24 Oktober 2025

"HessengegenHetze“: Wie eine hessische Meldestelle den Fall Bolz ins Rollen brachte (WELT+)

"HessengegenHetze“
Wie eine hessische Meldestelle den Fall Bolz ins Rollen brachte (WELT+)
Die Meldestelle „HessenGegenHetze“ ist Teil der staatlichen Exekutive und beim Innenministerium des Landes Hessen angesiedelt
Von Alexander Dinger, Lennart Pfahler23.10.2025 Lesedauer: 3 Minuten
Der Hinweis ans Bundeskriminalamt, der zur Hausdurchsuchung beim Berliner Publizisten Norbert Bolz führte, kam nicht von einem anonymen Denunzianten, sondern ganz offiziell von einer staatlichen Meldestelle. Das Portal sorgte schon einmal für Schlagzeilen.
Nun ist klar, warum die Berliner Polizei am Donnerstagmorgen die Wohnung des Berliner Publizisten Norbert Bolz durchsucht hat. Nach Recherchen von WELT erhielt die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) des Bundeskriminalamtes (BKA) bereits am 27. November 2024 eine Meldung der Plattform „HessenGegenHetze“ zu einem Beitrag von Bolz auf der Plattform X (vormals Twitter). Das teilte das BKA auf Anfrage mit.
Die Ermittler des BKA bewerteten den Beitrag als „strafrechtlich relevant“ und leiteten ihn an den für politische Straftaten zuständigen Staatsschutz des Landeskriminalamtes Berlin weiter. Auch dort bejahte man die strafrechtliche Relevanz, ebenso die Staatsanwaltschaft und ein Ermittlungsrichter des Amtsgerichts, der schließlich der Wohnungsdurchsuchung des Publizisten zustimmte.
Was war passiert? Hintergrund der Durchsuchung ist ein Tweet aus dem Januar 2024, in dem Bolz schrieb: „Gute Übersetzung von woke: Deutschland erwache!“ Dabei nahm Bolz Bezug auf einen Beitrag der linken Tageszeitung „Taz“ mit dem Titel „AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht“.
Bei „Deutschland erwache“ handelt es sich um eine NSDAP-Parole. Die Staatsanwaltschaft wertet die Nutzung als strafbare Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Zusammenhang, in dem Bolz die Aussage tätigte, blieb dabei offenbar unbeachtet. Dem Beschuldigten sei bewusst gewesen, dass es sich bei dem Ausspruch um eine Losung der SA handele, heißt es in einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 29. April, den WELT einsehen konnte.
Bei der Meldestelle „HessenGegenHetze“ handelt es sich nicht um eine private Initiative. Sie ist Teil der staatlichen Exekutive und beim Innenministerium des Landes Hessen angesiedelt. Auch „Bürgerinnen und Bürger“ können dort mutmaßliche Fälle von Hass und Hetze im Netz melden, entweder über die Website hessengegenhetze.de oder die App „Meldehelden“.

Im Jahr 2024 investierte die Landesregierung rund 1,18 Millionen Euro in den Betrieb der Meldestelle. Die Vernetzung mit Polizei, Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt soll „eine schnelle Strafverfolgung“ ermöglichen, heißt es offiziell.

Auch „Schwachkopf“-Causa wurde durch Meldestelle angestoßen

Seit der Gründung im Jahr 2020 hat „HessenGegenHetze“ nach Ministeriumsangaben gegenüber der Nachrichtenagentur dpa aus dem April dieses Jahres etwa 75.000 Hinweise erhalten. Fast die Hälfte davon allein im vergangenen Jahr. Die Zahl der gemeldeten Fälle steige demnach rapide: 2024 verzeichnete die Plattform über 15.000 Meldungen, mehr als doppelt so viele wie 2023. Besonders häufig betroffen ist die Plattform X (57 Prozent der Fälle), gefolgt von Facebook (21 Prozent). Die Meldeplattform war als Reaktion auf den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) ins Leben gerufen worden.
Bereits im sogenannten „Schwachkopf“-Prozess gegen einen bayerischen Rentner, der ein satirisches Meme über Wirtschaftsminister Robert Habeck geteilt hatte, ging der entscheidende Hinweis von „HessenGegenHetze“ aus. Das BKA leitete den Fall an das LKA Bayern weiter, von dort landete er bei der Staatsanwaltschaft Bamberg.

Kritiker sehen in dieser Praxis eine bedenkliche Kompetenzüberschreitung und eine gefährliche Nähe zwischen Exekutive und Meinungsaufsicht. Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der Bolz vertritt, spricht von einem „besorgniserregenden Kontrollverlust der Strafjustiz“. Es könne nicht sein, „dass Behördenleiter offenbar nicht mehr zwischen strafbarer Propaganda und zulässiger Meinungsäußerung unterscheiden können“.

Bereits im Zuge des „Schwachkopf-Prozesses“ hatte das hessische Innenministerium Fragen nach der gesetzlichen Grundlage für das Vorgehen nur ausweichend beantwortet. Die örtliche Zuständigkeit ergebe sich „im Rahmen der Erstbefassung“; im Zweifel werde der Fall einfach an die ermittelnden Behörden anderer Länder weitergeleitet, hieß es damals.

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