Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Mit der Kindergrundsicherung soll eine neue Behörde entstehen, zusätzlich zur Bundesanstalt für Arbeit und den Sozialämtern. Rund 5000 neue Verwaltungsangestellte seien für die Beantragung und Auszahlung dieser kinderrelevanten Sozialleistungen notwendig, sagt Paus.
Damit würden laut Gesetzesentwurf 408 Millionen Euro jährliche Kosten entstehen, die nicht die Kinder, sondern den Beamtenstaat glücklich machen. Gegenüber dem General-Anzeiger in Bonn erklärte Paus ihr Ansinnen schlitzohrig so:
Das zusätzliche Personal bedeutet eine Bürokratieentlastung für die Bürger.
Für die staatliche Verwaltung, die jetzt vor allem Daten abgleichen muss und Doppelzahlungen vermeiden soll, wird das ein Kraftakt. Viele Millionen werden einfach so verpuffen.
Schwachstelle 2: Der Staat als Vormund
Lisa
Paus ist der Meinung, dass nicht zuerst die Eltern für das Kindeswohl
verantwortlich sind, sondern der Staat: „Mit den 5000 Stellen wollen wir
von der Holschuld der Bürger zur Bringschuld des Staates kommen“, sagt
sie. Christian Lindner – und viele Liberale mit ihm – finden diese Umkehrung der Verantwortlichkeiten „verstörend“.
Aktuell sind 1,3 Millionen Kinder in Deutschland vom Risiko dauerhafter Armut betroffen“, sagt das Kinderhilfswerk UNICEF in seinem jüngst veröffentlichten Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2023. Lisa Paus geht – ohne Quellenangabe – auf der Webseite des Ministeriums von 2,9 Millionen von Armut bedrohten Kindern aus, will aber den Bezug der staatlichen Gelder noch darüber hinaus deutlich ausweiten. Das Ministerium verspricht:
Etwa 5,6 Millionen Kinder und Jugendliche – davon 2,9 Millionen arme und armutsbedrohte Kinder, darunter auch die 1,9 Millionen Kinder, die aktuell Bürgergeld beziehen – haben zukünftig einen Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung.
Die Bringschuld bezieht sich also nicht allein auf die Armutsbekämpfung, sondern greift bis tief in die Mittelschichten. Es geht der Ministerin, so drückt sie selbst es in großer Freimütigkeit aus, darum „ein engmaschiges Sicherheitsnetz für alle Kinder und ihre Familien zu knüpfen.“
Schwachstelle 3: Fehlende Zielgenauigkeit
Bis
heute ist unklar, was sich für die Kinder tatsächlich ändern wird. Denn
nach wie vor besitzen nicht sie, sondern die Eltern den Rechtsanspruch
auf das Geld.
Obwohl sich die ausgezahlten Kindergeld-Beiträge von 2000 bis 2022 – für
2023 sind die Daten noch nicht verfügbar – um rund 87 Prozent auf knapp
48 Milliarden Euro gesteigert haben, kommt dieses Geld nach Ansicht der
Lehrkräfte in den Schulen bei den betroffenen Kindern nicht an.
Mehr als jede dritte Lehrkraft (37 Prozent) – so eine aktuelle Studie der Robert Bosch Stiftung – nimmt fehlendes oder unzureichendes Schulmaterial wie Hefte oder Bücher wahr.
Häufiger als früher kommen Schülerinnen und Schüler auch ohne Frühstück in die Schule (30 Prozent).
Ein Viertel der Lehrerinnen und Lehrer (24 Prozent) berichtet, dass Krankmeldungen vor mehrtägigen Klassenfahrten zunehmen.
16 Prozent stellen häufiger als bislang fest, dass ihre Schüler das Essensgeld gar nicht oder nicht pünktlich bezahlen.
Das heißt: Schon die Zielgenauigkeit der heutigen Kinderförderung ist zweifelhaft. Die Summen des Staates steigen, doch die Verwahrlosungstendenz in den Schulen nimmt nicht ab, sondern zu. Der Staat investiert und subventioniert – aber offenbar nicht in die Schulhefte, die Klassenfahrten oder die Pausenbrote der Kinder.
Schwachstelle 4: Fehlender Bildungsanspruch
Bei der Vorstellung seines Armutsberichts traf Georg Graf Waldersee, Vorsitzender von UNICEF Deutschland, wichtige Aussagen zur Treffsicherheit von staatlicher Fürsorge:
Deutschland muss in den Bildungsbereich investieren, vor allem in die unterfinanzierten Grundschulen. Denn dort werden die Weichen für die Zukunft unserer Kinder gestellt.
Diesen Gedanken, dass der beste Armutsschutz durch eine gemeinsame Bildungsanstrengung von Staat, Eltern und Kindern gewährleistet wird, berücksichtigt die Kindergrundsicherung der Ministerin nicht. Investitionen in das marode Bildungssystem, in die bauliche Substanz der Schulen, in den Lehrkörper und die sozialpsychologische Betreuung von Kindern sind mit dieser Art der Kinderförderung nicht verbunden.
Im Grunde geht es wieder nur um die monetäre Expansion des Sozialstaates. Die Haushaltskasse der Eltern wird aufgebessert. Das Bildungssystem aber – wo all die Menschen beschäftigt sind, die den Kindern wirklich helfen könnten – geht leer aus.
Schwachstelle 5: Hohe Zusatzkosten bei nicht nachgewiesenem Nutzen
Die Ministerin will keineswegs nur die bisherigen Sozialleistungen bündeln, sie will sie erhöhen. So ist die „Neudefinition des Existenzminimums“ geplant.
Aktuell werden die Ausgaben für das Kind nach dem sogenannten „Wohnflächenschlüssel“ berechnet. Das heißt, einem Kind wird der Anteil zugesprochen, dem die Größe des Kinderzimmers an der gesamten Wohnung entspricht.
Doch das Ministerium hat hier eine soziale Schwachstelle entdeckt, die jetzt dringend mit Steuerzahlergeld geschlossen werden soll. Diese Logik funktioniert wie folgt:
Kinder nutzen auch Möbel außerhalb ihres Zimmers. An dieser Stelle setzt die Neudefinition des Existenzminimums an.
Der damit erweiterte, man kann auch sagen, um die Möbel der Eltern aufgepolsterte, Anspruch der Kinder hat Folgen für den Staatshaushalt, die bisher von der Ministerin nur mit dem feuchten Daumen kalkuliert wurden. Das Ministerium sagt:
Dadurch ergeben sich höhere Regelbedarfe für die Kinder.
Für Lisa Paus kein Problem, sondern Absicht. Sie gibt offen zu, dass es ihr nicht nur um Bündelung und Digitalisierung ging:
Die Kindergrundsicherung will beides – Antragsvereinfachung und mehr Leistung.
Deshalb wurden von ihrem Ministerium auch rund zwölf Milliarden Euro Zusatzausgaben an den Finanzminister gemeldet. Diese hat Lindner zwar mittlerweile auf 2,4 Milliarden begrenzt – aber nur zum Beginn der neuen Sozialleistung. Danach sollen die Kosten dynamisch steigen, auf später über sechs Milliarden Euro, rechnet das Familienministerium vor.
Das Entscheidende sind daher nicht die Summen, die jetzt im Gesetzblatt stehen, sondern die Rechtsansprüche, die damit in der Zukunft begründet werden.
Fazit: Exemplarisch zeigt sich, wie weit Grüne und Liberale auseinander liegen – in der Einschätzung der finanziellen Möglichkeiten des Staates und in der Sicht auf die Eigenverantwortung der Bürger. Der Vorrat der Gemeinsamkeiten ist nicht aufgebraucht, wie es oft heißt. Er hat in der Sozial- und Finanzpolitik nie existiert. Der Streit um die Kindergrundsicherung hat das nicht verursacht, nur sichtbar gemacht.
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