlichkeiten, sondern auch eine klare politische Ausrichtung.

Die Grünen rücken nach linksGenau diese Frage stand im Zentrum der Bundesdelegiertenkonferenz am Wochenende in Hannover. Im Kern des Richtungsstreits geht es darum, ob die Grünen den Mitte-Kurs von Habeck fortführen oder ob sie wieder stärker nach links rücken.

Der Parteivorsitzende Felix Banaszak machte am Samstag unmissverständlich klar, wohin er seine Partei führen will: «In einer Zeit, in der dieses Land wie viele andere auch brutal nach rechts abzudriften droht, ist links für mich kein Schimpfwort, sondern ein Auftrag.» Die Delegierten antworteten mit stehenden Ovationen.

Banaszak schwebt eine Art Öko-Partei für die kleinen Leute vor. Das ist äusserst ambitioniert, denn bislang werden die Grünen vor allem von gebildeten, gutverdienenden Städtern gewählt. Dass die Partei bei den unteren Einkommensschichten kaum verfängt, führt Banaszak vor allem auf ihren Kommunikationsstil zurück.

Es gebe eine «emotionale Kluft» zwischen dem Leben vieler Menschen und «allem, was Grün oder Klima heisst». Damit meinte er etwa jene Menschen, die sich den Malle-Urlaub vom Mund absparten und dafür auf Restaurantbesuche oder Weihnachtsgeschenke verzichteten. Diese Menschen wollten sich nicht für ihren Flug schämen müssen, wenn andere an einem Tag so viel CO2 verursachten wie sie in einem ganzen Jahr.
Banaszak will Arbeiter für die Grünen begeistern

Die Grünen müssten eine ökologische Sprache finden, die von Respekt geprägt sei. «Scham verschliesst, Scham öffnet nicht», sagte Banaszak. Sie sollten «emotionale Heimat» werden – «für die Stahlkocher in Eisenhüttenstadt, die Menschen am Band beim Daimler, die Kassiererinnen bei Rossmann und die Paketbotinnen bei Amazon».

Die Ideen der Grünen finanzieren sollen allerdings andere. Der Leitantrag, den Banaszak einbrachte, sieht vor, Reiche und Energieunternehmen mehr an den Transformationskosten zu beteiligen. «Diesem fossilen Lobbyismus sagen wir heute den Kampf an», rief er den Delegierten entgegen.

Auch in anderen Bereichen rücken die Grünen nach links. Auf ihrem Parteitag beschlossen sie, dass Flugreisen mit dem Privatflugzeug oder in der Business Class teurer werden sollen. Zudem will sich die Partei für einen landesweiten Mietendeckel einsetzen. Im öffentlichen Nahverkehr soll mit Mitteln den Bundes ein Monats-Billett zum Preis von neun Euro eingeführt werden.

Ausserdem wollen die Grünen die Akzeptanz für die Energiewende durch niedrigere Strompreise erhöhen. Sie wollen sich für einen «Solarbonus» einsetzen, der den Bürgern 600 Stunden kostenlosen Strom in Sommer verspricht. Sie wollen die Verbraucher auf diese Weise dazu animieren, in den sonnenreichen Wochen des Jahres viel Energie zu verbrauchen, um die Netze zu entlasten.
Dröge nennt Regierung «episch schlecht»

Zugleich bemühten sich die Grünen am Parteitag, ihr Profil als Oppositionspartei zu schärfen. Kanzler Friedrich Merz kam dabei schlecht weg. Banaszak kritisierte Merz dafür, dass dieser viele seiner Wahlversprechen nicht umgesetzt habe. Er sei ein Mann «des vollen Mundes und der bitterblanken Hände».

Auch die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, wollte ihre Partei als entschlossene Opposition verstanden wissen. Sie erinnerte daran, dass die Regierung aufgrund des Aussetzens der Schuldenbremse über ein üppiges Budget verfüge. Nichts hinzukriegen, obwohl man im Geld schwimme, sei jedoch «episch schlecht», sagte sie am Freitag. Sie griff die Union zudem wegen ihrer angeblich fehlenden Klimapolitik an. Wenn diese glaube, «die gesamten Fortschritte der Klimaschutzpolitik der letzten Jahre schreddern zu können», dann würden die Grünen ihr «das Leben zur Hölle machen».

Doch der neue Kurs dürfte nicht alle überzeugen. In der Partei gibt es weiterhin einige, die lieber Habecks gemässigten Kurs fortführen wollen, um Wähler in der politischen Mitte zurückzugewinnen und anschlussfähig an die CDU zu bleiben.
Fraglich ist, ob der neue Kurs verfängt

Besonders heikel könnte dieser Konflikt im kommenden Jahr werden, wenn in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt wird. In dem Bundesland stellen die Grünen seit 2011 den Ministerpräsidenten, doch der Landesvater Winfried Kretschmann tritt nicht mehr an. Der frühere Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir möchte ihn beerben. Anders als seine Parteikollegen in Hannover will er mit einem Mitte-Kurs überzeugen.

Dafür übernimmt er immer öfter CDU-Positionen. So schrieb er etwa in einem Gastbeitrag in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» über Probleme bei der Migration – zum Entsetzen vieler in seiner eigenen Partei. An einem Podium sprach er sich jüngst dafür aus, den Schutzstatus des Wolfs abzusenken. Der Linksdrall der Bundespartei kommt ihm also äusserst ungelegen.

Fraglich ist allerdings nicht nur, ob die Wähler die unterschiedlichen Ausrichtungen auf Bundes- und Landesebene goutieren. Weder die gemässigteren sogenannten Realos in der Partei noch die Linken haben derzeit überzeugende Antworten auf die Fragen, die die Deutschen am meisten beschäftigen. Innere und soziale Sicherheit sowie die wirtschaftliche Lage waren laut Umfragen für die Bundestagswahl entscheidend – und ausgerechnet in diesen Feldern trauen die Wähler den Grünen im Vergleich zu anderen Parteien wenig zu.

Ein Rezept dagegen haben die Grünen bislang nicht gefunden. Am Parteitag stand das Thema Migration gar nicht erst auf der Traktandenliste.

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