10 November 2025

The Pioneer - Krieg der Narrative: Wie Politiker zu Märchenerzählern wurden

Business Class Edition

Krieg der Narrative: Wie Politiker zu Märchenerzählern wurden
Gabor Steingart, 10.11.2025, 8 Min
Guten Morgen,
die gute Nachricht zuerst: Wir hatten seit längerem keine Messerattacken, die Asylzahlen gehen zurück und Olaf Scholz plus sein Co-Pilot Robert Habeck haben die politische Rennstrecke verlassen. So funktioniert Demokratie.
Und nun die schlechte Nachricht: Dennoch setzt sich der Niedergang der etablierten Parteien und der Aufstieg des Rechtspopulismus fort. Der Vertrauensentzug bei CDU und SPD wurde durch die Neuwahl vom Februar nicht gebremst, sondern beschleunigt.

Warum das wichtig ist: Der neue Besen kehrt nicht besser als der alte, was in der Union Gefühle von Resignation aufkommen lässt. Die jüngste Depesche des Meinungsforschungsinstituts Forsa liest sich wie eine Kapitulationsurkunde:

"Generell verlieren immer mehr Bundesbürger den Glauben daran, dass die Regierungsparteien die im Land vorhandenen Probleme lösen können."

Am Wochenende sahen sich die Generalsekretäre von CDU und SPD gezwungen, einen gemeinsamen Gastbeitrag für T-Online zu verfassen, in dem sie ihre Parteien auffordern, gemeinsam für echte, das heißt spürbare Veränderung zu kämpfen

"Wir stehen an einem Punkt, an dem wir die Voraussetzungen für den Erfolg in unserem Land runderneuern müssen. Wir wissen, was auf dem Spiel steht. Deshalb sagen wir: keine kleinen Schritte bei den anstehenden Reformen. Kein Streit um Nebensächlichkeiten."

Eine Erklärung für das Umfragetief könnte sein, der Gedanke steckt implizit in dem Schreiben, dass der Aufstieg der AfD nur am Rande mit Messerattacken, Asylbewerberzahlen und den unbeliebten Politikern der Ampel zu tun hat, sondern mit der Gesamtperformance einer Regierung, die die Lebenswirklichkeit von Wählern kaum mehr erreicht.

Oder wie ein CDU-Stratege sich am Wochenende in einer kritischen, aber vertraulichen Reflexion ausdrückt:                                                                    "Unsere Antwort auf den AfD-Aufstieg ist bisher unterkomplex."

Wer den Niedergang der ehemaligen Volksparteien verstehen will, muss seinen Blick weiten. Denn es hat, ohne dass darüber je ein Parteitag debattiert oder ein Präsidium beschlossen hätte, eine Neudefinition des Politikerberufes stattgefunden.

Für den Soziologen Max Weber war Politik das Bohren dicker Bretter. Für den heutigen Politiker besteht Politik vielfach nur noch im Erzählen von Geschichten. Er sucht und verbreitet sein „Narrativ“ oder warnt, wie es die SPD gerne tut, vor einer Union, „die rechte Narrative übernimmt“. Oder wie der Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen sich ausdrückt:

"Narrative strukturieren die Wahrnehmung der Realität, oft unabhängig von Fakten."

Das bedeutet im politischen Alltag: Die Wirklichkeit wird nicht mehr verändert, sondern nur anders beleuchtet. Vor den Augen der Wähler werden Kaninchen aus dem Hut gezaubert, die man vorher selbst hineingesteckt hat.

Das Dumme ist nur: Der mündige Bürger merkt, dass er getäuscht wird, und ist verstimmt. Er hat echte Veränderung gewollt und künstliche Erfolgsgeschichten bekommen. Er wollte billiger wohnen, in seiner Stadt sicherer leben und die Sorge um den Job loswerden. Stattdessen liest man ihm Märchen vor. Nur, dass der Märchenonkel früher Scholz und jetzt Merz heißt.
Der Trend zum Geschichtenerzählen kommt aus Amerika und hier insbesondere aus der modernen Wahlkampfführung. Alles begann mit einem simplen Satz des US-Republikaners und Meinungsforschers Frank Luntz:

        "Es kommt nicht darauf an, was du sagst, sondern was die Leute hören."

Es dauerte nicht lange, da hatten die Demokraten ihren eigenen Experten für die Steuerung der Wähler durch Sprache. Der Linguist George Lakoff, geistiger Gegenpol zu Luntz, beschrieb in Don’t Think of an Elephant! (2004) den kognitiven Mechanismus hinter politischer Sprache. Seine zentrale These: Menschen denken nicht in Fakten, sondern in Frames, also innerhalb eines mentalen Deutungsrahmens. Er sagte:

            "Sprachbilder entscheiden darüber, wie wir denken und was wir tun."

Und er riet den Politikern dazu, das Framing auch dann durchzuhalten, wenn es mit den Fakten nicht übereinstimmt. Denn der Deutungsrahmen setze sich im Gehirn gegen die Fakten durch:
"Wenn die Fakten nicht zum Deutungsrahmen passen, bleibt dieser erhalten und die Fakten werden ignoriert."
In Deutschland hat sich das Denken in Narrativen und damit das Framing mit Verspätung, aber dafür umso wirkmächtiger durchgesetzt. Lars Klingbeil spricht mittlerweile vom „Krieg der Narrative“.

Begriffe wie „Bürgergeld“ statt „Hartz IV“, „Zeitenwende“ statt „Aufrüstung“, „Sondervermögen“ statt Schulden, „Zuwanderung“ statt „Migration“ sollen die Wahrnehmung positiv beeinflussen, die gesellschaftliche Akzeptanz steigern und eine Debatte im Keim ersticken.

Die neue Regierung, und das könnte den fortgesetzten Vertrauensverlust erklären, hat mit der Märchenstunde da weitergemacht, wo die anderen aufgehört hatten. Olaf Scholz sprach wider besseres Wissen vom „grünen Wirtschaftswunder“. Friedrich Merz postet am 24. Juni ohne jeden Beleg:

                   "Die Stimmung im Land wird besser. Es geht voran."

Mittlerweile versucht man durch Umbenennung eine Wirklichkeit nicht mehr nur zu schönen, sondern neu zu erschaffen. Der Politiker hat als bildender Künstler seinen Auftritt.

Investitionsoffensive: Durch das Wort selbst und das dazugehörige Bild von 30 Vorstandsvorsitzenden, die angebliche Investitionen in der Größenordnung von 600 Milliarden zugesagt haben, täuscht man eine ökonomische Aktivität vor, die es in Wahrheit nicht gibt. Wahr ist: Die privaten Investitionen gehen zurück und der Staat springt mit Tonnen von Kreditgeld in die Lücke. Das Ergebnis unterm Strich: Stagnation.

Zusätzliche Investitionen, das kommt noch hinzu, konnte keiner der angestellten Manager dem Kanzler zusagen. Er braucht – da der CEO mit fremdem Geld operiert – zwingend die Zustimmung des Aufsichtsrates, also der Eigentümervertreter.

Fazit: Die Menschen erwarten Erfolge, nicht Erzählungen. „Wer die Geschichte kontrolliert, kontrolliert die Zukunft“, hat George Orwell einmal gesagt. In Fortführung dieses Gedankens muss man nach den Erfahrungen der neuen Regierung sagen: Aber wer Geschichten erfindet, verliert die Gegenwart.

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