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| Luisa-Marie Neubauer |
„Ein unangenehmes Ergebnis – Sehr starke Gewalttätigkeit bei syrischen jungen Männern“ (WELT+)
Knapp eine Million Syrer lebt mittlerweile in Deutschland, neben Afghanen und Ukrainern sind sie eine der größten Gruppen von Zuwanderern. Welchen Anteil am Kriminalitätsgeschehen machen syrische Staatsbürger aus? Das Bundeskriminalamt (BKA) nutzt seit 2025 in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) eine neue Kategorie, die besser greifbar macht, wer den Gewaltanstieg maßgeblich treibt. Sie ergibt sich aus der Zahl der ermittelten Tatverdächtigen im Alter ab acht Jahren insgesamt, errechnet auf 100.000 Einwohner des entsprechenden Bevölkerungsanteils. Die Behörde setzt also die Zahl der Tatverdächtigen einer Nationalität mit allen Menschen in Relation, die in Deutschland leben und diesen Pass besitzen.
Betrachtet man die Gewaltkriminalität – dazu gehören neben „Straftaten gegen das Leben“ auch Körperverletzungen, Vergewaltigungen und Raubdelikte –, liegt dieser Wert bei syrischen Tatverdächtigen etwa zehnmal so hoch wie der von deutschen Tatverdächtigen. Aus dem Bürgerkriegsland sind vor allem junge Männer nach Deutschland eingereist, die kriminologisch auffälligste Gruppe. Ukrainische Flüchtlinge dagegen, viele davon Frauen, sind in der Kriminalstatistik deutlich weniger auffällig.
Es
spielt für die Kriminalitätsbelastung eine enorme Rolle, ob Frauen oder
Männer nach Deutschland zuwandern. Auch syrische Jugendliche und sogar
Kinder bis 14 Jahren fallen in der BKA-Statistik auf. Ihr Wert liegt
etwa bei Raubdelikten und schweren Körperverletzungen ebenfalls etwa
zehnmal so hoch wie der ihrer deutschen Altersgenossen.
Die Aussagekraft der PKS hat Grenzen: Ein Tatverdächtiger kann etwa
immer noch von einem Gericht freigesprochen werden. (Anm.: Fast jeder 2. Häftling ist Ausländer: Ausländer-Quote im Gefängnis auf Rekordhoch.1 6.06.2025: Insgesamt 59.877 Inhaftierte wurden erfasst, darunter 26.710 ausländische Staatsangehörige – das entspricht einem Anteil von 45 % · Ausländer ...)
Zudem liefern die
Daten nur Auskünfte zu tatsächlich angezeigten Straftaten. Dazu spielen
als weitere kriminologische Erklärungsfaktoren eine andere Sozialisation
vieler Syrer mit Gewalt im Herkunftsland sowie traumatische
Gewalterfahrungen auf der Flucht eine Rolle.
Dennoch ist
unbestreitbar: Syrer haben einen überproportionalen Anteil am Anstieg
der Gewaltkriminalität in den vergangenen Jahren. Ende 2024 wies das
Bundesinnenministerium in einer Antwort auf
eine Anfrage aus der AfD-Bundestagsfraktion darauf hin, dass 2023 von
44 kriminellen Gruppierungen im Zusammenhang mit Clan-Kriminalität
sieben „syrisch dominiert“ gewesen seien.
Bei vielen breit diskutierten Gewalttaten der vergangenen Jahre im öffentlichen Raum waren die Täter Syrer. Issa Al Hassan
etwa, der im August 2024 auf einem Stadtfest in Solingen drei Menschen
erstach, lebte zum Zeitpunkt der Tat in einer Asylunterkunft unweit des
Tatorts. Anfang Mai 2025 verurteilte das Landgericht Bielefeld Mwafak A.
wegen versuchten Totschlags, Diebstahls und gefährlicher
Körperverletzung zu neun Jahren Haft. Der junge Syrer hatte am Rande
einer Abiturfeier in Bad Oeynhausen sein Opfer Philipos Tsanis so brutal
verprügelt, dass dieser an Kopfverletzungen starb.
Auch unter dem Eindruck einer tödlichen Messerattacke eines Syrers in einer Berliner U-Bahn-Station Anfang April 2025 führte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) ein Messerverbot im Nahverkehr ein.
Experte warnt vor ähnlichem Muster wie bei Libanesen
Nicht
nur Nordrhein-Westfalen blickt genauer auf sich verfestigende syrische
Kriminalitätsstrukturen: Im aktuellen Lagebild der Berliner Polizei zu
Clan-Kriminalität wird die Zahl an syrischen Clan-Kriminellen mit rund
15 Personen angegeben. Eine niedrige Zahl im Vergleich zu den
traditionellen arabischstämmigen Strukturen. Allerdings gehen die
Sicherheitsbehörden bei dem noch jungen Phänomen von einer höheren
Dunkelziffer aus. Ermittler berichten, dass Syrer gerade in
Berlin-Neukölln im Bereich der organisierten Kriminalität zunehmend
Platz beanspruchen.
In Nordrhein-Westfalen hat sich die Anzahl der syrischen Tatverdächtigen
bei der Clan-Kriminalität in den vergangenen Jahren stetig erhöht. Das
geht aus den jährlichen Lagebildern des Landeskriminalamtes NRW hervor. 2018
hieß es darin: „Die kriminellen Angehörigen türkisch-arabischstämmiger
Familienverbände sehen sich in den letzten Monaten einem
Verdrängungswettbewerb um kriminelle Märkte ausgesetzt, der durch
Personen mit Herkunft aus Syrien bzw. dem Irak forciert scheint. Diese
konkurrierenden Gruppierungen werden – auch vor dem Hintergrund
teilweise aktueller Kriegserfahrungen – im Milieu als besonders
durchsetzungsstark und gewalttätig wahrgenommen.“
019 war es 418 Tatverdächtige mit syrischem Pass, die an vierte
Stelle hinter deutschen, libanesischen und türkischen Staatsangehörigen
rangierten. 2023 nahmen 770 syrische Tatverdächtige den zweiten Platz
ein, hinter den Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit.
Die
Polizei von Essen, das seit Langem zu den mit Clan-Kriminalität am
stärksten belasteten Kommunen bundesweit gehört, hat vor Jahren das
Kriminalkommissariat 36 zur Bekämpfung von Clankriminalität mit einer
Besonderen Aufbauorganisation „Aktionsplan Clan“ eingerichtet. 2022 hat
man sich dort zu einem zusätzlichen Schwerpunkt mit Syrien-Bezug
entschlossen, um „die von Syrern begangene Kriminalität, insbesondere
mit Bezügen zur Clankriminalität, nun ebenfalls strategisch zu
bekämpfen“. Essens Polizeipräsident Andreas Stüve betonte damals, man
wollen „nicht warten, bis sich kriminelle Strukturen verfestigen und von
den nächsten Generationen übernommen werden“.
In einer Anhörung im Innenausschuss des Landtags NRW im Oktober 2024
äußerten sich Experten zum damaligen Stand der Clan-Entwicklung in der
syrischen Community und warnten davor, ähnliche Nachlässigkeiten wie vor
Jahrzehnten zu begehen. Mahmoud Jaraba vom Forschungszentrum für Islam
und Recht in Europa in Erlangen sagte damals: „Wenn ich die Situation
2015 mit der Situation in diesen Tagen vergleiche, ist es mit diesen
großfamiliären Strukturen viel schlimmer geworden. Wir haben das Problem
jetzt nicht nur in Nordrhein-Westfalen und Berlin. Wir sehen die
gleichen Probleme in Stuttgart, Hannover und in verschiedenen anderen
Städten in Deutschland.“
In den vergangenen Jahren hätten „sich viel mehr Familienstrukturen mit
dieser Clan-Mentalität hier in NRW gegründet oder etabliert. Eine dieser
Clan-Strukturen ist stark mit kriminellen Handlungen aktiv.“ Man könne
nicht sagen, ob diese familiäre Struktur überall bestehe, weil Daten
fehlten. „Aber wir wissen, es gibt jetzt viel mehr Clan- oder familiäre
Strukturen hier in NRW, und sie etablieren sich langsam.“
araba betonte, es handele sich nur um eine Minderheit der Syrer. „Wir
müssen diese Minderheit verstehen und mit allen Möglichkeiten, auch mit
Abschiebung, bekämpfen.“ Es könne nicht sein, „dass wir bis heute nicht
aus unseren Fehlern aus den 80er-Jahren gelernt haben“, so Jaraba.
Damals habe es ein „Problem mit einer kleineren Gruppe innerhalb dieser
sogenannten libanesischen Clans“ gegeben. „Sie haben ihre Macht und die
kriminelle Struktur innerhalb einer größeren Community ausgebaut.“ Die
Gefahr bei den Syrern sei eine ähnliche Entwicklung in den kommenden
Jahren. „In diesem Fall ist die Bekämpfung dieses Phänomens extrem schwierig und fast unmöglich.“
Die Ergebnisse des Auswertungsprojektes „Euphrat“ sind bei aller
Differenzierung kein Grund zur Entwarnung. Mit Blick auf
Clan-Kriminalität und organisierte Kriminalität bestehe „zumindest die
Gefahr, dass sich perspektivisch entsprechende Strukturen ausbilden“,
heißt es darin. Angesichts der sehr jungen Altersstruktur unter Syrern
bestehe eine „erhöhte Gefahr der Ausprägung dieser ,kriminellen
Karrieren‘“, lautet eine Schlussfolgerung. „Diese können erfahrungsgemäß
auch in organisierter Kriminalität münden, sei es innerhalb der
Strukturen der Clan-Kriminalität oder innerhalb anderer
Tätergruppierungen.“
Kristian Frigelj berichtet für WELT über bundes- und landespolitische Themen, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
Korrespondent Philipp Woldin kümmert sich bei WELT vor allem um Themen der inneren Sicherheit und berichtet aus den Gerichtssälen der Republik. Im September ist im Verlag C.H. Beck sein Buch „Neue Deutsche Gewalt. Wie unsicher unser Land wirklich ist“ erschienen, das er gemeinsam mit WELT-Investigativreporter Alexander Dinger geschrieben hat.

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