Deutschlands gefühlte Armut – Sorget euch nicht, die Politik hilft (NZZ)
In
Deutschland ist viel Not hausgemacht und importiert, aber die wahren
Ursachen des Wohlstandsverlustes werden ignoriert. Über ein Land
zwischen gefühlter Armut und eingebildetem Reichtum.
Wolfgang Bok,
Deutschland
ist ein reiches Land, das sich viel Armut leistet. So geht die Klage
zwischen Kiel und Konstanz, die umso lauter vorgetragen wird, je näher
Gasnotstand und Wahlen rücken. Und Wahlen drohen in der föderalen
Bundesrepublik irgendwo immer. Wobei CDU und CSU im Wettstreit um die
grössten Spendierhosen der SPD um nichts mehr nachstehen wollen. Bayerns
Ministerpräsident Söder toppt die SPD nun mit der Forderung nach einem
«Winter-Wohngeld» für alle. Und alle gemeinsam haben sie die Rentner als
Notleidende entdeckt, denen man zwingend ebenfalls eine
«Energiepauschale» von 300 Euro überweisen müsse. Dafür gibt es
bundesweit viel Zustimmung. Niemand soll in der Kälte stehen, wenn der
warme Geldregen niedergeht.
Rentner stellen ein Drittel der Wählerschaft
Das
ist insofern kurios, da es keiner Senioren-Generation besser geht als
der jetzigen. Nur etwa 3 Prozent der 21 Millionen Rentner sind auf
Grundsicherung angewiesen. Und das, obwohl private Vermögen bei der
Berechnung der Bedürftigkeit nicht einmal berücksichtigt werden dürfen.
Diese Einnahmen, etwa Zinsen, Dividenden oder Mieten, bleiben auch den
Rentenversicherern verborgen. Mit der Folge, dass auch die Seniorin, die
als Hilfskraft im Familienunternehmen als Mini-Jobberin angemeldet
wurde, um günstig sozialversichert zu sein, selbst dann zu den
Kleinrentnern zählt, wenn sie aus einem Mietshaus stattliche Erträge
bezieht.
Dieses
nicht seltene Beispiel verdeutlicht, dass Bedürftigkeit in Deutschland
weniger von den Fakten als von Ideologie begründet wird. 21 Millionen
Rentner stellen beinahe ein Drittel der Wählerschaft. Also beschenkt der
Minister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil (SPD) diese Gruppe mit
der höchsten Rentenerhöhung seit 30 Jahren: 5,35 Prozent im Westen, 6,12
Prozent im Osten. Das kostet die Alterskassen eben mal 19 Milliarden
Euro, weitere 2,6 Milliarden für Zuschläge bei Erwerbsminderung. Die
Rente mit 63, ebenfalls ein teurer Wahlköder der SPD, kostet 36
Milliarden Euro pro Jahr. Tendenz steigend, denn die Frührente ist trotz
Abschlägen populär, was zugleich die Klagen über die Not der Rentner
widerlegt.
Gleichwohl
fahnden die Medien geradezu nach Bedürftigen, die sich steigende
Energie- und Lebensmittelpreise nicht mehr leisten können. Selbst die
Grünen, denen beides aus ökologischen Umerziehungsgründen bisher nicht
teuer genug sein konnte, stimmen ein in das paternalistische Schnüren
von Hilfspaketen. Der grüne Landwirtschaftsminister Özdemir, der noch
vor dem Überfall auf die Ukraine die «Ramschpreise» insbesondere bei
Fleisch beklagt hatte, sorgt sich nun um «leere Kühlschränke». Selbst
die verpönte Ferienreise wird plötzlich zum Armutsindikator. Dabei
zeugen das Chaos an den Flughäfen und lange Staus vom Gegenteil. Es sind
auch keine Hungerbäuche, die sich an den Buffets der Kreuzfahrtschiffe
drängen, zu deren treuesten Kunden die angeblich so notleidenden
Senioren zählen.
Pro und Contra: Sanktionen gegen Russland beenden? - Die Sanktionen sind sinnlose Kraftmeierei (Cicero+)
Russlands Wirtschaft steht nach wie vor gut da - trotz der
Sanktionen, an denen sich ohnehin ein großer Teil der Welt nicht
beteiligt. Aber sie könnten für Europa den wirtschaftlichen Selbstmord
bedeuten. Derweil geht der Krieg in der Ukraine unvermindert weiter.
Außer einem guten Gewissen und der drohenden Selbstzerstörung aus
Ohnmacht haben die Sanktionen nichts gebracht.
Nicht jedes Märchen endet mit einem Happy End. Denken Sie nur an
Rumpelstilzchen: Nachdem der dämonische Hutzelmann tagein, tagaus das
gleiche Mantra in die Welt hinaus posaunte – dieses abgeleierte „Ach,
wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“ –,
zerschellte seine falsche Weltsicht irgendwann an den Steilklippen der
Realität. Märchenfreunde mögen sich noch erinnern: Die von
Rumpelstilzchen als Geisel gehaltene Müllertochter war irgendwann hinter
das Rätsel und somit hinter den Namen des geradewegs hysterischen
Winzlings gekommen, und der sprang daraufhin wutentbrannt in die Luft,
sagte einen allerletzten Satz („Das hat dir der Teufel gesagt“) und
zerrisst sich hernach voll Zornesröte in zwei Teile.
Nun ist ein Kommentar über die Gräuel des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und die daraufhin beschlossenen Sanktionen gegen Moskau
wahrlich keine Märchenstunde. Der Horror, den wir tagein, tagaus über
Videos, Bildreportagen oder Erzählungen in unsere westeuropäischen
Komfortzonen gestreamt bekommen, ist absolut real. Nehmen Sie nur einmal
die vergangene Nacht: Während Söldner der russischen Wagner-Gruppe auf
das Dorf Nowoluhanske vorrückten, gab es Kämpfe zwischen der russischen
und der ukrainischen Armee in der Ortschaft Andrijiwka im Süden. In
einem deutschen Nachrichtenmedium lesen sich solche Vorgänge wie folgt:
„Während im Osten des Landes weiterhin die Moskauer Truppen die
Initiative haben, ist Kiew im Süden inzwischen zu Gegenangriffen
übergegangen.“ Wie viele beendete Leben hinter dieser nüchternen
Kriegsprosa stehen, wie viel Tod das Wort „Moskauer Truppen“, wie viel
Sterben der Stadtname „Kiew“ inkludieren? Man kann es vermutlich nicht
mal ahnen.
Nein, dieser Krieg ist kein Märchen. Und doch agiert man in weiten
Teilen der deutschen Öffentlichkeit seit Wochen bereits wie das zuckende
und von autodestruktiven Impulsen geplagte Männlein aus den Hausmärchen
der Gebrüder Grimm. Zunächst plustert man seine Zwergengestalt mit
Rezitationsversen auf, die eher an Hau-den-Lukas denn an die Niederungen
des Realen erinnern („Die Sanktionen wirken dramatisch“, Roderich Kiesewetter; „Putin hat das Gas, wir haben die Kraft“, Robert Habeck).
Und dann, wenn derlei Kraftmeiereien an ihre Grenzen kommen und die
sicherlich gut gemeinten Wünsche mit der Realität nicht in
Übereinstimmung zu bringen sind, dann zerreißt man sich lieber in zwei
Teile, als dass man im vielleicht allerletzten Moment endlich auf
Realitätskurs wechselt.
Russland könnte trotz Sanktionen einen Handelsbilanzüberschuss von 250 Milliarden Dollar erwirtschaften
Denn zu dieser Realität würden bittere Einsichten gehören: Und die
könnten bald für Deutschland – und somit für ganz Europa – derart
schmerzhaft werden, dass sie kaum noch zu ertragen sein dürften. Laut
dem erneuerten World Economic Outlook
des IWF etwa muss Deutschland bereits jetzt seine Wachstumsaussichten
für dieses Jahr innerhalb von nur drei Monaten um fast zwei Prozent nach
unten korrigieren. Deutschland käme demnach nicht, wie noch im April
prognostiziert, auf ein Wachstum von 2,7 Prozent, sondern lediglich noch
von 0,8 Prozent. Unter den großen Wirtschaftsnationen wäre man
hierzulande zumindest fürs Erste der größte Verlierer. Nicht nur in
Brüssel scheint man daher bereits heute zu ahnen, dass ganz EU-Europa einen fiesen Schnupfen bekäme, wenn man in Berlin und Frankfurt weiterhin hüstelt.
Doch es kommt noch dicker: Während die Weltwirtschaft also allmählich in die Rezession stolpert und in den USA und der Eurozone immer höhere Inflationsraten
drohen, scheint man sich im Kreml wider alle Unkenrufe und trotz aller
Sanktionen noch wacker zu halten. Die Erfolgsmeldungen jedenfalls
überstürzen sich: „Das Geschäft mit Öl und anderen Exportgütern hat sich
als stabiler erwiesen als erwartet“, so etwa der IWF am gestrigen Dienstag
mit Blick auf die russische Wirtschaftskraft. Der Bankensektor des
Landes sei demnach stabil und die Arbeitslosenquote mit angeblichen 3,9
Prozent sogar rückläufig. Zwar rechnet man nach Angaben der russischen
Zentralbank Rossii für 2022 mit einer Jahresinflationsrate zwischen 14
und 17 Prozent, das wäre allerdings weniger, als man in den ersten
Kriegswochen noch vermuten musste. Der britische Economist ging
im Mai 2022 sogar davon aus, dass Russland trotz des Krieges und der
Sanktionen des Westens einen Handelsbilanzüberschuss von 250 Milliarden
Dollar erwirtschaften könnte.
Pro und Contra: Sanktionen gegen Russland beenden? -
Eine Aufhebung der Sanktionen wäre Verrat (Cicero+)
Sollte Deutschland seine Sanktionen gegen Russland beenden? Nein,
sagt Cicero-Autor Thomas Dudek. Denn die Sanktionen zeigen zunehmend
Wirkung auf die russische Wirtschaft. Zudem würde Deutschland endgültig
das ohnehin angeknackste Ansehen und Vertrauen bei seinen östlichen EU-
und Nato-Partnern verspielen.
In diesem Text argumentiert Thomas Dudek gegen eine Aufhebung der
Sanktionen. Am morgigen Mittwoch folgt ein Plädoyer des
stellvertretenden Cicero-Chefredakteurs Ralf Hanselle für ein Ende der
Sanktionspolitik.
Die spürbare Inflation, steigende Energiepreise, ausbleibende
Gasimporte aus Russland und Meldungen über sogenannte „Wärmestuben“, die
von einigen Kommunen für die Wintermonate vorbereitet werden – viele Nachrichten klingen derzeit wie ein Horrorszenario.
Bei all diesen Umständen ist es verständlich, dass die Stimmen nach
einer Aufhebung der von Deutschland und seinen Partnern als Reaktion auf
den Angriffskrieg in der Ukraine gegen Russland verhängten Sanktionen
immer lauter werden. Doch so verständlich diese Rufe auch sein mögen, so
wäre solch eine Entscheidung aus mehreren Gründen ein großer Fehler.
Da wäre einerseits die Ukraine. Eine Aufhebung der Sanktionen wäre
für das von Putin angegriffene Land durchaus ein Verrat. Denn man würde
die Menschen, die man seit dem 24. Februar durch finanzielle, humanitäre
und militärische Hilfe unterstützt, trotz aller Solidaritätsbekundungen
wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Und wahrlich ins eigene Bein
schießen würden sich Deutschland und seine Partner, wenn sie die
Sanktionsmaßnahmen gegen Russland aufheben würden, ohne die finanzielle
und militärische Unterstützung für die Ukraine zu beenden. Schon heute
entbehrt es nicht einer gewissen Tragik, dass der Westen durch seine
Gasimporte Geld in die Taschen des Kremls spült. Geld, welches es Putin
ermöglicht, seine Kriegs- und Propagandamaschinerie am Laufen zu halten.
Gegen die Ukraine und gegen den Westen.
Eine Aufhebung der Sanktionen würde aber auch bedeuten, dass Russland
wieder auf den internationalen Märkten Feinelektronik kaufen könnte,
die es dringend für seine Rüstungsindustrie benötigt. Langfristig würde
das bedeuten, dass Putin auch sein Waffenarsenal mit modernerem Gerät
auffüllen könnte. Das Ergebnis wären neue Raketen, Panzer und
Kampfflugzeuge, die das russische Militär mit indirekter Hilfe des
Westens gegen die ganzen Panzerhaubitzen, Panzer und andere Waffen
einsetzen könnte, die Deutschland und seine Partner bisher an die
Ukraine geliefert haben.
Russland hält sich nicht an Vereinbarungen
Was wir in Deutschland bei unserem Blick auf die stockenden
Gaslieferungen, leeren Gasspeicher und steigenden Energiepreise gerne
vergessen, ist die Tatsache, dass die westlichen Sanktionen auch in
Russland wirken. Denn so sehr Putin sich nach außen gelassen gegenüber
dem „wirtschaftlichen Blitzkrieg“ zeigt, wie er selbst die westlichen
Sanktionen nennt und dabei zum Beispiel auf den Rubelkurs verweist, die
Auswirkung der Sanktionen auf die russische Wirtschaft musste auch er
einräumen. Nicht nur die hohe Inflation von 17,5 Prozent gab Putin zu.
Dass viele russische Privatunternehmen die nächsten Monate nicht
überleben werden, musste der russische Präsident ebenfalls gestehen.
Ein weiteres Argument gegen eine Aufhebung der Sanktionen, welche die
russische Propaganda feiern würde wie den Sieg in einem Krieg, ist die
fehlende Glaubwürdigkeit des Kremls. Denn es gibt keine Garantie, dass
Russland auch nach deren Ende wieder zuverlässig Gas über Nord Stream 1 oder die Jamal-Pipeline liefern
wird. Und da helfen auch nicht die Verweise auf die zuverlässigen
Lieferungen aus Russland, wie sie vor dem 24. Februar üblich waren. Und
dies aus mehreren Gründen. Sollte der Westen auch nach der Aufhebung der
Sanktionen die Ukraine finanziell und militärisch unterstützen, ist es
nicht ausgeschlossen, dass Putin dies bestraft, indem er wieder am
Gashahn dreht. Und dass dem Kreml die Hilfe des Westens für die Ukraine
missfällt, daraus macht er kein Geheimnis.
Vor 20 Jahren sah es so aus, als ob sich der
russische Präsident Putin dem Westen annähern würde. Was geschah dann?
Eine Analyse seiner wichtigsten Reden liefert Antworten.
Katrin Büchenbacher, Cian Jochem,
«Russland
ist ein freundlich gesinntes europäisches Land. Für unser Land, das ein
Jahrhundert der Kriegskatastrophen durchgemacht hat, ist der stabile
Frieden auf dem Kontinent das Hauptziel», sagt der russische Präsident
Wladimir Putin. Es ist der 25. September 2001, wenige Wochen nach den
Terroranschlägen des 11. Septembers. Putin spricht vor den über 650
Abgeordneten des Bundestags in Berlin.
Er
fängt auf Russisch an und geht dann in einwandfreies Deutsch über,
wickelt sein Politikerpublikum um den Finger, kokettiert, erntet
Applaus. Er nennt die Abgeordneten seine «lieben Freunde», spricht
davon, die deutsch-russische Partnerschaft zu einem gemeinsamen
«europäischen Haus» auszubauen, erklärt: «Der Kalte Krieg ist vorbei.»
Seine Rede mündet in minutenlangem Beifall. Der ganze Bundestag hat sich
für den knapp 50-jährigen Putin aus den Sesseln gehievt.
Zwei
Jahrzehnte später greift Putin die Ukraine an und zerstört die
Hoffnungen, die er damals in seiner Rede in Berlin geweckt hatte,
endgültig. Statt auf Zusammenarbeit setzt er auf volle Konfrontation mit
dem Westen. Wie konnte es so weit kommen?
Putins Reden zur Lage der Nation verraten viel
Hätte
man Putin doch bloss über die Jahre besser zugehört, mahnten
Russlandkenner nach dem Tag des Angriffs auf die Ukraine. Sie forderten,
Diktatoren wie Putin ernster zu nehmen und auch Propagandareden an ein
heimisches Publikum genauer zu studieren: Denn sie verraten viel über
Haltung, Pläne und Absichten der Machthaber.
Wir
haben uns Wladimir Putins wichtigste Reden genauer angeschaut. Einmal
jährlich hält der russische Präsident eine umfassende Ansprache zur Lage
der Nation vor dem Parlament. In Putins vier Amtszeiten als Präsident
von 2000 bis 2008 und von 2012 bis heute hat er insgesamt 17 solcher
Reden gehalten. Sie geben die grundsätzliche Richtung der russischen
Innen- und Aussenpolitik für die nächsten Jahre und Jahrzehnte vor.
Schon
alleine die Häufigkeiten einzelner Begriffe in diesen Reden liefern
Hinweise dafür, wie sehr Putin Russland über die Jahre isoliert, sich
selbst radikalisiert und das Land unfreier gemacht hat. Die Analyse
seiner Reden macht klar, wie rasch und wie stark sich seine politischen
Prioritäten verschoben haben. Sie zeigt auf, wie sich Putins Misstrauen
gegenüber dem Westen letztlich vollends durchgesetzt hat.
Putins versöhnliche Anfänge – alles nur Täuschung?
Putin
wird im März 2000 zum Staatspräsidenten gewählt. Drei Monate später
hält er seine erste Rede zur Lage der Nation. Darin stellt er seine
Vision von einem starken, friedfertigen, integrierten Russland vor:
«Stark nicht gegen die internationale Staatengemeinschaft, nicht gegen
andere starke Nationen, sondern gemeinsam mit ihnen.»
Bei
seiner ersten Kreml-Pressekonferenz als Präsident im Juli 2001 schlägt
Putin wie sein Vorgänger Boris Jelzin den Beitritt Russlands zur Nato
vor – jener Verteidigungsorganisation, die 1949 gegen die sowjetische
Bedrohung gegründet wurde.
Die
USA gehen nicht direkt auf Putins Vorschlag ein, doch ein Jahr später
wird der Nato-Russland-Rat gegründet. Der damalige amerikanische
Präsident George W. Bush hatte Putin im Juni 2001 «in die Augen
geblickt» und sagte: «Ich empfand ihn als sehr direkt und
vertrauenswürdig. (. . .) Ich konnte ein Gefühl für seine Seele
bekommen; ein Mann, der sich seinem Land und den besten Interessen
seines Landes zutiefst verpflichtet fühlt.»
Bei
Putin klang es damals anders – er sah die warmen Worte Bushs in starkem
Kontrast zur Ausdehnung der Nato: «Sie ist eine militärische
Organisation. Ja, sie ist militärisch . . . Ja, sie bewegt sich auf
unsere Grenze zu. Aber warum?»
Der IWF sieht die Welt erneut vor einer Rezession. Und der größte
Verlierer unter den großen Wirtschaftsnationen wird demnach Deutschland
sein. Das rot-grün-rot regierte Berlin steht dabei pars pro toto für das
Versagen der Politik.
Der Schlafwandler als politische Metapher wird bemüht, wenn es darum geht, Europas Rutschen in den Ersten Weltkrieg
zu illustrieren. Noch besser aber scheint sie auf Deutschlands
aktuelles Stolpern in ein wirtschaftliches Desaster zu passen. Laut IWF
steht die Welt erneut vor einer Rezession. Der größte Verlierer unter
den großen Wirtschaftsnationen sei Deutschland.
Das wundert kaum, hat sich das Land doch von Ambition und Exzellenz
emanzipiert. Das Leistungsprinzip gilt auch in Unternehmen nur
eingeschränkt, kulturelle Themen werden in den Fokus geschoben, und die
ökologische Transformation wird weniger mit der nötigen Entfesselung von
Unternehmertum und Forschung betrieben, sondern mit Gängelung der
Unternehmen.
Noch mehr bürokratische Projekte wie die Novelle des Nachweisgesetzes
drohen, die Abgaben sind hoch, und die guten IT-Experten, die weltweit
angeworben werden müssen, machen wegen hoher Steuern einen Bogen um
Deutschland. Jeder Junior-Coder landet hier bei einem
leistungsfeindlichen Spitzensteuersatz. Berlin, rot-grün-rot regiert,
steht pars pro toto für ein Versagen der Politik, wenn es darum geht,
Grundlagen für künftiges Wachstum zu legen.
Ein grotesk dimensionierter öffentlicher Dienst und ein dennoch –
verglichen mit Bayern zum Beispiel – bemerkenswert hoher Krankenstand
setzen den Ton. Motivierte Polizisten erleben, wie eine grüne Senatorin
(und Vize-Ministerpräsidentin) mit Autobahn-Blockierern sympathisiert;
Start-uper erzählen, wie ihre Vorstöße, Berlin umsonst eine digitale
Verwaltung zu konfigurieren, von Spitzenpolitikern abgebügelt werden.
Und das ist die Hauptstadt.
Die deutsche Außenhandelsbilanz ist negativ, die Kauflaune im Keller,
Arbeitskräfte fehlen, und die Ampel reagiert darauf (jaja, der
Koalitionsvertrag) mit einer Aussetzung der Hartz-Sanktionen. In der
Energiepolitik wartet schon der nächste Sprengstoff. Der aktuelle „Economist“ höhnt über die Anti-Fracking-Märchen der Grünen und wie sie damit die eigenen Erdgas-Reserven stilllegen, um von Putin noch abhängiger zu werden. Wir sind ein Witz. Noch lachen wir.
Burnout oder die Flucht vor den Nachrichten – Wie entkommen wir der Überdosis an Kriegs- und Katastrophenmeldungen? (NZZ)
Auch
wer keinerlei Neigung zu depressiven Verstimmungen hat, fühlt sich in
einer Endlosschleife fataler Botschaften und dunkler Aussichten
gefangen.
Reinhard Mohr,
Es
beginnt langsam, ja schleichend, fast unmerklich. Ob Deutschlandfunk,
ZDF-«Heute»-Nachrichten, «Brennpunkt» im Ersten oder «Anne
Will»-Talkshow: Man schaltet immer häufiger aus, weg oder um. Es sind
Ausweichmanöver eines wohlverstandenen Selbstschutzes. Nicht wenige
flüchten abends zu den «Bergrettern» oder an den «Tisch in der
Provence». Ob Corona, Klima oder Ukraine-Krieg, Inflation oder
Korallensterben in der Südsee, Dürre, Erdrutsche oder die Wahl einer
linksidentitären Antirassismus-Aktivistin zur
Antidiskriminierungsbeauftragten der deutschen Bundesregierung – es ist
einfach zu viel.
Auch
wer keinerlei Neigung zu depressiven Verstimmungen hat, fühlt sich in
einer Endlosschleife fataler Botschaften und dunkler Aussichten
gefangen. Diese trüben die Freude am Leben und jene Zuversicht, ohne die
es nicht geht, weder für das Individuum noch für die Gesellschaft.
Selbst
Hardcore-Nachrichtenjunkies und Alt-68er, die sich noch im hohen Alter
für die Feinheiten der myanmarischen Innenpolitik, die schier ausweglose
Situation in Simbabwe und die Konflikte in der kolumbianischen
Guerillabewegung Farc interessieren, spüren die Überdosis an Kriegs- und
Katastrophenmeldungen, welche die Psyche merklich strapazieren. Auch
wer es seit je mit der alten Losung hält, Wissen sei Macht, und
unaufhörliche Selbstaufklärung für die erste Bürgerpflicht hält,
erwischt sich dabei, vor dem dritten Bericht über den beschleunigten
Ausbau von Windkraftanlagen im ARD-«Morgenmagazin» auszusteigen.
Keine
Frage: Nach fast zweieinhalb Jahren eines permanenten pandemischen
Ausnahmezustands ist das Nervenkostüm der meisten Zeitgenossen ziemlich
dünn geworden. Psychologen haben eine regelrechte «news fatigue»
entdeckt, eine Nachrichtenmüdigkeit, die sich aus mehreren Quellen
speist. Die andauernde Negativitätsspirale, so eine Studie über
«digitale Resilienz in der Mediennutzung», verstärke Hoffnungslosigkeit
und ein Gefühl von Macht- und Hilflosigkeit. Dazu kämen
Abnutzungseffekte – deutlich zu sehen an der schwindenden Wahrnehmung
des Ukraine-Krieges nach beinah fünf Monaten – und die Verringerung der
intellektuellen wie emotionalen Verarbeitungskapazität angesichts all
der Informationen, die unentwegt auf die Bevölkerung einstürmen.
Kein
Wunder, dass mittlerweile nur noch 57 Prozent der erwachsenen
Internetnutzer sich überhaupt für aktuelle politische Nachrichten
interessieren, wie der «Digital News Report» des Leibniz-Instituts für
Deutschland resümiert. Bei den Jungen bis 24 Jahren sind es gar bloss 31
Prozent.
Katastrophen und Kriege gab es schon immer
Aber
war es eigentlich nicht immer so? Krisen, Katastrophen und Kriege haben
einander stets abgewechselt, von der Kuba-Krise zum Vietnam-Krieg, der
Okkupation der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Pakts
über die Terroranschläge vom 11. September 2001, den zweiten Irak-Krieg
und die Weltfinanzkrise 2008 bis zum Dauerdesaster in Afghanistan. Und
stets war es eine Minderheit, die sich damit dauerhaft
auseinandersetzte.
Journalismus in der Krise -
Deutsche Medien: Schmusekätzchen der Regierenden (Cicero+)
Von den 90er Jahren, in denen es um die existentielle Frage der
deutschen Währung ging, zieht sich ein roter Faden bis hin zur
Gegenwart, was die Arbeit und das Selbstverständnis der deutschen
Qualitätsmedien angeht. Je wichtiger das Thema, desto geringer die
Distanz zwischen Journalisten und Politikern. Europafreundlich,
flüchtlingsfreundlich, klimafreundlich soll die Haltung sein – doch die
Wirklichkeit dementiert diese guten Vorsätze mehr und mehr auf das
Heftigste.
Wie konnte das passieren? Wie konnte sich unser Land derart abhängig machen von russischem Gas, von einem Despoten in Kreml, seine ganze sogenannte Energiewende auf eine Illusion bauen,
die zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt war, schon gar nicht seit der
Rückkehr des Herrn Putin ins Präsidentenamt? Der Schaden ist gigantisch,
die Kosten nähern sich alleine für Deutschland dem Billionenbereich.
Ganzen Branchen droht der Bankrott und Städte planen die Einrichtung von Wärmestuben.
Die Antwort ist so schlicht wie unangenehm – und sie führt weit über
die aktuelle Energiekrise hinaus: Es konnte passieren, weil Deutschlands
Medien, Deutschlands Journalisten es zugelassen, ja, sogar vielfach
unterstützt haben. Und es ist noch lange nicht das Ende. Die eigentliche
Katastrophe für Deutschland und Europa droht erst noch mit dem
Zusammenbruch der Europäischen Währungsunion, dem Zerfall des Euro.
Zu diesem Thema, zur deutschen Entstehungsgeschichte des Euro, hat der
Autor dieser Zeilen promoviert – und das Ergebnis seiner zehn Jahre
währenden Studien ist noch deprimierender als etwa zu der Frage, wie
sich eine Angela Merkel 16 Jahre lang im Amt halten konnte und bis heute von den Medien angehimmelt wird.
Ein ursprünglich heiliges Tabu
Schauen wir zunächst 33 Jahre zurück. Um Frankreich die Zustimmung
zur Wiedervereinigung zu erleichtern, hatte Helmut Kohl auf einem Gipfel
der europäischen Staats- und Regierungschefs, der im Dezember 1989
unter französischer Präsidentschaft und deshalb reichlich seltsamen
Umständen, in aus deutscher Sicht regelrecht feindseliger Atmosphäre in
Straßburg stattfand, dem Drängen von François Mitterrand nachgegeben und
einem verbindlichen Zeitplan für die Schaffung einer Wirtschafts- und
Währungsunion (EWWU) zugestimmt, über die zuvor 18 Jahre lang lediglich
diskutiert worden war. Gleichzeitig sollte auch eine sogenannte
Politische Union entstehen, also eine Vergemeinschaftung auch der
Fiskal- und Haushaltspolitik der künftigen Euro-Zone, aber von der war
schon bald in Brüssel keine Rede mehr. Mitterrand wollte sie in
Wirklichkeit gar nicht und hierzulande vor allem die CSU auch nicht.
Das wichtigste Hindernis für eine EWWU, die geradezu traditionelle
Weigerung der Franzosen, einer Zentralbank vollständige Unabhängigkeit
von den Regierungen nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank zu
garantieren, hatten die Franzosen bereits ein Jahr zuvor zur Verblüffung
der deutschen Delegation in der Delors-Kommission aus dem Weg geräumt.
Als hätten sie geahnt, dass sich mit dem Fall der Mauer Ende 1989 eine
historische Chance ergeben würde, die Vormachtstellung der Bundesbank
für die europäische Zins- und Währungspolitik ein für allemal zu
brechen.
Deren Präsident Karl-Otto Pöhl besorgte – zunächst, ohne es zu ahnen –
die Abschaffung der D-Mark selbst, in dem er seine Forderungen an die
anderen Notenbank-Chefs in jener Kommission weitgehend durchsetzte und
der noch zu schaffenden Europäischen Zentralbank eine Machtfülle
sicherte, die noch über jene des Bundesbankgesetzes weit hinausging –
„erstaunlicherweise“, wie er rückblickend sagte.
Wozu diese EZB ihre Unabhängigkeit und die daraus resultierenden
Möglichkeiten später dann aber nutzen sollte, zu einem dauerhaften und
folgenschweren Verstoß gegen das ursprünglich heilige Tabu der Staatenfinanzierung
– das allerdings überstieg damals die Fantasie mindestens der deutschen
Seite. Die von den Deutschen so tapfer erkämpfte Unabhängigkeit der EZB
war nicht nur nichts wert – sie ermöglichte im Gegenteil sogar erst das
Vorgehen, das die Währungsunion nun in eine weitere und möglicherweise
vollends unbeherrschbare Krise gestürzt hat, wie die aktuelle
Wechselkursentwicklung zeigt. Der Euro ist zur Weichwährung geworden und die EZB-Präsidentin zeigt sich vollends hilflos.
Erinnern Sie sich, im MoMa der ARD "KurzVerklärt: Gasboykott 2.0"
persifliert, wie im Frühjahr Politiker, grün-soziale Sympathisanten
und über 60 % der dazu Befragten und von Medien Befeuerten einen
sofortigen Stop für Gas- und Ölimporte aus Russland nach dem
Motto: "Frieren für den Frieden" gefordert haben? Bevor für die
Industrie und Mietwohnungen Gas reduziert wird, schlage ich vor, die
Gaszufuhr im Falle eines Gasnotstandes in folgender Reihenfolge zu
reduzieren:
Bundespräsidialamt
Kanzleramt und Staatskanzleien der Länder
Alle Bundes- und Landesministerien
Bundestag und Landesparlamente incl. der Abgeordnetenbüros
Bundes und Landesbehörden
Medienhäuser, die sich als verlängerter Arm von Pressestellen der Politik verstehen
Luxusquartiere in den Städten (überwiegend Grün-Sympathisanten)
Eigenheime in den Speckgürteln der Großstädte (überwiegend Grün-Sympatisanten
Damit lässt sich der Gasverbrauch locker um mehr als 15 % reduzieren.
Wie deutlich wollen wir Putin eigentlich noch zeigen, dass er uns mit nichts so hart treffen kann wie mit einem Gasstopp? Nach Robert Schneider, Chefredakteur des Focus
Wir wissen natürlich
nicht, was Putin zur Entspannung und Erheiterung liest, hört und sieht.
Da er gut Deutsch spricht, gehen Insider davon aus, dass er gern
deutsche Talkshows sieht. Wenn das so ist, kann es für Putin nichts
Erheiternderes geben als zu hören und zu sehen, wie
Robert Harbeck
vor einem "politischem Albtraum-Szenario", einer "Zerreisprobe" für das
ganze Land sowie einer "schweren Rezession" warnt.
Markus Söder einen "echten Schlaganfall der Wirtschaft" befürchtet, von dem sich das Land "kaum erholen" wird.
Der "Deutsche Städtetag zur Einrichtung von "Wärmestuben" rät.
Die DGB-Vorsitzende Millionen von Arbeitsplätzen bedroht sieht (in Deutschland, nicht in Russland)
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert "bis zu 400 Prozent (Gas-)Preissteigerung" befürchtet
Christian Lindner große Sorgen hat, was ihn mitunter nachts wach hält.
Olaf Scholz unser Land darauf einstimmt, dass uns die Energieversorgung
nicht nur Wochen und Monate, sondern Jahre beschäftigen wird.
Wie deutliche wollen wir Putin eigentlich noch bestätigen, dass er uns mit nichts so hart treffen kann wie mit einem Gasstopp?
Business Class Edition: Putin & seine dubiosen Freunde
Guten Morgen, auf seiner Auslandsreise beweist Putin, wieso er uns diplomatisch
überlegen ist. Durch die Ukraine-Krise stehen Deutschland und andere
europäische Nationen vor großen Problemen. Inflation, Gasknappheit,
ungeeinte Bevölkerung. Währenddessen schafft es Präsident Putin, die
Sanktionen des Westens in erstaunlicher Geschwindigkeit zu egalisieren.
Das große Missverständnis des westlichen Sanktionsregimes liegt in dem Kinderglauben: Ich nehme dem anderen die Schaufel weg – und dann hat er nichts mehr zum Spielen. Ätsch! Die Wahrheit ist: Der andere schüttelt sich und sucht umgehend neue Freunde und Partner außerhalb unserer Reichweite. Bald schon besitzt er ein neues Schäufelchen, aber aus anderen Quellen. Unsere Sanktionen haben ihn gestresst, aber nicht erledigt. Sein Leben geht weiter, nur in der Sandkiste nebenan.
Wladimir Putin beweist bei der Neuverlegung von Lieferketten und dem Schmieden neuer Allianzen eine
in gleicher Weise beeindruckende wie beängstigende Geschmeidigkeit.
Gestern verließ er zum ersten Mal seit Beginn des Ukraine-Krieges den
ehemals sowjetischen Sektor – eine Demonstration seiner Anschlussfähigkeit:
In Teheran trifft er Präsident Ebrahim Raisi und Revolutionsführer Ali Khamenei. Beide Länder verbindet eine intensive Export-Import-Beziehung, die in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen ist. Russland importierte 2021 Waren im Wert von 970 Millionen US-Dollar. Iran bezieht aus Russland Waren im Wert von über drei Milliarden US-Dollar.
Moskau unterstützt Teheran bei der Entwicklung von Flüssiggas-Projekten sowie beim Bau von Pipelines für den Gasexport. Der russische Staatskonzern Gazpromhat unmittelbar vor Putins Besuch mit dem nationalen iranischen Ölunternehmen einen rund 40 Milliarden Dollar schweren Kooperationsvertrag unterzeichnet.
Putin traf in Teheran auch den türkischen Machthaber Erdoğan. Hinter China und den Niederlanden ist die Türkei drittgrößter Exportpartner Russlands. Die Türkei ist vor allem scharf auf russisches Gas, russische Tomaten und die von dort anreisenden Touristen.
Gemeinsam baut man das erste türkische Atomkraftwerk westlich der Hafenstadt Mersin. Erdoğan kauft von Russland ein Raketenabwehrsystem – für die anderen Nato-Partner ein Affront.In Peking muss Putin gar nicht persönlich vorbeischauen. Russland hat den Handel mit China in den letzten zwei Jahrzehnten wirksam ausgebaut, die Beziehung zu Xi Jinping ist reißfest. China war 2021 mit 17,9 Prozent des gesamten Handelsvolumens der wichtigste Partner Russlands.
Den Inder Narendra Modi hält Putin ebenfalls bei Laune. Die „größte Demokratie der Welt” kann sich nicht dazu durchringen, die Invasion in der Ukraine zu verurteilen. Opportunismus wird belohnt: Putin liefert zu Vorzugskonditionen – was auch sonst – Gas und Öl.
Selbst die Freundschaft mit den Oligarchen im eigenen Land hat Putin erneuert, in diesem Fall materiell unterfüttert. Kaum hatten die westlichen Firmen im Zuge der Sanktion ihre russischen Ladenlokale und Fabriken geräumt, bietet er diese nunmehr herrenlosen Vermögenswerte den Oligarchen zum Vorzugspreis an. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.
Putins Arm reicht sogar bis in die Reihen der ukrainischen Regierung, sein Kriegsgegner. Dass Präsident Selenskyj den Geheimdienstchef Iwan Bakanow und 28 seiner Mitarbeiter wegen Verrat in den Reihen des Geheimdienstes suspendieren musste, bedeutet eine Peinlichkeit für ihn und einen Triumph für Putin. Man wäre froh, wenn die CIA einen ähnlichen Illoyalitätserfolg in den Reihen des russischen Geheimdienstes erzielen könnte.
Fazit: Der Kinderglaube bleibt auch dann ein Kinderglaube, wenn er täglich von einem anderen Nato-Regierungschef wiederholt wird.
Die Sanktionen haben vor allem uns ökonomisch geschwächt. Das auszusprechen ist nicht schön, aber wahrhaftig. Oder um es mit Bertolt Brecht zu sagen:
"Wer a sagt, der muss nicht b sagen. Er kann auch erkennen, dass a falsch war."
Deutschland will eine Informationsgesellschaft sein, am besten
wissenschaftsbasiert. Der Umgang mit der Corona-Pandemie zeigt jedoch:
Wenn uns die gesundheitlichen Zusammenhänge von Infektion und Krankheit,
Ursache und Wirkung nicht so sehr interessieren, dass wir die
entsprechende Politik einfordern und finanzieren, braucht man keine
Verschwörungsszenarien zu bemühen. Diese Politik war in ihrer Struktur,
ihren Konzepten und Mechanismen dumm und gemeingefährlich.
Deutschland ist angeblich eine Informationsgesellschaft. Manche meinen sogar: wissenschaftsbasiert. Die Robert Bosch-Stiftung fand kürzlich heraus:
„Die Mehrheit der Deutschen befürwortet weiterhin eine
wissenschaftsbasierte Politik im Umgang mit Corona.“ Wie verhält sich
diese Meinung zum Menschenbild unserer demokratischen Verfassung?
Folgt man den Darstellungen des Bundespräsidenten, des
Wissenschaftsrates oder der Leopoldina, so möchte man glauben,
Deutschland sei heute ein Land der Aufklärung. Angesichts der
Jahrzehnte, die wir in Frieden und Wohlstand Gelegenheit hatten, die
kulturellen und sozialen Normen unserer Verfassung zu verwirklichen,
wäre das nur recht und billig. Wir hätten dann von Anfang an gewusst, mit Corona vernünftig umzugehen.
Lieblos eingesetzter Ausschuss Warum interessieren wir uns aber tatsächlich so wenig für Wissen – und auf denkbar ungeeignete Weise? Der Umgang mit der Corona-Pandemie
zeigt: Wir kümmern uns kaum darum, relevantes Wissen zu schaffen und
einzuordnen. Wir zählen Inzidenzen, anstatt die Gefahren der Krankheit
zu erkunden. Wir können kaum angeben, welche Maßstäbe bei der
Verarbeitung der Daten zu Gesundheitsinformationen angewendet werden
sollen: „Leben retten“, ein Virus besiegen, für eine gesunde Zukunft
sorgen? Recht haben?
Stattdessen folgen wir fachlichen Monologen bestimmter Forscher, mit
denen der normale Menschenverstand nichts weiter anfangen kann als:
entweder zu vertrauen oder nicht zu glauben, was da verlautbart wird.
Die sachverständigen Gutachter im lieblos eingesetzten Ausschuss zur
Evaluation der Corona-Maßnahmen haben es klar gesagt: „Datenmangel seit
langem bekannt“. Warum ist das so – und zwar „seit langem“?
Treten wir einen Schritt zurück: Warum wurde der Ausschuss so
almosenhaft ausgestattet, wie die Gesundheitsämter? Noch einen: Warum
tut Deutschland so wenig für seine Bildungskultur, die Zusammenhänge und
kritisches Lesen ermöglichen sollte? Warum steht das Kerngeschäft der
Wissenschaft, kritisch nachzufragen, im Verdacht zu stören? Offenbar
wollen wir es doch nicht so genau wissen. Müssen wir uns oder irgendwen
vor der Vorläufigkeit und Wahrheit möglichst aussagefähiger Daten
„schützen“?
Deutschland zwischen Apokalypse und Untergangssehnsucht -
Die Welt vom Ende denken (Cicero)
In Deutschland herrscht Weltuntergangsstimmung. Seit nicht mehr
sicher ist, ob Russland Mitte dieser Woche wieder Gas durch die Pipeline
Nord Stream 1 leiten wird, summiert sich die Angst vor Energieknappheit
zur Klimaangst, Transphobie oder der Panik vor Corona-Infektionen. Wie
aber kommen wir wieder raus aus unserer Apokalypse-Sucht? Es gibt einen
Weg. Aber der ist schwierig.
Wer jedenfalls in diesen erregten Sommertagen nur einmal für fünf
Minuten den Fernseher andreht, der wird den wirklich unheimlichen
Verdacht nicht mehr los, die Apokalypse des Johannes wiederholte sich
anno 2022 als Farce. Und durch deutsche Redaktionsstuben weht ohnehin
schon seit längerem diese Utopie des Unglücks – ganz egal, ob sich die
Journalisten nun politisch rechts oder links verorten. Etwas
Bedrohliches, gar Unaussprechliches liegt in der Luft. Von Waldbränden
bis Heizkosten-Koller, von Klimawandel bis
Transphobie: Überall scheint jetzt das Tier mit den sieben Köpfen und
den zehn Hörnern aus der Informationsflut herauszusteigen. Überall ist
Apokalypse, was ja auch nichts anderes heißt als „Enthüllung“ oder
schlicht: „Zeitenwende“.
Donnerstag ist Doomsday
Und wir sitzen daheim und können nichts tun. Nur abwarten, wie Robert Habeck jüngst in einem Interview mit den ARD-Tagesthemen
sagte. Denn er habe auch keine geheimen Informationen, weder in die
eine noch in die andere Richtung. Dabei bezog sich der grüne
Bundeswirtschaftsminister übrigens nicht unmittelbar auf den zu
erwartenden Jury-Spruch im Jüngsten Gericht. Immerhin aber ging es um
die Frage, ob Russland nach der Wartung von Nord Stream 1 weiterhin Gas an Deutschland liefern werde. „Die Möglichkeit besteht. Die Chance, dass es nicht so kommt, ist auch da.“
in der Medizin ist diese Arbeitsteilung eine Selbstverständlichkeit: Die Forscher der Pharmafirmen wollen den Krebs besiegen. Man setzt Milliarden auf den großen Durchbruch.
Zugleich aber kümmern sich dieselben Firmen um Medikamente zurLinderung der Erkrankung. Wenn man dem Krebs auf die Schnelle schon nicht den Garaus machen kann, so das Kalkül, nimmt man ihm wenigstens seine Grausamkeit. Es geht um die Linderung von Schmerz und die Gewinnung von Lebenszeit. Genau diese Doppelstrategie fehlt in der Klimapolitik, die nur als Klimapanik zu haben ist. Mit sich überschlagender Stimme beschwören die Aktivisten – darunter auch Politiker und Wissenschaftler – die Apokalypse, um Regierungs- und Firmenchefs zur unverzüglichen Dekarbonisierung aller Produktionsprozesse und Logistikketten zu zwingen.
Eine pragmatische Klimafolgenpolitik wurde hingegen
bisher nicht entwickelt. Sie gilt sogar als politisch unkorrekt. Die
Politik setzt – unter dem Druck der Klimabewegung – auf alles oder
nichts. Die multiplen Gegenwartskrisen –
Wasserknappheit in Deutschland und Italien, Waldbrände in Portugal,
Spanien und Deutschland, Hitzetode in Indien und Afrika, Extremwetter
rund um den Globus – liefern lediglich das Propagandamaterial für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels.
Hier genau beginnt die Lebenslüge der Klimaschützer. Denn dieses Ziel ist schon heute nicht mehr zu erreichen. Die Welt entwickelt sich konträr zu dem, was auf den großen internationalen Klimakonferenzen versprochen wurde.
Der Ukraine-Krieg und die Nutzung von Gas als Waffe haben zur Renaissance der fossilen Energien geführt.
Saudi Aramco ist heute das wertvollste Unternehmen der Welt.
Die Verbraucher handeln anders als sie träumen. Der US-Flugzeughersteller Boeing geht davon aus, dass sich die weltweite Flugzeugflotte bis 2041 fast verdoppeln wird. Boeing rechnet damit, dass die Fluggesellschaften weltweit in den nächsten zwanzig Jahren 41.170 neue Flugzeuge ordern.
Die geostrategische Gewitterfront zwischen dem Westen und China führt dazu, dass der weltgrößte CO2-Emittent sich an der notwendigen Kraftanstrengung de facto nicht mehr beteiligt.
Dabei gibt es – wie bei der Krebstherapie auch – durchaus Möglichkeiten, den Schaden zu begrenzen und das Leiden an der Gegenwart zu lindern:
Business Class Edition: Verstörend & vernünftig: Die neue Realpolitik Gabor Steingart, Freitag, 15.07.2022 Guten Morgen,
den Gezeitenwechsel in der internationalen Politik kann man nicht sehen, aber spüren. Man muss nur für einen Moment die Augen schließen und sich erinnern.
An Angela Merkel zum Beispiel und ihr Konzept einer „wertegebundenen Außenpolitik“. Oder an die Grünen, die in der Opposition dafür warben, nicht mehr nur Automobile, sondern auch Menschenrechte und Umweltstandards zu exportieren.
Unvergessen auch Joe Biden, der nach dem am 2. Oktober 2018 verübten Auftragsmord am saudischen Journalisten Khashoggi sagte:
"Die Saudis werden dafür einen Preis zu zahlen haben".
Dieser Preis – versprach er im Wahlkampf – werde auch in einer persönlichen Ausgrenzung durch den neuen Präsidenten bestehen:
"Ich werde sie als die Paria behandeln, die sie sind".
Tempi Passati.
Merkel ist noch am besten dran. Ihre Zeit ist abgelaufen, ihre Regierungspolitik bleibt eingefroren für die Begutachtung durch die Historiker.
Auch Robert Habeck muss den Gezeitenwechsel nicht erklären. Er verkörpert ihn. Mit seiner Reise nach Katar
und dem Aushandeln einer fossilen Energieinjektion für die deutsche
Wirtschaft hat er den humanitären und ökologischen Ethos einer ökonomisch dominierten Realpolitik geopfert. Das war nicht schön, aber vernünftig.
Doch keiner geht so weit wie Joe Biden auf seiner derzeitigen Nahostreise. Bei seinem Besuch heute in Saudi-Arabien will er das Königshaus für keine der Gräueltaten (immerhin wurde der Journalist Jamal Khashoggi damals im Auftrag des Königs in Istanbul gefangen genommen, ermordet und zerstückelt) haftbar machen. Er will die mutmaßlichen Mörder auch nicht wie Paria, sondern wie Partner behandeln. Das Verhältnis solle „recalibrated“ werden; man wolle den „reset“-Knopf drücken, heißt es aus Bidens-Umgebung.
Die treibenden Kräfte hinter dem Gezeitenwechsel sind der Krieg, die Energiepreisexplosion und die von dort auf alle anderen Produkte übergesprungene Inflation. Den Regierungschefs geht es jetzt nicht mehr um die Verteidigung von Werten, sondern um die Rettung ihrer heimischen Legitimationsbasis.
Die Währung, in der am Wahltag gezahlt wird, sind eben nicht Werte, sondern ist Wohlstand.
Wer nicht liefert, wird abgewählt.
Der Wähler ist sehr eindeutig und zuweilen auch eindimensional in seiner Prioritätensetzung: Werte kann man nicht essen und nicht mal für eine Tankfüllung sind sie zu gebrauchen.
So gelangen die Regierungspolitiker bei dieser Gelegenheit zu einer bitteren, aber notwendigen Erkenntnis: Die Kategorisierung der Welt nach gut und böse, nach moralisch sauberen Geschäftspartnern und politisch dubiosen Typen, ist auf Dauer nicht durchhaltbar. Die Idee, das Preissignal der Märkte zu überhören und durch einen politischen Reinheitsgrad zu ersetzen, führt auf die abschüssige Bahn. Produkte taugen nicht als Waffe, weil es sich bei der Munition, die dabei verpulvert wird, um den Wohlstand der kleinen Leute handelt.