05 Oktober 2025

Migration - „Derzeit sind in Dortmund sieben Väter mit circa 122 Vaterschaftsanerkennungen bekannt“ (WELI+)

Migration

„Derzeit sind in Dortmund sieben Väter mit circa 122 Vaterschaftsanerkennungen bekannt“ (WELT+)
Von Marcel Leubecher, Politikredakteur, Stand: 04.10.2025, Lesedauer: 6 Minuten
Mit falschen Vätern zum deutschen Pass: Männer erkennen dutzendfach Kinder an, die gar nicht ihre sind. Für die Mütter aus dem Ausland bringt das ein Aufenthaltsrecht – und für den Staat enorme Kosten. Nun will die Politik das Schlupfloch schließen. Doch Experten warnen vor neuen Fehlern.
Für Betrug braucht es immer zwei Seiten. Den Betrüger und einen, der sich betrügen lässt. Beim Phänomen der „missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung“ ist der Betrüger ein Mann, der es schafft, nach den geltenden Gesetzen als Vater eingetragen zu werden. Für Kinder, die gar nicht seine sind. Und für die er nicht aufkommt. Der Betrogene ist der deutsche Staat.
Aufsehen erregte 2024 „Mr. Cash Money“, ein eingebürgerter Nigerianer aus Dortmund, der in den sozialen Medien selbstbewusst mit Geldscheinen wedelte und mit schicken Autos posierte. Viele Medien berichteten darüber. Jonathan A. hatte für 24 Kinder von Afrikanerinnen die Vaterschaft anerkannt. Lukrative Familienbetriebe dieser Art gibt es häufiger, mehr als ein halbes Dutzendmal allein in Dortmund. Die für die Stadt zuständige Bezirksregierung Arnsberg teilte auf Anfrage von WELT AM SONNTAG mit: „Derzeit sind in Dortmund sieben Väter mit circa 122 Vaterschaftsanerkennungen bekannt.“ Teilweise liefen noch Ermittlungen.
Hintergrund des Problems: Die Bundesrepublik hat Vaterschaftsanerkennungen seit der Kindschaftsrechtsreform 1997 voraussetzungsarm ausgestaltet. Eigentlich ist man nämlich froh, wenn sich für Kinder unbekannter Erzeuger Männer finden, die sich als Väter eintragen lassen. Damit haben sich aber Möglichkeiten zum Missbrauch eröffnet. Denn eine neu eingereiste schwangere Migrantin erhält das Recht zum langfristigen Aufenthalt, wenn ein Deutscher die Vaterschaft ihres Kindes anerkennt. Dadurch erwirbt das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit und seine Mutter ein Aufenthaltsrecht. Wenn aber dann der „Vater“ – der nach Erkenntnissen von NRW-Behörden bis zu 8000 Euro kassiert – keinen Unterhalt zahlt, wie in diesen Fällen üblich, springt wie bei allen Bürgern der Staat ein und zahlt einen Unterhaltsvorschuss für das Kind.
Wie das System des Missbrauchs läuft, zeigen nach Recherchen von WELT AM SONNTAG Erkenntnisse der Behörden zu einem der Dortmunder Mehrfach-Scheinväter. Der Westafrikaner, dessen Name der Redaktion bekannt ist, hat 20 Kinder anerkannt, immer nach folgendem „Modus Operandi“ mit der Mutter: „Ansprache im Heimatland – Verbringen nach Italien, Frankreich oder Spanien – nach Schwangerschaft Einreise nach Deutschland und danach Anerkennung der Vaterschaft, entweder vorgeburtlich oder nach negativem Ausgang des Asylverfahrens oder auch im Asylverfahren selbst.“
Die für Dortmund zuständige Bezirksregierung Arnsberg äußert sich zwar nicht konkret zu diesem Fall, ein Sprecher berichtet aber auf Anfrage, dass im Regierungsbezirk – zu dem etwa auch Bochum, Hagen und Hamm gehören – die „Problematik Nigeria-Ghana“ einer der großen Bereiche der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung sei. Demnach bieten in diesen Ländern „Brotherhoods“ (Bruderschaften) jungen Frauen einen „lukrativen Job in Europa“ an.

Frauen werden oft zur Prostitution gezwungen

„Die Wahrheit sieht so aus, dass sie dann in Libyen, Frankreich, Italien oder Spanien zur Prostitution gezwungen werden, um das Reisegeld abzubezahlen.“ Wird eine Frau schwanger, komme sie nach Deutschland. Ein hier lebender Mann mit Kontakt zur „Brotherhood“ tauche dann bei den Behörden auf und erkläre die Übernahme der Vaterschaft. „Da die ,Väter‘ in der Regel kaum bis keinen Unterhalt bezahlen, zahlen die Jugendämter für die Familie.“

Im Falle der sieben Dortmunder geht es um circa 122 Kinder und ihre Mütter. Laut Bezirksregierung Arnsberg bewegen sich allein dort die jährlichen Unterhaltskosten „im mittleren siebenstelligen Euro-Bereich“. Es gebe „leider keine verlässlichen Zahlen“. Für Deutschland bezifferte 2017 das Bundesinnenministerium (BMI) laut einem Bericht der Sicherheitskooperation Ruhr den Umfang der Missbrauchsfälle bundesweit „auf eine mittlere vierstellige Zahl“.

Bezogen auf 5000 Verdachtsfälle liege die Belastung des Steuerzahlers bei 150.783.000 Euro pro Jahr, worüber der RBB 2024 berichtete. Laut Bundesinnenministerium, bei dem WELT AM SONNTAG nachfragte, ergab eine Erhebung, dass die Ausländerbehörden zwischen 2018 und 2021 insgesamt 1769 verdächtige Vorgänge bearbeitet „und davon circa 290 Fälle als missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung festgestellt“ hätten.

Weitere circa 1800 Fälle „wurden in Auslandsvertretungen geprüft, dort allerdings mit sehr geringer Quote an festgestellten Missbräuchen“. Jura-Professor Harald Dörig, der die Fachpolitiker des Bundestages bei der Ausarbeitung der Gesetze zur Verringerung des Missbrauchs berät, sagt WELT AM SONNTAG: „Dass die Erhebung des BMI nur geringe Fallzahlen ergab, überrascht mich nicht. Es verdeutlicht vielmehr, dass der größte Teil der Missbrauchsfälle den Behörden verborgen bleibt.“

Ein neues Gesetz soll die missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen erschweren. Ein im April 2024 vom damaligen Ampel-Kabinett beschlossener Entwurf passierte nicht mehr den Bundestag. Laut Innenministerium wird ein neuer demnächst vorgelegt. Dörig, der den Referentenentwurf einsehen konnte, sieht Verbesserungen. Er lobt, dass künftig Mängel im Anerkennungsverfahren nachträglich korrigiert werden können. Denn bisher dürfe nach Beglaubigung durch einen Notar die Vaterschaft im weiteren Verfahren nicht geändert werden. „Das heißt: Das Standesamt muss die Vaterschaft eintragen, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt weiß, dass sie missbräuchlich anerkannt wurde.“ Dörig begrüßt auch die vorgesehene Einschaltung der Ausländerbehörden, zumal nur diese wissen, ob eine betreffende Mutter keinen Aufenthaltstitel hat.

Kontraproduktiv sei aber die Regelung, wonach die Anerkennung der Vaterschaft als nicht missbräuchlich beurteilt werden soll, wenn die Antragsteller seit mindestens sechs Monaten in einem „gemeinsamen Haushalt“ wohnen. Dieser sei leicht zu organisieren. Darauf hätten sich die Schlepper schon eingestellt, weil die Ampel dies bereits geplant hatte. „Wie mir der Leiter einer großen Ausländerbehörde berichtete, behaupten das die Betroffenen jetzt schon formularmäßig bei Antragstellung. Der Schlepper verlangt dafür einen Aufpreis“, sagt Dörig.

Die Behörde sei nach neuem Recht zwar am Verfahren beteiligt, jedoch in diesen Fällen zur Anerkennung verpflichtet. Die Koalition „schießt sich damit ein Eigentor“, meint der Jurist, der lange Richter am Bundesverwaltungsgericht war. Auch bemängelt der Experte, dass auch künftig die „Zuordnung eines fremden Vaters zum Kind“ ohne „Leistung maßgeblicher Beiträge zum Unterhalt des Kindes durch den Anerkennenden“ genehmigt werden könne. Dörig rät zudem: „Der automatische Erwerb der Staatsangehörigkeit durch ein von einem Deutschen anerkanntes Kind ist zu streichen, das Kind kann die Staatsangehörigkeit später per Einbürgerung erlangen.“

Dass sich die missbräuchliche Anerkennung für die „Väter“ auch rächen kann, berichtet ein Berliner Anwalt: Einer seiner Mandanten hatte 2007 in der Hauptstadt eine Vaterschaft übernommen, 2024 meldete sich dann das Jugendamt an den asiatischen Zuwanderer mit einer Rückforderung von mehr als 30.000 Euro wegen geleisteter Unterhaltsvorschüsse: „Der Fall war eindeutig, er verdient inzwischen zwar nicht viel, aber genug, um die Rückforderung langsam abzustottern.“

Seiner Beobachtung nach sind die „Vaterschaftskisten“ allerdings „stark rückläufig“, vor allem, weil es immer schwieriger werde, einen Notar für die Beurkundung zu finden. Den Eindruck bestätigt auch die Bezirksregierung Arnsberg. Infolge vieler Medienberichte schauten alle Behörden genauer hin – und Personen, die einen Missbrauch planten, würden „abgeschreckt“.

Politikredakteur Marcel Leubecher schreibt seit vielen Jahren über die Themen Migration- und Asylpolitik sowie Integration von Zuwanderern.


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