16 November 2025

Neben der Spur Die Leute dürfen auch ohne Ihre Erlaubnis über Probleme sprechen, Herr Steinmeier! (WELT+)

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Neben der Spur

Die Leute dürfen auch ohne Ihre Erlaubnis über Probleme sprechen, Herr Steinmeier! (WELT+)
Von Gnaden des Bundespräsidenten: Steinmeier erlaubt dem Volk, eklatante Missstände zu „besprechen“, und stellt ein AfD-Verbot in den Raum. Damit beweist er nur, wie wenig er und das restliche politische Establishment „unserer Demokratie“ von der Stimmung im Volk mitbekommen.
Von Harald Martenstein, Freier Kolumnist und Autor, 16.11.2025, 4 Minuten
Unser Bundespräsident hat kürzlich eine Rede gehalten. Der Bundespräsident soll, nach verbreiteter Ansicht, Repräsentant des ganzen Volkes sein, ein Ersatzkönig, der eher befriedet, als Konflikte zuzuspitzen.
Das hat Frank-Walter Steinmeier ja auch an der einen oder anderen Stelle versucht. Etwa, als er sagte, dass man nicht jede unliebsame Äußerung pauschal als rechtsextrem diskreditieren solle. Oder als er sagte: „Es ist gefährlich, wenn Themen wie Migration und Sicherheit nicht besprochen werden können, weil sofort der Rassismusvorwurf im Raum steht.“
Wie sich danach an den Reaktionen zeigte, sind viele Leute kein bisschen dankbar dafür, dass ihnen der Bundespräsident großzügig erlaubt, „Themen wie Migration und Sicherheit“ zu „besprechen“, die viele ohnehin eher ein „Problem“ nennen würden als ein Thema. Die Leute haben nämlich mal in der Schule gelernt, dass man in einer Demokratie sowieso über Probleme sprechen darf, egal ob mit oder ohne Erlaubnis des Präsidenten. Vor allem aber wollen die Leute – die meisten Leute, genau gesagt – gar nicht so sehr, dass sie Probleme „besprechen“ dürfen. Sie möchten, dass Probleme gelöst werden. Unter „Lösung“ verstehen die meisten Leute zum Beispiel, dass Migration ihre Stadt nicht in den Ruin treibt.
Wie wenig Steinmeier und seine Redenschreiber von der Stimmung in der Bevölkerung mitbekommen, zeigt auch ihre Verwendung der beliebten Phrase „unsere Demokratie“, die in den letzten Jahren zu einer Art Triggerwort geworden ist bei allen, die sich von den etablierten Parteien verabschiedet haben oder auf dem Weg dazu sind.
Denn „unsere Demokratie“ ist offenbar etwas völlig anderes als „die Demokratie“ ohne Possessivpronomen. Während „die Demokratie“ für alle da war und keine Unterschiede machte, scheint „unsere Demokratie“ vor allem für das Establishment und seine Hilfstruppen da zu sein, die sind mit dem „wir“ gemeint, auf das sich „unsere“ bezieht. Ihr, die Leute, seid nicht gemeint.
„Die“ Demokratie zeichnete sich unter anderem durch Gewaltenteilung aus und eine weit gehende Meinungsfreiheit. „Unliebsame“ Äußerungen waren in „der“ Demokratie Alltag und brauchen anders als in „unserer Demokratie“ keine Sondergenehmigung von ganz oben, es sei denn, jemand rief beispielsweise zur Gewalt auf.
Die wichtigste Eigenschaft „der“ Demokratie aber bestand darin, dass Regierungen abgelöst werden und die politische Richtung sich ändern konnte, wenn die Bevölkerung sich nicht mehr von ihren Repräsentanten repräsentiert fühlte. Für „unsere Demokratie“ scheint das nicht mehr zu gelten.
Ein paar Krümel Zuckerbrot – und die Peitsche
In Frank-Walter Steinmeiers Rede wurden aber nicht nur einige Krümel Zuckerbrot verteilt (man darf Themen besprechen!), es kam auch die Peitsche zum Einsatz. Dies in Gestalt einer Verbotsdrohung gegen die AfD als „Ultima Ratio“, falls sie sich nicht mäßige („Sie haben es selbst in der Hand!“) und der Forderung nach Berufsverboten für deren Mitglieder.

Die Verbotsforderung liest man oft. Sie wird allerdings fast immer wolkig begründet. Auch bei Steinmeier heißt es, sehr allgemein, die AfD stelle sich „gegen den freiheitlichen Kern unserer Verfassung“. Aber wodurch eigentlich genau?

Einzelne Äußerungen von Mitgliedern reichen in „der“ Demokratie für ein Verbot jedenfalls nicht. Eine Partei muss nachweislich Demokratie und Grundrechte abschaffen wollen. Etwa, indem sie, einmal an der Macht, die Opposition verbieten will … huch, genau das wollen ja schon die anderen!

Die Einschüchterungsmethode kann gegen die AfD nicht funktionieren. Warum? Deren Wähler werden von existenziellen Ängsten getrieben, die sie gegen Drohungen immun machen und nicht etwa auf übertriebenes Kiffen zurückzuführen sind. Da ist die Angst vor dem Zusammenbruch der Wirtschaft und vor einer Inflation durch Überschuldung, die Ersparnisse vernichtet. Da ist die Angst, bald fremd im eigenen Land zu sein, wo der Islam ein Machtfaktor geworden ist, gegen den nichts mehr geht. Da ist auch die Angst davor, auf dem Weihnachtsmarkt Opfer eines Anschlags zu werden.
Überall in Europa wird, wenn aus den Steinmeiers nicht durch ein Wunder Helmut Schmidts werden, der Rechtspopulismus an die Macht kommen. Es sei denn, die anderen schaffen die Demokratie ab: Modell China. Oder aber, die anderen Parteien tun etwas gegen diese Ängste: Modell Dänemark. Dass die Union dies zurzeit nicht in ausreichendem Maß vermag, ist in erster Linie das Werk ihres Partners SPD. Steinmeiers Partei ist Wahlhelfer der AfD.

Vielleicht wird es ja wirklich, wie Unionsfraktionschef Jens Spahn andeutete, die letzte historische Leistung der deutschen Sozialdemokratie sein, die CDU/CSU mit sich in den Abgrund gezogen zu haben.

Harald Martenstein stellt am 25. November im Berliner Pfefferberg-Theater die Neufassung seines Bestsellers „Wachsen Ananas auf Bäumen?“ vor, eines Ratgebers für Eltern und Großeltern.

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