„Derzeit sind in Dortmund sieben Väter mit circa 122 Vaterschaftsanerkennungen bekannt“ (WELT+)
Von Marcel Leubecher
Frauen werden oft zur Prostitution gezwungen
„Die Wahrheit sieht so aus, dass sie dann in Libyen, Frankreich, Italien oder Spanien zur Prostitution gezwungen werden, um das Reisegeld abzubezahlen.“ Wird eine Frau schwanger, komme sie nach Deutschland. Ein hier lebender Mann mit Kontakt zur „Brotherhood“ tauche dann bei den Behörden auf und erkläre die Übernahme der Vaterschaft. „Da die ,Väter‘ in der Regel kaum bis keinen Unterhalt bezahlen, zahlen die Jugendämter für die Familie.“
Im Falle der sieben Dortmunder geht es um circa 122 Kinder und ihre Mütter. Laut Bezirksregierung Arnsberg bewegen sich allein dort die jährlichen Unterhaltskosten „im mittleren siebenstelligen Euro-Bereich“. Es gebe „leider keine verlässlichen Zahlen“. Für Deutschland bezifferte 2017 das Bundesinnenministerium (BMI) laut einem Bericht der Sicherheitskooperation Ruhr den Umfang der Missbrauchsfälle bundesweit „auf eine mittlere vierstellige Zahl“.
Bezogen auf 5000
Verdachtsfälle liege die Belastung des Steuerzahlers bei 150.783.000
Euro pro Jahr, worüber der RBB 2024 berichtete. Laut
Bundesinnenministerium, bei dem WELT AM SONNTAG nachfragte, ergab eine
Erhebung, dass die Ausländerbehörden zwischen 2018 und 2021 insgesamt
1769 verdächtige Vorgänge bearbeitet „und davon circa 290 Fälle als
missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung festgestellt“ hätten.
Weitere circa 1800 Fälle „wurden in Auslandsvertretungen geprüft, dort allerdings mit sehr geringer Quote an festgestellten Missbräuchen“. Jura-Professor Harald Dörig, der die Fachpolitiker des Bundestages bei der Ausarbeitung der Gesetze zur Verringerung des Missbrauchs berät, sagt WELT AM SONNTAG: „Dass die Erhebung des BMI nur geringe Fallzahlen ergab, überrascht mich nicht. Es verdeutlicht vielmehr, dass der größte Teil der Missbrauchsfälle den Behörden verborgen bleibt.“
Ein neues Gesetz soll die missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen erschweren. Ein im April 2024 vom damaligen Ampel-Kabinett beschlossener Entwurf passierte nicht mehr den Bundestag. Laut Innenministerium wird ein neuer demnächst vorgelegt. Dörig, der den Referentenentwurf einsehen konnte, sieht Verbesserungen. Er lobt, dass künftig Mängel im Anerkennungsverfahren nachträglich korrigiert werden können. Denn bisher dürfe nach Beglaubigung durch einen Notar die Vaterschaft im weiteren Verfahren nicht geändert werden. „Das heißt: Das Standesamt muss die Vaterschaft eintragen, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt weiß, dass sie missbräuchlich anerkannt wurde.“ Dörig begrüßt auch die vorgesehene Einschaltung der Ausländerbehörden, zumal nur diese wissen, ob eine betreffende Mutter keinen Aufenthaltstitel hat.
Kontraproduktiv sei aber die Regelung, wonach die Anerkennung der Vaterschaft als nicht missbräuchlich beurteilt werden soll, wenn die Antragsteller seit mindestens sechs Monaten in einem „gemeinsamen Haushalt“ wohnen. Dieser sei leicht zu organisieren. Darauf hätten sich die Schlepper schon eingestellt, weil die Ampel dies bereits geplant hatte. „Wie mir der Leiter einer großen Ausländerbehörde berichtete, behaupten das die Betroffenen jetzt schon formularmäßig bei Antragstellung. Der Schlepper verlangt dafür einen Aufpreis“, sagt Dörig.
Die Behörde sei nach neuem Recht zwar am Verfahren beteiligt, jedoch in diesen Fällen zur Anerkennung verpflichtet. Die Koalition „schießt sich damit ein Eigentor“, meint der Jurist, der lange Richter am Bundesverwaltungsgericht war. Auch bemängelt der Experte, dass auch künftig die „Zuordnung eines fremden Vaters zum Kind“ ohne „Leistung maßgeblicher Beiträge zum Unterhalt des Kindes durch den Anerkennenden“ genehmigt werden könne. Dörig rät zudem: „Der automatische Erwerb der Staatsangehörigkeit durch ein von einem Deutschen anerkanntes Kind ist zu streichen, das Kind kann die Staatsangehörigkeit später per Einbürgerung erlangen.“
Dass sich die missbräuchliche Anerkennung für die „Väter“ auch rächen kann, berichtet ein Berliner Anwalt: Einer seiner Mandanten hatte 2007 in der Hauptstadt eine Vaterschaft übernommen, 2024 meldete sich dann das Jugendamt an den asiatischen Zuwanderer mit einer Rückforderung von mehr als 30.000 Euro wegen geleisteter Unterhaltsvorschüsse: „Der Fall war eindeutig, er verdient inzwischen zwar nicht viel, aber genug, um die Rückforderung langsam abzustottern.“
Seiner Beobachtung nach sind die „Vaterschaftskisten“ allerdings „stark rückläufig“, vor allem, weil es immer schwieriger werde, einen Notar für die Beurkundung zu finden. Den Eindruck bestätigt auch die Bezirksregierung Arnsberg. Infolge vieler Medienberichte schauten alle Behörden genauer hin – und Personen, die einen Missbrauch planten, würden „abgeschreckt“.
Politikredakteur Marcel Leubecher schreibt seit vielen Jahren über die Themen Migration- und Asylpolitik sowie Integration von Zuwanderern.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen