17 November 2025

The Pioneer - Führung: Löwe, Fuchs, Merz

Business Class Edition
Führung: Löwe, Fuchs, Merz
Gabor Steingart, 17.11.2025, 7 Min
Guten Morgen,
eine starke Führungskraft muss beides in sich vereinigen: den Fuchs und den Löwen, schrieb der italienische Theoretiker Machiavelli.
"Man muss also Fuchs sein, um die Schlingen zu wittern, und Löwe, um die Wölfe zu schrecken."
Wenn diese Definition vom Beginn des 16. Jahrhunderts weiter ihre Gültigkeit besitzt, dann steckt Friedrich Merz in Schwierigkeiten.
Erstens: Sein Koalitionspartner lässt sich von ihm nicht mehr erschrecken. Durch die Brandmauer lebt der Löwe Merz im Käfig seiner eigenen Festlegungen. Die SPD hält ihm gefahrlos die Stöckchen durch die Gitterstäbe.
Zweitens: Der Kanzler tut sich erkennbar schwer, die Fallen des Gegners zu erkennen. Und manche Fallen hat er sich sogar selbst aufgestellt. Zuweilen könnte man meinen, der alte Fuchs sei stumpf geworden, wie es in der Waidmannssprache der Jäger heißt.
Wir erinnern uns, wie Merz noch vor der Bundestagswahl mit der AfD zusammen den Beschluss zur Zurückweisung von Migranten an deutschen Grenzen fassen wollte. Dieses Manöver war auch deswegen nicht erfolgreich, weil die eigene Partei rebellierte, angeführt von der Altkanzlerin Angela Merkel. Der Fuchs stand als gerupftes Huhn da.
Bei der schließlich gescheiterten Berufung der Verfassungsrichterin Brosius-Gersdorf setzte sich der Eindruck fort, dass hier nicht mit der nötigen Raffinesse gearbeitet wird. In Verkennung der Stimmung im eigenen Lager hatte die Unions-Spitze der Ernennung zugestimmt – bis die Abtreibungsgegner in der Unionsfraktion dem Kanzler einen Strich durch die Rechnung machten. Der Fuchs musste den Stall verlassen, verkratzt, aber ohne Beute.
Als Merz mit seinem SPD-Finanzminister daran ging, die Schuldenbremse zu demontieren, hielt er das für besonders schlau. Endlich frisches Geld. Auf Kredit kann man schließlich alles kaufen, warum nicht auch den Aufschwung?
Doch in der bürgerlichen Öffentlichkeit war diese Kreditorgie kaum vermittelbar und der Aufschwung blieb auch aus. Man hätte es ahnen können: Private und staatliche Investitionen bewegen sich im Verhältnis von sechs zu eins. Wenn der Staat die privaten Investoren also nicht stimuliert, sondern womöglich mit seinem Geld verdrängt, hat er mit Zitronen gehandelt.
Und nun also die Sache mit der Rente, deren Steuerzuschuss in dreistelliger Milliardenhöhe steigen soll, obwohl das Geld gar nicht da ist. Das Rentenpaket folgt keiner ökonomischen Logik, wohl aber einer politischen. Die SPD möchte sich ein paar Wähler kaufen und Merz bietet mit.
So funktioniert Politik, aber so funktioniert nicht der Wiederaufstieg des Landes. Und dummerweise gibt es jede Menge Wähler, die das merken. Die Zustimmung des CDU-Kanzlers zu einer populistischen SPD-Forderung folgt einer Mechanik, die der Philosoph Peter Sloterdijk als „Wählerverwirrung durch Programmvertauschung“ bezeichnet.

So funktioniert Politik, aber so funktioniert nicht der Wiederaufstieg des Landes. Und dummerweise gibt es jede Menge Wähler, die das merken. Die Zustimmung des CDU-Kanzlers zu einer populistischen SPD-Forderung folgt einer Mechanik, die der Philosoph Peter Sloterdijk als „Wählerverwirrung durch Programmvertauschung“ bezeichnet.
Die Wähler und auch die eigenen Mitglieder verlieren so allmählich die Lust auf Friedrich Merz. Er hatte sich selbst als Löwe vorgestellt, und in der Tat handelt die Geschichte seines Aufstiegs von einem Mann mit Löwenherz. Er hat Angela Merkel nicht besiegt, aber überlebt. Er hat Markus Söder nicht getötet, aber die Rangordnung zwischen CDU und CSU wiederhergestellt.

Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit, dachten viele. Frei nach Niklas Luhmann: Führung ist die Erwartung, dass die Erwartung erfüllt wird.

Doch Friedrich Merz ist ein Führer mit Defiziten. Er besitzt Entschlossenheit, Härte, Kompetenz. Aber zugleich fehlt es ihm an Geschmeidigkeit, List und Geduld. Er will die Politik schneller machen, als sie sein kann.

Er verwechselt Entschlossenheit mit Durchsetzungskraft. Doch mit Entschlossenheit, ohne machtvolle Netzwerke, die sie tragen und verstärken, so wie bei Kohl und Merkel, wird er den Übergang von der Rhetorik zur Realität niemals schaffen können. Oder anders formuliert: Das Beste an Friedrich Merz sind seine Absichten.

Zunehmend ist Merz in seiner Fraktion und in weiten Teilen der Partei ein einsamer Mann, wie beim Deutschlandtag der Jungen Union zu besichtigen war. Er ist der Kanzler, aber Söder war der Kommunikator. Der eine war einsam, der andere umjubelt.

Helmut Schmidt verstand Führung als „Verantwortung unter Unsicherheit“. Damit meinte er jene Unsicherheit, die von der Außenwelt ausgeht – von den Finanzmärkten, von den Autokraten, in seinem Fall auch von Terroristen. Aber Friedrich Merz erzeugt große Teile dieser Unsicherheit selbst. Er weiß, was er will, aber er weiß nicht, welches Risiko er dafür zu tragen bereit ist. Wir können ihm beim Zaudern zuschauen.

Und so streift er mit spürbarer Unentschlossenheit, die auch dann eine Unentschlossenheit bleibt, wenn sie sich hinter kantiger Rhetorik versteckt, durch die politische Steppe. Das schützende Rudel ist außer Sichtweite. Seine Gegner lauern schon auf den Tag, da ihm die Kräfte schwinden.

Auch dann werden diese Gegner nicht unbedingt größer sein als er, aber mutiger. Oder wie Rudolf Augstein einmal schrieb:

"Den toten Löwen zupfen auch die Hasen an der Mähne."

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