Wie damals die DDR wird heute die AfD ins Niemandsland gedrückt. Doch kategorische Ablehnung verändert uns mehr als sie.
Gabor Steingart, 25.11.2025, 7 Min
Der DDR erging es zunächst wie der AfD. Man wollte sie partout nicht haben und erklärte sie daher zum Niemandsland. Entweder sprach man weiter von der Ostzone – also einem formlosen Gebilde ohne eigene Staatlichkeit – oder packte die „DDR“ in Anführungsstriche.
Die Vereinten Nationen in New York sprachen der DDR am 18. September 1973 die völkerrechtliche Anerkennung aus. Aber wehe, ein westdeutscher Lehrer im Beamtenstatus tat das Gleiche. Unverzüglich griff der Radikalenerlass und der Lehrer wurde mit Berufsverbot belegt.
Selbst den Postbeamten Herbert Bastian in Marburg, ein freundlicher Typ, der mit 14 Jahren als Jungpostbote angefangen hatte und später als Posthauptschaffner verbeamtet wurde, hat es erwischt. Weil er in der DDR seine sozialistischen Ideale verwirklicht sah und deshalb der DKP beitrat, kündigte unser Staat ihm erst die Freundschaft und dann den Job.
SPD-Postminister Kurt Gscheidle beruft sich auf den „Radikalenerlass“ aus dem Jahr 1972, durch den „Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“, aus dem Dienst entfernt werden sollen.
Richtig ist ja: Die DKP wurde von der DDR finanziert, wie wir heute sicher wissen. Sie aß deren Brot und sang deren Lied. Sie war, wie die AfD heute, nicht verboten, galt aber als gesichert verfassungsfeindlich.
Die Tatsache, dass Herbert Bastian als demokratisch gewählter Kommunalpolitiker im Stadtparlament von Marburg saß, galt nicht als strafmildernd, sondern als strafverschärfend. Der Familienvater lebte fortan von den Almosen seiner Unterstützer.
Ich bin kein Freund des Kommunismus. Durch die Lebensgeschichte meines Vaters kann man sogar sagen, ich bin antikommunistisch imprägniert. Als Student in Budapest im Jahr 1956 kämpfte er gegen die sowjetischen Besatzer. Als die Panzer der Roten Armee vorfuhren, musste er fliehen.Er ließ fünf Brüder – Lazlo, Gabor, Istvan, Peter, Ferry – und drei Schwestern – Borbála, Zsuzsanna und Eva – in Ungarn zurück. Erst fünfzehn Jahre später – mittlerweile war ich auf den Rücksitz unseres VW-Käfers dazu geklettert – konnten wir nach Ungarn einreisen. Zum ersten Mal begegnete ich dem großen Gabor, dem Lieblingsbruder meines Vaters, nach dem ich benannt wurde.
Trotz meiner Abneigung gegen den real existierenden Kommunismus fand ich das Berufsverbot gegen den Postboten Bastian moralisch verwerflich und politisch falsch. Ich setzte als Student meinen Namen auf eine Unterschriftenliste und demonstrierte in der Marburger Oberstadt für seine Wiedereinstellung in den Staatsdienst.
Womit wir bei der AfD und Alice Weidel sind. Ich bin nicht farbenblind. Ich sehe, dass es durch die leuchtend blaue Parteifarbe hindurch bräunlich schimmert. Das Völkische und die offensichtliche Ausländerfeindlichkeit vieler Funktionäre sind mir nicht verborgen geblieben. Während ich in den Zugereisten aller Herren Länder einen künftigen Fabrikarbeiter, einen fleißigen Gemüsehändler oder den Chefarzt von morgen sehe, sehen sie in ihm immer nur ein Clan-Mitglied mit Messer in der Tasche.
Ihr Deutschland ist homogen, mein Deutschland weltoffen. Ich bevorzuge den gepflegten Austausch der Argumente, viele AfDler sprechen mit feuchter Aussprache.
Kurz und gut: Die AfD und ich leben auf unterschiedlichen politischen Planeten.
Gerade deshalb bin ich nicht bereit, meinen Liberalismus für die AfD zu opfern. Mein Freund ist nicht der Staat, der verbietet, zensiert und am Ende Andersdenkende einkerkert. Meine Freundin ist Evelyn Beatrice Hall, die Voltaire wie folgt zitiert:
Ich missbillige, was du sagst, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst.
Die fortgesetzte Gesprächsverweigerung und Nicht-Anerkennung der AfD, wie damals die Gesprächsverweigerung und Nicht-Anerkennung der DDR, führt zu immer neuem Unfrieden. Die Brandmauer entwickelt sich – ausweislich der Wahlen und Wahlumfragen – immer mehr zum Brandbeschleuniger.
Die kategorische Ablehnung verändert uns mehr als die AfD. Sie verbiestert unsere Politiker. Sie führt dazu, dass Medien von Neugier auf Haltung umschalten. Jeder mittelpreisige Redakteur glaubt mittlerweile, er gehöre zur Nachfolgeorganisation der „Weißen Rose“, wenn er die AfD in seinen Texten schmäht.
Von der Mehrheit der politischen Parteien im Bundestag wird das demokratische Urprinzip – one man one vote – heute infrage gestellt. Der größten Oppositionsfraktion verweigert man erst einen ausreichend großen Sitzungssaal (siehe Foto), dann den Bundestagsvizepräsidenten und schließlich mehrere Ausschussvorsitzende. Im Namen der Demokratie wird die Demokratie beschädigt. Man verteidigt die Freiheit, indem man sie begrenzt.
Szenenwechsel: Außenpolitisch steht der Dialog mit Rechtspopulisten wie Trump und Meloni hoch im Kurs. Merz gibt sich alle Mühe, Trump zu gefallen. Innenpolitisch aber steht er mit dem Rücken zur Brandmauer. Er darf mit der SPD regieren – oder gar nicht.
Mit der DDR war es genauso. Die Regierungen entschlossen sich im Dezember 1972 im Zuge der Entspannungspolitik mit dem „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD“ zur faktischen Anerkennung des jeweils anderen deutschen Staates. „Wo geredet wird, wird nicht geschossen“, begründete der Architekt der Entspannungspolitik, Egon Bahr, die Kehrtwende. Es setzte sich die Ansicht des Publizisten Sebastian Haffner durch:
Beide deutschen Staaten haben dieselbe Geburtsurkunde: ausgestellt von den vier Siegermächten.
Nur die Berufsverbote haben den Gezeitenwechsel überlebt. Der Postbote Herbert Bastian lebte weiter das Leben eines Verfemten. Erst nachdem die Mauer gefallen war, 1990, erging ein Gnadenerlass durch den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Mit 53 Jahren starb Bastian, auch an Gram.
Wir sollten es diesmal besser machen. Die Kommunisten in Deutschland waren in ihrer Mehrzahl Träumer und nicht Stalinisten. Die AfD-Wähler sind in ihrer Mehrzahl zornige Ex-Wähler von SPD oder CDU, keine Nazis.
Berlin ist kein Vorort von Weimar: Die Gesprächsverweigerung verhärtet uns und sie. Der demokratische Diskurs unterbleibt, obwohl er in der Geschichte oft schon magisch gewirkt hat. Im Diskurs wird komplex, was vorher simpel erschien. Das Argument unterwandert Gewissheiten.
Fazit: Die Feinde der AfD sind ihr ähnlicher als uns recht sein kann. Sie träumen von einer politischen Homogenität, die es in der demokratischen Gesellschaft nicht geben kann. Immer wieder zerfällt das Wir in seine vielen Ichs. Oder wie der Philosoph Peter Sloterdijk in „Stress und Freiheit“ schreibt: „Die Nation ist ein Kollektiv, dem es gelingt, gemeinsam Unruhe zu bewahren.“
Die Vereinten Nationen in New York sprachen der DDR am 18. September 1973 die völkerrechtliche Anerkennung aus. Aber wehe, ein westdeutscher Lehrer im Beamtenstatus tat das Gleiche. Unverzüglich griff der Radikalenerlass und der Lehrer wurde mit Berufsverbot belegt.
Selbst den Postbeamten Herbert Bastian in Marburg, ein freundlicher Typ, der mit 14 Jahren als Jungpostbote angefangen hatte und später als Posthauptschaffner verbeamtet wurde, hat es erwischt. Weil er in der DDR seine sozialistischen Ideale verwirklicht sah und deshalb der DKP beitrat, kündigte unser Staat ihm erst die Freundschaft und dann den Job.
SPD-Postminister Kurt Gscheidle beruft sich auf den „Radikalenerlass“ aus dem Jahr 1972, durch den „Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“, aus dem Dienst entfernt werden sollen.
Richtig ist ja: Die DKP wurde von der DDR finanziert, wie wir heute sicher wissen. Sie aß deren Brot und sang deren Lied. Sie war, wie die AfD heute, nicht verboten, galt aber als gesichert verfassungsfeindlich.
Die Tatsache, dass Herbert Bastian als demokratisch gewählter Kommunalpolitiker im Stadtparlament von Marburg saß, galt nicht als strafmildernd, sondern als strafverschärfend. Der Familienvater lebte fortan von den Almosen seiner Unterstützer.
Ich bin kein Freund des Kommunismus. Durch die Lebensgeschichte meines Vaters kann man sogar sagen, ich bin antikommunistisch imprägniert. Als Student in Budapest im Jahr 1956 kämpfte er gegen die sowjetischen Besatzer. Als die Panzer der Roten Armee vorfuhren, musste er fliehen.Er ließ fünf Brüder – Lazlo, Gabor, Istvan, Peter, Ferry – und drei Schwestern – Borbála, Zsuzsanna und Eva – in Ungarn zurück. Erst fünfzehn Jahre später – mittlerweile war ich auf den Rücksitz unseres VW-Käfers dazu geklettert – konnten wir nach Ungarn einreisen. Zum ersten Mal begegnete ich dem großen Gabor, dem Lieblingsbruder meines Vaters, nach dem ich benannt wurde.
Trotz meiner Abneigung gegen den real existierenden Kommunismus fand ich das Berufsverbot gegen den Postboten Bastian moralisch verwerflich und politisch falsch. Ich setzte als Student meinen Namen auf eine Unterschriftenliste und demonstrierte in der Marburger Oberstadt für seine Wiedereinstellung in den Staatsdienst.
Womit wir bei der AfD und Alice Weidel sind. Ich bin nicht farbenblind. Ich sehe, dass es durch die leuchtend blaue Parteifarbe hindurch bräunlich schimmert. Das Völkische und die offensichtliche Ausländerfeindlichkeit vieler Funktionäre sind mir nicht verborgen geblieben. Während ich in den Zugereisten aller Herren Länder einen künftigen Fabrikarbeiter, einen fleißigen Gemüsehändler oder den Chefarzt von morgen sehe, sehen sie in ihm immer nur ein Clan-Mitglied mit Messer in der Tasche.
Ihr Deutschland ist homogen, mein Deutschland weltoffen. Ich bevorzuge den gepflegten Austausch der Argumente, viele AfDler sprechen mit feuchter Aussprache.
Kurz und gut: Die AfD und ich leben auf unterschiedlichen politischen Planeten.
Gerade deshalb bin ich nicht bereit, meinen Liberalismus für die AfD zu opfern. Mein Freund ist nicht der Staat, der verbietet, zensiert und am Ende Andersdenkende einkerkert. Meine Freundin ist Evelyn Beatrice Hall, die Voltaire wie folgt zitiert:
Ich missbillige, was du sagst, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst.
Die fortgesetzte Gesprächsverweigerung und Nicht-Anerkennung der AfD, wie damals die Gesprächsverweigerung und Nicht-Anerkennung der DDR, führt zu immer neuem Unfrieden. Die Brandmauer entwickelt sich – ausweislich der Wahlen und Wahlumfragen – immer mehr zum Brandbeschleuniger.
Die kategorische Ablehnung verändert uns mehr als die AfD. Sie verbiestert unsere Politiker. Sie führt dazu, dass Medien von Neugier auf Haltung umschalten. Jeder mittelpreisige Redakteur glaubt mittlerweile, er gehöre zur Nachfolgeorganisation der „Weißen Rose“, wenn er die AfD in seinen Texten schmäht.
Von der Mehrheit der politischen Parteien im Bundestag wird das demokratische Urprinzip – one man one vote – heute infrage gestellt. Der größten Oppositionsfraktion verweigert man erst einen ausreichend großen Sitzungssaal (siehe Foto), dann den Bundestagsvizepräsidenten und schließlich mehrere Ausschussvorsitzende. Im Namen der Demokratie wird die Demokratie beschädigt. Man verteidigt die Freiheit, indem man sie begrenzt.
Szenenwechsel: Außenpolitisch steht der Dialog mit Rechtspopulisten wie Trump und Meloni hoch im Kurs. Merz gibt sich alle Mühe, Trump zu gefallen. Innenpolitisch aber steht er mit dem Rücken zur Brandmauer. Er darf mit der SPD regieren – oder gar nicht.
Mit der DDR war es genauso. Die Regierungen entschlossen sich im Dezember 1972 im Zuge der Entspannungspolitik mit dem „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD“ zur faktischen Anerkennung des jeweils anderen deutschen Staates. „Wo geredet wird, wird nicht geschossen“, begründete der Architekt der Entspannungspolitik, Egon Bahr, die Kehrtwende. Es setzte sich die Ansicht des Publizisten Sebastian Haffner durch:
Beide deutschen Staaten haben dieselbe Geburtsurkunde: ausgestellt von den vier Siegermächten.
Nur die Berufsverbote haben den Gezeitenwechsel überlebt. Der Postbote Herbert Bastian lebte weiter das Leben eines Verfemten. Erst nachdem die Mauer gefallen war, 1990, erging ein Gnadenerlass durch den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Mit 53 Jahren starb Bastian, auch an Gram.
Wir sollten es diesmal besser machen. Die Kommunisten in Deutschland waren in ihrer Mehrzahl Träumer und nicht Stalinisten. Die AfD-Wähler sind in ihrer Mehrzahl zornige Ex-Wähler von SPD oder CDU, keine Nazis.
Berlin ist kein Vorort von Weimar: Die Gesprächsverweigerung verhärtet uns und sie. Der demokratische Diskurs unterbleibt, obwohl er in der Geschichte oft schon magisch gewirkt hat. Im Diskurs wird komplex, was vorher simpel erschien. Das Argument unterwandert Gewissheiten.
Fazit: Die Feinde der AfD sind ihr ähnlicher als uns recht sein kann. Sie träumen von einer politischen Homogenität, die es in der demokratischen Gesellschaft nicht geben kann. Immer wieder zerfällt das Wir in seine vielen Ichs. Oder wie der Philosoph Peter Sloterdijk in „Stress und Freiheit“ schreibt: „Die Nation ist ein Kollektiv, dem es gelingt, gemeinsam Unruhe zu bewahren.“

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