Hausdurchsuchung bei Norbert Bolz -
Der Einschüchterungsstaat in Aktion (Cicero)
VON ALEXANDER GRAU am 23. Oktober 2025 4 min
Vermutlich wollte Norbert Bolz genau auf diesen –
auch unfreiwillig komischen – Zusammenhang aufmerksam machen und
tweetete fröhlich: „Gute Übersetzung von ‚woke‘: Deutschland erwache!“
Das war Ironie. Das war Sarkasmus. Das war ein entlarvender Hinweis auf
die verschrobene Geisteswelt unserer Kämpfer gegen Rechts. Für jeden
halbwegs sprachbegabten Menschen sollte die Sache klar sein. Nicht so
für die Berliner Staatsanwaltschaft.
Daher noch mal zum Mitschreiben: In der Sprache gibt es nicht nur direkte Bezeichnungen wie „Haus“, „Hund“ oder „Blumentopf“, sondern auch Ausdrücke, die eigentlich etwas anderes meinen als das, was sie auf den ersten Blick sagen. Solche Ausdrücke nennt man in der klassischen Rhetorik Tropen. Eine bekannte Trope ist die Metapher. Eine andere die Ironie. Hier bezeichnet das Gemeinte mitunter sogar das Gegenteil des Gesagten.
Von einer Hausdurchsuchen in den Redaktionsräumen der taz ist bisher nichts bekannt
Im
Fall des inkriminierten Tweets von Bolz ist die Sache aufgrund des
Kontextes vollkommen eindeutig: Bolz karikierte ironisch die misslungene
Wortwahl der taz und machte in aufklärerischer Manier auf eine
gewisse Geistesverwandtschaft aufmerksam, die schon der Begriff „woke“
nahelegt. „Ich habe mir nicht vorstellen können, dass man das
missverstehen kann“, so Bolz gegenüber der Welt.
Doch die Berliner Staatsanwaltschaft sah in dem Bolzschen Tweet eine strafbare Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Sache wäre einfach nur lächerlich, wenn sie nicht so ernst wäre. Hinzu kommt, dass sich hier der Verdacht aufdrängt, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.
Von einer Hausdurchsuchen in den Redaktionsräumen der taz ist bisher zumindest nichts bekannt. Dabei weist etwa das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung auf seiner Website darauf hin, dass die fragliche Formel auch in der Abwandlung der taz (zumindest dann, wenn sie ein gewisser Thüringer Landespolitiker äußert) „Kernmerkmale einer faschistischen Geisteshaltung“ zeigt.
Doch letztlich sind diese akademischen Deutungsbemühungen und hermeneutischen Erklärungen nebensächlich. Denn im Kern geht es um etwas anderes: Es ist in Deutschland inzwischen möglich, dass bei einem renommierten Professor, geistreichen Kolumnisten und scharfsinnigen Freigeist die Polizei wegen eines Witzes vor der Tür steht. Das ist alarmierend und für keinen Bürger – gleich welcher Gesinnung – hinnehmbar. Es muss sich dringend etwas ändern in diesem Land. Sonst wird es hier zunehmend unangenehm.

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