28 Oktober 2025

Gastkommentar Vince Ebert: Die Ursache für die gegenwärtige Krise liegt nicht an Frau Merkel, Herrn Habeck oder Herrn Merz (NZZ)

"Freiheit ist uns nicht so wichtig. Hauptsache, der Müll ist ordentlich getrennt. Deswegen ist es vermutlich auch kein Zufall, dass sich der Begriff «Dosenpfand» auf «Vaterland» reimt."
Gastkommentar Vince Ebert
Die Ursache für die gegenwärtige Krise liegt nicht an Frau Merkel, Herrn Habeck oder Herrn Merz – sie liegt an der Weigerung von uns allen, Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung zu übernehmen (NZZ)
Freiheit, Fortschritt und Innovation gibt es nur um den Preis der Unberechenbarkeit. Deshalb braucht es ein neues Denken in Deutschland, sagt der Kabarettist Vince Ebert. Er ist gerade mit der Hayek-Medaille ausgezeichnet worden. Die NZZ bringt hier seine Dankesrede zur Preisverleihung.
Vince Ebert, 27.10.2025, 6 Min
Immer mehr Politiker weisen ein kabarettistisches Talent auf. Als ich einmal im Rahmen eines Vortrages über die verkorkste Energiewende das Ohmsche Gesetz erklärt hatte, meinte danach eine anwesende Staatssekretärin: «Gesetze kann man ändern.»
Friedrich August von Hayek wusste: «Ökonomie besteht darin, dem Menschen vor Augen zu führen, wie wenig er wirklich über das weiss, was er planen zu können glaubt.» Das ist meiner Meinung nach mit das Klügste, was man über marktwirtschaftliche Mechanismen sagen kann. Freie Märkte sind deswegen so erfolgreich – und vielleicht auch deswegen so unbeliebt –, weil sie sich einer politischen Planung weitestgehend entziehen.
Es gibt unzählige Innovationen und Produkte, die aus dem Nichts herauskamen. Porzellan wurde erfunden, weil die Alchemisten eigentlich Gold herstellen wollten. Tesafilm sollte ursprünglich Heftpflaster werden. Viagra wurde entdeckt, weil männliche Versuchspersonen ein Herzmedikament in der Testphase partout nicht mehr absetzen wollten.
Komplexe Systeme haben keinen Masterplan, das hat Hayek brillant erkannt. Viele sehen das als Nachteil. Doch in Wirklichkeit ist das toll. Denn wenn unsere Welt hundertprozentig berechenbar wäre, würde das bedeuten, dass die Zukunft feststeht. Wenn aber die Zukunft feststeht, wo ist dann die Freiheit? Wo ist der Raum für Phantasie? Freiheit, Fortschritt und Innovation gibt es nur um den Preis der Unberechenbarkeit.
Dieses Eingeständnis erfordert charakterliche Stärke und Demut. Zuzugeben, dass man nur bedingt Kontrolle hat, ist für viele eine narzisstische Kränkung. Nicht zuletzt, weil Freiheit die Gefahr in sich birgt, zu scheitern. Deswegen halten Bürokraten so gerne an starren Regularien und Verordnungen fest, die ihnen eine trügerische Sicherheit vorgaukeln. Ich bin mir sicher, wenn der Berliner Senat vor 13,8 Milliarden Jahren mit der Durchführung des Urknalls beauftragt worden wäre, dann würden die heute noch über die Brandschutzverordnung diskutieren.
Der Geist der Freiheit
Der liberale Grundgedanke hat bei uns in Deutschland keine grosse Tradition. Liberal – das sind Porsche fahrende Juristensöhnchen oder Zahnarztgattinnen in Gucci-Kostümen. Asozial, rücksichtslos und egoistisch. Dass es ein Gesellschaftsmodell ist, das auf den Werten der Aufklärung beruht, weil es auf Selbstbestimmung und auf Unabhängigkeit gründet, hat man nie so richtig verstanden.

Freiheit ist uns nicht so wichtig. Hauptsache, der Müll ist ordentlich getrennt. Deswegen ist es vermutlich auch kein Zufall, dass sich der Begriff «Dosenpfand» auf «Vaterland» reimt. Kommt sogar in unserer Hymne vor: «. . . ist des Glückes Unterpfaaand!»

Wir Deutschen sind stolz auf unsere Demokratie, aber der Geist der Freiheit ist uns suspekt. In Wahrheit jedoch bedeutet die blosse Tatsache, dass der Wille des Volkes in einer freien Wahl zum Ausdruck kommt, erst mal nicht sehr viel. Demokratie bedeutet lediglich, dass zehn Füchse und ein Hase darüber abstimmen können, was es zum Abendessen gibt. Freiheit dagegen bedeutet, dass der Hase mit einer Schrotflinte die Wahl anfechten kann.

Das entscheidende Element der abendländischen Kultur ist also nicht unbedingt die Mitbestimmung, sondern die Selbstbestimmung: die Idee, dass jeder Mensch ein individuelles Wesen darstellt, das sich vollkommen frei entfalten darf.

Der Philosoph John Locke nannte diese Idee «self-ownership». Das Eigentum an mir selbst. Ein Gedanke, der gerade einmal 300 Jahre alt ist und in der Aufklärung entstand: Du darfst alles tun, was andere als vollkommen idiotisch ansehen, solange du damit keinen schädigst. Oder wie Kant es etwas intellektueller formulierte: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen – auch dann, wenn du keinen hast.

Politiker sind keine Fürsten

Wir verorten unsere politischen Parteien nach Kategorien wie «links» oder «rechts» oder «grün». Aber nicht danach, ob sie sich einmischen oder nicht. Dass eine Gesellschaft mit deutlich weniger Politik besser laufen könnte ohne diese vielen Eingriffe und Verordnungen, wird von vielen Bürgern als absurd abgetan.

Deshalb überfrachten wir die Politik seit je mit so unglaublich hohen Erwartungen, dass sie im Grunde genommen nur scheitern kann. Und wenn sie das dann tut, sind wir enttäuscht und wenden uns einer anderen Partei zu, die uns irgendwelche absurden Rundum-sorglos-Pakete verspricht.

Die wahre Ursache für die gegenwärtige Krise liegt meiner Meinung nach nicht an Frau Merkel, Herrn Habeck oder Herrn Merz, sie liegt an der jahrzehntelangen Weigerung von uns allen, Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung zu übernehmen.

Freiwillig und ohne Not haben wir der Politik Einflussbereiche übertragen, die wir nun kaum mehr zurückbekommen. Doch genau das müssen wir. Denn laut Verfassung sind Politiker nichts weiter als unsere Angestellten, das vergessen wir oft. Es sind keine Fürsten oder Lehnsherren, die uns in ihrer unermesslichen Gnade irgendwelche Rechte zugestehen. Es ist genau umgekehrt. Wir, das Volk, und nicht irgendein Kasper in Berlin oder Brüssel sind der Souverän dieses Landes.

Bei vielen Politikern ist das in Vergessenheit geraten. Wenn der Urheber eines satirischen Memes über eine deutsche Innenministerin mit sieben Monaten auf Bewährung bestraft wird oder der Begriff «Schwachkopf» eine Hausdurchsuchung zur Folge hat, dann sind das bedenkliche Entwicklungen.

Als ich vor 25 Jahren als Kabarettist auf der Bühne angefangen habe, war es vor allem wichtig, Gags zu schreiben, bei denen die Leute lachten. Heute sollte man besser Gags schreiben, bei denen die richtigen Leute lachen. Wenn die falschen Leute lachen, kann es schon einmal eng werden mit der Karriere.

Das Tolle am Humor ist, dass durch die Verknüpfung von unorthodoxen Dingen Erkenntnis entsteht. Oder anders gesagt: Lachen verwandelt Mauern in Fenster. So ist es auch kein Zufall, dass in totalitären Systemen der Humor immer bekämpft worden ist.

Churchill hat einmal gesagt: «Ich sammle Witze, die Menschen über mich machen.» Daraufhin soll Stalin gesagt haben: «Ich sammle Menschen, die Witze über mich machen.»

Eigenverantwortung und Selbstbestimmung

Die Trennlinie zwischen einer freien und einer unfreien Gesellschaft verlief immer entlang der Humorgrenze. Deswegen ist Humor auch nicht nett oder harmlos. Humor ist böse, anarchistisch und verstörend.

Wir brauchen dringend ein neues Denken in diesem Land. Wir müssen raus aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit. In unserer vollkaskoversicherten Lebensplanung haben wir vergessen, was die Grundvoraussetzungen für Wohlstand, für Fortschritt und für Freiheit sind: Wagemut, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung.

Diese Werte müssen wir selbstbewusst vertreten. Wir alle müssen mutiger werden und unsere Stimme erheben, wenn uns etwas nicht passt. Das fängt beim Elternabend an und endet im Bundestag bei Abstimmungen über die Zukunft unserer Gesellschaft.

Der von RAF-Terroristen ermordete Manager Alfred Herrhausen brachte das bereits vor vierzig Jahren auf den Punkt: «Wir müssen das, was wir denken, sagen. Wir müssen das, was wir sagen, tun. Und wir müssen das, was wir tun, auch sein.»

Wenn wir darauf warten, dass die zahllosen kollektivistischen und freiheitsfeindlichen Strömungen aufgrund ihrer eigenen Widersprüchlichkeiten ein Ende finden, warten wir vergebens. Denn diese Leute sind so stark, weil sie von der inneren Logik ihrer eigenen Widersprüchlichkeiten vollkommen überzeugt sind. Diese Bewegungen wollen keinen Konsens. Sie wollen nicht diskutieren oder einen Kompromiss finden. Sie wollen die Debatte dominieren und Macht ausüben. Ich glaube, grosse Teile des klassischen liberalen Bürgertums haben das bis zum heutigen Tag noch immer nicht begriffen.

Erheben Sie Ihr Wort!

Daher mein Appell: Bleiben Sie nicht passiv und ducken Sie sich nicht weg, wenn diese Bewegungen Massnahmen fordern, die Sie ablehnen. Erheben Sie Ihr Wort. Auch, wenn man Ihnen heftig widerspricht oder versucht, Sie in eine dubiose Ecke zu stellen. Menschen, die das tun, hoffen nur darauf, dass Sie sich dadurch einschüchtern lassen.

Tun Sie ihnen nicht den Gefallen und legen Sie sich eine Shitstorm-Resilienz zu. Denn das Leben belohnt die Mutigen. – «Quatsch», sagte meine Frau nach ihrem letzten Friseurbesuch.

Kämpfen Sie für das, was Sie für richtig halten, widerstehen Sie.

Und nicht zuletzt: Haben Sie trotz allem Irrsinn Spass. Denn das Leben ist so wahnsinnig kurz. Tun Sie daher öfter etwas Unangepasstes, etwas Verrücktes. Lassen Sie den Freiheitskämpfer aus sich heraus: Schenken Sie einem Gewerkschafter einen FDP-Kugelschreiber. Putzen Sie Ihre Zähne morgens mit Elmex und abends mit Aronal. Brechen Sie die Regeln und pinkeln Sie beim nächsten Schwimmbadbesuch einfach mal ins Becken. Und wenn Sie wirklich mutig sind – auch vom Fünfer!

Denn wenn wir Menschen niemals etwas Bescheuertes getan hätten, wäre auch nichts Geniales entstanden.

Vince Ebert ist Kabarettist und Autor. Der vorliegende Beitrag ist die leicht gekürzte Dankesrede, die der Autor am 25. Oktober in Weimar hielt anlässlich der Verleihung der Hayek-Medaille an ihn durch die Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen