Deutschland braucht dringend eine Klimapolitik ohne Denkverbote (Focus+)
Aber ist es denn tatsächlich eine andere Welt? Oder sind wir nicht eher schlaftrunken aufgewacht aus jahrelangen Tagträumen, ideologisch gepflegten und moralisch hochgehaltenen Wunschvorstellungen und dem konsequenten Verleugnen der Realität („Realitätsillusion“) und haben uns wiedergefunden in einer energiewirtschaftlichen Realität mit einer fatalen Energieabhängigkeit von einem kriegerischen Autokraten im Kreml? Es wird dringend Zeit, dass wir uns ehrlich machen und vernünftig werden in unserer Klima- und Energiepolitik.
Wunsch und Wirklichkeit in der deutschen Energie- und Klimapolitik
Hintergrund ist die erhebliche Diskrepanz zwischen der gefühlten Wahrheit und der tatsächlichen Wahrheit in der deutschen Energie- und Klimapolitik, die immer virulenter und drängender wird. Die gefühlte Wahrheit besteht dabei aus plausibel und angenehm klingenden Wunschvorstellungen und beschönigenden Umschreibungen, die aber mit naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und den realen Sachzusammenhängen, also der tatsächlichen Wahrheit, so gar nicht zusammenpassen. Manche Aussagen im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung – etwa: „Die Erneuerbaren Energien dienen der Versorgungssicherheit“ (KV, S. 56) – spiegeln reines Wunschdenken wider und zeugen schlichtweg von Verkennung der energiewirtschaftlichen Wirklichkeit, solange die zentrale Frage der Energiespeicherung noch immer so fern ist wie vielleicht eine bemannte Marsmission.
Aus der Psychologie wissen wir, dass Wunschvorstellungen beeinflusst werden von der individuellen Betroffenheit und von persönlichen Nutzenüberlegungen sowie der sozialen Anerkennung innerhalb der eigenen Gruppe beziehungsweise Gesellschaft. Es ist daher nur verständlich, dass die Nutznießer der üppigen E-Mobil-Förderung, die Eigenheimbesitzer mit Photovoltaikanlage auf dem Hausdach und die Genossen von Bürgerenergieanlagen gerne an ihre gefühlte klimapolitische Wunschvorstellung glauben (möchten). Und je mehr und je breiter der Staat klimapolitisch motivierte Subventionen verteilt, desto mehr Menschen halten die staatliche Klimapolitik für wahr und richtig. Teilhaber und Nutznießer werden daher kaum widersprechen oder Kritik üben.
Offenbarungseid der deutschen Klimapolitik
Bedauerlicherweise sind aber die tatsächliche Wahrheit und damit die Wirklichkeit eine ganz andere. Schon die am 11. Januar 2022 von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorgelegte „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ war ein Offenbarungseid der gescheiterten deutschen Klimapolitik. Die euphemistische Formulierung darin lautet: „Die Ausgangslage könnte kaum herausfordernder sein“ (BMWK 2022, S. 2).
Denn bedeutet das im Umkehrschluss nicht ein völliges Scheitern der bisher mit Hunderten von Milliarden Euro finanzierten Klimapolitik in Deutschland? Hat nicht der Sachverständigenrat schon im Jahr 2019 die deutsche Energie- und Klimapolitik als „ineffizient, kleinteilig, teuer und (weitgehend) wirkungslos“ bezeichnet? Und leiden wir in Deutschland nicht unter den höchsten Strompreisen in Europa und scheitern dennoch jedes Jahr an den selbstgesteckten Zielen der Emissionsminderung? Und stellen wir nicht umfangreiche Deindustrialisierungsprozesse von circa 25 bis 45 Prozent in der Metallerzeugung, Papierindustrie und Baustoffindustrie in den vergangenen 25 Jahren in Deutschland fest?
Im Hinblick auf die „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ sollte man bedenken, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungszeit weitgehend die energie- und klimapolitischen Forderungen der Grünen umgesetzt hatte, was Robert Habeck ja nicht ohne Selbstbestätigung freimütig einräumt. Mit der „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ setzt daher die Ampel-Regierung die bisherige Energie- und Klimapolitik noch ambitionierter und forcierter fort und strebt eine Verdoppelung und Verdreifachung der Ausbaugeschwindigkeit für erneuerbare Energien bis 2030 an. Es ist frappierend, wie weit gefühlte Wahrheit und tatsächliche Wahrheit in der Klimapolitik auseinanderliegen und erstere dennoch handlungsleitend für die Politik war.
Misere der deutschen Energie- und Klimapolitik
Hintergrund der Misere ist doch folgender: Deutschland hatte sich im Jahr 2011 mit seinem Alleingang in der Energiepolitik (Kernenergieausstieg bis 2022) ins energiepolitische Abseits befördert und international Vertrauenskapital verspielt. Deutschland hat mit dem Beschluss im Jahr 2019 zum Kohleausstieg seine dirigistische Energie- und Klimapolitik fortgeführt und alles auf die letztverbleibende Karte, nämlich auf den massiven Gasimport (aus Russland) gesetzt. Gas wurde im Koalitionsvertrag vom 24. November 2021 sogar noch als sogenannte „Brückentechnologie“ politisch geadelt und auf Betreiben Deutschlands in der EU-Taxonomie am 1. Januar 2022 als „klimaneutrale Energie“ durchgesetzt – gegen den Widerstand der meisten anderen europäischen Länder.
Das Entsetzen am 24. Februar 2022 war groß, als sich schlagartig offenbarte, dass Deutschland keine ausreichende Diversifikation im Energie-, insbesondere im Gasbezug, vorgenommen und über eine längere Zeit die Versorgungsrisiken völlig unterschätzt hatte. Es scheint, als habe die durch Scheuklappen verengte Energiepolitik in Deutschland die grundlegende Regel der Diversifikation und Vermeidung von Klumpenrisiken ignoriert, wofür ein Bankenvorstand sicher wegen Inkompetenz umgehend von seinem Posten entfernt worden wäre.
Das stets mantrahaft verkündete energiepolitische Zieldreieck aus Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltfreundlichkeit ist vollständig in sich zusammengefallen. „Die Illusionen der Energiewendler platzen derzeit wie Luftballons“ (Alexander Eisenkopf). Es ist eine „Quadratur des Kreises“ eine ausreichend verfügbare, bezahlbare und klimafreundliche Energieversorgung zu erreichen und gleichzeitig auf die Energieimporte aus Russland sowie auf Kohle- und Kernenergie verzichten zu wollen.
Sieht so unsere angestrebte „nationale Energiesouveränität“ für den Industriestandort Deutschland aus, mit einem gesinnungsethisch wohlmeinenden Ausbau von Wind- und Photovoltaikanlagen? Wie wird mit einem hohen Anteil volatiler Energien die Versorgungssicherheit am Industriestandort Deutschland gewährleistet? Und wie steht es um die Hemmnisse von Fachkräfteknappheit, Flächennutzungskonkurrenz und gesellschaftliche Akzeptanz bei einer verbreiteten NIMBY-Einstellung („Not in my backyard“) in der Bevölkerung? Wunsch und Wirklichkeit klaffen meilenweit auseinander. Hier fällt einem das Bild von Robert Habeck als dem Ritter „Don Quijote“ von der traurigen Gestalt ein, der – in völliger Verkennung der Realität – zwar nicht gegen Windmühlen, aber für mehr Windräder zu Felde zieht.
Weckruf aus den energiepolitischen Tagträumen
Der Ukraine-Krieg erweist sich als nicht mehr zu überhörender Weckruf
aus den energiepolitischen Tagträumen Deutschlands. Oder ist es etwa
nicht ein Treppenwitz der energiepolitischen Geschichte, dass wir uns
seit dem 24. Februar 2022 wieder verstärkt auf klimaschädliche Braun-
und Steinkohle und auf die Exploration heimischer fossiler
Energiequellen (Gas in der Nordsee und vielleicht auch Fracking für
Schiefergas in Norddeutschland) hinwenden und nur mit konsequenter
parteiideologischer Diskussionsverengung bzw. -verweigerung ein
pragmatisches Weiterlaufenlassen der Kernkraftwerke unterbinden? Sind
denn das nicht genau diejenigen Energieträger, aus denen wir mit unserer
so moralisch-vorbildhaften „Energiewende“ seit 2010 auszusteigen
versucht haben? Ist das dann nicht eine komplette Rolle rückwärts in der
gesamten Energiewende in die Zeit vor 2010?
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Es scheint sich immer noch nicht überall herumgesprochen zu haben, dass Klimapolitik ein „globales, nicht-ausschließbares Gemeinschaftsgut“ ist. Dies bedeutet, dass von der Reduzierung der Treibhausgasemissionen zwar weltweit alle Länder profitieren, aber kein Land durch nationale Maßnahmen zum Klimaschutz beitragen möchte. Die globale Problemnatur und die nationale Problemlösungskompetenz fallen auseinander, so dass internationale Kooperation der souveränen Staaten für einen wirksamen Klimaschutz essentiell ist.
Aus der Verhaltensökonomik wissen wir, dass sich trotz intrinsischer und emotionaler Motivation auf lange Frist und nach Lerneffekten aber das rationale eigeninteressierte Verhalten angesichts der globalen Problemnatur der „Klimapolitik“ durchsetzen wird. Ziel muss es also sein, durch internationale Kooperation eine weltweit einheitliche CO2-Bepreisung als zentrales Lenkungsinstrument der Klimapolitik einzuführen. Dass die einzelnen Länder aber naturgemäß unterschiedliche Interessen haben, erschwert diese internationale Kooperation, was die Antrittsbesuche von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Polen und Frankreich verdeutlicht haben.
Forderung nach Effizienz in der Klimapolitik
Der Bundesrechnungshof mahnt in seinem jüngsten Bericht vom 24. März 2022: „Alle Klimaschutzmaßnahmen müssen auf den Prüfstand: Ihr Fokus muss auf wirksamer und wirtschaftlicher Treibhausgas-Minderung liegen.“ Denn tatsächlich hat die Finanzierung der klimapolitischen Förderprogramme (bisher) kaum eine Rolle gespielt. Und bei CO2-Vermeidungskosten in Höhe von bis zu 2.400 Euro/t bei der staatlichen Förderung der E-Mobilität liegen wir um den Faktor 30 höher als beim EU-Emissionshandel von derzeit circa 80 Euro/t.
Wir brauchen daher dringend eine Neuausrichtung der Klimapolitik an der Kosteneffizienz, was schlichtweg maximale CO2-Einsparung pro ausgegebenem Euro bedeutet. Die Größe der klimapolitischen Herausforderung und die erheblichen unsozialen Verteilungswirkungen der Fördersubventionen und nicht zuletzt die zu befürchtenden erheblichen gesellschaftlichen Freiheitsbeschränkungen machen dies zwingend erforderlich.
Deutschland sollte sich als Technologieweltmeister zeigen
Die Corona-Rezession lehrt uns, dass wir keine Verzichtskultur und keine Suffizienzvorstellungen brauchen, sondern vielmehr massive Investitionen in CO2-neutrale Technologien. Wir müssen neue klimafreundliche Produktions- und Energieerzeugungstechnologien entwickeln und weltmarktfähig machen. Hier sollte sich Deutschland als Technologieweltmeister zeigen und sich nicht ostentativ als „Moralweltmeister“ inszenieren.
Denn: Deutschlands Anteil am globalen Markt für Umwelt- und Effizienztechnologie liegt bei 14 Prozent, der Anteil Deutschlands an den weltweiten Treibhausgasemissionen dagegen bei 1,6 Prozent. Damit haben wir einen um ein mehrfaches größeren Hebel, mit klimafreundlicher Technologie „Made in Germany“ zum Klimaschutz beizutragen. Und gleichzeitig schaffen wir damit Wertschöpfung, Wohlstand und Arbeitsplätze bei uns. Hans-Werner Sinn hat dies treffend formuliert: „Klimapolitische Selbstkasteiung bringt uns nichts.“
Klimaschutz durch Forschung und Innovation
Wir brauchen auch deshalb mehr Forschung und Innovationen, weil trotz des massiven Investitionsbedarfs die Energiewende auf absehbare Zeit eben keine Wachstumsstory ist. Die gut klingende Vorstellung: „Mehr Investitionen = mehr Wachstum“ ist eine Illusion. Denn wir machen eine funktionsfähige Technik obsolet und müssen dafür neue Techniken entwickeln, um am Ende die gleichen Produkte zu produzieren.
Eine volkswirtschaftliche Rendite wird dies vielleicht in
langfristiger Perspektive erbringen, sofern die übrige Welt mitspielt.
Denn gäbe es mit der Energiewende zugleich eine Wachstumsdividende zu
verdienen, hätten wir kein globales Koordinationsproblem in der
Klimapolitik. Doch Gefühlte und tatsächliche Wahrheit passen leider
nicht zusammen. Es ist daher endlich an der Zeit, dass wir die
Klimadiskussion in Deutschland ehrlich führen, uns von liebgewonnenen
Wunschvorstellungen verabschieden und effiziente und wirksame
Instrumente auswählen. Denkverbote darf es hierfür nicht mehr geben!
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