Damit ist er nach fünf Monaten im Amt noch unpopulärer als sein abgewählter Vorgänger Olaf Scholz, der es sogar laut einer Umfrage der New York Times zum unbeliebtesten Regierungschef der westlichen Welt brachte. So eine Überbietung schien kaum möglich.
Mehr als drei Jahre ertrugen die Deutschen das Dauergezänk der damaligen Ampel-Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen. Als das Bündnis vor rund elf Monaten endgültig zerbrach, war nicht nur in der Opposition die Erleichterung groß.
Doch bei allen vollmundigen Versprechungen lassen sich Veränderungen in den seltensten Fällen ohne Zumutungen bewerkstelligen. Merz vergaß, den Wählern auch das zu erklären. Das holte er in seinen ersten Regierungserklärungen nach und erntete in Umfragen prompt die Quittung dafür.
Gleichzeitig kassierte Merz im Zweiwochentakt seine selbst gemachten Versprechungen wieder ein. Ein Beispiel: Die deutsche Grundsicherung, das sogenannte Bürgergeld, wollen die Christlichdemokraten «vom Kopf auf die Füsse stellen». 30 Milliarden Euro – und damit mehr als die Hälfte der gesamten Grundsicherungskosten – ließen sich einsparen, wenn eine Million Empfänger wieder in Arbeit gebracht würden, rechnete Kanzleramtsminister Thorsten Frei im Wahlkampf vor. Die Rechnung ging weit an der Realität vorbei.
Wenig später waren es nur noch sechs Milliarden Euro, die Merz bei der Sozialhilfe einsparen wollte. Im Sommer sprach er von zehn Prozent der Grundsicherungskosten und damit etwa fünf Milliarden Euro. «Das muss möglich sein», untermauerte Merz seine Forderung. Inzwischen sind es realistische 1,5 Milliarden Euro, die mit einer Gesetzesreform eingespart werden könnten. Vom Kopf auf die Füße gestellt wird das System damit nicht.
Merz hielt die bittere Wahrheit zurück
Ähnlich verhielt es sich mit den Abschiebungen. Menschen, die «vollziehbar ausreisepflichtig» seien, müssten Deutschland umgehend verlassen, versprach Merz im Wahlkampf. Dafür sollten sie in Abschiebegewahrsam genommen werden. Doch zum einen gibt es viel zu wenig Plätze für Abschiebehaft, zum anderen scheitern nach wie vor etwa 60 Prozent aller Abschiebungen.
Die Diskrepanz ist grß: Im ersten Halbjahr wurden rund 12 000 Menschen abgeschoben, etwa 240 000 gelten als ausreisepflichtig. Nach Syrien wird auch nach Ende des Krieges nicht abgeschoben, das wollte Merz umgehend ändern.
Weitere Beispiele für nicht eingelöste Versprechen lassen sich leicht finden. Die Senkung der Stromsteuer kam nicht, weil das Geld fehlte. Die Lohnnebenkosten werden nicht kleiner, im Gegenteil. Künftig müssen die Deutschen höhere Kosten für Gesundheit und Pflege aufbringen. Willkommen in der Wirklichkeit. Die Wirtschaft nimmt immer noch keine Fahrt auf. Dafür machte die Regierung Rekordschulden, die Merz im Wahlkampf noch strikt ablehnte.
Merz hat den Mund zu voll genommen. Wer markig auftritt, darf sich nicht beschweren, wenn er daran gemessen wird. Die Probleme des Landes bleiben derweil bestehen. Jetzt ist es an der Zeit, sie anzupacken, Popularitätswerte hin oder her. Am Ende seiner Amtszeit wird es darauf ankommen und nicht mehr auf seine gebrochenen Versprechen.
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