06 Oktober 2025

Klimaziele - „Deutschland darf keine klimaneutrale grüne Wirtschaftsruine werden“ (WELZ+T

"Wir haben 20 Jahre lang hunderte Milliarden ausgegeben, um CO₂-freien Atomstrom durch CO₂-freien Windstrom zu ersetzen, haben aber eigentlich nichts für den Klimaschutz getan", Daniel Stelter
Klimaziele

„Deutschland darf keine klimaneutrale grüne Wirtschaftsruine werden“
Von Nikolaus Doll, Ressort Politik, Stand: 02.10.2025, Lesedauer: 6 Minuten
In der Union werden Forderungen nach einem grundlegenden Kurswechsel in der Klima-Politik laut. Ost-Ministerpräsidenten stellen den Zeitplan für das Ziel der Klimaneutralität infrage. Ein CDU-Parteivize warnt: Klimaschutz brauche Akzeptanz – andernfalls gehe es „ganz woanders hin“.
Führende Politiker von CDU und CSU fordern eine grundsätzliche Neuausrichtung der deutschen Klimaschutz-Politik. Grund sind vor allem alarmierende Ankündigungen aus der Industrie, weitere zehntausend Stellen abzubauen, und die insgesamt anhaltende Schwäche der deutschen Wirtschaft. Die Forderungen und Vorschläge aus der Union reichen bis zur Abkehr des von mehreren vorangegangenen Bundesregierungen bekräftigten Ziels, bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Das heißt, die Treibhausgasemissionen sollen bis dahin auf Netto-Null reduziert werden.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte WELT, er rate dazu, „in Ruhe und ohne Schaum vor dem Mund“ darüber zu sprechen, ob man die Klimaneutralität wirklich im anvisierten Zieljahr erreichen müsse. „Weil wenn man 2045 fest eingemauert hat, dann gibt es zentrale Ableitungen im Verkehr, in der Landwirtschaft, im Wohnungswesen, aber auch bei der Energie. Und dann gehen viele Dinge nicht mehr.“
Kretschmer wirft die Frage auf, ob vollständige Klimaneutralität unbedingt das Ziel sein solle: „Muss man 100 Prozent erreichen oder reichen nicht 90 Prozent oder 80 Prozent oder reicht statt 2045 auch 2050? Das ändert vieles und das muss in Ruhe diskutiert werden. Derzeit wird das sehr dogmatisch gesehen“, kritisierte der Ministerpräsident. Er fordert „etwas mehr Offenheit, das große Ziel im Auge zu haben und anzustreben“. Kretschmer stellt dabei nicht infrage, dass es nötig sei, „möglichst klimaneutral“ zu werden.
CSU-Generalsekretär Martin Huber erklärte, nötig sei ein „vernünftiger Klimaschutz“, mit dem „die Klimaziele erreicht, Wirtschaftskraft und Wohlstand erhalten und die Gesellschaft mitgenommen“ würden. „Klimaschutz ist uns sehr wichtig, aber Deutschland darf keine klimaneutrale grüne Wirtschaftsruine werden, deshalb müssen Ökologie und Ökonomie zusammen gedacht werden“, forderte der Generalsekretär. Konkret appellierte er an die Europäische Union (EU), das geplante Verbrennerverbot zurückzunehmen. Die deutschen Autobauer und ihre Zulieferer zählen zur Schlüsselindustrie Deutschlands. „Ohne eine starke Wirtschaft können wir uns keinen Klimaschutz leisten“, so Huber.

Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU) hatte WELT TV gesagt, ein starres Festhalten an den bislang gesetzten Klimaschutzzielen würde zu massiven Verwerfungen in der deutschen Wirtschaft führen. „Ich glaube, dass dieses Ziel unter den jetzigen Bedingungen mit Ukraine-Krieg, Weltwirtschaftskrise, letztendlich auch der Wirtschaftspolitik von Amerika nicht zu erreichen ist – es sei denn unter Verlust von ganzen Industriezweigen oder wesentlichen Teilen davon.“

Deutschland will die Klimaneutralität fünf Jahre vor dem Zieljahr erreichen, das sich die Mitgliedsländer der Europäischen Union insgesamt gesetzt haben. Unions-Politiker hatten in der Vergangenheit wiederholt Kritik am sogenannten Gold-Plating Deutschlands geübt. Dabei wird bei der Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht über die Vorgaben von Brüssel hinausgegangen.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Europapolitiker Tilman Kuban hatte zu Beginn der Woche mit seiner Kritik an der bisherigen Klima-Politik eine Debatte in der Union entfacht. Kuban hatte im WELT-Interview gesagt, er plädiere dafür, die Ziele beim Klimaschutze „der neuen Realität anzupassen“. Damit werde Deutschland klimafreundlicher, bleibe aber Industrieland.

So weit wollen viele Unions-Politiker nicht gehen. „Wir haben uns 2024 in unserem neuen Grundsatzprogramm zur Klimaneutralität bis 2045 bekannt, genauso in unserem Wahlprogramm, und wir haben das im Koalitionsvertrag mit der SPD vereinbart – wir wollen und werden davon jetzt nicht abrücken“, sagte Andreas Jung, einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU, WELT.

Allerdings fordert auch Jung eine Korrektur des Kurses der Ampel-Koalition und der schwarz-roten Bundesregierungen unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). „Klimaschutz bleibt für uns als Christdemokraten ein wichtiger Wert und angesichts des fortschreitenden Klimawandels von herausragender Bedeutung. Aber der Weg zur Klimaneutralität, wie er bisher eingeschlagen wurde, war zum Teil zu eng oder falsch. Darüber müssen wir reden, das müssen wir korrigieren“, so Jung, der klimapolitische Sprecher seiner Fraktion im Bundestag. „Wir brauchen bei klarer Rahmensetzung echten Pragmatismus, neue Offenheit und mehr Marktwirtschaft.“

Dazu herrscht in weiten Teilen der Union Konsens. Ministerpräsident Haseloff schlägt vor: „Wir müssen vor allen Dingen die energieintensive Industrie befreien von den Auflagen, die wir eingebaut haben wie Zertifikatehandel und Ähnlichem.“ Haseloff nannte konkret die Bereiche Stahl, Grundstoffchemie, Automobilzulieferer und Unternehmen der Metallverarbeitung. Der CDU-Politiker forderte „eine Modifikation des bisherigen Fahrplans“, ohne das grundsätzliche Ziel der Klimaneutralität aufzugeben. „Wir brauchen einen anderen Pfad dorthin“, sagte der Ministerpräsident.

Der CDU-Abgeordnete Mark Helfrich hält zwar nichts davon, die Klimaschutzziele infrage zu stellen. Das gehe zu weit und lenke von der Problemlösung ab. Doch der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Umwelt der Unions-Fraktion sagt auch: „Niemand will, dass Produktion aufgrund von Klimaschutz aus Deutschland abwandert. Wir hatten mal den Grundkonsens, dass die Belastungen der Energiewende nicht dazu führen dürfen, dass die deutsche Wirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig ist, das müssen wir uns jetzt wieder in Erinnerung rufen.“ Es müsse verhindert werden, „deutsche Hersteller mit solchen aus dem Ausland konkurrieren zu lassen, die nach niedrigeren Standards im Klima- und Umweltschutz produzieren und dann hier ihre Produkte verkaufen. Das funktioniert nicht.“

Auch der Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU, Wolfgang Steiger, fordert „mehr Flexibilität beim Klimaschutz“. Steiger: „Der planwirtschaftliche Ansatz mit einer Vielzahl von Maximalzielen, Hundert-Prozent-Werten, Technologieverboten und -geboten sowie immer kürzeren Fristen in einer künstlich alarmistischen Grundstimmung stammt aus einer anderen Zeit, in der Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit noch keine Themen waren.“

Steiger dringt darauf, dass sich die Bundesregierung in den kommenden Jahren vor allem auf die Instrumente Emissionshandel und Kompensationsmechanismus des Pariser Abkommens stützen soll. „Sie bieten eine deutlich kostengünstigere Lösung für wirksamen Klimaschutz als die vielen Goldrandlösungen in der deutschen Industrie, die zunehmend Arbeitsplätze kosten, ohne dem Klima wirklich zu nützen.“

Auch Parteivize und Klima-Politiker Jung setzt auf den Emissionshandel. Dabei legt der Staat eine Obergrenze für Treibhausgasemissionen fest, und die beteiligten Unternehmen müssen für ihre Emissionen Zertifikate erwerben. Der Handel müsse allerdings „neu justiert“ werden, damit die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärker berücksichtigt werden könne, so Jung. „Und wir müssen im Bereich der Mobilität auf mehr als eine technische Lösung bei den Antrieben setzen.“ Neben Batterieautos sollten unter anderem alternative Kraftstoffe oder die Brennstoffzellentechnologie zur Vermeidung des CO-Ausstoßes eine stärkere Rolle spielen. Ebenso wie der Einsatz von Wasserstoff, selbst wenn der zunächst noch unter dem Einsatz von Gas, also einem fossilen Energieträger, produziert werden müsse.

CDU-Parteivize Jung warnte: „Wir müssen Klimaschutz, die Interessen der Wirtschaft und den sozialen Ausgleich in Einem denken. Sonst verlieren wir die Akzeptanz. Und ohne Akzeptanz gibt es bei Wahlen keine politischen Mehrheiten für Klimaschutz. Dann geht es ganz woanders hin.“

Nikolaus Doll berichtet über die Unionsparteien und die Bundesländer im Osten.

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