12 November 2025

Weltklimakonferenz COP30 Der deutsche Alleingang gleicht einem ökonomischen Suizidversuch (WELT+)

Weltklimakonferenz COP30
Der deutsche Alleingang gleicht einem ökonomischen Suizidversuch (WELT+)
Von Daniel Wetzel, Wirtschaftsredakteur, 11.11.2025, 4 Minuten
Vorbild bis zur Selbstaufgabe: Deutschland hält an Klimazielen fest, von denen sich die Welt längst verabschiedet hat – mit schwersten Folgen für die Wirtschaft.
Auflösungserscheinungen prägen die Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém. Die Vereinten Nationen geben dort ihre Klimaziele stillschweigend auf: Die meisten der 198 Mitgliedstaaten kommen den Verpflichtungen aus dem einst gefeierten Pariser Abkommen von 2015 nicht mehr nach.
Zum 30. Geburtstag des jährlichen Konferenzreigens mit seinen mehreren Zehntausend Teilnehmern reisen die wichtigsten Staatschefs nicht an, und wer noch zur Party kommt, bringt keine Geschenke mehr mit. Die Jubiläumsfeier im Geburtsland der Klima-Rahmenkonvention von Rio de Janeiro fällt ziemlich freudlos aus. Auf der 30. „Conference of the Parties“ oder „COP30“ genannten Versammlung platzen die großen Blütenträume vieler Weltenretter.
Klimaaktivisten und Politiker hatten die 2020er-Jahre eigentlich als das „entscheidende Jahrzehnt“ im Kampf gegen die Erderwärmung ausgerufen – doch zur Halbzeit steht die Niederlage bereits fest. Wie die Vereinten Nationen wenige Tage vor Konferenzbeginn mitteilten, wird die angestrebte Temperaturschwelle von 1,5 Grad Anfang der 2030er-Jahre „unvermeidlich überschritten“. Mit diesem Scheitern ist Klimaschutz jetzt offiziell ein politisches Verliererthema, um das machtbewusste Staatschefs einen großen Bogen machen.
Beim Treffen der Führungskräfte in Belém traten zwar 53 Politiker auf, darunter Bundeskanzler Friedrich Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Doch mit den Staatschefs der USA, Chinas, Indiens und Russlands blieben vier der fünf größten CO₂-Emittenten der Welt der Versammlung fern.
Es ist die angespannte geopolitische Großwetterlage, die keinen Raum mehr lässt für partnerschaftlichen Multilateralismus, ohne den im Klimaschutz nichts geht. Die Systemkonkurrenz zwischen Demokratien und Autokratien hat geostrategische Risiken und Rivalitäten erzeugt, die viele Staatenlenker aus Selbstschutz ins Nationale zurückfallen lassen.

Statt Freihandel gibt das neue Schlagwort „Resilienz“ die Richtung vor. Es bedeutet Unabhängigkeit vom Handelspartner, nationale Selbstversorgung, Abschottung durch Zölle. Die Globalisierung legt den Rückwärtsgang ein. Klimaschutz, der kurzfristig mehr Kosten als Gewinne produziert, kommt in so einem Umfeld zuerst unter die Räder. Der Versuch deutscher Klimapolitiker, sich dieser ablaufenden Flut allein entgegenzustellen, gleicht einem ökonomischen Suizidversuch.

Realitätsverlust in der Echokammer der Klimaszene offenbart sich

Dass in Belém ernsthaft über die bizarre Forderung verhandelt wird, den Entwicklungsländern bis 2035 „Klimahilfen“ in Höhe von 1,3 Billionen Dollar zur Verfügung zu stellen – pro Jahr – zeigt den Realitätsverlust in der Echokammer der Klimaszene. Dass der große Geldgeber USA nicht mehr mitspielt, wird ausgeblendet, ebenso wie die Tatsache, dass Industrieländer wie Italien, Frankreich, Deutschland selbst am Rand der Überschuldung segeln und nicht wissen, wie sie Schulen und Verkehrswege sanieren, Aufrüstung bezahlen und soziale Standards sichern sollen.Das Thema Klimaschutz ist auf der Prioritätenliste der Entscheider und Bürger in vielen Ländern weit hinter Wirtschaft, Wohlstand und Sicherheit zurückgefallen. Auch die Europäische Union, einst Musterschüler, ist heillos zerstritten, wie sich an ihrem neuen, am vergangenen Mittwoch beschlossenen Klimaziel ablesen lässt: Erstmals reicht Brüssel kein konkretes CO₂-Sparziel mehr bei den UN ein, sondern eine Bandbreite.
Die EU-Mitgliedsstaaten haben jetzt die Wahl, ob sie ihre Emissionen bis 2035 um 72,5 Prozent senken, oder, je nach Belieben, doch nur um 66,25 Prozent. Der untere Rand des Zielkorridors ist mit dem Pariser Temperaturziel nicht vereinbar. Mit dieser Klimalücke im Minderungsplan verliert die Europäische Union in Belém jede Glaubwürdigkeit in den Verhandlungen mit viel ärmeren Entwicklungs- und Schwellenländern. Dass die Europäische Union sich diese Blöße gibt, zeigt, wie stark selbst wohlhabende Staaten unter der Last von Klimabürokratie, Energiewende und CO₂-Abgaben ächzen.
Die deutschen Chefverhandler in Belém halten derweil an einer Erzählung fest, die mit der harschen Realität nicht mehr viel zu tun hat. „Wir wollen Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen“, erklärte Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) unverdrossen auf einer Vorbereitungskonferenz im Auswärtigen Amt in Berlin.
„Klimaschutz ist sozial“, sekundiert Bundesentwicklungshilfeministerin Reem Alabali Radovan (SPD). Die soziale Umverteilung zulasten einkommensschwacher Schichten durch die überbordenden Energiewendekosten blendet sie aus. „Unsere Klimapolitik ist auch Außenwirtschaftsförderung“, behauptet Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU): Die Nöte der deutschen Auto-, Stahl- und Chemieindustrie durch Klimabürokratie und CO₂-Abgaben vergaß er dabei.
Nötig wäre ein politischer Realismus, der nach drei Jahren Rezession die wirtschaftliche Lage in den Mittelpunkt rückt. Denn den Klima-Vorreitern folgt ohnehin niemand mehr, wie die fehlenden Ambitionen in Belém zeigen. Mit ihrem naiven Glauben an den Fortbestand des partnerschaftlichen Multilateralismus spielt die Bundesregierung ein einsames Spiel, das sie nicht gewinnen kann.

Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.

Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft und Klimapolitik. Er wurde 2007 vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit dem Robert-Mayer-Preis ausgezeichnet und vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln 2009 mit dem Theodor-Wessels-Preis.

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