30 Juni 2022

Corona-Ursprung „Das ist schon ein sehr, sehr seltsamer Zufall“ (WELT+)

Corona-Ursprung

Das ist schon ein sehr, sehr seltsamer Zufall“ (WELT+)
Hat ein Laborunfall in Wuhan die Corona-Pandemie ausgelöst? Der Genetik-Professor Günter Theißen hält das für möglich. Im WELT-Interview erklärt er, warum er die Gegenargumente von Virologen wie Christian Drosten schwach findet – und weshalb er mit brisanten Enthüllungen rechnet.
Günter Theißen ist Molekularbiologe und Lehrstuhlinhaber für Genetik an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Die Erklärungen prominenter Virologen, das Coronavirus sei wahrscheinlich aus der Tierwelt auf den Menschen übergesprungen, überzeugen ihn bislang nicht. In seinem Buch „Das Virus. Auf der Suche nach dem Ursprung von Covid-19“ sammelt er Indizien für einen Laborunfall als Auslöser der Pandemie. Zusammen mit anderen Forschern, der sogenannten Paris Group, plädiert er für eine ergebnisoffene Untersuchung des Ursprungs.

WELT: Herr, Theißen, wie sind Sie dazu gekommen, sich mit dem Ursprung der Corona-Pandemie zu beschäftigen?

Günter Theißen: Ich bin in diese Sache reingerutscht. Da gab es einige Verdachtsmomente, was den mutmaßlichen Ursprungsort der Pandemie angeht, Wuhan. Ich will betonen, dass immer noch nicht bekannt ist, wie Sars-CoV-2 entstanden ist; wir haben keine Beweise, nur Indizien. Aber Wuhan bildet einen Schwerpunkt der globalen Coronavirus-Forschung. Es gibt dort das Wuhan Institute of Virology, kurz WIV, und noch ein paar andere Labore, die sich mit Coronaviren beschäftigt. Dass die Pandemie ausgerechnet von dieser Stadt ausging, ist bemerkenswert. Vor allem, da Coronaviren, die als mögliche Vorläufer infrage kommen, natürlicherweise in der Umgebung von Wuhan gar nicht auftreten. Die finden sich in verschiedenen Fledermäusen in Südchina, etwa tausend Kilometer entfernt.

WELT: Höhlen, die von Forschern aus Wuhan besucht worden sind.

Theißen: Genau. Mitarbeiter dieser Institute haben dort Viren aus Fledermäusen isoliert, zurück im Labor wurden sie gelagert, unter anderem im Rahmen sogenannter Sicherheitsforschung angezüchtet und gentechnisch verändert. Es ist schon ein sehr, sehr seltsamer Zufall, dass ausgerechnet hier die Pandemie ausgebrochen sein soll.

WELT: In Ihrem Buch schreiben Sie auch über Besonderheiten im Erbgut des Virus, die Ihnen verdächtig vorkommen. Können Sie das erklären?

Theißen: Eine Besonderheit hat mit dem Stachel des Virus zu tun, dem sogenannten Spike-Protein, das an Rezeptoren von Wirtszellen bindet. Wir wissen, dass es bereits zu Beginn der Pandemie verdächtig gut an den ACE2-Rezeptor des Menschen angepasst war – ACE2 ist der für diese Coronaviren relevante Rezeptor. Untersuchungen zeigen, dass das Spike-Protein von Sars-CoV-2 sogar besser an den menschlichen ACE2-Repetor bindet als an alle Rezeptoren möglicher Zwischenwirte. Warum ist das verdächtig? Man würde eigentlich zu Beginn einer Pandemie erwarten, dass die Bindung nicht so gut ist. Viren müssen sich an einen neuen Wirt erst anpassen. Der Verdacht ist, dass daran gebastelt wurde, damit es gleich so gut passt.

WELT: Vielleicht wurden die Vorläuferviren und ihre Zwischenwirte einfach noch nicht gefunden. Diese Suche kann sehr langwierig sein.

27 Juni 2022

Business Class Edition: Zuversicht in schwierigen Zeiten

Business Class Edition: 
 
Zuversicht in schwierigen Zeiten
Guten Morgen,
wer in diesen Tagen in Gesprächsrunden nach der allgemeinen Stimmung gefragt wird, antwortet gerne mit einem bedrückten Verweis auf die kritische Weltlage, um erst danach die eigentliche Antwort zu geben. Es geht gut, aber darf es das überhaupt?
Tatsächlich überbieten sich die schlechten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik im Tages- und Stundentakt. Energiemarkt, Wirtschaftswachstum, Inflation, Zinsen, Immobilien. Und mit der Drosselung der Gasexporte Russlands steht Deutschland womöglich einen Schritt vor einer echten Energiekrise. Robert Habeck sagte am Donnerstag:
                       "Die Gasproblematik kann schlimmer werden als die Corona-Pandemie! Das ist vielen noch nicht klar".
Tatsächlich sind die Szenarien im Falle eines Gas-Stopps dramatisch. Und die weiteren belastenden Faktoren für Wirtschaft und Gesellschaft tun ihr übriges.
Es gibt also allerlei Grund zum Pessimismus, und darin steckt womöglich die wahre Gefahr dieser Tage. Denn, wie Ludwig Erhard uns schon mit auf den Weg gab: Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie.
Mit anderen Worten: Wer zur Halbzeit zurückliegt, sollte nicht aufgeben – sondern kämpfen und sich auf die eigenen Stärken besinnen. Und die gibt es auch in der aktuellen Krise zahlreich. Manche resultieren sogar aus ihr. In jedem Fall lohnt sich gerade dann ein Blick darauf, wenn alle nur noch die Düsterkeit sehen wollen.

1. Die hohen Energiepreise belasten Verbraucher und Wirtschaft. Aber sie setzen spürbar auch eine regelrechte Innovationswelle in Gang. Der Umstieg von fossilen auf regenerative Energieträger beschleunigt sich.
Das Energieunternehmen RWE will mit dem Stahlhersteller ArcelorMittal beim Bau und Betrieb von Offshore-Windparks zusammenarbeiten. Das Ziel: Die Produktion von CO2-neutralem Stahl vorantreiben. Aber auch die Politik reagiert: Die Europäische Kommission plant, mit einem 300 Milliarden Programm die Energiewende zu beschleunigen. Das Geld soll vor allem in den Ausbau von Wind- und Solarkraft sowie der Stromnetze fließen.
                                              Wie so oft sind es nicht Ideologien, die den Wandel beschleunigen, sondern der Markt selbst. 
2. Die Gesellschaft ist krisengestählt. In der Pandemie etwa brachen zahlreiche Berufsbranchen nahezu weg. Im Event- und Gastronomiebereich und im Tourismus folgte dem Virus eine Entlassungswelle. Noch immer suchen die Arbeitgeber nun die damals verlorenen Arbeitskräfte. Der Grund ist einfach – und ein guter: Im ersten Quartal 2022 gab es nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bundesweit 1,74 Millionen offene Stellen. In Deutschland herrscht quasi Vollbeschäftigung – die Arbeitslosenquote lag im Mai bei 4,9 Prozent. Betriebe, die auch in der Krise an ihrem Personal festgehalten haben, profitieren von dem gegenseitigen Vertrauen. 
3. Die Flughäfen sind voll, die Züge überlastet. Auch wenn der Personalmangel an den Flughäfen manchem Reisenden die Freude am Urlaub für einen Moment verdirbt, besteht kein Zweifel: Die Tourismus-Branche feiert gut zwei Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie ihr großes Comeback. Bereits im Februar und März lag das Neubuchungsaufkommen im Wochenvergleich konstant über dem von 2019, also vor Beginn der Pandemie. Ende Februar hatte jeder Dritte, der im Sommer verreisen möchte, seine Reise gebucht. Doch nicht nur Urlaube am Meer sind gefragt, auch Deutschland bleibt begehrt: So zählten die Beherbergungsbetriebe im April 35,7 Millionen Übernachtungen – mehr als viermal so viel im Vergleich zum Vorjahresmonat. Es ist Zeit zum Durchatmen.
4. Die Forschung ist seit jeher ein Gesellschaftszweig, der aus Krisen Hoffnung entstehen lässt. Krise, Krieg, Pandemie – alle sind Treiber von Umbruch und Katalysatoren der Wissenschaft. In Rekordzeit wurde ein Impfstoff entwickelt, um das Corona-Virus in den Griff zu bekommen. Auch die Künstliche Intelligenz steht kurz vor einem Quantensprung: Die ersten selbstfahrenden Autos bevölkern bereits die Straßen, die Künstliche Intelligenz „Dall-E“ interpretiert Sprache zu künstlerischen und kreativen Bildern. Im Gesundheitssektor entwickelt das Unternehmen Deepmind ein Modell, welches die Zusammensetzung von Proteinen vorhersagt und ihre Funktion beeinflussen kann. Dadurch steht die Heilung von Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Krebs in Aussicht. Was das globale Wissen angeht, bleiben wir die beschenkten Spätgeborenen.
Fazit: Die Gaskrise ist womöglich eine der größten Herausforderungen, vor der Deutschland steht. Und sie lässt sich nicht mit gutem Zureden besiegen. Wir werden in Wirtschaft, Verbraucherverhalten und Politik mit geübten Gewohnheiten brechen müssen. Aber keine Krise ist so groß, dass der Optimismus verloren gehen darf.

Anne Will zur Gas-Krise - Wenn niemand mehr weiterweiß (Cicero)

Anne Will zur Gas-Krise

Wenn niemand mehr weiterweiß (Cicero)
In Deutschland wird das Gas knapp, es droht eine Wirtschaftskrise enormen Ausmaßes. Derweil wird in der Talkshow von Anne Will die allgemeine Ratlosigkeit in geradezu aufreizender Weise zu Markte getragen. Kevin Kühnert lobt Kohlekraftwerke, eine Energieexpertin rät zu hohen Rücklagen für die kommende Nebenkostenabrechnung – und ein FDP-Politiker nennt die Bundesrepublik „katastrophal planlos“.
VON ALEXANDER MARGUIER am 27. Juni 2022

Wenn diese Sendung auch nur annähernd ein Spiegelbild der deutschen Politik gewesen sein sollte, dann ist jetzt wirklich Matthäi am Letzten. Insofern bleibt als einzige Hoffnung, dass die allermeisten Bürgerinnen und Bürger dieses Landes den sommerlichen Sonntagabend anderweitig genutzt haben, als sich Anne Wills Talk zum Thema „Gaskrise in Deutschland – Wie hart sind die Folgen“ zu Gemüte zu führen. Denn wo die Lage sowieso hoffnungslos ist, muss man sich ja nicht noch über die im Fernsehen vorgeführte Planlosigkeit ärgern und genießt lieber ein paar (letzte) entspannte Stunden in einem Wohlstand, den es in dieser Form so bald nicht mehr geben dürfte.

Die Planlosigkeit war tatsächlich der rote Faden bei dieser Gesprächsrunde: entweder implizit („Die Frage ist, ob es gelingt, bis Oktober die Gasspeicher auf 80 Prozent zu füllen“, Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung). Oder auch ganz unverstellt: „Wenn man sich mit den großen Fragen beschäftigt, ist dieses Land katastrophal planlos“ (Johannes Vogel, stellvertretender FDP-Vorsitzender). Insgesamt also eine erschreckende Runde an zur Schau gestellter Realitätsgeschocktheit, vorgetragen allerdings im gewohnten Kammerton bundesrepublikanischer „Wir schaffen das“-Konditionierung. Leider war man als Zuschauer am Ende dieser Séance nahe an der Gewissheit, dass wir es diesmal leider nicht schaffen, die Probleme irgendwie weg zu moderieren und mit viel Staatsgeld zu übertünchen. Denn diese Krise ist von einer anderen Dimension. Guter Rat ist da nicht nur teuer, sondern noch knapper als russisches Gas: Die Ideen-Speicher sind praktisch leer.
Situation „sehr ernst“

FDP-Mann Vogel machte denn auch gleich mit der Erkenntnis den Aufschlag, die Situation sei „sehr ernst“, niemand könne kalkulieren, was Putin tut. Womöglich war genau das schon die erste kolossale Fehleinschätzung des Abends, die von dem bisher gelinde gesagt mindererfolgreichen Sanktionsregime gegenüber Russland ablenken sollte. Denn natürlich war absehbar, dass der Kreml sich die Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischer Energie politisch zunutze machen würde – ansonsten hätte Moskau ja nicht jahrzehntelang genau daran gearbeitet. Putin tut also genau das, was Erpresser halt tun: In diesem Fall also den Gashahn abdrehen und zuschauen, wie die deutsche Wirtschaft (und in deren Folge die deutsche Bevölkerung) sich langsam, aber sicher zerlegen. Was Vogel ja auch selbst einräumte, als er über den russische Machthaber sagte: „Er will, dass wir in zersetzende Debatten eintreten“ – damit die Unterstützungsbereitschaft für die Ukraine schwinde. Insofern war Anne Wills Sendung ein voller Erfolg für Wladimir Putin.

26 Juni 2022

Stefan Aust zur Lage „Ukraine-Krieg hat das Scheitern der Energiewende wie ein Zeitraffer beschleunigt“ (WELT+)

Stefan Aust zur Lage

„Ukraine-Krieg hat das Scheitern der Energiewende wie ein Zeitraffer beschleunigt“
Vom 25.06.2022
Regelmäßig beantwortet WELT AM SONNTAG-Herausgeber Stefan Aust Fragen zur aktuellen Situation. Die Themen diesmal: Wie schwer wird die Wirtschafts- und Energiekrise? Und: Wird es noch eine Wende in der Atompolitik geben?

WELT AM SONNTAG: Die Inflation steigt, die Energiepreise auch – und die Voraussagen für den Winter sehen alles andere als günstig aus. Stehen wir am Anfang der wohl schwierigsten Phasen seit dem Zweiten Weltkrieg?

Stefan Aust: Ganz sicher. Und wir können von Glück sagen, wenn dieser Krieg sich nicht weiter ausbreitet. Es hätte nie so weit kommen dürfen, aber jetzt stehen wir im Beginn einer schweren Krise. Die rapide steigenden Energiepreise zeigen das überdeutlich, doch die Politik reagiert vor allem mit Symbolik. Leichte Ansätze, sich der Realität zu stellen, sind erkennbar. Aber die Ideologie der Realitätsverleugnung regiert immer noch.

Dass die Drohung mit dem Abschalten des Gasimports aus Russland der Drohung mit einem Hungerstreik nahekommt, zeigt sich jetzt überdeutlich. Russland reduziert erst mal die Gaslieferungen – da wird plötzlich klar, dass die gesamte grüne Energiewende auf einer russischen Gaswolke schwebte. Anzunehmen, dass mit den großartigen erneuerbaren Energien aus Wind, Solar und Biogas der Bedarf eines Industriestaates wie Deutschland zu decken ist, gehört zu den gefährlichsten Illusionen der Gegenwart.

Die Ankündigung, europaweit den Import von russischem Öl zu verbieten, führte zum steilen Anstieg der Ölpreise, weil Europa das Öl dann ja woanders kaufen muss; das wird dann knapp und teuer – und Russland verscheuert sein Öl eben woanders. Kunden gibt es genug, und einige liefern es dann freundlicherweise an uns weiter, nur teurer. Wer auf eine solche Idee kommt, den russischen Export von Öl und damit den Zustrom von Geld noch Moskau zu stoppen, hat von globaler Wirtschaft null Ahnung. Das ist reine Symbolpolitik, ohne über die Konsequenzen nachzudenken

WELT AM SONNTAG: Die Ampelkoalition will mit weiteren Entlastungen reagieren, wobei etwa der Tankrabatt alles andere als ein Erfolg war. Kann die Regierung diesen Wettlauf überhaupt gewinnen?

Aust: Auch der Tankrabatt ist reine Symbolpolitik, die sich innerhalb weniger Stunden als grade zu kindisch herausgestellt hat. Offenbar hat niemand in Politik und Verwaltung darüber nachgedacht, wie man überhaupt nur ansatzweise feststellen kann, ob die Steuerersparnis für Benzin und Diesel auch nur bruchstückhaft an die Kunden weitergegeben wird. Das ist eine fahrlässige Naivität. „Ein Zeichen setzen“ ist das immer wiederkehrende Motto dieser systematischen Inkompetenz.

WELT AM SONNTAG: Bei der Atomenergie wehren sich SPD und Grüne gegen längere Laufzeiten und erklären das mit technischen Argumenten. Kann es sein, dass hier dennoch ein Umdenken ansteht?

Aust: Kaum. Die „Atomkraft? Nein Danke!“-Fraktion dominiert ja nicht nur die Ampel. Da scheint das Nicht-Abschalten eines seit Jahren laufenden Reaktors mindestens so kompliziert zu sein wie der Neubau eines Atomkraftwerks. Die Realität lässt sich nicht so leicht abschalten wie ein Kernkraftwerk. Das wird schon an einer einfachen Rechnung deutlich: In Deutschland gibt es knapp 30.000 Windräder, die insgesamt gut drei Prozent der Primärenergie liefern. Wollten wir 30 Prozent der Primärenergie durch Windräder produzieren, brauchten wir also 300.000 Windräder. Das wäre dann bei 360.000 Quadratkilometer Fläche in Deutschland fast ein Windrad pro Quadratkilometer; in Stadt und Land.

Es wird kein Weg an einer Rückkehr zu den klassischen fossilen Energien vorbeiführen - auch wenn sich die deutschen Energiekonzerne politisch korrekt von der Kohle verabschiedet haben. Dummheit, vor allem in der Politik, hat ihren Preis - er wird jetzt fällig. Der Ukraine-Krieg hat das Scheitern der Energiewende nicht herbeigeführt, sondern nur wie ein Zeitraffer beschleunigt.

WELT AM SONNTAG: Die EU will der Ukraine nun den Kandidatenstatus verleihen. Ist das mehr als Symbolpolitik?

Aust: Es ist vor allem Symbolpolitik. Mal wieder ein Zeichen setzen, ein Zeichen der Hoffnung. Aber es wird vermutlich viel Zeit vergehen und die Ukraine wird sich von einem vielfach korrupten Oligarchen-System zu einer echten rechtsstaatlichen Marktwirtschaft entwickeln müssen, um in die EU aufgenommen zu werden.

Vielleicht wäre es ohnehin besser, wenn sich die Europäische Union eine neue Basis, vergleichbar der alten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zugrunde legen würde. Dann könnten Staaten eher in diese ökonomische Gemeinschaft aufgenommen werden und sich erst dann langsam zu einer Vollmitgliedschaft entwickeln. Aber erst einmal muss der Krieg vorbei sein.

Stefan Aust ist Herausgeber der WELT AM SONNTAG. Die Fragen stellte Jörn Lauterbach.

24 Juni 2022

Der andere Blick Wer sich für normal hält, muss ein Menschenfeind sein – wie Grüne die Gesellschaft umpflügen wollen (NZZ)

Der andere Blick
Wer sich für normal hält, muss ein Menschenfeind sein – wie Grüne die Gesellschaft umpflügen wollen (NZZ)
Das Familienministerium in Berlin ist die Agitationszentrale der Grünen. Mit Gender- und Migrationspolitik soll Deutschland umgebaut werden. Gegen Kritiker geht man mit verbaler Aggression vor.
Von Eric Gujer, 24.06.2022
Robert Habeck und Annalena Baerbock heimsen zu Recht Applaus für ihre Haltung im Ukraine-Krieg ein. Ihre Politik ist konsequent, weil sie keinen Zweifel daran lässt, wer Täter und wer Opfer ist. Zugleich ist sie pragmatisch, da in der Frage der Energieversorgung keine Dogmen mehr gelten. Welch wohltuender Gegensatz zum irrlichternden Duo Scholz und Lambrecht.
Was aussenpolitisch ein Erfolg ist, wird innenpolitisch zum Risiko. Während sich alle Augen auf die Ukraine richten, treiben Grüne den gesellschaftlichen Umbau voran. Ob Genderfragen oder Migration – die ehemalige Umweltpartei konzentriert sich umso mehr auf die Identitätspolitik, als ihr die Kriegszeiten viele Kompromisse abverlangen. So ersetzt sie die ausbleibenden russischen Gaslieferungen beherzt mit Kohle und Gas vom Golf, betreibt also nüchterne Realpolitik. In Identitätsfragen hingegen polarisiert die Partei und fördert Extreme. Die Schaltzentrale der Grünen für ihr Umerziehungsprogramm ist das Ministerium für Wokeness, früher bekannt als Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Kriminalität arabischer Clans soll totgeschwiegen werden
Wie die Partei dabei vorgeht, illustriert die Personalie der designierten Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman. Familienministerin Lisa Paus schlägt dem Bundestag eine Kandidatin zur Wahl vor, die Deutsche als «Kartoffeln» verunglimpft.
Diskriminierung ist gut, solange sie sich gegen die Mehrheitsgesellschaft richtet, linke Ausländerpolitiker und Aktivisten aber zufriedenstellt. Diese glauben, dass weisse Deutsche generell privilegiert sind – ob es sich um Sozialhilfeempfänger oder Multimillionäre handelt. Die Diskriminierung von Deutschen ist folglich keine Diskriminierung, sondern nur die beschleunigte Herstellung gleicher Lebensverhältnisse.
Es geht nicht um Dialog und Ausgleich, sondern um Konfrontation und Schaufensterpolitik. Die Journalistin Ataman gehört einem Verein an, der andere Journalisten an den Pranger stellte, weil diese den angeblich ausländerfeindlichen Begriff der Clan-Kriminalität benutzen.
In Deutschland soll nach dem Willen von Ataman und ihren Gesinnungsfreunden nicht berichtet werden, dass arabische Clans in Berlin und anderen Städten zu den dominierenden Kräften der Unterwelt zählen. Was nicht sein darf, kann nicht sein. Ideologie und die Zustimmung in einem rot-grünen Justemilieu sind wichtiger als Fakten.

20 Juni 2022

Beschwerdeführer Marcel Luthe über den Berliner Wahl-Skandal - „Alles andere als Wahlwiederholung ist kein akzeptables Urteil“ (Cicero)

Beschwerdeführer Marcel Luthe über den Berliner Wahl-Skandal

„Alles andere als Wahlwiederholung ist kein akzeptables Urteil“ (Cicero)

Die Pannenwahl zum Berliner Abgeordnetenhaus liegt über ein halbes Jahr zurück und die Prüfung der Einsprüche dauert fort. Neue Dokumente aus den Wahllokalen offenbaren indes das Ausmaß des Fiaskos und begründen einen neuen Verdacht: Marcel Luthe, Jurist, Politiker und Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichtshof, spricht mit „Cicero“ über Wahlmanipulation, Befangenheit und den desolaten Zustand der Demokratie.
INTERVIEW MIT MARCEL LUTHE am 20. Juni 2022
Herr Luthe, nach und nach kommen immer mehr Pannen bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl ans Licht: Es kam zu massiven Verzögerungen im Ablauf, Stimmzettel fehlten oder wurden falsch ausgegeben. Welche Probleme gab es Ihrer Kenntnis nach noch?
Nun ja, die Liste ist lang: Es fehlten zum Beispiel nicht nur Stimmzettel, es wurden teils vorsätzlich falsche Stimmzettel an Wähler ausgehändigt. Dazu kommt, dass noch bis weit nach 18 Uhr, also nach dem eigentlichen Abstimmungszeitraum, in den Wahllokalen abgestimmt wurde. Nachweislich haben auch Minderjährige an der Wahl teilgenommen, weil keine Kontrolle stattfand, wer nur für die Kommunalwahl wahlberechtigt war. Ganz zu schweigen von der unsicheren Verwahrung der Stimmzettel Tage vorher und den immens langen Wartezeiten vor und in den Wahllokalen.
Nun erhärtet sich anscheinend auch der Verdacht einer Manipulation der Wahlergebnisse. Ungültige Stimmen aus dem Bezirk Kreuzberg sollen als gültig gewertet worden sein. Sie haben deswegen Strafanzeige gestellt.
Stimmen aus dem Bezirk Kreuzberg sind zunächst als ungültig gewertet worden und im Nachhinein dann wieder gültig gemacht worden, und zwar in einem Umfange, der erhebliche Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben dürfte, zumal rund 75 Prozent der Stimmen auf die Koalition entfielen... Außerdem belegen die Niederschriften aus den Wahllokalen, dass zeitweise gemäß einer Anweisung des Bezirkswahlamts Stimmzettel aus einem anderen Wahlbezirk ausgegeben wurden. Wenn sich dieser Verdacht bewahrheitet, bedeutet das, dass eine bewusste Beeinflussung der Wahlergebnisse stattgefunden hat und dieses Vorgehen auch durch mangelhafte Protokollführung unter den Teppich gekehrt wurde. Das hätte Konsequenzen weit über Berlin hinaus. Wenn es stimmt, dass tatsächlich Wahlfälschung betrieben wurde, dann steht die Glaubwürdigkeit von Politik und Demokratie in Deutschland im In- und Ausland ganz allgemein in Frage. Deshalb ist eine schnelle und transparente Aufklärung so wichtig.
Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat die Entscheidung über eine mögliche Wiederholung der Wahl bis nach der Sommerpause vertagt. Es sind dort 15 Anfechtungen eingegangen, die Ihrige. Ist das führende Verfahren. Wie ist der Stand?
Der Verfassungsgerichtshof berät zunächst einmal nichtöffentlich, aber ich habe nicht den Eindruck, dass der gesamte Verfassungsgerichtshof das gleiche Aufklärungsinteresse hat. Daher habe ich auch jüngst einen Befangenheitsantrag gegen die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs eingereicht, über den nun zunächst befunden werden muss. Danach werden wir sehen, wie es mit der Entscheidung über die Wahl von 2021 weitergeht.
Was werfen Sie denn der Präsidentin Ludgera Selting vor?
Man kann den Eindruck gewinnen, dass die von der SPD nominierte Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs die transparente, öffentliche Untersuchung der öffentlichen Wahlen – die ganz klar eben diesem Öffentlichkeitsprinzip unterliegen – nicht will, sondern voreingenommen gegen meine Anfechtung ist. Sie bestreitet aber, bestimmte Aussagen gegenüber meinen Mitarbeitern in Zusammenhang mit der Akteneinsicht getätigt zu haben. Das sehen meine Mitarbeiter anders, und das wird jetzt aufzuklären sein. Wenn das entsprechend den Aussagen meiner Mitarbeiter festgestellt wird, dann wäre die Präsidentin sicher abgelehnt und damit von der Mitwirkung an dem Verfahren ausgeschlossen. Eine Entscheidung könnte dann womöglich früher fallen, weil jemand anderes darüber zu befinden hätte, wie es in dieser Sache weitergeht. Vielleicht ist jemand anderes eher an einer schnellen Aufklärung interessiert.
Sie unterstellen der Präsidentin Befangenheit?

Kritik an Ampel-Posten für Ferda Ataman Wie viel Hass steckt in der Anti-Hass-Beauftragten? (BILD)

Kritik an Ampel-Posten für Ferda Ataman
Wie viel Hass steckt in der Anti-Hass-Beauftragten? (BILD)
von: Filipp Piatov und Carl-Victor Wachs veröffentlicht am
Der Plan der Ampel, die linke Politologin, Publizistin und Aktivistin Ferda Ataman (43) zur Chef-Bekämpferin von Hass und Diskriminierung zu machen, sorgt weiter für hitzige Debatten.
Grund: Ataman fiel in der Vergangenheit immer wieder mit steilen Thesen auf.
Politikern und Bürgern, die von Heimat sprechen, unterstellte die neue Anti-Diskriminierungs-Beauftragte 2018 eine „Blut und Boden“-Ideologie. Ein Begriff aus dem Rassen-Wahn der Nationalsozialisten.
Zu Beginn der Corona-Pandemie erklärte Ataman allen Ernstes, sie ahne, „welche Bevölkerungsgruppen in Krankenhäusern zuerst behandelt werden, wenn die Beatmungsgeräte knapp werden“. Damit unterstellte sie, dass Migranten von Ärzten und Pflegern benachteiligt werden. Ein Rassismus-Vorwurf, der sich als völlig haltlos erwies.
Schon die Frage „Woher kommst du?“ ist für Ataman rassistisch, ein „Relikt aus dem völkischen Nationalismus“. Später unterstützte Ataman dann aber eine Migrantenquote im öffentlichen Dienst. Unlogisch daran: Um herauszufinden, wer Migrant ist, muss die Herkunft überprüft werden.
Den Negativ-Preis „Goldene Kartoffel“ verlieh Atamans Verein „Neue deutsche Medienmacher*innen“ (NDM) an Medien, die nach ihrer Auffassung falsch über Probleme mit Migration berichten. 2020 traf es „Spiegel TV“ wegen Berichten über Clans. NDM schreibt Clans nur in Anführungszeichen, spricht von „sogenannten ,Clans’“.
2020 verteidigte Ataman die Bezeichnung „Kartoffeln“ für Deutsche. Wer sich daran störe, sei ein „dünnhäutiger Emodeutscher“.
Aber: Kann jemand Antidiskriminierungsbeauftragte werden, die selbst diskriminierende Sprache verwendet?
Jetzt hagelt es Kritik an dem Spitzenposten für Atman. Von Experten, Migranten-Vertretern – und sogar aus den Ampel-Parteien.
Ali Ertan Toprak (52), Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde, nennt Ataman in BILD eine „Spalterin“. Sie „verhindert immer und überall“, dass über Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus z. B. in der muslimischen Gemeinschaft gesprochen werde. Toprak: „Alle Migranten, die von der ideologischen Vorstellung Atamans abweichen und nicht ausschließlich Mehrheitsgesellschafts-Bashing betreiben wollen“, würden „zu Feindbildern erklärt“.
Die Berliner Imamin Seyran Ates (59) kritisiert Ataman als „Anhängerin der Identitätspolitik“. Leider sei ihre Berufung „auf diesen Posten absehbar“, so Ates. Ataman hatte in einem Tweet einst u.a. Ates als „Kronzeugin der Islamkritik“ kritisiert. Der Tweet wurde, wie fast alle Tweets, zuletzt von Ataman gelöscht.
Bundestagsvize Wolfgang Kubicki (70) fordert in BILD nun Konsequenzen. Ataman habe „verbale Grenzen überschritten“, erklärt der Vize-Vorsitzende der FDP. Dies lasse „bei vielen Menschen im Land berechtigte Zweifel an ihrer Eignung für diese verantwortungsvolle Aufgabe aufkommen“. Kubicki erwartet, dass Ataman „sich vor der Abstimmung im Deutschen Bundestag glaubhaft von bisherigen Äußerungen distanziert“.
Innenexpertin Linda Teuteberg (41, FDP) erklärte BILD: „Glaubwürdiges Engagement gegen Diskriminierung bedeutet Eintreten für Respekt statt linksidentitärer Spaltung. Dafür sprechen Frau Atamans bisherige Äußerungen gerade nicht. Auch ein plötzlich bereinigter Twitter-Account macht kein unbeschriebenes Blatt.“ Teuteberg werde Atamans Nominierung im Bundestag nicht unterstützen.
Von den Grünen wurde die Nominierung Atamans sehr positiv aufgenommen. Sven Lehmann (42), Queer-Beauftragter der Bundesregierung, lobte Ataman auf Twitter mit den Worten: „Eine starke Stimme für Vielfalt und gegen Diskriminierung!“ Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (56) gratulierte Ferda Ataman und schrieb auf Twitter: „Das ist eine gute Wahl.“
Ex-CDU-Chef Armin Laschet (61), der Ataman einst als Redenschreiberin beschäftigt hatte, beglückwünschte sie über Twitter zur Nominierung. „Ich gratuliere Dir aus vollen Herzen zur Berufung als neue Bundesbeauftragte für Antidiskrimierung. Das hast Du wirklich verdient. Deine jahrelange ehrenamtliche und berufliche Arbeit kannst Du jetzt optimal einsetzen für Vielfalt in unserem Land“, so Laschet.

17 Juni 2022

Der Westen schadet sich selbst: 7 Gründe, warum die Anti-Putin-Allianz Risse bekommt (Focus)

Der Westen schadet sich selbst:

7 Gründe, warum die Anti-Putin-Allianz Risse bekommt (Focus)
Anmerkung von mir: Hat von den dilettantischen Naivlingen in Brüssel und Berlin wirklich einer geglaubt, dass Putin westliche Sanktionen stoisch über sich ergehen lässt, ohne sich zu wehren. Um den Westen zu treffen, braucht es keine schweren Waffen. Es reicht ein Gas- und Ölhahn...
Gastautor Gabor Steingart 17.06.2022
Unter den Sanktionen des Westens sollte Wladimir Putin mittelfristig zum Einlenken gebracht werden. Doch nun bekommt die Allianz der Ukraine-Unterstützer die ökonomischen Folgen immer schmerzhafter zu spüren. Die Folge: die westliche Unterstützung beginnt zu bröckeln.

Jeder zweite abgefeuerte Schuss des Westens trifft das eigene Knie
Und diese Sachlage, daraus speist sich die Selbstsicherheit Putins, sieht im Moment nicht sehr vorteilhaft für den Westen aus. Die Anti-Putin-Allianz ist kleiner, zersplitterter und ineffektiver als erhofft. Jeder zweite abgefeuerte Schuss des Westens trifft das eigene Knie.
1. Die Idee, man könne Putin durch eine ökonomische Kriegsführung in die Knie zwingen, erweist sich als Fehlkalkulation. Die Wirtschaftssanktionen haben in weit stärkerem Maße den westlichen Gesellschaften zugesetzt, die unter hohen Energiepreisen und unterbrochenen Lieferketten leiden und nach der Notbremsung der US-Notenbank nun womöglich in die Rezession rutschen. „Die Weltwirtschaft ist in Gefahr", sagt der Präsident der Weltbank David Malpass.
2. Putin besitzt die noch immer wichtigsten Ausgangsstoffe für die westliche Wohlstandsproduktion: Öl und Gas. Mittlerweile hat er den Spieß umgedreht und seine Lieferung nach Polen, Finnland und in die Niederlande eingestellt und nach Frankreich, Italien, Tschechien und Österreich gedrosselt.
3. Derweil besitzt das westliche Sanktionsregime ein hohes Selbstverletzungspotenzial. Gaslieferungen auch in die Bundesrepublik wurden durch die Pipeline Nord Stream 1 gedrosselt, weil ein Gas-Verdichter-Aggregat im kanadischen Montreal festhängt. Es stammt von Siemens Energy und darf wegen des westlichen Sanktionsregimes nicht ausgeliefert werden.
„Die Turbine liegt in der Fabrik, Siemens kann sie nicht abholen und nicht alle anderen Turbinen passen“, erklärte Gazprom-Chef Alexei Miller den Hintergrund gestern beim internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg.
Biden hat keine Lust, aufgrund der Spritpreise die Zwischenwahlen zu verlieren
4. Der selbe Ärger beim Thema Schiffsversicherungen. Die jüngsten Sanktionen der EU und Großbritannien sehen vor, dass russische Öltanker nicht mehr versichert werden dürfen. Die Folge: „Öltanker werden einfach nicht in der Lage sein, russisches Öl zu transportieren", erklärt Olivier Blanchard, ehemaliger Chefökonom des IWF. Er schlussfolgert:
„Russland werde einen Einnahmeverlust erleiden, aber Europa und die USA werden wahrscheinlich unter einem erheblichen Anstieg der Weltölpreise leiden."
Die amerikanische Regierung ist im Moment dabei – so berichtet die Financial Times –, die europäischen Sanktionsregeln zugunsten der russischen Tankerflotte abzumildern. Biden hat keine Lust, wegen astronomischer Spritpreise die Zwischenwahlen zu verlieren.
5. Schneller als gedacht fand Putin eine alternative Kundschaft für jene Energietranchen, die der Westen nicht mehr abnahm. In Indien und China freut man sich vor allem über den Rabatt, den Putin nun gewährt. Und auch politisch halten nicht wenige zu ihm, wie sich auf internationaler Bühne zeigt: 40 Staats- und Regierungschefs, die für rund vier Milliarden Menschen stehen, wollten auf einer UN-Vollversammlung Russlands Angriff auf die Ukraine nicht verurteilen.
6. Anders als vom Weißen Haus zunächst erhofft, entfernen sich die Chinesen keineswegs von Putin. Sie haben beim persönlichen Treffen von Putin und Xi Jinping zur Öffnung der Winterolympiade den Kriegsplan freigeschaltet. Sie demonstrieren durch den Flug mit einem nuklear bewaffneten Kampfjet über den Köpfen von Biden und den Regierungschefs von Australien, Indien und Japan während des Quadrilateral Security Dialogue (Quad) in Tokio erst vor 24 Tagen die Festigkeit ihrer Waffen-Brüderschaft.
In den Entwicklungsländern macht sich die Anti-Putin-Allianz derzeit keine Freunde
7. In den Entwicklungsländern macht sich die Anti-Putin-Allianz derzeit keine Freunde. Da der Krieg und das Sanktionsregime auch die Nahrungsmittelmärkte nicht verschonen, droht in Lateinamerika, in Teilen von Asien und Afrika der Hunger. Putin präsentiert sich als Retter der Hungernden, wenn er anbietet, die ukrainische Jahresproduktion an Getreide, Mais und Dünger über die von ihm besetzten Hafenterminals zu verschiffen. Die Ukraine will ihre Produktion nicht aus der Hand geben. Hungern für die Freiheit?

Fazit: Weltweit – und eben nicht nur in Russland – stehen die Volkswirtschaften nun unter Stress. Außer den Rüstungskonzernen und Mineralölfirmen gibt es keine Gewinner. Niemals hätte Putin allein diese globale Energie-, Ernährungs- und Wirtschaftskrise auslösen können. Mit dem Design seines Sanktionsregimes war der Westen sein williger Assistent.
Die Welt wird Zeitzeuge eines in der Vergangenheit bereits mehrfach aufgeführten Schauspiels: Die Großen pokern, die Kleinen krepieren. Und das Publikum ist nicht so unschuldig, wie es sich fühlt.

Ukraine-Krieg: Sanktionsregime: Die westliche Selbstverletzung (The Pioneer)

Ukraine-Krieg: 
Sanktionsregime: Die westliche Selbstverletzung (The Pioneer)
Guten Morgen,
derweil drei Vertreter von Old Europe – Scholz, Draghi und Macron – durch die Verwüstungen in den Kiewer Vororten stapfen, meldet sich in aufreizender Selbstgewissheit der Kreml-Herrscher und Kriegspräsident zu Wort. Die drei EU-Politiker – so lässt Putin über den Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow, mitteilen, sollten ihre Zeit mit Selenskyj nutzen, um einen „realistischen Blick auf die Sachlage“ zu werfen.
Und diese Sachlage, daraus speist sich die Selbstsicherheit Putins, sieht im Moment nicht sehr vorteilhaft für den Westen aus. Die Anti-Putin-Allianz ist kleiner, zersplitterter und ineffektiver als erhofft. Jeder zweite abgefeuerte Schuss des Westens trifft das eigene Knie. Wir sind Zeitzeugen einer als Reaktion auf Putins Angriffskrieg vorsätzlich herbeigeführten Wirtschafts-, Energie- und Nahrungsmittelkrise. Meine Analyse dazu ist nichts für schwache Gemüter.
Weltweit bekämpfen die Notenbanken mit Zinsanhebungen die Inflation, nur die EZB beruft eine Sondersitzung zur Rettung Italiens ein.

  • Nach der US-Notenbank hob gestern auch die Bank of England den Leitzins um 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent. Das war bereits die fünfte Zinserhöhung in den vergangenen sieben Monaten.

  • Auch die Schweizer Notenbank handelt und erhöhte gestern erstmals seit sieben Jahren den Leitzins und das, obwohl die Inflation in unserem Nachbarland gerade einmal 2,9 Prozent beträgt.

Und die europäische Zentralbank? Die gerät nicht einmal eine Woche nach der bloßen Ankündigung der geldpolitischen Wende in Panik und berief am Mittwoch kurzfristig wegen steigender Renditen für italienische Staatsanleihen eine ad-hoc-Sitzung ein.
Wie ist das Vorgehen der verschiedenen Notenbanken zu bewerten? Was tun gegen die Inflation? Was ist PR und was ist Geldpolitik? Über diese Fragen diskutiere ich am Montag in einem Pioneer Briefing LIVE mit Dr. Joachim Nagel, dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank und Mitglied des EZB-Rates.
Sigmar Gabriel
war Außenminister, Wirtschaftsminister und Umweltminister für die Bundesrepublik. Im heutigen Pioneer Podcast spricht er mit meiner Kollegin Chelsea Spieker über den Krieg und seine aufkeimende Verzweiflung:

"Ich muss zugeben, dass ich nicht sehe, dass wir nahe an einer Verhandlungslösung sind. Ich glaube - ich hoffe, dass ich mich irre - wir sind weiterhin in einer Situation, wo beide Seiten diesen Krieg fortsetzen".

Gabriel erinnert daran, dass der Westen zwar geschlossen, aber in seiner Geschlossenheit auch allein ist:

"Wir unterschätzen in Deutschland, in Europa und im Westen erheblich, dass ganz viele Staaten auf der Welt auf diesen Krieg völlig anders schauen als wir. In Afrika, in Asien, von China ganz zu schweigen, und in Indien schauen sie auf diesen Krieg als einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland und sagen: Es ist wie immer. Diese beiden alten Imperialisten bekriegen sich und wir müssen darunter leiden".

14 Juni 2022

Einfach mal eine Pipeline in die Luft jagen? Luisa Neubauer hat den Bogen überspannt (NZZ)

Der andere Blick
Einfach mal eine Pipeline in die Luft jagen? Luisa Neubauer hat den Bogen überspannt (NZZ)
In einem Video offenbart Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt. Auf Kritik reagiert sie mit einer Ausrede: Alles nicht ernst gemeint! Aber wer mit Anschlägen kokettiert, verabschiedet sich aus dem demokratischen Diskurs.
Alexander Kissler, Berlin, 14.06.2022
Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer gehört zu den bekanntesten Mitgliedern der deutschen Regierungspartei Bündnis 90 / Die Grünen. Als Sprecherin von Fridays for Future ist ihr die mediale Aufmerksamkeit sicher. Vor wenigen Tagen referierte sie mit Unterstützung der steuerfinanzierten Deutschen Bundesstiftung Umwelt auf der Berliner Internetkonferenz «re:publica». Sie rief dazu auf, «zu blockieren, was zerstört, und aufzubauen, was schützt». Nun aber hat Neubauer eine rote Linie überschritten. Ihr öffentliches Räsonieren über die Frage, ob man Erdölleitungen in die Luft jagen solle, disqualifiziert sie für jeden demokratischen Diskurs.
Niemand bestreitet, dass Umwelt-, Natur- und Klimaschutz eine zentrale Herausforderung für die gesamte Menschheit sind. Nichts freilich ist für den liberalen Rechtsstaat, nichts für dessen Bürger gewonnen, wenn Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung verstanden wird. Die Republik würde erodieren, ohne dass dem Klima geholfen wäre, sollte sich Neubauers Liebäugeln mit dem Attentat als gesellschaftsfähig durchsetzen. Hier ist die inflationär eingesetzte Warnung, den Anfängen zu wehren, einmal am Platz.
Angewandte Apokalyptik

Neubauer sagte, lachend und lächelnd, in einem von ihr selbst verbreiteten Kurzvideo auf Englisch, man denke gerade darüber nach, eine Erdölleitung in die Luft zu jagen, «We are planning how to blow up a pipeline». Ort des Statements war Kopenhagen, wo Neubauer an einer Tagung zur Zukunft der Demokratie teilnahm. «How to Blow Up a Pipeline» ist zugleich der Titel eines Buches, in dem ein schwedischer Klimaschützer Sabotageakte für legitim erklärt. Gewalt gegen die Sachen anderer sei von Gewalt gegen Personen zu trennen.
Diese unter radikalen Aktivisten beliebte Differenzierung übersieht, dass beides Straftaten sind und dass leicht der eine Gesetzesverstoss in den anderen münden kann. Die mittlerweile fast täglich stattfindenden Eingriffe in den Strassenverkehr durch die endzeitbewegte «Letzte Generation», deren Anhänger sich auf dem Asphalt festkleben oder sich an Brücken ketten, belegen den destruktiven Zusammenhang. Neubauer ermuntert zu solchen und zu drastischeren Taten, indem sie der Demokratie vorwirft, mit dem Klimawandel überfordert zu sein. Die demokratischen Prozesse, bekannte sie in einer Talkshow, hätten in den vergangenen dreissig Jahren eben nicht «gut genug geklappt für die Klimakrise».
Kritik an ihrer jüngsten Aussage konterte Neubauer umgehend. Es habe sich um Ironie gehandelt, «How to Blow Up a Pipeline» sei nur ein Buch. «Jesus Maria, es ist ein Buch», twitterte sie. Offenbar will die Aktivistin das Publikum für dumm verkaufen. Sonst und vor allem beim «Kampf gegen rechts» gilt die Losung, es sei ein kurzer Weg vom Gedanken zur Tat, von der Rede zum Anschlag.
Eskalation, unironisch

Neubauer hingegen errichtet in gespielter Naivität eine chinesische Mauer zwischen einem Buch, das sich als Handlungsanleitung versteht, und der Handlung selbst. Sie gibt dem empörten Publikum zu verstehen, sie habe ja nur einen Jokus gemacht, zumal die Pipeline, die konkret Thema gewesen sei, noch gar nicht existiere. Ob ihre eigene Gemeinde meist sehr junger Aktivisten dieses Kokettieren mit der Gewalt auch nur augenzwinkernd versteht? Der Autor des von ihr zitierten Buches plädiert ganz unironisch für eine Eskalation.
Die rhetorische Radikalisierung ist symptomatisch für eine Bewegung, die zum guten Zweck auch schlechte Mittel akzeptiert. Das Wort von der «grünen RAF» haben Klimaschützer selbst lanciert. Bisher war es eine schrille Drohung. Es ist an der Zeit, dass die Bewegung selbst und auch ihre Sympathisanten in den Parlamenten Farbe bekennen: Wer Straftaten propagiert, der verlässt den Boden der Republik.

Politische Kultur - Eine A-13-Stelle für Steinmeiers Twitter-Zeilen (Cicero+)

Politische Kultur
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Eine A-13-Stelle für Steinmeiers Twitter-Zeilen (Cicero+)
Der Bundespräsident sucht Fachkräfte, die ihn in den Sozialen Medien gut aussehen lassen sollen. Und die Bundesfamilienministerin erinnert daran, dass sie womöglich auch selbst dem jüngsten Attentat am Berliner Breitscheidplatz hätte zum Opfer fallen können: Die Inszenierung politisch Verantwortlicher nimmt immer groteskere Züge an. Wie das Primat der persönlichen Befindlichkeit Politik und Medien vergiftet.
VON JENS PETER PAUL am 12. Juni 2022_

Als Anne Spiegel innerhalb kürzester Zeit vor aller Augen an ihrer verfehlten Berufsauffassung scheiterte, war den Grünen bei der schmerzhaften Klärung der Nachfolge vor allem eines wichtig: Ihre nächste Ministerin für Familie, Frauen und Jugend sollte unbedingt die gleiche verfehlte Berufsauffassung vorweisen, diese aber bitte möglichst ein wenig geschickter verpacken.

Das ist offensichtlich gelungen. Die Prioritätenliste von Lisa Paus ist auf Platz 1 identisch mit der ihrer Vorgängern: Wichtig ist in jeder politischen und gesellschaftlichen Situation die eigene Befindlichkeit, die eigene „Sichtbarkeit“. Was gut ist für Frau Paus, ist auch gut für den Rest der Welt. Um dieses Dogma durchzusetzen, braucht es Aufmerksamkeit – und wird diese nicht freiwillig gewährt, ist notfalls so lange nachzuhelfen, gerne auch mit allen Mitteln und Geldern des ihr nunmehr zur Verfügung stehenden ministeriellen Apparats, bis die Amtsinhaberin zufrieden ist. Dabei darf unser Staatsoberhaupt, wie sich soeben zeigt, gerne als Vorbild dienen.     

Wenn nun ein angeblich erst 29 Jahre alter Armenier in einem Wutanfall eine Lehrerin absichtlich und mehrmals mit dem Auto überfährt, könnte selbst eine grüne Ministerin gerade dieses Ressorts auf die Idee kommen, dass dieser neuerliche Fall einer komplett gescheiterten Integration irgendwann kein Zufall mehr sein kann, sondern im Land ganz grundsätzlich mit solchen Männern etwas schief läuft. Dies umso mehr, als sein Attentat offensichtlich auch von einer gehörigen Portion Hass auf Frauen und Kinder, alles in seinen Augen schwächere Menschen als er selbst, geprägt war.

Nichts dergleichen geschah. Auch Frau Paus fürchtet offensichtlich nichts mehr als Beifall von der falschen Seite; da haben die Interessen der ihr eigentlich zum Schutze anvertrauten Bevölkerungsgruppen ohne jede Debatte selbstverständlich zurückzustehen.

„Das macht mich unendlich traurig und fassungslos“

Damit das nicht so auffällt, beeilte sie sich nach dem Attentat, das durchaus terroristischen Charakter aufweist, ihre ganz persönliche Befindlichkeit herauszustellen – erstmals am 9. Juni („Das macht mich unendlich traurig und fassungslos“) und, als diese Feststellung mit lediglich fünf Retweets und 83 Likes auf Twitter nicht die gewünschte Wirkung zeigte, gleich nochmal tags drauf, diesmal aber mit Unterstützung der ebenfalls tief betroffenen, aber im Hinblick auf Asyl, Einwanderung und nunmehr auch Gewährung der deutschen Staatsangehörigkeit ebenso unbelehrbaren Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sowie eindrucksvollen Fotos der regierungsamtlichen Trauergemeinde. Niemand sollte, so der Plan, übersehen, dass auch Lisa Paus zu den Opfern des Armeniers gehört, hätte es doch, so insinuiert sie, ganz genauso auch sie selbst erwischen können: „Für mich als #Charlottenburg|erin war gestern ein schlimmer Tag und ist es heute ein schwerer Weg gewesen. An einem populären Ort meines Wahlkreises, an dem ich regelmäßig vorbeikomme, wurden eine Frau getötet und mehrere Menschen teilweise schwer verletzt.“

Das möglichst sofortige Herausposaunen der eigenen Befindlichkeit gehört längst zum wichtigsten Instrument im politischen Werkzeugkasten von Berlin-Mitte. Das zu versäumen, rächt sich – Angela Merkel wird es bestätigen, denn sie brauchte nach dem islamistischen Attentat vom Breitscheidplatz ein Jahr für eine Gefühlsregung, in vielfacher Hinsicht. 

Hier lag die tote Lehrerin noch zugedeckt auf der Straße, als die verantwortlichen Damen – und nur um solche handelte es sich in diesem Fall, wir sind ja in Berlin – erklärten, es komme eigentlich nur eine Geisteskrankheit als Auslöser in Frage. Bereits im nächsten Satz folgte allerdings die strenge Ermahnung, „nicht zu spekulieren“ über Motive und Herkunft des Täters, was bedeutet: Wenn hier jemand spekulieren darf, dann die Regierende Bürgermeisterin sowie Angehörige des Bundeskabinetts, nicht aber kleine dumme Facebook-Nutzer. 

Der Bundespräsident hängte das Ereignis im besten Einvernehmen mit ARD und ZDF in seiner Bedeutung gleich einmal ein wenig tiefer und nannte es „einen tödlichen Auto-Vorfall“, der selbstredend aber auch in ihm „tiefes Mitgefühl“ erzeugt habe. 

Unterdessen war die 63-Jährige Münchnerin, die von einem 26-jährigen Somalier ohne festen Wohnsitz vor eine einfahrende S-Bahn gestoßen wurde, den hier genannten PolitikerInnen genauso wenig auch nur eine Silbe wert wie das Verbrechen an einem sieben Jahre alte Mädchen und ihrer 61-jährigen Betreuerin, die an einer Esslinger Grundschule von einem Schwarzen mit niederländischer Staatsbürgerschaft ohne erkennbaren Anlass mit einem Messer massakriert wurden.
Falsches Täter-Opfer-Schema

Frau, Kind , aber falsches Täter-Opfer-Schema – und damit weder für den Bundespräsidenten noch für die Bundesinnenministerin noch für die Bundesfamilienministerin ein Anlass, auch nur einmal öffentlich wenigstens die Frage zu stellen, was hier im Land eigentlich los ist. Die Sorge, diese Welle sinnloser und offensichtlich vor allem frauenverachtender Gewalt könnte auch nur entfernt irgendetwas mit ihrer eigenen Ideologie, ihrer erratischen Einwanderungspolitik, ihrer Agenda (Faeser passend am selben Tag: Wir müssen mehr Einbürgerung auch bei lediglich Geduldeten wagen) zu tun haben, ist offensichtlich zu groß. 

13 Juni 2022

Geldwunder: Warum die Inflation in der Schweiz nicht heimisch wird (ThePioneer)

Geldwunder: Warum die Inflation in der Schweiz nicht heimisch wird (ThePioneer)
Guten Morgen,
wer dem deutschen Finanzminister oder der EZB-Präsidentin Christine Lagarde zuhört, könnte den Eindruck gewinnen, die hohe Inflation sei die Folge eines Götterfluches. Es ist derzeit unmöglich, in Berlin, Frankfurt, Brüssel oder auch Washington einen Politiker oder Notenbanker zu treffen, der bereit wäre, Verantwortung für diesen massiven Eingriff in die finanzielle Freiheit der Bürger zu übernehmen.

Putin war’s.
Die Ölscheichs sind schuld.
Diese teuflischen Corona-Spätfolgen!
Und dann die Mutter aller Argumente: Wir sind nicht allein; alle Länder leiden unter der Inflation.
So lauten die Vokabeln aus der Schatztruhe der ewigen Ausreden.
Dabei gibt es ein wohlhabendes Land in Europa, das den Verweis auf Putin, die Ölscheichs und Covid als Märchen entlarvt. Denn dieses Land lebt in unserer Mitte und kennt bisher keine Geldentwertung, die sich nennenswert oberhalb des EZB-Inflationsziels von 2 Prozent bewegen würde. Vielleicht liegt es auch daran, dass dieses Land gar nicht Mitglied der Eurozone ist. Die Rede ist von der Schweiz.
Dieses Land mit seinen über 8,7 Millionen Einwohnern, das an Frankreich, Italien, Liechtenstein, Deutschland und Österreich grenzt, ist mit seinem Bankensektor und seinem verarbeitenden Gewerbe tief in die Weltwirtschaft integriert. Unter den wohlhabenden Nationen belegt die Schweiz beim Pro-Kopf-Sozialprodukt den zweiten Platz weltweit.
Auch bei den Eidgenossen hat die Geldentwertung in den vergangenen zwölf Monaten leicht zugelegt – aber eben nur auf 2,9 Prozent. Damit weist die Schweiz jenes Niveau an Preisstabilität aus, das knapp oberhalb der von der EZB für Europa anvisierten Zielmarke liegt. Deutschland liegt bei mehr als dem Doppelten der Schweizer und beim fast Vierfachen des EZB Ziels.
Alle Langzeitstudien weisen die Schweiz als Stabilitätsanker aus – schon vor der aktuellen Inflationswelle. So zeigt der Vergleich mit Österreich, dass die Inflationsrate zwischen 2006 und 2021 im Jahresdurchschnitt in Österreich um zwei Prozent gestiegen ist, in der Schweiz aber nur um 0,2 Prozent. Das bedeutet: Die heutige Situation ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis einer strategisch anderen Führung von Staat und Notenbank.
Hier sind fünf handfeste Gründe, die uns exakt zeigen, was die Schweizer anders und was wir falsch machen:

Die kulturelle Linke hat neue Tabus errichtet (WELT+)

Die kulturelle Linke hat neue Tabus errichtet (WELT+)
Viele trauen sich nicht mehr, ihre Meinung offen zu sagen. Das liegt an der extremen Moralisierung der öffentlichen Debatte, die die kulturelle Linke zu verantworten hat – ausgerechnet. Denn früher war sie es, die Autoritäten angriff und Institutionen herausforderte.
Die Hälfte der Deutschen haben das Gefühl, ihre Meinung nicht frei sagen zu können. In autoritären oder totalitären Ländern wie Russland oder China wäre das nachvollziehbar, weil man dort für regimekritische Äußerungen eingesperrt wird. In Deutschland kommt niemand wegen seiner Meinungen ins Gefängnis. Unser Staat ist keine Bedrohung. Woher rührt also die schlechte Stimmung? Fehlt einfach nur zu vielen Leuten das Rückgrat, um zu ihren Ansichten zu stehen und die Widerrede von Freunden, Kollegen oder Medien auszuhalten? Bedeutet wahre Meinungsfreiheit für jeden zweiten Mitbürger, dass alle anderen ihm recht geben müssen? Wahrscheinlich stimmt von all dem ein wenig – und trotzdem lässt sich die weitverbreitete Irritation, das allgegenwärtige Gefühl der Angespanntheit so nicht wegerklären.
Das dürfte an der extremen Moralisierung der öffentlichen Debatte liegen: Man wirft heute seinem Gegenüber allzu oft nicht mehr vor, er gebrauche ein schlechtes Argument, sondern er sei wegen seiner Meinung ein schlechter Mensch.
Als ehemalige Sozialdemokratin frage ich mich, wie es so weit gekommen ist – und wie es früher war. Gerade als Linke wollte man vor 30, 40 Jahren unbedingt Tabus schleifen, Autoritäten angreifen und Institutionen herausfordern. Auch das erforderte ein bisschen Mut, aber den konnte man aufbringen, man fühlte sich moralisch im Recht, es ging schließlich gegen alte Nazis und die herrschende Klasse.
Linker Mainstream
Vielleicht waren wir einfach zu erfolgreich, vielleicht setzten wir Linken uns kulturell zu gut durch. Wenn so etwas passiert, dann greift wohl leider der Satz von Karl Popper:
Egal, welcher Klasse sie auch entstammen – sobald sie herrschen, gehören sie zur herrschenden Klasse.
Die kulturelle Linke hat neue Tabus errichtet, und die werden härter verteidigt, als ich es von konservativer Seite je erlebt habe. Wer sagt, dass der Islam das Potenzial zur Frauenfeindlichkeit in sich trägt, ist ein Islamfeind. Wer sagt, dass die Digitalisierung mindestens so viele Risiken für Privatsphäre, kritische Infrastruktur und intellektuellen Tiefgang birgt wie Chancen, stellt sich gegen die ZukunfWer sagt, dass Corona ein ernstes Problem, aber nicht die Menschheitskatastrophe war, die jede Einschränkung von Freiheitsrechten rechtfertigte, ist ein Egoist. Wer sagt, dass die Transgender-Thematik für jede:n einzelne:n Betroffene:n ein Riesenthema sein mag, für die Gesellschaft insgesamt aber ein eher kleineres Problem ist, ist transphob. Wer auch bei der Bekämpfung der Klimakatastrophe demokratische Gepflogenheiten gewahrt sehen will, gerät schnell in die Gefahr, als Klimaleugner zu gelten.'
Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat in einem Beitrag für die „FAZ“ in diesem Zusammenhang einmal einen wichtigen Hinweis gegeben: Wir müssen aufpassen, dass wir uns den Begriff des Normalen nicht kaputtmachen. Wir brauchen ein neues Normal. Tolerant, menschenfreundlich, entspannt, großzügig und vor allem mit weniger moralischer Überheblichkeit.

Putin ist sterbenskrank, die russische Armee am Boden – wie sich westliche Medien die Lage der Ukraine schönschreiben (NZZ)

Putin ist sterbenskrank, die russische Armee am Boden – wie sich westliche Medien die Lage der Ukraine schönschreiben (NZZ)

Die Ukraine könne den Krieg gegen die russische Invasionsarmee gewinnen, liest man in den Zeitungen. Nach über drei Monaten Krieg haben sich die russischen Soldaten allerdings im Osten des Landes festgesetzt. Ist die Berichterstattung westlicher Medien zu stark von Wunschdenken geprägt?
Von Benedict Neff 10.06.2022
In Zürich wehen Ukraine-Flaggen am See. Man hat sich daran gewöhnt, geht achtlos an ihnen vorbei. Am 24. Februar haben russische Truppen die Ukraine angegriffen. Es ist schon mehr als drei Monate her. Der Schrecken war auch im Westen riesig. Wenn es Putin wagt, Kiew anzugreifen, wozu ist dieser Mann dann noch bereit? Die Zeitungen veröffentlichten Statistiken zu den Kriegsparteien. Aktive Soldaten: Russland 800 000, Ukraine 200 000. Helikopter: Russland 1543, Ukraine 112. Alle Zahlen sprachen gegen die Ukraine. Länder wie Deutschland zögerten, Waffen an Kiew zu liefern. Vielleicht auch in der Annahme, dass diesem Land ohnehin nicht mehr zu helfen sei.
Irgendwann wurden Satellitenbilder eines 64 Kilometer langen russischen Militärkonvois vor Kiew verbreitet. Das Unheil schien im Anzug. Die Kolonne kam in der ukrainischen Hauptstadt aber nie an. Stattdessen waren die Zeitungen bald voll mit Bildern von russischem Militärschrott. Panzern, zusammengeschossen, ausgebrannt oder einfach stehengelassen auf ukrainischen Strassen. Auch kursierten Videos von ukrainischen Zivilisten, die sich den russischen Invasoren mutig entgegenstellten, oft mit der Botschaft: Leute, geht nach Hause. Hier hat euch niemand gerufen.

Fiasko und Debakel
Langsam setzte sich in den westlichen Medien eine neue Erzählung durch: die einer militärischen Blamage. «Ist die russische Armee ein Papiertiger?», wurden Strategieexperten nun in Interviews gefragt. Gleichzeitig erschienen Artikel über eine klug agierende, hochmotivierte und vom Westen aufmunitionierte ukrainische Armee, die sich allmählich ihr Land zurückkämpfte. Die Bilder von Butscha – von toten Zivilisten – sorgten für internationales Entsetzen. Aber kaum jemand hätte sie noch als Zeugnisse einer Allmacht der russischen Armee gelesen. Sie waren vielmehr Zeichen ihrer totalen Verrohung und Barbarei. Die Angst vor einem möglichen Atomkrieg, die am Anfang des Krieges noch präsent war, rückte bald in den Hintergrund.

Der russische Angriffskrieg wird in den westlichen Medien fast unisono als Fiasko und Debakel dargestellt.

Diese Beschreibung ist auch richtig. Wladimir Putin hat sein Ziel, Kiew einzunehmen und die ukrainische Regierung zu beseitigen, nicht erreicht. Die russische Armee hat wahrscheinlich schon mehr als 20 000 Soldaten verloren, dazu viel militärisches Gerät, auch die westlichen Sanktionen treffen das Land hart. Allerdings scheint es, das Bild der gescheiterten russischen Armee sei in manchen Medien schon fast ins Groteske verzerrt worden.

Zwei deutsche Kriegserklärer

Ende Mai meldeten sich die zwei führenden Kriegserklärer der deutschen Medien zu Wort: Herfried Münkler und Carlo Masala. «Die Ukraine steht im Begriff, den Krieg zu verlieren», sagte Münkler in der «Welt». «Es läuft für Putin. Von daher gibt es keinen Anreiz, sich in Verhandlungen hineinzubegeben», so meldete Masala fast zeitgleich. Die beiden Voten schienen wie aus dem Nichts zu kommen. Eben noch, mussten sich manche Medienkonsumenten gedacht haben, lief der Krieg doch für die Ukrainer. Die Amerikaner verkündeten, die Ukraine könne den Krieg gewinnen. Ebenso äusserte sich der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.