09 November 2025

"Rechtsextremismus“- Die Pathologisierung der Mitte (WELT+)

Andreas Rosenfelder
"Rechtsextremismus“
Die Pathologisierung der Mitte (WELT+)
Von Andreas Rosenfelder, Chefkommentator und Ressortleiter Meinungsfreiheit, 08.11.2025, Lesedauer: 4 Minuten
Die „Mitte-Studie 2025“, von den meisten Medien kritiklos aufgegriffen, rückt bürgerliche Überzeugungen in die Nähe des Rechtsextremismus. Dabei benutzen die Verfasser einen perfiden Trick.
Hatten Sie zuletzt manchmal das Gefühl, dass das Thema Rechtsextremismus „in den Medien hochgekocht“ wird? Achtung: Damit gehören Sie zu jenem Teil der Bevölkerung, der Rechtsextremismus „verharmlost“. Das behauptet zumindest die „Mitte-Studie 2025“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie zeichnet das alarmistische Bild einer „angespannten Mitte“, die immer stärker zu „menschenfeindlichen, autoritären und antidemokratischen Einstellungen“ neigt.
Wer findet, dass das Thema Rechtsextremismus in der deutschen Medienlandschaft überproportionale Aufmerksamkeit bekommt, ist also selbst ein Beleg für wachsende Rechtsextremismusfreundlichkeit: ein logischer Zirkelschluss von auswegloser Stringenz. Dass Politik, Medien und NGOs wirklich inflationär mit dem Begriff „Rechtsextremismus“ umgehen könnten und deshalb immer mehr Bürger das Gefühl beschleicht, das Thema werde „hochgekocht“, diese Vermutung markiert im geistigen Horizont der Studienverfasser offenbar das Undenkbare.
Dabei liefert die Studie der SPD-nahen Stiftung selbst handfeste Belege für diese Hypothese – zumindest, wenn man das Kleingedruckte liest. „3,3 Prozent teilen ein klar rechtsextremes Weltbild“, heißt es dort schwarz auf weiß über die Befragten: „Das ist ein Rückgang gegenüber dem Anteil von vor zwei Jahren (2022/23: 8 Prozent).“ Nur eine Splittergruppe der Bevölkerung ist rechtsextrem, und sie hat sich in den letzten zwei Jahren auch noch glatt halbiert: Dieser Befund entspricht wohl der Alltagswahrnehmung der meisten Menschen, die Rechtsextremismus unter Kollegen, Freunden und Familienmitgliedern nur in krassen Ausnahmefällen begegnen. „Die Fremdenfeindlichkeit ist unter knapp 8 Prozent der Befragten verbreitet und damit im Vergleich zu 2022/23 knapp um die Hälfte zurückgegangen“, heißt es an anderer Stelle ebenso unmissverständlich.
Zwei eher beruhigende Nachrichten, aus denen man folgern könnte, dass Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit nach wie vor beklagenswerte, aber doch randständige und zudem zurückgehende Phänomene in Deutschland sind – und die dringenden Probleme des Landes anderswo liegen.
Doch die Autoren der Studie ziehen den gegenteiligen Schluss. Die sinkenden Zahlen in den Kategorien Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit gleichen sie durch den Befund aus, dass immer mehr Befragte auf ihre Fangfragen „mit ‚teils/teils‘ antworten, sich im Graubereich bewegen und nicht mehr so eindeutig den demokratiegefährdenden Einstellungen widersprechen“. In diese diffuse Grauzone, in der die Studie die eigentliche Gefahr sieht, fallen auch „Gewöhnungseffekte“ und die „Normalisierung“ des Rechtsextremismus, wozu – siehe oben – schon die harmlose Einschätzung gehört, das Thema Rechtsextremismus werde „hochgekocht“.
Wer Ambivalenzen zulässt, gehört schon zur Gefahrenzone? Wie perfide diese Annahme ist, demonstrieren die einzelnen Beispiele: „Dies zeigt sich unter anderem beim Vorwurf des Sozialmissbrauchs gegenüber ‚Ausländern‘“, stellt die Studie etwa fest, „dem zwar immer noch 15 Prozent der Befragten zustimmen, aber deutlich weniger als 2022/23, während mit 40 Prozent nun mehr Befragte mit ‚teils/teils‘ antworten“. Wer auch nur die vielfach belegte Tatsache benennt, dass es teilweise Sozialmissbrauch durch Asylbewerber und EU-Ausländer gibt – Stichwort „Schrottimmobilien“ –, gehört zum halbrechtsextremen Graubereich.

Vergleichbares gilt für die Thematisierung von Kriminalität unter Sinti und Roma oder die Einschätzung, Langzeitarbeitslosigkeit sei eine „Belastung“ für die Sozialsysteme.

Besonders absurd erscheint eine weitere Phantasiesparte, die offenbar dazu dient, den Rückgang in den einschlägigen Kategorien zu kompensieren. So raunen die Studienleiter von einem Anstieg des „Nationalchauvinismus“ – und belegen diesen Begriff, der nach Pickelhauben, Schützengräben und Reichsparteitagen klingt, folgendermaßen: „Allerdings ist ein Drittel (34 Prozent) der Ansicht ‚Im nationalen Interesse können wir nicht allen die gleichen Rechte gewähren‘.“

Der Trick der Studie wird hier offensichtlich, denn es bleibt absichtlich völlig offen, was mit „die gleichen Rechte“ gemeint ist. In dieser Versuchsanordnung muss schon die Einschätzung, nicht alle illegalen Einwanderer aus allen Ländern der Erde könnten auf Dauer den gleichen Anspruch auf Sozialleistungen haben wie deutsche Staatsbürger, als Beleg für „Nationalchauvinismus“ gelten. Analog wird die soziologische Modekategorie des „libertären Autoritarismus“ als Vorstufe des Rechtsextremismus behandelt. Die Kriterien für dieses politische Krankheitsbild? Der Glaube an Leistungsorientierung, Wettbewerbsfähigkeit, Freiheit und Eigenverantwortung. Man reibt sich die Augen: Gehören nicht genau diese Werte seit dem 19. Jahrhundert zum ideellen Tafelsilber der bürgerlichen Mitte?

Nein, die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stifung, deren Ergebnisse von den meisten Medien kritiklos aufgegriffen werden, betreibt weder Forschung noch Aufklärung. Sie arbeitet vielmehr mit an einer Pathologisierung der Mitte, indem sie bürgerliche Überzeugungen in die Nähe des Rechtsextremismus rückt – und vernünftige Äußerungen politischer Kritik aus dem Bereich des Zulässigen verdrängt. Die „antidemokratischen Einstellungen“, welche die Studie der „angespannten Mitte“ und damit auch vielen ehemaligen SPD-Wählern unterstellt, sollte man lieber bei den Verfassern selbst untersuchen.

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