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| Demonstration gegen Merz |
Jede fünfte Person in Deutschland ist ambivalent gegenüber rechtsextremen Einstellungen. Das ist ein Ergebnis der Mitte-Studie der Universität Bielefeld und der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. In Rhythmus von zwei Jahren beleuchtet ein Team aus Sozialwissenschaftlern in der groß angelegten Untersuchung rechtsextreme, fremdenfeindliche und demokratieskeptische Einstellungen im Land.
Ein Kernergebnis: Gut drei Viertel der Deutschen (76,1 Prozent) lehnen rechtsextreme Einstellungen ab, lediglich 3,3 Prozent zeigen ein klar rechtsextremes Weltbild. Nach Angaben der Autoren ist das ein Rückgang gegenüber der Erhebung vor zwei Jahren, als dieses Weltbild noch acht Prozent der Deutschen attestiert wurde. 2014 bis 2021 wurde ebenfalls zwei bis drei Prozent der Bevölkerung ein rechtsextremes Weltbild bescheinigt.
Die Sozialwissenschaftler sorgen sich allerdings um die Deutschen, die rechtsextremen Aussagen nicht zustimmen, sie aber auch nicht ablehnen. Dieser „Graubereich“ habe sich gefestigt und zeige eine Offenheit für antidemokratische Orientierungen. Zwar stimmt die Hälfte der Befragten noch der Aussage zu, die Demokratie funktioniere im Großen und Ganzen gut. 21,5 Prozent sagen aber, sie haben kein Vertrauen in demokratischen Institutionen; 18,2 Prozent fehlt das Vertrauen in demokratische Wahlen. Das sind dreimal so viel wie vor vier Jahren.
Ein nach rechts offener „Graubereich“, eine wachsende Ablehnung der Demokratie? Das klingt dramatisch, ist aber in der Methodik der Studie angelegt. Die Autoren setzen ein rechtsextremes Weltbild aus der Zustimmung oder Ablehnung verschiedener Positionen zusammen – darunter auch solche, die eine breite Zustimmung in der Mitte der Gesellschaft finden.
Zwei weitere Bausteine, die nach Ansicht der Autoren zu einem
rechtsextremen Weltbild beitragen, sind Fremdenfeindlichkeit und eine
Art „Germany-first“-Einstellung, die die Autoren als
Nationalchauvinismus bezeichnen. Im Detail aber sind die abgefragten
Aussagen alles andere als eindeutig fremdenfeindlich oder
nationalistisch. Dementsprechend groß fällt auch die Zustimmung der
Befragten aus.
Ablehnung von Einwanderung ins Sozialsystem gilt als fremdenfeindlich
Der
Aussage, Ausländer kämen nur nach Deutschland, um den Sozialstaat
auszunutzen, stimmen 14,9 Prozent voll oder überwiegend zu. Rund 40
Prozent – der „Graubereich“ der Gesellschaft – stimmt teilweise zu. Das
ist wenig überraschend, da Migrationsforscher seit Jahren auf sogenannte
„Pull-Faktoren“ hinweisen, die Deutschland als Ziel für Migranten
attraktiv machen. Zuletzt kündigte auch Arbeitsministerin Bärbel Bas
(SPD) ein stärkeres Vorgehen gegen Sozialmissbrauch durch EU-Migranten an.
Mehr als jeder Vierte (27,2 Prozent) ist voll oder überwiegend der
Meinung, die Bundesrepublik sei „durch die vielen Ausländer in einem
gefährlichen Maß“ überfremdet. Ähnlich viele (27,7 Prozent) stimmen der
Aussage teilweise zu. Auch bejahen 8,9 Prozent voll oder überwiegend die
Aussage, wenn Arbeitsplätze knapp würden, sollten Ausländer in ihre
Heimat zurückkehren. Nach Einschätzung der Studienautoren deutet auch
das auf eine fremdenfeindliche Einstellung hin.
Noch deutlicher wird die Zustimmung aus der Mitte zu vermeintlich rechtsextremen Einstellungen im Bereich Nationalchauvinismus. Der Aussage, die Deutschen sollten wieder mehr Mut zu einem starken Nationalgefühl haben, stimmen 43 Prozent der Befragten voll oder überwiegend zu. Fast jeder Vierte findet es richtig, dass Deutschland seine Interessen „hart und energisch“ gegenüber dem Ausland durchsetzt. Und 22,7 Prozent stimmen voll oder überwiegend der Aussage zu, das oberste Ziel der Politik sollte sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die dem Land zustehe. Zudem stimmt jeweils fast ein Drittel aus dem „Graubereich“ den Aussagen teilweise zu.
Bekenntnis zu zwei Geschlechtern gilt als „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“
Die
Methodik, mit Aussagen, die teilweise auf eine breite Zustimmung
treffen, ein spezifisches Weltbild zu begründen, nutzen die Autoren
auch, um der Mitte fest verankerte „gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit“ zu attestieren. Dazu zählt einerseits die
Zustimmung zu eindeutig zu wertenden Aussagen wie „Juden sind durch ihr
Verhalten an der Verfolgung mitschuldig“ oder „Sinti und Roma neigen zur
Kriminalität“.
Andererseits gilt auch ein traditionelles Rollen- und Geschlechterverständnis als menschenfeindlich. Abgefragt wurde das mit den Aussagen „Frauen sollten sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen“ und „Ich finde es albern, wenn ein Mann lieber eine Frau sein will oder umgekehrt.“
Einen Schwerpunkt legen die Autoren auch auf libertäre Einstellungen, wie sie der argentinische Präsident Javier Milei vertritt – von den Autoren als „Marktförmigkeit“ bezeichnet. Der Studie zufolge hängt ein Viertel der Befragten einer libertär-autoritären Ideologie an. Diese Gruppe neige stärker zu einem rechtsextremen Weltbild und billige sogar politische Gewalt. Der libertäre Autoritarismus sei eine Normalisierungsstrategie, um antidemokratische und rechte Einstellungen zu fördern, heißt es in der Studie.
Gabriel und Laschet kritisierten Studienautoren für Alarmismus
Kritik an der Methodik gibt es seit Jahren. Antisemitische Einstellungen findet sich auch unter radikalen Muslimen
und Linksextremisten, insbesondere der israelbezogene Antisemitismus.
Und im Zwei-Jahres-Rhythmus nutzt die Friedrich-Ebert-Stiftung die
Studie, um vor einem wachsenden Rechtsextremismus und -populismus zu
warnen. 2019 schrieben die Autoren besonders alarmistisch von der „Verlorenen Mitte“, stellten aber zugleich fest, dass 86 Prozent der Deutschen sich zur Demokratie bekannten. Unter anderem der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und der damalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) kritisierten die Autoren für ihre Darstellung.
Auch in der aktuellen Erhebung bezeichneten sich 79 Prozent der
Bevölkerung als überzeugte Demokraten – sechs Prozent mehr als vier
Jahre zuvor. „Die Mitte-Studie zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der
Gesellschaft sich klar zur Demokratie bekennt und besorgt darüber ist,
dass Populisten und Rechtsextreme unsere Demokratie angreifen und
zerstören wollen“, sagt dazu Martin Schulz, Vorsitzender der
Friedrich-Ebert-Stiftung und ehemaliger SPD-Chef in einer Mitteilung.
Weil sich „antidemokratische und menschenfeindliche Stimmungsmache“ in
die Gesellschaft hineinfresse, sei die Aufgabe aber klar, so Schulz.
„Gegenhalten!"

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