"HessengegenHetze“Wie eine hessische Meldestelle den Fall Bolz ins Rollen brachte (WELT+)Die Meldestelle „HessenGegenHetze“ ist Teil der staatlichen Exekutive und beim Innenministerium des Landes Hessen angesiedelt
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on Alexander Dinger, Lennart Pfahler, 23.10.2025 Lesedauer: 3 Minuten
Der Hinweis ans Bundeskriminalamt, der zur Hausdurchsuchung beim
Berliner Publizisten Norbert Bolz führte, kam nicht von einem anonymen
Denunzianten, sondern ganz offiziell von einer staatlichen Meldestelle.
Das Portal sorgte schon einmal für Schlagzeilen.
Nun ist klar, warum die Berliner Polizei am Donnerstagmorgen die Wohnung des Berliner Publizisten Norbert Bolz
durchsucht hat. Nach Recherchen von WELT erhielt die Zentrale
Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) des
Bundeskriminalamtes (BKA) bereits am 27. November 2024 eine Meldung der
Plattform „HessenGegenHetze“ zu einem Beitrag von Bolz auf der Plattform
X (vormals Twitter). Das teilte das BKA auf Anfrage mit.
Die Ermittler des BKA bewerteten den Beitrag als „strafrechtlich relevant“ und leiteten ihn an den für politische Straftaten zuständigen Staatsschutz des Landeskriminalamtes Berlin weiter. Auch dort bejahte man die strafrechtliche Relevanz, ebenso die Staatsanwaltschaft und ein Ermittlungsrichter des Amtsgerichts, der schließlich der Wohnungsdurchsuchung des Publizisten zustimmte.
Was war passiert? Hintergrund der Durchsuchung ist ein Tweet aus dem Januar 2024, in dem Bolz schrieb: „Gute Übersetzung von woke: Deutschland erwache!“ Dabei nahm Bolz Bezug auf einen Beitrag der linken Tageszeitung „Taz“ mit dem Titel „AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht“.
Bei „Deutschland erwache“ handelt es sich um eine NSDAP-Parole. Die Staatsanwaltschaft wertet die Nutzung als strafbare Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Zusammenhang, in dem Bolz die Aussage tätigte, blieb dabei offenbar unbeachtet. Dem Beschuldigten sei bewusst gewesen, dass es sich bei dem Ausspruch um eine Losung der SA handele, heißt es in einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 29. April, den WELT einsehen konnte.
Bei der Meldestelle „HessenGegenHetze“ handelt es sich nicht um eine
private Initiative. Sie ist Teil der staatlichen Exekutive und beim
Innenministerium des Landes Hessen angesiedelt. Auch „Bürgerinnen und
Bürger“ können dort mutmaßliche Fälle von Hass und Hetze im Netz melden,
entweder über die Website hessengegenhetze.de oder die App
„Meldehelden“.
Im Jahr 2024 investierte die Landesregierung rund
1,18 Millionen Euro in den Betrieb der Meldestelle. Die Vernetzung mit
Polizei, Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, Verfassungsschutz und
Bundeskriminalamt soll „eine schnelle Strafverfolgung“ ermöglichen,
heißt es offiziell.
Auch „Schwachkopf“-Causa wurde durch Meldestelle angestoßen
Seit
der Gründung im Jahr 2020 hat „HessenGegenHetze“ nach
Ministeriumsangaben gegenüber der Nachrichtenagentur dpa aus dem April
dieses Jahres etwa 75.000 Hinweise erhalten. Fast die Hälfte davon
allein im vergangenen Jahr. Die Zahl der gemeldeten Fälle steige demnach
rapide: 2024 verzeichnete die Plattform über 15.000 Meldungen, mehr als
doppelt so viele wie 2023. Besonders häufig betroffen ist die Plattform
X (57 Prozent der Fälle), gefolgt von Facebook (21 Prozent). Die
Meldeplattform war als Reaktion auf den Mord am Kasseler
Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) ins Leben gerufen worden.
Bereits im sogenannten
„Schwachkopf“-Prozess gegen
einen bayerischen Rentner, der ein satirisches Meme über
Wirtschaftsminister Robert Habeck geteilt hatte, ging der entscheidende
Hinweis von „HessenGegenHetze“ aus. Das BKA leitete den Fall an das LKA
Bayern weiter, von dort landete er bei der Staatsanwaltschaft Bamberg.
Kritiker sehen in dieser Praxis eine bedenkliche
Kompetenzüberschreitung und eine gefährliche Nähe zwischen Exekutive und
Meinungsaufsicht. Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der Bolz vertritt,
spricht von einem „besorgniserregenden Kontrollverlust der Strafjustiz“.
Es könne nicht sein, „dass Behördenleiter offenbar nicht mehr zwischen
strafbarer Propaganda und zulässiger Meinungsäußerung unterscheiden
können“.
Bereits im Zuge des „Schwachkopf-Prozesses“ hatte das
hessische Innenministerium Fragen nach der gesetzlichen Grundlage für
das Vorgehen nur ausweichend beantwortet. Die örtliche Zuständigkeit
ergebe sich „im Rahmen der Erstbefassung“; im Zweifel werde der Fall
einfach an die ermittelnden Behörden anderer Länder weitergeleitet, hieß
es damals.
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