Von Frédéric Schwilden
Panja wurde nach seiner Schilderung von diesem Ruf angezogen. Er habe sich die in seinem Gebiet führenden Universitäten angesehen – drei in den USA und eben das Max-Planck-Institut, erzählt er. Aus mehr als 600 Bewerbern auf die Stelle in Göttingen sei er ausgewählt worden.
Als er dort ankam, ging der Sommer gerade zu Ende. „Ich erinnere mich, dass es ein bisschen kalt und grau war. Aber das Gästehaus für mich war schon bereit.“ Er habe sich sofort wohlgefühlt: „Göttingen war eine Stadt mit Häusern aus dem Mittelalter, in der lauter Akademiker forschen und arbeiten. Es war sehr deutsch, aber durch die Universität gleichzeitig sehr international. Alles war sauber und ordentlich. In Göttingen gab es keine Probleme.“
Neun Jahre später lebt Doktor Mayukh Panja in Berlin und ist 34 Jahre alt. Nach einer Station bei der Deutschen Bank arbeitet er nun an seinem eigenen Produkt. „Populations“ soll mithilfe Künstlicher Intelligenz menschliches Verhalten vorhersagen. Er hat ein Investoren-Stipendium. Er könnte mit sich zufrieden sein. Aber sein Blick auf Deutschland hat sich verändert.
Als er kürzlich ein Video davon sah, wie die Kühltürme des bayerischen Kernkraftwerks Gundremmingen gesprengt werden, passierte offenbar etwas bei ihm. Diffuse Gefühle und Eindrücke der vergangenen Jahre kulminierten in einem wütenden Tweet, den er auf X absetzte. Panjas Account ist nicht groß, er hat etwas mehr als 2000 Follower. Aber sein auf Englisch verfasster Tweet wurde 3,6 Millionen Mal angezeigt, mehr als 6200 Mal geteilt und öfter als 44.800 Mal gelikt.
Darin heißt es: „Und in den vergangenen 9 Jahren hatte ich die unglaubliche Möglichkeit, mitzuerleben, wie sich ein Erste-Welt-Land auf der Schwelle zur Supermacht durch eine Reihe politischer Fehlentscheidungen, von denen jede auf weitere Selbstkastration zielte, selbst verzwergt hat.“ Er fühle sich schlecht für „hart arbeitende ehrgeizige Deutsche, insbesondere jene, die hart gearbeitet haben, um das Land aufzubauen, und jetzt zusehen müssen, wie alles von einem Haufen moralisierender, privilegierter Idioten ruiniert wird“.Eine Woche später sitzt Mayukh Panja im Café „Einstein Unter den Linden“. Er ist ein junger Mann, der sich vom Physik-Nerd zum Styler entwickelt hat. Panja hat lockige Haare und eine Brille, der an den Kreativdirektor Mike Meiré erinnert. Panja bestellt sich eine heiße Schokolade mit Schlagsahne. Er lacht viel, seine Augen sind braun und wach und flink. Wir unterhalten uns auf Englisch. Er versteht und spricht zwar Deutsch auf B1-Niveau, aber sowohl am Max-Planck-Institut als auch bei späteren Beschäftigungen war die Geschäftssprache immer Englisch.
„Ein Tweet ist eine Moment-Aufnahme. Und keine absolute Wahrheit“, sagt er. Er wolle Deutschland auch nicht schlechtreden, lebe nach wie vor gerne hier. Aber die vergangenen Jahre hätten etwas verändert.
Deutschland
 ist ja tatsächlich ein Schönreden-Land geworden. Legendär und legendär 
tragisch ist bis heute die Rede von Bundespräsident Frank-Walter 
Steinmeier aus dem Jahr 2020. „Wir leben im besten Deutschland, das es 
jemals gegeben hat“, sagte Steinmeier. 2024 legte der damalige 
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch mal nach und äußerte: 
„Diese Republik ist der beste Staat, den Deutschland je hatte.“ 
Tatsächlich befindet sich Deutschland seit 2022 in einer Rezession. Allein in der Autoindustrie sind im vergangenen Jahr mehr als 50.000 Arbeitsplätze weggefallen. Der VW-Konzern macht Riesenverluste. Täglich kommen Nachrichten von Insolvenzen oder Firmen wie Stihl, die jetzt lieber in der Schweiz produzieren als in Deutschland. Deutschland hat die höchsten Strompreise innerhalb der EU, verstromt dafür aber auch noch munter Kohle.
Viele politische Entscheidungen, so findet Panja, würden in ein diffuses Links-Rechts- und Gut-Böse-Schema gepresst. Er sagt: „Ich komme aus Indien. Für mich ist Atomenergie keine Frage von rechts oder links, sondern eine von sicherer Energie.“ Tatsächlich gehört Kernenergie zu den sichersten Energieformen weltweit.
„Das ist die Perspektive von Moral in Deutschland“
Dann kommt Panja auf diese neue Kaffee-Kette „LAP Coffee“
 zu sprechen. Die bietet jetzt in mehreren Filialen in Deutschland sehr 
günstigen Kaffee aus Vollautomaten an. Die beiden Gründer stammen aus 
dem Libanon und Mexiko. Panja sagt: „Einige Rechte sagen, Immigranten 
arbeiten nicht hart genug und produzieren keine Werte. Aber wenn 
Migranten LAP Coffee gründen, werden die Filialen von Linken mit 
Farbbeuteln geschmissen, weil sie kapitalistisch sind.“ 
Nach Panjas Tweet zum Niedergang Deutschlands beschimpften ihn auch Menschen auf X, die sich zumindest nach außen als politisch links zu erkennen geben: Ein Nutzer mit „GegenRechts“ im Namen und einer Regenbogen-Flagge auf dem Profil, der ansonsten vor allem CDU-Politiker „Faschisten“ und „Nazis“ nennt, schrieb Panja: „Hoffe, du wirst abgeschoben. Dummer indischer Abschaum, den keiner braucht.“ Panja findet: „Das ist die Perspektive von Moral in Deutschland.“
Als er nach seiner Promotion zur Deutschen Bank gegangen sei, hätten ehemalige Kollegen zu ihm gesagt, er würde „jetzt auf die böse Seite wechseln“. Panja sagt: „In meiner Akademiker-Blase schien alles, was mit Geld zu tun hat, böse.“ Er könne nicht verstehen, warum in Deutschland so wenig Menschen in Aktien investieren. „Ich sehe in Deutschland eine Gesellschaft, die kein Risiko eingehen will. Und das ist falsch. Wenig Risiko? Von mir aus. Aber kein Risiko ist das Ende.“ Er habe das Gefühl, dass Deutsche „Angst vor Technik und Innovation“ hätten.„Ich empfinde es so, dass die meisten Dinge rein aus einer empathischen Perspektive betrachtet werden. Aber um Menschlichkeit zu ermöglichen, muss die Wirtschaft laufen“, sagt er. In Berlin würden die Leute vor allem über „Work-Life-Balance“ reden, sagt er. „Menschen ausbeuten ist falsch. Aber Arbeitsschutz darf Innovationen nicht verhindern. Die Erfolge von Tesla oder SpaceX wären in Deutschland kaum vorstellbar.“
Am
 Ende zeigt er den Chat-Verlauf mit einem Freund. Sie schreiben beide 
auf Englisch. Der Freund sagt, er würde von einer Gründung in 
Deutschland abraten. Zu viel Bürokratie. Zu wenig Freiheit. „Geh lieber 
nach England oder in die USA“, schreibt der Freund. „Das gibt mir 
natürlich zu denken“, sagt Panja.
Frédéric Schwilden ist Autor im Politik-Ressort. Er interviewt und besucht Dorf-Bürgermeister, 
Gewerkschafter, Transfrauen, Techno-DJs, Erotik-Models und Politiker. Er
 geht auf Parteitage, Start-up-Konferenzen und Oldtimer-Treffen. Seine 
Romane „Toxic Man“ und „Gute Menschen“ sind im Piper-Verlag erschienen.

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