06 November 2025

Bizarre Aktion in der Rezession - Deutschlands Pleite-Land leistet sich Luxus-Fahrradparkhaus für 3,5 Millionen Euro (Focus-Online)

Wahnsinn: Luxus-Stellplatz: 24.000 Euro pro Fahrradparkplatz. 
Bizarre Aktion in der Rezession
Deutschlands Pleite-Land leistet sich Luxus-Fahrradparkhaus für 3,5 Millionen Euro (Focus-Online)
Oliver Stock, 05.11.2025
Das Saarland schrumpft wirtschaftlich am stärksten, doch die Landeshauptstadt feiert: Für 3,5 Millionen Euro entsteht Deutschlands teuerstes Fahrradparkhaus (24.000 Euro pro Platz). Kritiker wie der Steuerzahlerbund sehen eine Bankrotterklärung der Förderlogik.
Deutschlands kleinstes Flächenland, das Saarland, ist bei zwei Rekorden gleichzeitig ganz vorn, die nicht wirklich zusammenpassen: Dort ist die Wirtschaft real stärker geschrumpft als in jedem anderen Bundesland.
Gleichzeitig baut die Landeshauptstadt Saarbrücken mit großzügiger Unterstützung vom Bund das teuerste Fahrradparkhaus Deutschlands – gemessen an den Ausgaben pro geparktem Fahrrad.
Saarländische Wirtschaft schrumpft – Fahrradparkhaus bricht alle Rekorde
Während der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) über ein „sichtbares Zeichen der Mobilitätswende“ jubelt, kommt Kritik beispielsweise vom Steuerzahlerbund. Er hat ein knapp gleichteures Projekt in Schwerin unter die Lupe genommen und beschreibt: Der Preis für das Fahrradparkhaus stehe dem eines Autoparkhauses in nichts nach, „letztere sind allerdings deutlich wirtschaftlicher zu betreiben“.
Saarlands Wirtschaftskrise: Höchster Schrumpf in Deutschland
Tatsächlich geht es mit dem Saarland derzeit wirtschaftlich noch stärker bergab als mit dem Rest der Republik. Preisbereinigt sackte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,9 Prozent ab. Während sich im deutschen Durchschnitt die Wirtschaftsleistung wenigstens auf dem Vorjahresniveau bewegt, schrumpft sie an der Saar. Es ist ein Land, das seit Jahrzehnten mit Strukturwandel, Abwanderung und klammen Kassen kämpft. Die Stahlindustrie wankt, neue Investoren bleiben rar, die Städte sehen aus, als hätte jemand den Modernisierungsschalter auf „Pause“ gedrückt.
Luxus-Stellplatz: 24.000 Euro pro Fahrradparkplatz
Und doch wird jetzt in Saarbrücken gefeiert. Nicht, weil sich ein neuer Industriebetrieb angesiedelt hätte oder ein Start-up-Cluster entsteht, sondern weil die Stadt eben ihr Fahrradparkhaus bekommt. Am Hauptbahnhof entstehen für 3,5 Millionen Euro zwei sogenannte „Velotürme“. Der Bund zahlt 3,1 Millionen davon.Das klingt großzügig – ist es auch, wenn man nachrechnet: Für 144 Stellplätze – ursprünglich waren einmal 250 geplant – macht das stolze 24.000 Euro pro Fahrrad. So viel kostet andernorts ein Kleinwagen mit Elektromotor.

„Förderrechtlich erforderlich“: Bau unter Zeitdruck

Im Sommer 2023 wurde das Projekt angekündigt, seither war es still – bis die Uhr plötzlich zu ticken begann. In einer Sondersitzung des Bezirksrats Mitte und des Bauausschusses des Stadtrats stand das Thema jetzt wieder auf der Tagesordnung. Der Grund: „Förderrechtlich ist eine Fertigstellung und vollständige Abrechnung im Jahr 2027 erforderlich“, heißt es in der Verwaltungsvorlage. Sprich: Wenn man das Geld aus Berlin bekommen will, muss man jetzt bauen.
Diese Art Zeitdruck treibt die Lokalpolitiker zu Höchstleistungen an. Die Grünen jubeln, es sei „ein wichtiger Schritt zur Stärkung des Radverkehrs“, die SPD nennt das Parkhaus „einen sehr wichtigen Baustein, um das Radfahren attraktiver zu machen“. Und Oberbürgermeister Uwe Conradt (CDU) ist auch der oberste Energiewender: „Damit leisten wir einen weiteren wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.“ So einig war man sich lange nicht mehr.

Prioritäten-Debatte: Kritik an der Symbolpolitik

Kritische Stimmen gibt es – aber leise. Ein paar Stadträte merken an, dass man vielleicht erst über das Radwegenetz reden sollte, bevor man Parkhäuser für Räder baut. Ein anderer fragt, ob der Bund nicht lieber dort fördern sollte, wo Menschen wirklich fahren, also im Alltag, zwischen Wohnvierteln, Uni und Industriegebiet. Doch wer will schon als Fortschrittsverhinderer dastehen, wenn Klimaschutz und Fördergelder auf dem Spiel stehen?

Und so geht das Projekt durch. Zwei schlanke Türme sollen es werden, zehn bis dreizehn Meter hoch, mit Glas- oder Holzfassade, begrüntem Dach und „stadtverträglicher Gestaltung“. Klingt nach viel Grün und wenig Beton, nach Zukunft und Nachhaltigkeit. Dass die Stellplätze im Vergleich zu jedem Auto-Parkhaus deutlich mehr kosten, spielt in der Debatte kaum eine Rolle. 

Das Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg kommt in einer Berechnung zu dem Schluss, dass Stellplätze für Autos in oberirdischen Parkhäusern maximal rund 18.000 Euro pro Platz kosten. Ebenso wenig spielt in der Saarbrücker Euphorie eine Rolle, dass die Zahl der Plätze seit der ersten Planung um über 40 Prozent geschrumpft ist.

Musterbeispiel Förderlogik: Perspektiven fehlen

Tatsächlich ist das Ganze ein Musterbeispiel deutscher Förderlogik: Wenn Geld da ist, wird es ausgegeben – egal, ob das Projekt Priorität haben sollte. Dabei löst das Fahrradparkhaus keines der strukturellen Probleme des Saarlands. Es ist ein Prestigeprojekt, das mehr mit Symbolpolitik zu tun hat als mit Mobilitätswende. 

Der saarländische FDP-Landesverband nennt zum Beispiel aus dem Stegreif drei Brücken, die dringend saniert werden müssten. Die Velotürme werden kommen, keine Frage – aber sie stehen sinnbildlich für eine Politik, die lieber Parkplätze für Fahrräder schafft als Perspektiven für Menschen.

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