Das "reiche" Deutschland?
Beim "BIP" (Bruttoinlandprodukt) pro Kopf liegt Deutschland nur noch auf Platz 19.
Beim "BNE" (Bruttonationaleinkommen) pro Kopf reicht es gerade noch für Platz 15.
Beim "Mittleren Vermögen" (pro Erwachsener) taucht Deutschland nicht einmal mehr unter den Top 25 auf. Aber für
Entwicklungshilfe
Milliarden für Misserfolge (WELT)Von Axel Bojanowski, Chefreporter Wissenschaft, Stand: 10.10.2025, Lesedauer: 3 Minuten
Als größtes Geberland der Welt gibt Deutschland pro Jahr rund 30
Milliarden Euro an Entwicklungshilfe aus – oft für moralische und
symbolische Projekte. Zugleich erwägt die Bundesregierung, zwei
Milliarden Euro zu sparen, indem sie die Pflegestufe 1 abschafft. Das
passt nicht zusammen.
Erfolge
der deutschen Entwicklungshilfe werden allzu selten gewürdigt. Zum
Beispiel die Allianz „Gavi“, die mehr als eine Milliarde Kinder geimpft
und rund Abermillionen Todesfälle verhindert hat. Oder der erfolgreiche
Kampf gegen Unterernährung, etwa durch neue Bewässerungssysteme in Haiti
oder durch Trinkwasserbrunnen im Jemen.
Entwicklungshilfe hat
nicht nur unzählige Menschen gerettet, sondern sie brachte Deutschland
stabile Kontakte in alle Welt, politischen Einfluss und wirtschaftliche
Vorteile. Das ist die eine Seite. Die andere: Zunehmend entsteht der
Eindruck, Deutschlands Entwicklungshilfe würde ihre Misserfolge
subventionieren, anstatt die Leistungen zu belohnen.
Als größtes Geberland der Welt gibt Deutschland pro Jahr rund 30 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe, mehr als 11 Milliarden Euro kommen vom Entwicklungshilfeministerium BMZ.
Bei UN-Klimahilfsfonds ist Deutschland Hauptzahler. Wir nähren eine
regelrechte Hilfsindustrie, die zunehmend die Frage aufwirft, ob sie
sich nicht vor allem selbst hilft. Abertausende haben sich eingerichtet
mit den staatlichen Vergütungen – während die Bundesregierung gerade
erwägt, zwei Milliarden Euro zu sparen, indem sie die Pflegestufe 1
abschafft. Teure Radwege in Ländern mit geringem Fahrradverkehr Allein
das Entwicklungsministerium fördert mehr als 400 sogenannte
Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das Ministerium selbst beschäftigt
fast 1200 Mitarbeiter; seine Durchführungsorganisation, die
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) verfügt über fast
25.000 Beschäftigte im In- und Ausland, und die Förderbank Kreditanstalt
für Wiederaufbau (KfW) beschäftigt gut 8000 Leute. Hinzu kommen
politische Stiftungen, kirchliche Werke, private gGmbHs und
Denkfabriken.
Beobachter
kritisieren mangelnde Transparenz: Der Bundestag erhält keine
vollständigen Listen der geförderten NGOs, es gibt kaum konsolidierte
Informationen über Erfolge einzelner Projekte. Der Bundesrechnungshof
bemängelt ungenügende Evaluierung und fordert Änderungen.
Ein
Strategiewechsel erscheint überfällig. Berichten zufolge zahlten
Partnerländer zugesagte Eigenbeiträge nicht, auch weil die GIZ die
Beiträge nicht konsequent einfordere. Dabei belegen Studien, dass
Projekte ohne Beteiligung der Empfängerländer nicht nachhaltig sind –
ohne verbindliche Kofinanzierung sollte Deutschland also keine
langfristigen Programme finanzieren.
Kritiker
werfen der Bundesregierung vor, die Entwicklungszusammenarbeit mit
politischen Leitbildern zu überfrachten, mit „moralischen Vorträgen“
oder „feministischen Entwicklungspolitik“. Statt symbolischer
Infrastrukturprojekte wie teurer Radwege in Ländern mit geringem
Fahrradverkehr müsste Deutschland sich auf Zukunftstechnologien und
Handel konzentrieren.
Der
Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert eine „Zeitenwende“
in der Entwicklungspolitik, die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung
fördert. Andere Industrieländer würden ihre Entwicklungsfinanzierung
stärker mit Außenwirtschaftsförderung verzahnen. Einzelvorhaben wie
Jugendzentren, Sportveranstaltungen oder kulturelle Projekte aber
hinterlassen nach Abzug der Entwicklungshelfer selten langfristige
Wirkung.
Entwicklungshilfe sollte deshalb möglichst nur noch in
Partnerschaften mit einer kleineren Zahl von Ländern geleistet werden,
in denen der Nutzen am größten ist – und das nur mit verbindlichen
Wirkungsindikatoren und der Veröffentlichung aller Projektberichte in
einer zentralen Datenbank. Das müsste auch mit der Hälfte der
finanziellen Mittel möglich sein, also mit dem Entwicklungshilfe-Budget
von Frankreich oder Großbritannien.
Axel
Bojanowski ist Chefreporter Wissenschaft bei WELT. In seinem Buch „Was
Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten“
erzählt er in 53 Geschichten vom Klimawandel zwischen Lobbygruppen und
Wissenschaft.
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