20 November 2025

Der andere Blick Deutschland lernt nichts dazu: Die Verschiebung von Stuttgart 21 ist ein Symbol für das Versagen bei Grossprojekten (NZZ)

Deutschland droht zum Gespött der Welt zu werden
Der andere Blick

Deutschland lernt nichts dazu: Die Verschiebung von Stuttgart 21 ist ein Symbol für das Versagen bei Grossprojekten (NZZ)
Es ist unsicher, wann der unterirdische Bahnhof eröffnet wird. Deutschland macht sich zum Gespött. Die Schweiz zeigt, wie es besser gehen kann.
Wieder einmal wurde die Eröffnung des Superbahnhofs Stuttgart 21 verschoben, und man kann es nur noch achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Die jahrelangen Verzögerungen sind längst zur Gewohnheit geworden, ebenso wie die Kostenexplosion, die Bürgerproteste, die Gerichtsverfahren gegen Subunternehmer und einiges mehr. Mittlerweile wäre die Fertigstellung des Bahnhofs eine Sensation.
Doch das Prestigeprojekt der Bahn in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ist das grösste Milliardengrab des Landes. Stuttgart 21 ist zu einem Symbol für das Versagen der öffentlichen Hand bei Grossprojekten geworden, ein Mahnmal gescheiterter Bahnpolitik. Für die Mehrkosten von rund 6 Milliarden Euro muss der Steuerzahler aufkommen.
Wie konnte es so weit kommen? Experten sehen eine ganze Reihe von Fehlern im System. Bei Ausschreibungen würden die Kosten kleingerechnet. Niedrige Baukosten lassen sich für Politiker, egal ob Bürgermeister oder Ministerpräsident, besser rechtfertigen. Doch alle wissen: Die Kostenrechnungen sind von Anfang an Makulatur.
Dann schlägt die Bürokratie zu. Auf den Bauherrn kommt in Deutschland ein Wust von Vorschriften und langen Genehmigungsverfahren zu, verteilt auf verschiedene Behörden.
Politische Einflussnahme verzögert Bauvorhaben

Cicero im Dezember - Neue Stadtbilder

Cicero im Dezember
-
Neue Stadtbilder
Unser Stadtbild hat sich radikal verändert. Das sieht ein jeder, der die Realität nüchtern betrachtet. Unkontrollierte Migration ist eine Ursache, aber nicht die einzige. Für unsere Dezember-Ausgabe haben wir uns in ganz Deutschland umgesehen.
VON ALEXANDER MARGUIER am 20. November 2025 3 min
Von unserer Wohnung in Berlin-Charlottenburg aus sind es fünf Gehminuten bis zur Wilmersdorfer Straße. Der Abschnitt, von dem ich rede, ist eine klassische deutsche Fußgängerzone mit den üblichen Filialen und kleineren Geschäften. Besser gesagt: So war es bis vor ein paar Jahren. Inzwischen hat hier der große Galeria-Kaufhof dichtgemacht, nachdem mehrere Rettungsversuche gescheitert waren. Zwei Gebäude weiter ebenfalls Leerstand, das vormals gut besuchte Backshop mit Kaffeeausschank konnte sich nicht halten. Graffitis machen sich an der Fassade breit. Es geht erkennbar abwärts in meinem Kiez.Vor kurzem wollte ich früh morgens in mein Fitnessstudio, das ebenfalls an der „Wilmi“ liegt, wie die Straße immer noch in liebevoller Vertrautheit von vielen genannt wird. Vor dem Eingang wurde ich begrüßt von einem offenbar osteuropäischen Obdachlosen, der mit weit aufgerissenen Augen schreiend auf mich zugestolpert kam, während er einen Stock schwang.

Dass Friedrich Merz mit seinem „Stadtbild“-Statement eine Debatte lostreten wollte, kann ausgeschlossen werden. Denn sonst hätte er diese Debatte geführt, er hätte Impulse gegeben und Ideen ventiliert. Nichts davon geschah, der Kanzler blieb praktisch stumm und schaltete auf Durchzug. Dass dennoch das halbe Land seither über Stadtbilder spricht, hat einen guten Grund. Denn jeder merkt, wie sich seine Nachbarschaft verwandelt – und zwar selten zum Guten. Diese ästhetische Veränderung ist einerseits das Ergebnis von unkontrollierter Massenzuwanderung; Merz selbst brachte das „Stadtbild“ ja unmittelbar mit Migration in Verbindung. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Tatsächlich geht es auch um ökonomische Faktoren, etwa den seit Corona beschleunigt verödenden Einzelhandel. Und selbstverständlich muss die „Stadtbild“-Diskussion geführt werden vor dem Hintergrund desolater Kommunalhaushalte, wo inzwischen der Großteil der Ausgaben für Sozialleistungen draufgeht. Fehlende Finanzmittel in Städten und Gemeinden machen sich eben bemerkbar, sie bilden sich im Wortsinn für alle wahrnehmbar im öffentlichen Raum ab.
Wir wollten das Thema deshalb weiter fassen und haben uns in ganz Deutschland auf die Suche nach den Ursachen der Malaise begeben. Fündig wird man leider überall. Aber das ist kein unaufhaltsamer Prozess. Der Niedergang ließe sich aufhalten und sogar rückgängig machen. Man muss es allerdings wollen. Es ist eine Generationenaufgabe. Mit ein paar unbedachten Kanzlerworten ist da nichts gewonnen.

Deutschlands Stadtbild - Chroniken des Niedergangs (Cicero)

Deutschlands Stadtbild -
Chroniken des Niedergangs Cicero)
Die Menschen Deutschland erleben einen scheinbar unaufhaltsamen Verfall ihrer Lebensräume. Das Virus der Verwahrlosung ist ansteckend. Und es führt zu einem Leiden, welches immer mehr Bürger befällt – nämlich zur langsamen Entfremdung von ihrer Heimat.
VON CARSTEN KORFMACHER, FERDINAND KNAUSS UND BEN KRISCHKE am 20. November 2025 21 min
Stadtbild. Das ist das, was Sie sehen, wenn Sie vor die Tür gehen. Und wenn Sie heutzutage einen Spaziergang durch Ihre Innenstadt machen, dann wird sich Ihnen ein anderes Stadtbild offenbaren als noch vor 20 Jahren. Dieser Aussage werden wohl die meisten Menschen hierzulande zustimmen. Strittig mag sein, was genau diese Unterschiede ausmacht und wie sie zu bewerten sind. Doch die Tatsache, dass der öffentliche Raum heute anders aussieht als früher, ist unstrittig.
Problematisch wird es erst, wenn Sie artikulieren sollen, was genau sich verändert hat. Denn nicht nur Ihre Meinung, sondern auch Ihre direkte Wahrnehmung ist mittlerweile zu einem Politikum geworden. Teile der Gesellschaft wenden die politische Waffe der Moralisierung nämlich nicht mehr bloß auf den Sprechakt an, sondern beginnen früher, auf der Ebene der Kog­nition. Sie nötigen Sie dazu, an Ihrer Urteilsbildung auf Basis Ihrer direkten Wahrnehmung zu zweifeln. Sie sollen sich selbst verbieten, negativ auf die Dinge zu reagieren, die Sie sehen, an den Bahnhöfen, auf den Straßen und an den öffentlichen Plätzen der Republik. Das ist niederträchtig. Mehr noch: Es ist ein zutiefst autoritärer Akt.
Bundeskanzler Merz macht den Anfang
Meinungen zum Stadtbild schwingen seit Jahren im Lebensgefühl der Menschen im Land mit, zu einer größeren öffentlichen Diskussion ist es aber erst nach einer Aussage des Bundeskanzlers gekommen. „Wir“, sagte Friedrich Merz, und meinte damit vermutlich alle Menschen, die in Deutschland leben, haben „immer im Stadtbild noch dieses Problem.“ Und deswegen müssten jetzt „in sehr großem Umfang“ Abschiebungen durchgeführt werden. Obwohl diese Worte für sehr viel Unmut sorgten, werden sie doch von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt, laut ZDF-Politbarometer sogar von zwei Dritteln. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Menschen sehen, dass sich im Stadtbild etwas verändert hat. Und dieses Sichtbare, dieses für alle Menschen Erlebbare, löst bei vielen ein Unbehagen, etwas Befremdliches aus.

19 November 2025

„Schüler sagen, dass sie Bürgergeldempfänger werden“ (WELT+)

„Schüler sagen, dass sie Bürgergeldempfänger werden“ (WELT+)

Absolutes Desinteresse, Lese-Rechtschreib-Störungen, Vollverschleierung: Noch immer habe die Gesellschaft nicht im Blick, wie es tatsächlich im Unterricht an deutschen Schulen zugeht, sagt Realschullehrer Jonas Schreiber. Was im Sportunterricht geschieht, macht ihm besonders große Sorgen. Von Sebastian Beug, Redakteur Nachrichten & Gesellschaft, 19.11.2025, 11 Min
Jonas Schreiber wollte schon immer Lehrer werden – und seiner Leidenschaft für Fußball nachgehen. Seit fünf Jahren unterrichtet der 31-Jährige Wirtschaft, Betriebswirtschaftliches Rechnungswesen, IT und Sport an einer Realschule in München. In seiner Freizeit ist er Fußballtrainer. Nun hat er ein Buch geschrieben, indem er über seinen Alltag als junger Lehrer berichtet.
WELT: Herr Schreiber, warum haben Sie ein Buch mit dem Titel „Realtalk Lehreralltag“ geschrieben?
Jonas Schreiber: Ich mache meinen Job als Lehrer super gerne. Aber wenn es noch 40 Jahre so weiterläuft wie bisher, gehe ich daran kaputt. Deshalb will ich berichten, was eigentlich in unseren Schulen abgeht – und was für Schüler wir heranziehen.
WELT: Sie sagen, viele Schüler haben gar keine Lust, überhaupt zu lernen oder sich anzustrengen. Wie äußert sich das?
Schreiber: Sie sagen einem direkt ins Gesicht: Der Unterricht interessiert sie nicht, und sie hören eh nicht zu. Sie sind anwesend, mehr aber auch nicht. In einer meiner Wirtschaftsklassen steht eine Projektpräsentation an, bei der sie sich das Thema hätten aussuchen können. Einige Schüler haben vier Vorbereitungstermine verstreichen lassen und mir gesagt, sie holen sich lieber die Sechs ab.

Forsa-Analyse - „Hätte sie nur genügend Kompetenz“ – SPD verliert in Vierteljahrhundert rund 60 Prozent ihrer Wähler (WELT+)

Forsa-Analyse

„Hätte sie nur genügend Kompetenz“ – SPD verliert in Vierteljahrhundert rund 60 Prozent ihrer Wähler (WELT+)
Die aktuelle Forsa-Umfrage zeigt die steigende Unzufriedenheit mit Kanzler Merz. Die SPD kann davon aber nicht profitieren. Insgesamt hat sie im letzten Vierteljahrhundert bundesweit schon 60 Prozent ihrer Wähler verloren.
Von Cornelia Hendrich, Redakteurin, 19.11.2025, 3 Min
Trotz wachsender Unzufriedenheit mit Bundeskanzler Friedrich Merz kann die SPD aus der Schwäche des Regierungschefs keinen Nutzen ziehen. Laut der aktuellen Forsa-Umfrage liegen die Sozialdemokraten mit 14 Prozent weiterhin unter der
15-Prozent-Marke, das entspricht bei einem derzeitigen Nichtwähleranteil von 25 Prozent nur etwa 10,5 Prozent aller Wahlberechtigten. Wäre am Sonntag Bundestagswahl, wäre das mit Abstand der geringste Anteil, den die SPD bei einer Bundestagswahl seit 1945 und auch bei den Reichstagswahlen in der Weimarer Republik erreichen würde.
Seit mehr als zwei Monaten ist die AfD im RTL/Ntv-Trendbarometer stärkste politische Partei mit 26 Prozent vor der Union und weit vor der zurzeit mitregierenden SPD. Im aktuellen Trendbarometer verbessert sich die Union um einen Punkt auf 25 Prozent, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) rutscht nach der Rückzugsankündigung seiner Gründerin unter die Drei-Prozent-Marke. Die Grünen liegen bei 12 Prozent, die Linken bei 11. Schwarz-Rot hätte mit 39 Prozent keine Mehrheit.

Rentenstreit eskaliert „Davor wird die SPD Angst haben, weil sie dann nichts mehr zu sagen hat“, urteilt Sinn bei Lanz (WELT+)

Minderheitsregierung?
„Dann fällt die Brandmauer sofort. Und davor wird die SPD Angst haben, weil sie dann ja gar nichts mehr zu sagen hat mit ihren 13 Prozent.“
Rentenstreit eskaliert
„Davor wird die SPD Angst haben, weil sie dann nichts mehr zu sagen hat“, urteilt Sinn bei Lanz (WELT+)
Die Debatte bei Markus Lanz über das geplante Renten-Paket zeigte erneut, wie tief der Riss in der Koalition geht. Ökonom Hans-Werner Sinn stärkte der Jungen Union den Rücken – und gab eine Prognose ab, was nun passieren werde.
19.11.2025, 4 Min

Es ist ein Satz, der Deutschland nicht nur rund 120 Milliarden Euro kosten könnte, sondern auch eventuell seine schwarz-rote Regierung. „Auch nach 2031 liegt das Rentenniveau um rund einen Prozentpunkt höher als im geltenden Recht“, heißt es im Gesetzesentwurf zur geplanten Rentenreform. Wie tief der Riss zwischen den Koalitionspartnern in der Debatte wirklich geht, zeigte sich erneut in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ – und in der Frage, wer am Ende die Rechnung wirklich bezahlen muss.
„Die Jungen haben diese Schulden an der Backe“, sagte Ökonom Hans-Werner Sinn und stellte sich dabei erneut klar an die Seite der Jungen Union, die den Gesetzentwurf ablehnt, den Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) vorgelegt hat. Zudem warnte Sinn davor, die Diskussion zu verzerren, denn von Rentenkürzungen, wie dies oft dargestellt werde, könne überhaupt keine Rede sein: „Keiner redet davon, dass die Renten als solche fallen sollen, sondern nur in Relation zu den Löhnen“, sagte Sinn und mahnte zur korrekten Semantik. „Das ist ein Missbrauch des Wortes Rentenkürzungen. Denn wenn das Rentenniveau konstant ist oder auch leicht fällt, dann fallen die Renten noch lange nicht.“
Sinn beschrieb stattdessen das, was die Politiker ohnehin schon seit Jahren wissen: Das deutsche Rentensystem ist grundsätzlich überfordert. „Es gibt kein Konto“, auf das jeder einzahle und das Geld dann später abrufen könne, erklärte er. Vielmehr lebe das Umlagesystem „von der Hand in den Mund“. Die Babyboomer-Generation habe „zu wenige Kinder bekommen und macht jetzt Schulden, um für sich selbst die Konsequenzen zu vermeiden“. So entstehe eine Schieflage zwischen den Generationen: Die Jungen – die zum Teil noch gar nicht geboren seien – würden dabei übermäßig belastet. Sein Ausweg: länger arbeiten statt neue Schulden machen. „Zehn Monate länger arbeiten – das wäre der sozialverträglichste Weg“, sagte Sinn.

Der andere Blick Die SPD verharrt in der Scholz-Starre: Die Unbeweglichkeit im Rentenstreit ist anmassend (NZZ)

Der andere Blick

Die SPD verharrt in der Scholz-Starre: Die Unbeweglichkeit im Rentenstreit ist anmassend (NZZ)
Von Susann Kreutzmann, 19.11.2025, 3 Min
SPD-Chef Lars Klingbeil schliesst Kompromisse im Streit über das Rentenpaket aus. Damit untergräbt er die Arbeit des Parlaments und schadet dem Land.
Die Abgeordneten haben das letzte Wort. Das sind nicht nur die Spielregeln, sondern die Grundfesten einer parlamentarischen Demokratie. Es ist die ureigenste Aufgabe des Parlaments, Gesetze zu beschliessen, zu verändern oder zu verwerfen. Das gilt auch für das Rentenpaket, an dem die Sozialdemokraten im Bundestag so starrsinnig festhalten.
Umso befremdlicher ist die Basta-Ansage des SPD-Chefs Lars Klingbeil. «Am Gesetz wird nichts verändert», sagte er und gab damit schon am Wochenende die Linie vor. Damit erteilte Klingbeil jeglicher Kompromisslösung von vornherein eine Absage und machte dadurch den Bundestag zu einem Abnickverein. Das ist anmassend.
Mit ihrer Sturheit schaden die Sozialdemokraten sich selbst, aber zuallererst dem Land. Sollte die Rentenreform im Bundestag scheitern, wäre auch die Koalition aus Union und SPD erschüttert.
Es wäre das endgültige Eingeständnis, dass Schwarz-Rot, angetreten als ein Bündnis der Mitte, nicht zu Reformen im Sinne des Landes und der Menschen in der Lage ist.
Zustimmung für Schwarz-Rot schwindet
Die Unbeweglichkeit im Rentenstreit ist den Wählern kaum vermittelbar. Denn es geht hier nicht um ökonomische Vernunft, sondern um Symbolpolitik. Im Gegenzug für eine härtere Migrationspolitik, eine berechtigte Forderung der Union, haben die Sozialdemokraten Zugeständnisse bei der Rente verlangt.

The Pioneer - Schwarz-Rot: Angst vor dem Regierungsbruch

1930 lässt grüßen...
Business Class Edition
Schwarz-Rot: Angst vor dem Regierungsbruch
Gabor Steingart, 19.11.2025
Guten Morgen,
die politische Lage im Reichstag ist mittlerweile explosionsgefährdet. Der Kanzler, der in seiner ersten Regierungserklärung noch zum „Dienst für Demokratie und Republik“ aufgerufen hatte, weiß nicht, ob sich die unterschiedlichen Teile seiner Koalition noch zu einem Kompromiss zusammenfügen lassen.
Fest steht: Die verschiedenen Vorfestlegungen der Parteien stehen wie ein Sperrgürtel vor ihm. Die Gesichter der Minister sind versteinert. Ihre Positionen betoniert. Kein Entgegenkommen, nirgends.
Die Sozialdemokraten wollen auf keinen Fall, dass die Wähler von den leeren Kassen der Sozialversicherung erfahren. Nicht jetzt. Nicht später. Lieber sollen die Beiträge noch mal um einen halben Prozentpunkt erhöht werden, bevor die giftige Schlagzeile von der „Kürzung von Sozialleistungen“ in die mediale Umlaufbahn gerät. Man will den Rechten nicht noch das Streichholz liefern, mit dem sich das Gebäude der Demokratie anzünden ließe.
Die Konservativen würden die Gelegenheit gerne nutzen, die ohnehin fälligen Kürzungen beim Sozialstaat vorzunehmen. Wann, wenn nicht jetzt? Die finanziellen Mittel werden auch in Zukunft nicht reichen, die dem Wähler gemachten Versprechungen zu erfüllen. Man träumt von einer Stunde der Wahrheit, sehnt sich nach tabula rasa.
Beide Koalitionspartner werden flankiert von mächtigen Lobbygruppen, die ihren Entscheidungsspielraum weiter einengen. Die Gewerkschaften verlangen Solidarität statt Sozialabbau. Die Unternehmer und ihre Verbände halten jede Erhöhung der Sozialbeiträge und damit der Lohnnebenkosten in dieser ökonomischen Lage für selbstmörderisch.
Der Chef der Notenbank hatte eben erst das Finanzgebaren der gesamten Regierung als unseriös bezeichnet. Recht hatte er. Aber im Angesicht der Öffentlichkeit ist damit ein weiterer Reputationsschaden für die demokratische Mitte verbunden.
Der Streit um die Zukunft der Sozialversicherung gewinnt seine Dramatik nicht allein aus der Sache, sondern vor dem Hintergrund einer sich verdüsternden Lage: Die Wirtschaft krümmt sich vor Schmerzen, als habe man ihr einen Schlag in die Magengrube verpasst. In den Betrieben werden Kündigungen wie am Fließband ausgefertigt und die öffentliche Kasse ist wie leergefegt.
Die Autorität des Kanzlers erlischt ausgerechnet in dieser Situation. Die Frankfurter Zeitung spricht von einem „schwarzen Tag …, doppelt unheilvoll, weil der Gegenstand des Streits mit seiner Kleinheit in einem so grotesken Missverhältnis zu den verhängnisvollen Folgen steht, die daraus erwachsen können“. Der sozialdemokratische Finanzminister wird später sagen, es war falsch, „aus Angst vor dem Tode Selbstmord zu begehen“.
Das war die Lage, als die Große Koalition am 27. März 1930 unter SPD-Reichskanzler Hermann Müller zerbrach. Es war die letzte Regierung der Weimarer Republik, die sich auf eine demokratische Mehrheit stützen konnte. Die von der SPD geführte Koalition besaß eine satte Mehrheit, verfügte über 300 von 450 Sitzen. Man hätte regieren können – ohne Nazis, ohne Hitler, ohne Geschrei und ohne Neuwahlen, einfach nur regieren, wie es in der Sache geboten war.
Aber man schmiss die Macht weg – und startete das größte Naziförderprogramm aller Zeiten. Die NSDAP verzehnfachte bei der nächsten Reichstagswahl ihre Sitzzahl. Danach übernahm Reichspräsident Hindenburg mit seinen Präsidialkabinetten und Notverordnungen das Kommando.
Der Historiker Prof. Hans Mommsen wird später „von der verspielten Freiheit“ sprechen. FAZ-Herausgeber Joachim Fest urteilte nicht weniger streng:
"Die Demokratie blieb formal bestehen, aber der demokratische Kern war bedeutungslos geworden."
Fazit: Ihre Lehren aus diesem tragischen Schlussakkord der Weimarer Republik müssen Friedrich Merz, Lars Klingbeil und das heutige Kabinett schon selber ziehen. Aber der spanisch-amerikanische Philosoph George Santayana weist allen, die jetzt zündeln wollen, den Weg: „Wer aus der Geschichte nicht lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“

18 November 2025

Der andere Blick - Der aktuelle Rentenstreit lässt das eigentliche Problem ausser acht: Ein Systemwechsel ist dringend notwendig (NZZ=

Der andere Blick
Der aktuelle Rentenstreit lässt das eigentliche Problem ausser acht: Ein Systemwechsel ist dringend notwendig (NZZ)
Statt Flickschusterei an einem maroden System zu betreiben, sollte die Koalition die Chance auf eine echte Rentenreform ergreifen. Es geht längst um mehr als Generationengerechtigkeit. Es geht um den Wirtschaftsstandort Deutschland.
von Susann Kreutzmann 18.11.2025, 4Min
Der Wirtschaftsweise Martin Werding hat der derzeitigen Regierung ein vernichtendes Zeugnis im Rentenstreit ausgestellt. Dieser sei «kein seriöser Umgang mit dem Alterungsprozess» und dem, was noch auf die Deutschen zukomme, sagte er kürzlich. Das ist keine Übertreibung.
Die Debatte über eine Festschreibung des Rentenniveaus lässt das wirkliche Problem ausser acht. Es geht um Flickschusterei an einem völlig überholten und kaputten Rentensystem.
Solange nicht wirklich eine tiefgreifende Reform angegangen wird, muss die Rentenkasse jedes Jahr mit dreistelligen Milliardenbeträgen gestützt werden – zugleich steigen die Beiträge immer weiter. Volkswirtschaftlich ist das ein Ritt auf der Rasierklinge, der nicht gutgehen kann.
Die Abgeordneten der Jungen Union haben durchaus recht, wenn sie auf eine Zusatzbelastung von etwa 120 Milliarden Euro ab dem Jahr 2031 verweisen und deshalb den von der sozialdemokratischen Arbeitsministerin Bärbel Bas vorgelegten Gesetzentwurf ablehnen. Für sie ist vor allem die Frage offen, ab welchem Ausgangsniveau die Rente nach diesem Stichtag berechnet wird.
Doch es ist völlig unerheblich, wann welche Sicherungslinien eingebaut werden. Beim jetzigen Rentensystem zieht immer eine Gruppe den Kürzeren: die jüngeren Einzahler. Das System ist nicht nur finanziell unhaltbar, es ist auch komplett ungerecht geworden.
Das Umlageverfahren funktioniert nicht mehr

The Pioneer - „Minderheitsregierungen sind die Zukunft“

The Pioneer „Hauptstadt – Das Briefing“
„Minderheitsregierungen sind die Zukunft“
Guten Morgen,
auffällig deutlich weisen die Spitzen von CDU und CSU dieser Tage die Option einer Minderheitsregierung zurück. Söder sagt nein, Merz sagt nein – und trotzdem geht die Debatte weiter. Mein Name ist Jonathan Packroff am 18.11.2025
Richterwahl, Stadtbild, aktuell die Rente: Die schwarz-rote Koalition stolpert von einem Streit zum nächsten. In der Union sehnen sich manche nach einem „Plan B“.
Die Idee einer Minderheitsregierung geistert im Regierungsviertel herum – spätestens seit Jens Spahn in einer internen Runde vor zwei Wochen in Richtung SPD gesagt haben soll
"Wir werden nicht gemeinsam mit denen sterben."
Kanzler Friedrich Merz versuchte gestern, die Diskussion einzufangen. Auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel sagte er:
"Glaubt jemand ernsthaft, wir könnten in diesem Bundestag mit wechselnden Mehrheiten arbeiten und dann noch vernünftige Gesetzgebung machen?"
Ja, das glauben manche: CDU-Mitglied und Wirtschaftslobbyist Thorsten Alsleben sagt meinem Kollegen Nils Heisterhagen
"Entweder die SPD bekommt die Kurve oder die Union muss ohne die SPD weitermachen."
Eine Minderheitsregierung könne „auch ohne Zusammenarbeit mit der AfD erfolgreich sein“, sagt Alsleben.
Kann eine Minderheitsregierung also funktionieren?

Der andere Blick - BSW hat recht. Ohne das Vertrauen der Bürger stirbt die Demokratie: Die Bundestagswahl sollte neu ausgezählt werden (NZZ)

"Ich halte es für völlig unwichtig wer abstimmt und für wen. Äußerst wichtig hingegen ist, wer die Stimmen auszählt und wie." Josef Stalin
Der andere Blick
Das BSW hat recht.
Die Bundestagswahl sollte neu ausgezählt werden (NZZ)
Das Bündnis Sahra Wagenknecht zweifelt das Wahlergebnis an und will mit Laternen vor das Parlament ziehen. Die Vertreter der anderen Parteien wären gut beraten, den Protest ernst zu nehmen.
von Marc Felix Serrao, 17.11.2025, 3 Min
Während der deutsche Kanzler mit seiner Partei um die Zukunft der Rente ringt und sein Stellvertreter von der SPD in China das harzige Verhältnis zum wichtigsten Handelspartner verbessern will, versammeln sich an diesem Montagabend ein paar Menschen mit Laternen vor dem Bundestag. Es ist ein Protest, der vermutlich keine Schlagzeilen machen wird. Dennoch wären die im Parlament vertretenen Parteien gut beraten, ihn ernst zu nehmen.
Mit seiner «Laternendemo» will das Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW, Druck auf den Wahlprüfungsausschuss des Bundestages ausüben. Das Gremium hat die Aufgabe, die Beschwerde des BSW gegen das jüngste Wahlergebnis zu überprüfen; der Partei fehlten im Februar nur 9529 oder 0,019 Prozent aller abgegebenen Stimmen zum Einzug ins Parlament. Doch der Ausschuss lässt sich Zeit. Seine Mitglieder sind seit Juni im Amt, die Beschwerde liegt schon seit April vor.
Nichts ist so wichtig wie der Wählerwille
Über das zähe Verfahren ist das BSW zu Recht verärgert. Nichts sollten Volksvertreter in einer Demokratie mit mehr Dringlichkeit behandeln als die Frage, ob der Wählerwille möglicherweise missachtet wurde. Schon der Verdacht ist heikel.
Dass es gute Gründe gäbe, die Wahl zu überprüfen, behauptet nicht nur die Wagenknecht-Partei selbst. Auch namhafte Juristen und Sozialwissenschafter unterstützen die Forderung. Die Politologen Uwe Wagschal und Eckhard Jesse etwa haben in einem Gastbeitrag für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» etliche «Ungereimtheiten» präsentiert.

17 November 2025

Deutsches Parteiensystem - Die Disruption muss kommen (Cicero)

Deutsches Parteiensystem
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Die Disruption muss kommen (Cicero)
Die Konstellation, in der Deutschland regiert wird, ist offenbar nicht in der Lage, die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Das liegt auch an der „Brandmauer“. Eine bürgerliche Sammlungsbewegung könnte die politische Sklerose beenden.
VON ALEXANDER MARGUIER am 16. November 2025 7 min
Das wahrscheinlich meistgebrauchte Argument in der CDU gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD lautet, die blaue „Alternative“ wolle die Christdemokraten „zerstören“. Weitgehend unbeantwortet bleibt in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, was genau mit „zerstören“ gemeint ist.
Dass die Rechtspartei mit der Union um Wählerzuspruch kämpft und damit sinnlogisch auch darum, den Stimmanteil der CDU zu minimieren, ist in einer Demokratie erst einmal völlig normal – und gilt auch für SPD, Grüne, die Linke und den ganzen Rest. So gesehen will umgekehrt ja ihrerseits die CDU die AfD „zerstören“: Kaum ein Parteifunktionär, der es nicht für geboten hält, einstige Wähler von dort ins eigene Lager zurückzuholen. Der Zerstörungswille scheint in formaler Hinsicht in Teilen der Christdemokratie sogar ausgeprägter zu sein als umgekehrt bei der Wettbewerberin von rechts, wenn etwa regelmäßig ein Verbotsverfahren ins Spiel gebracht wird. Aber sei’s drum.
Seltsame Zerstörungsrhetorik
Bei der Zerstörungsrhetorik geht es also offenbar um mehr als nur um die übliche politische Konkurrenz. Jedoch um was? Dass AfD-Trupps gedroht hätten, mit Planierraupen und Abriss-Birnen auf das Konrad-Adenauer-Haus vorzurücken, ist bisher jedenfalls nicht hinterlegt. Insofern dürfte es sich vielmehr um eine von der Weidel-Partei angestrebte generelle Marginalisierung der CDU auf inhaltlicher, kultureller oder gesellschaftlicher Ebene bis zur Unkenntlichkeit handeln.
Wer auf Unionsseite diese Gefahr beschwört, zeigt damit allerdings auch seine offene Flanke. Es wäre ein bisschen so wie mit den wiederkehrenden Warnungen vor einem aggressiven Putin-Russland: Die militärische Schwäche der Bundesrepublik könnte im Kreml ja in der Tat Expansionsphantasien befeuern. Aber dann hätte nicht zuletzt Deutschland selbst eben aus eigenem Verschulden auch Anlass dazu gegeben. Mit anderen Worten: Die CDU hat ihre potentiellen Zerstörer selbst auf den Plan gerufen, weil sie inhaltliche Lücken gelassen hat – von der Migrations- über die Ordnungspolitik bis hin zu Fragen der inneren Sicherheit.

The Pioneer - Führung: Löwe, Fuchs, Merz

Business Class Edition
Führung: Löwe, Fuchs, Merz
Gabor Steingart, 17.11.2025, 7 Min
Guten Morgen,
eine starke Führungskraft muss beides in sich vereinigen: den Fuchs und den Löwen, schrieb der italienische Theoretiker Machiavelli.
"Man muss also Fuchs sein, um die Schlingen zu wittern, und Löwe, um die Wölfe zu schrecken."
Wenn diese Definition vom Beginn des 16. Jahrhunderts weiter ihre Gültigkeit besitzt, dann steckt Friedrich Merz in Schwierigkeiten.
Erstens: Sein Koalitionspartner lässt sich von ihm nicht mehr erschrecken. Durch die Brandmauer lebt der Löwe Merz im Käfig seiner eigenen Festlegungen. Die SPD hält ihm gefahrlos die Stöckchen durch die Gitterstäbe.
Zweitens: Der Kanzler tut sich erkennbar schwer, die Fallen des Gegners zu erkennen. Und manche Fallen hat er sich sogar selbst aufgestellt. Zuweilen könnte man meinen, der alte Fuchs sei stumpf geworden, wie es in der Waidmannssprache der Jäger heißt.
Wir erinnern uns, wie Merz noch vor der Bundestagswahl mit der AfD zusammen den Beschluss zur Zurückweisung von Migranten an deutschen Grenzen fassen wollte. Dieses Manöver war auch deswegen nicht erfolgreich, weil die eigene Partei rebellierte, angeführt von der Altkanzlerin Angela Merkel. Der Fuchs stand als gerupftes Huhn da.
Bei der schließlich gescheiterten Berufung der Verfassungsrichterin Brosius-Gersdorf setzte sich der Eindruck fort, dass hier nicht mit der nötigen Raffinesse gearbeitet wird. In Verkennung der Stimmung im eigenen Lager hatte die Unions-Spitze der Ernennung zugestimmt – bis die Abtreibungsgegner in der Unionsfraktion dem Kanzler einen Strich durch die Rechnung machten. Der Fuchs musste den Stall verlassen, verkratzt, aber ohne Beute.
Als Merz mit seinem SPD-Finanzminister daran ging, die Schuldenbremse zu demontieren, hielt er das für besonders schlau. Endlich frisches Geld. Auf Kredit kann man schließlich alles kaufen, warum nicht auch den Aufschwung?
Doch in der bürgerlichen Öffentlichkeit war diese Kreditorgie kaum vermittelbar und der Aufschwung blieb auch aus. Man hätte es ahnen können: Private und staatliche Investitionen bewegen sich im Verhältnis von sechs zu eins. Wenn der Staat die privaten Investoren also nicht stimuliert, sondern womöglich mit seinem Geld verdrängt, hat er mit Zitronen gehandelt.
Und nun also die Sache mit der Rente, deren Steuerzuschuss in dreistelliger Milliardenhöhe steigen soll, obwohl das Geld gar nicht da ist. Das Rentenpaket folgt keiner ökonomischen Logik, wohl aber einer politischen. Die SPD möchte sich ein paar Wähler kaufen und Merz bietet mit.

16 November 2025

Neben der Spur Die Leute dürfen auch ohne Ihre Erlaubnis über Probleme sprechen, Herr Steinmeier! (WELT+)

Richard David Precht im Podcast mit Markus Lanz dazu: "Das kann man Kindergartenkindern erzählen"
Neben der Spur

Die Leute dürfen auch ohne Ihre Erlaubnis über Probleme sprechen, Herr Steinmeier! (WELT+)
Von Gnaden des Bundespräsidenten: Steinmeier erlaubt dem Volk, eklatante Missstände zu „besprechen“, und stellt ein AfD-Verbot in den Raum. Damit beweist er nur, wie wenig er und das restliche politische Establishment „unserer Demokratie“ von der Stimmung im Volk mitbekommen.
Von Harald Martenstein, Freier Kolumnist und Autor, 16.11.2025, 4 Minuten
Unser Bundespräsident hat kürzlich eine Rede gehalten. Der Bundespräsident soll, nach verbreiteter Ansicht, Repräsentant des ganzen Volkes sein, ein Ersatzkönig, der eher befriedet, als Konflikte zuzuspitzen.
Das hat Frank-Walter Steinmeier ja auch an der einen oder anderen Stelle versucht. Etwa, als er sagte, dass man nicht jede unliebsame Äußerung pauschal als rechtsextrem diskreditieren solle. Oder als er sagte: „Es ist gefährlich, wenn Themen wie Migration und Sicherheit nicht besprochen werden können, weil sofort der Rassismusvorwurf im Raum steht.“
Wie sich danach an den Reaktionen zeigte, sind viele Leute kein bisschen dankbar dafür, dass ihnen der Bundespräsident großzügig erlaubt, „Themen wie Migration und Sicherheit“ zu „besprechen“, die viele ohnehin eher ein „Problem“ nennen würden als ein Thema. Die Leute haben nämlich mal in der Schule gelernt, dass man in einer Demokratie sowieso über Probleme sprechen darf, egal ob mit oder ohne Erlaubnis des Präsidenten. Vor allem aber wollen die Leute – die meisten Leute, genau gesagt – gar nicht so sehr, dass sie Probleme „besprechen“ dürfen. Sie möchten, dass Probleme gelöst werden. Unter „Lösung“ verstehen die meisten Leute zum Beispiel, dass Migration ihre Stadt nicht in den Ruin treibt.
Wie wenig Steinmeier und seine Redenschreiber von der Stimmung in der Bevölkerung mitbekommen, zeigt auch ihre Verwendung der beliebten Phrase „unsere Demokratie“, die in den letzten Jahren zu einer Art Triggerwort geworden ist bei allen, die sich von den etablierten Parteien verabschiedet haben oder auf dem Weg dazu sind.
Denn „unsere Demokratie“ ist offenbar etwas völlig anderes als „die Demokratie“ ohne Possessivpronomen. Während „die Demokratie“ für alle da war und keine Unterschiede machte, scheint „unsere Demokratie“ vor allem für das Establishment und seine Hilfstruppen da zu sein, die sind mit dem „wir“ gemeint, auf das sich „unsere“ bezieht. Ihr, die Leute, seid nicht gemeint.
„Die“ Demokratie zeichnete sich unter anderem durch Gewaltenteilung aus und eine weit gehende Meinungsfreiheit. „Unliebsame“ Äußerungen waren in „der“ Demokratie Alltag und brauchen anders als in „unserer Demokratie“ keine Sondergenehmigung von ganz oben, es sei denn, jemand rief beispielsweise zur Gewalt auf.
Die wichtigste Eigenschaft „der“ Demokratie aber bestand darin, dass Regierungen abgelöst werden und die politische Richtung sich ändern konnte, wenn die Bevölkerung sich nicht mehr von ihren Repräsentanten repräsentiert fühlte. Für „unsere Demokratie“ scheint das nicht mehr zu gelten.
Ein paar Krümel Zuckerbrot – und die Peitsche

Der andere Blick - Keine Spur von einer Trump-Diktatur: Der amerikanischen Demokratie geht es prächtig (NZZ)

Der andere Blick -
Keine Spur von einer Trump-Diktatur: Der amerikanischen Demokratie geht es prächtig
In den USA geschehen Zeichen und Wunder: Die Demokraten gewinnen Wahlen. Und die Medien, die bereits vor Trumps Tyrannei warnten, machen eine Kehrtwende.
Eric Gujer, 14.11.2025, 5 Min
Bereits Konrad Adenauer wusste um die geringe Haltbarkeit jeder politischen Wahrheit. «Was geht mich mein Geschwätz von gestern an», pflegte der Kanzler zu sagen. In diesen Tagen haben viele Journalisten und Experten besonderen Grund, sich der Worte des Alten zu entsinnen. In den USA ereignete sich etwas, was viele Beobachter schon für unmöglich gehalten hatten: Wahlsiege der Demokraten.
Der neue Bürgermeister von New York, die Gouverneurinnen von New Jersey und Virginia gehören der Partei an, die orientierungslos durch die ersten Monate von Trumps Herrschaft geirrt war. Jetzt wittern viele Morgenluft.
In amerikanischen wie deutschsprachigen Medien hiess es, die Wähler hätten Trump ein Warnsignal gesendet. Zivilgesellschaftlicher Widerstand könnte seine Allmacht bremsen, befand die «Süddeutsche Zeitung» zufrieden.
Die «Washington Post» erklärte die Wahlresultate gleich zum Referendum über Trump, weil seine Partei auch in unzähligen Gemeinderäten und Schulbehörden unterlag. Im Bucks County im Umland von Philadelphia sei zum ersten Mal seit dem 19. Jahrhundert ein demokratischer Staatsanwalt gewählt worden, jubilierte das Blatt.
Was für ein Unsinn – Washington ähnelt nicht Berlin unter Hitler
Vor kurzem klang es noch ganz anders. Da warnte die «Washington Post» vor einer «unvermeidlichen Trump-Diktatur». Auch der Hinweis auf den Untergang der Weimarer Republik und die Machtergreifung Hitlers durfte nicht fehlen.
Die «FAZ» fühlte sich ebenfalls an finstere Zeiten erinnert und beklagte die Gleichgültigkeit vieler Amerikaner angesichts des heraufziehenden Unheils: «Hat es sich so in etwa für viele Deutsche angefühlt, die im Sommer 1935 am Wannsee spazieren gingen und dann im Biergarten ihre Berliner Weisse tranken?» Die «FAZ» raunte: «Beginnt so eine Diktatur?»
Der abrupte Wechsel in der Kommentierung ist erklärungsbedürftig. Eben erst verglich man Trump noch mit Hitler, dem absolut Bösen. Jetzt frohlockt die «Süddeutsche», die neue Gouverneurin von Virginia «lehrt Trumps Partei das Fürchten».

Was glaubt ihr eigentlich, was mit den Klimamilliarden wirklich passiert? (Focus Online)

Was glaubt ihr eigentlich, was mit den Klimamilliarden wirklich passiert? (Focus Online)
Samstag, 15.11.2025,
Deutschland zahlt Unsummen in einen internationalen Fonds, damit Entwicklungsländer ihre Klimaziele erreichen können. FOCUS-Kolumnist Jan Fleischhauer bezweifelt, dass die Gelder für ihren eigentlichen Zweck ausgegeben werden. 
Deutschland beteiligt sich an einem gigantischen internationalen Klimafonds, der ärmere Staaten beim Erreichen ihrer Klimaziele unterstützen soll. FOCUS-Kolumnist Jan Fleischhauer bezweifelt im Podcast "Der schwarze Kanal", dass diese Gelder am Ende tatsächlich dort ankommen, wo Klimaschutz entstehen soll.

"Die Leute, die so was aufsetzen, da frage ich mich immer: Waren die jemals in Afrika? Haben die sich das mal angeguckt?"
Wer auf das Sondervermögen blickt, wird Zweifel bei Klima-Milliarden bekommen
Um seinen Zweifel zu erklären, schaut er zuerst auf Deutschland selbst – und auf das Sondervermögen von knapp einer Billion Euro, das offiziell für Wachstum und Innovation gedacht war. 
In der Realität seien die Mittel längst in alle möglichen Richtungen abgezweigt worden. Fleischhauer: "Wenn selbst bei uns mit dem Rechnungshof und allen Überwachungsinstitutionen, die wir gegründet haben, diese Art von Verschiebebahnhöfen möglich ist, was glauben die eigentlich, was in Kenia dann läuft?"
"Erst wird die Auffahrt zum kenianischen Präsidenten gepflastert"
Wie es dort seiner Einschätzung nach typischerweise aussehe, beschreibt er mit einer Mischung aus Ironie und bitterem Realismus: 
"Also erst mal wird die Auffahrt natürlich zum kenianischen Präsidenten gepflastert. Das wollte er immer schon haben. Und für die ganzen Mätressen werden noch mal drei Paläste gebaut." Wenn dann noch etwas übrig bleiben sollte, dann reicht's vielleicht gerade noch für einen Brunnen.

Marketing-Experte analysiert - Trump setzt längst um, was viele Politiker in Deutschland einfach nicht kapieren (Focus Online)

Während Trump für Amerika kämpft, will Deutschland das Sozialamt der Welt sein
Marketing-Experte analysiert
Trump setzt längst um, was viele Politiker in Deutschland einfach nicht kapieren (Focus-Online) , Sonntag, 16.11.2025
Donald Trumps simpler Mix aus Politik und Marketing für die eigenen Leute funktioniert mal wieder. In Deutschland will das niemand verstehen. Bei uns will Politik was ganz anderes sein.
Donald Trump hat verstanden, was viele Politiker in Europa und vor allem in Deutschland bis heute nicht begreifen: Politik ist in erster Linie Marketing – und zwar für die Menschen, die einen gewählt haben. 
Während deutsche Politiker und Institutionen immer wieder versuchen, jene zu überzeugen, die ohnehin nie auf ihrer Seite stehen, spricht Trump gezielt die eigene Basis an. 
Trump macht Politik nach einem klaren Prinzip
Sein Versprechen ist simpel und wirkungsvoll: „America first“ – und das nicht nur als Slogan, sondern als klares Geschäftsmodell. Trump macht Politik nach einem klaren Prinzip: Er belohnt diejenigen, die an ihn glauben, und bestraft diejenigen, die es nicht tun, die also, in seinen Augen: Amerika ausnutzen.
Trump nimmt der Welt etwas weg und gibt es den Amerikanern
Zölle und Handelsschranken sind in seiner Logik kein Hindernis, sondern ein Werkzeug, um Geld von außen nach innen umzuleiten. Einnahmen aus Strafzöllen und Tarifen verwandelt er in Steuererleichterungen oder direkte Unterstützungen für amerikanische Bürger. Er nimmt der Welt etwas weg – und gibt es den Amerikanern zurück.

Das mag man moralisch fragwürdig finden, doch psychologisch funktioniert es perfekt. Der hart arbeitende „Johnny Sixpack“ in Iowa spürt, dass jemand an ihn denkt.
Trumps Politik erzählt eine einfache Geschichte: „Ich kämpfe für euch, nicht für die Welt.“ Und genau das unterscheidet ihn von der politischen Kultur in Deutschland.
Die deutsche Art von Politik wirkt wie ein besserwisserisches Moralisieren

14 November 2025

The Pioneer - Wahnsinn: SPD fördert Tod der Industriearbeiter

Business Class Edition

Wahnsinn: SPD fördert Tod der Industriearbeiter
Gabor Steingart, 14.11.2025
Guten Morgen,
früher sorgte die Industriearbeit für Einkommen und Identität – heute für Unsicherheit. In den Betrieben des Maschinenbaus, der Stahlindustrie, der Chemie und bei den Automobilbauern hat das große Arbeitersterben begonnen. Dafür ist auch die SPD-Führung verantwortlich.
Sie ist mit der neuen Rentenerhöhung, bei der die jungen Abgeordneten aus der Unionsfraktion nicht mitmachen wollen, drauf und dran, ausgerechnet den, den sie liebt und der sie jahrelang mit dem Stimmzettel zurück liebte, mit ihrer Zuneigung zu erdrosseln: den Industriearbeiter.

Warum das wichtig ist: Wenn die SPD so weitermacht, wird von beiden nicht viel übrig bleiben. Die Industriearbeiterschaft schmilzt. Die SPD schrumpft. Das Land wird anschließend ein anderes sein.
Hier die fünf Irrtümer der Sozialdemokratie, die Deutschlands älteste Partei gar nicht als Irrtümer wahrnimmt, sondern als Zeichen ihrer Fürsorglichkeit gewertet sehen will.
Irrtum 1: Der Ausbau des Sozialstaates
Durch die Expansion des Sozialstaates – und hier insbesondere die Leistungsausweitung auf Menschen, die nie in eine Sozialversicherung eingezahlt haben – kommt es zur
Überdehnung des Staatshaushaltes. Dieser Effekt entsteht vor allem deshalb, weil die Sozialbudgets sich von der realen Wirtschaftsentwicklung entkoppelt haben.
Das bedeutet: Der Sozialstaat wächst, auch wenn die Wirtschaft schrumpft.
Irrtum 2: Der Facharbeiter als Melkkuh

15 Millionen Euro pro Stunde (!)
(127 Mrd/Jahr, 350 Mio/Tag) fließen vom Steuerzahler schon heute alleine in die Rentenkasse. Die obersten 25 Prozent der Steuerpflichtigen – und das sind nicht zuerst die Milliardäre, sondern die Facharbeiter aus der Mitte der Gesellschaft – erbringen 77 Prozent der Steuereinnahmen.
Ab einem zu versteuernden Jahresgehalt von 66.000 Euro ist man für die SPD ein Spitzenverdiener mit dem Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Damit sind ausgerechnet ihre Kernwähler für die SPD die Melkkuh, der man ans Euter fasst.
Irrtum 3: Bürgergeld für alle

Die Zahlung von Bürgergeld auch an Nicht-Staatsangehörige zwingt die Industriearbeiterschaft in Solidarität mit Ukrainern, Syrern und Afghanen. Nahezu jeder zweite Bezieher von Bürgergeld ist kein deutscher Staatsbürger. Es fehlt jeder Hinweis darauf, dass die Stammwählerschaft der SPD das goutiert.

Klimapolitik - Der Mythos von der Schuld des Westens (WELT+)

Klimapolitik
Der Mythos von der Schuld des Westens (WELT+)
Von Axel Bojanowski, Chefreporter Wissenschaft, 14.11.2025, Lesedauer: 7 Minuten
Haben westliche Industrieländer mit ihren Abgasen die globale Erwärmung verschuldet – und müssen nun dafür büßen, indem sie ihre Emissionen auf Null senken? Die Grundannahme der laufenden Klimaverhandlungen ist falsch.
Die UN-Klimaverhandlungen, auch die aktuell laufende COP30 in Brasilien, basieren auf der Leitidee der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“: Industriestaaten sollen wegen ihrer historischen Emissionen und ihres daraus resultierenden Wohlstands bei der Emissionsreduktion vorangehen, während Entwicklungs- und Schwellenländer Wachstum und Industrialisierung voranstellen dürfen.
Dahinter steht die auf den ersten Blick plausible Behauptung, westliche Industrieländer hätten mit ihren Abgasen die Welt in die globale Erwärmung gestürzt und müssten dafür die Verantwortung übernehmen, wohingegen der Großteil der Welt, darunter China, unter der Erwärmung litten und deshalb aufholen dürften. Die Annahme, der Westen müsse quasi büßen, blendet allerdings zwei wesentliche Tatsachen aus.
Erstens hat die vom Westen ausgehende Industrialisierung die Lebensbedingungen der gesamten Menschheit dramatisch verbessert, ja: aus dem Elend geführt. Zweitens haben Schwellenländer wie China das Wachstumskonzept und Technologien in großem Stil adaptiert und profitieren bis heute.
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts betrug die weltweite Lebenserwartung kaum 30 Jahre; die Hälfte der Kinder starb vor dem fünften Geburtstag. Mittlerweile werden Menschen im weltweiten Durchschnitt älter als 70 Jahre. Die enorme Verbesserung ist nicht allein das Ergebnis verringerten Kindersterbens, sondern umfasst alle Altersgruppen.
Medizinische Innovationen – ausgehend von Westeuropa und den USA –, wie Antibiotika, Impfstoffe, moderne Behandlungsmethoden, Diagnostik, Vorsorge, Hygiene, bessere Ernährung, Verfügbarkeit von sauberem Wasser, der Bau von Abwasserkanälen und mehr führten dazu, dass die globale Lebenserwartung massiv stieg.