07 November 2025

Minderheitsregierung jetzt - Warum Brandmauern nicht helfen (Focus-Briefing)

Debatte zum FOCUS Briefing "Die Brandmauer braucht eine Tür"
FOCUS Briefing

Die Brandmauer muss weg! „Sie nützt vor allem der AfD“
Das Unions-Credo einer totalen Abgrenzung zur AfD hat sie nur noch größer gemacht. Allmählich kristallisieren sich neue Konzepte heraus und eine Art dritter Weg. Ansonsten drohen ein Teufelskreis und Selbstverzwergung.
In diesem Kommentar kommen drei kluge Köpfe vor, zwei große Fragen und eine Antwort, die vielleicht alles löst. Es geht um „Brandmauern“ und künftige deutsche Regierungen. Neugierig geworden? Dann sollten wir anfangen. Sie haben ja auch nicht ewig Zeit.
Die beiden Fragen lauten: Wie geht’s weiter mit der AfD? Und wie geht’s weiter mit der schwarz-roten Koalition, die manche Beobachter in ihrer Zerstrittenheit ja schon nach einem halben Jahr an die Spätphase der Ampel erinnert? „Wir werden nicht gemeinsam mit denen sterben“, soll CDU-Fraktionschef Jens Spahn unionsintern jüngst über den Koalitionspartner SPD geschimpft haben.
Rituell-moralische Abgrenzung bringt nichts
Der Ton ist rau geworden. Aber mit wem will Spahn sonst sterben – oder gar leben lernen, wenn nicht mit der SPD? Hier kommt der Historiker Andreas Rödder ins Spiel, der bis 2023 eineinhalb Jahre lang die Grundwertekommission der CDU geleitet hat. Der Mann hat also die Seele der Partei kartografiert und sagt nun: Seit die Christdemokraten ihre Brandmauer kultivieren, ist die AfD dahinter immer größer geworden.
Rödders Fazit: Schluss mit der rituell-moralischen Abgrenzung zur AfD, die der Wähler oft eh nicht versteht! Rote Linien seien okay. Doch um herauszufinden, wie rechts die AfD überhaupt ist (von den echten Extremisten abgesehen), müsse man mehr mit ihr reden.
Und sei es, um ihre Fiktionen zu zerstören, sie allein sei im Besitz der einzigen Wahrheit. Selbst die schönsten Sprechblasen zerplatzen ja meist an der scharfkantigen Wirklichkeit des politischen Tagesgeschäfts. Und dass die AfD davon bislang ferngehalten wird, hilft ihr verrückterweise am meisten.
Soll man Rechtsextreme in die Pflicht nehmen?„Es ginge darum, diese Leute in die Pflicht zu nehmen“, erkannte gestern auch der Kulturjournalist Claudius Seidl in einem Essay, das für „SZ“-Verhältnisse geradezu verständnisvoll mit Rödder umging. Zwar fand sich kein einziger klarer Satz der Sorte „Die (Brand-)Mauer muss weg!“. Aber womöglich sei es wirklich an der Zeit, „dass die Konservativen die Rechtsextremen in die Verantwortung nehmen“.

So wie’s ist, kann es jedenfalls nicht bleiben, befand schließlich vor wenigen Tagen der Siegener Politologe Philip Manow in einem Gastbeitrag für den „Stern“. Die Brandmauer provoziere nur Probleme: Den erodierenden Etablierten fällt die Bildung von Regierungsmehrheiten immer schwerer. Das verpflichtet sie zu programmatischer Selbstverleugnung, was wiederum zu Koalitionskrächen führt und die AfD als vermeintlich einzige Antwort prompt noch stärker macht.

Nächste Ausfahrt Selbstverzwergung?

Kurz: Je höher die Mauer, umso ungestörter blühen dahinter die Extreme. Manow bilanziert: „Die Brandmauer nützt vor allem der AfD.“

Ein Teufelskreis, denn während der einen Seite anstrengungsfrei die Wählerstimmen in den Schoß fallen, strampeln sich die anderen geradezu in die eigene Selbstverzwergung. Manows Idee: ein dritter Weg zwischen Brandmauer und Gekuschel mit der AfD. Warum nicht doch mal eine Minderheitsregierung versuchen, die sich ihre Mehrheiten stets neu sucht? Mal links, mal rechts, mal mitten durch?

Das wäre ehrlicher, transparenter und natürlich auch mühsamer, vor allem wenn es um langfristige Ziele ginge. Und klar könnte die Schwäche so einer Minderheitsregierung sie auch erpressbar machen. Aber obwohl die deutsche Demokratie über 70 Jahre lang eine Art politische Monogamie vorgelebt hat – Pflicht ist derlei nicht.

Minderheitsregierungen können klappen

In Skandinavien etwa sind Minderheitsregierungen geradezu Alltag. Oft schaffen flexible Allianzen erst die Kraft zu beherzter Modernisierung. Auch Kanada, Spanien und andere Länder haben das Werkzeug schon genutzt. Soweit ich das beurteilen kann, ist keines dieser Länder daraufhin dem Faschismus anheimgefallen.

Zumindest die Diskussion darüber sollte man auch in der Bundesrepublik mal eröffnen dürfen. Lebendiger als eine tote Mauer wäre das allemal.

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