20 November 2025

Der andere Blick Deutschland lernt nichts dazu: Die Verschiebung von Stuttgart 21 ist ein Symbol für das Versagen bei Grossprojekten (NZZ)

Deutschland droht zum Gespött der Welt zu werden
Der andere Blick

Deutschland lernt nichts dazu: Die Verschiebung von Stuttgart 21 ist ein Symbol für das Versagen bei Grossprojekten (NZZ)
Es ist unsicher, wann der unterirdische Bahnhof eröffnet wird. Deutschland macht sich zum Gespött. Die Schweiz zeigt, wie es besser gehen kann.
Wieder einmal wurde die Eröffnung des Superbahnhofs Stuttgart 21 verschoben, und man kann es nur noch achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Die jahrelangen Verzögerungen sind längst zur Gewohnheit geworden, ebenso wie die Kostenexplosion, die Bürgerproteste, die Gerichtsverfahren gegen Subunternehmer und einiges mehr. Mittlerweile wäre die Fertigstellung des Bahnhofs eine Sensation.
Doch das Prestigeprojekt der Bahn in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ist das grösste Milliardengrab des Landes. Stuttgart 21 ist zu einem Symbol für das Versagen der öffentlichen Hand bei Grossprojekten geworden, ein Mahnmal gescheiterter Bahnpolitik. Für die Mehrkosten von rund 6 Milliarden Euro muss der Steuerzahler aufkommen.
Wie konnte es so weit kommen? Experten sehen eine ganze Reihe von Fehlern im System. Bei Ausschreibungen würden die Kosten kleingerechnet. Niedrige Baukosten lassen sich für Politiker, egal ob Bürgermeister oder Ministerpräsident, besser rechtfertigen. Doch alle wissen: Die Kostenrechnungen sind von Anfang an Makulatur.
Dann schlägt die Bürokratie zu. Auf den Bauherrn kommt in Deutschland ein Wust von Vorschriften und langen Genehmigungsverfahren zu, verteilt auf verschiedene Behörden.
Politische Einflussnahme verzögert Bauvorhaben
Ein Grundübel liegt jedoch in der Vermischung von politischen und wirtschaftlichen Interessen, wie der Planungsexperte von der Oxford-Universität Bent Flyvbjerg sagt. Ein Paradebeispiel dafür sei der Flughafen Berlin-Brandenburg. Aus seiner Sicht hat man von Beginn an fast alles falsch gemacht, was man hätte falsch machen können.

Der Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg wurde acht Jahre später als geplant eröffnet und war mehr als dreimal so teuer wie veranschlagt, 7,3 Milliarden Euro. Zeitweise wurde sogar ernsthaft über einen Abriss nachgedacht.

Auch Stuttgart 21 wurde zu einem hochpolitischen Projekt, zunächst von einer CDU-geführten Landesregierung aus der Taufe gehoben. Dann kamen die Grünen an die Macht, die von vornherein gegen das Projekt waren – es aber weiterführen müssen.

Die Schweiz zeigt, wie Grossprojekte gelingen

Rational ist bei Stuttgart 21 ohnehin vieles nicht mehr erklärbar. Ursprünglich sollte der Bahnhof laut der Bahn-Konzernspitze «spätestens» 2019 eröffnet werden und «allerhöchstens» 4,5 Milliarden Euro kosten. Inzwischen sind die Kosten auf etwa 11 Milliarden Euro geklettert.

Allerdings ist das Scheitern von Grossprojekten kein Naturgesetz, wie die Schweiz zeigt. Ein Jahr früher als geplant und im Kostenrahmen wurde beispielsweise 2016 der Gotthard-Basistunnel eröffnet, ein Meisterwerk der Ingenieurkunst.

Ein Grund für die Effizienz sind unter anderem die Erfahrungen in direkter Demokratie in der Schweiz. Das Volk entscheidet, ob solch ein Grossprojekt angegangen wird. Wenn das Votum positiv ist, wird es durchgezogen – mit einem exakten Kosten- und Zeitplan. Ein weiterer Vorteil: Die Verwaltungswege sind kürzer.

Deutschland sollte sich daran ein Beispiel nehmen. Politiker sind keine Bauunternehmer. Sie haben in der Leitung von Grossprojekten nichts verloren, anders als Planer und Ingenieure. Die parteipolitische Einflussnahme auf Infrastrukturvorhaben muss enden. Sie hat schon manches Projekt zum Scheitern gebracht. Andernfalls macht sich das einstige Musterland der Ingenieurskunst endgültig zum Gespött der Weltgemeinschaft.

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