01 August 2022

Hartz-IV-Paradox (Focus-Online)

Hartz-IV-Paradox (Focus-Online)
Warum gibt es bei 1,7 Millionen freien Jobs noch immer 1,6 Millionen Dauerarbeitslose?
Überall fehlt Personal – in der Gastronomie, im Hotelgewerbe, am Flughafen. Gleichzeitig beziehen 1,6 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter Hartz IV. Wie passt das zusammen? (Kolumne von Jan Fleischhauer, Focus Online)
Auszüge:

  • Niemand kann oder will diese Zahlen zusammenbringen und einen Blick auf die werfen, die arbeiten könnten aber nicht arbeiten wollen
  • Wie muss man sich einen typischen Hartz-IV-Empfänger vorstellen? Alleinerziehende Mutter, Medizinerin, die durch eine Scheidung den Boden unter den Füßen verloren hat?
  • Sind es immer die Verkettung misslicher Umstände, die eben noch mitten im Leben stehende straucheln lässt? 
  • Das ist die sentimentale Sicht auf die Dauerarbeitslosigkeit. Die andere wäre, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die schon so lange einer geregelten Beschäftigung entwöhnt sind, dass sie gar nicht mehr wissen, was Arbeit ist.
  • Wie immer man dazu steht: Man wüsste gerne, woran man ist. 44 Milliarden Euro geben wir im Jahr für den Hartz-IV-Staat aus. Es ist einer der größten Posten im Haushalt, fast so groß wie der Verteidigungsetat, um den gerade so gerungen wird. Aber man liest darüber nichts
  • Auch die Regierung fahndet lieber in der Türkei nach Arbeitskräften, als darüber nachzudenken, wie man diejenigen wieder in Lohn bringen könnte, die angeblich jeden Tag die Stellenanzeigen durchforsten. 
  • Vielmehr bestand eines der ersten Gesetzesvorhaben der neuen Regierung darin, den Druck auf Arbeitsunwillige zu senken. 
  • Es ist kein Zufall, dass es die Grünen waren, die auf die Erleichterung drängten. Wer das Leben am Rand der Gesellschaft nur aus der Zeitung kennt, neigt zur Verklärung der Verhältnisse. 
  • Es war immer ein Missverständnis, dass die sogenannten unteren Lohngruppen besonderes Verständnis für das Leben auf Stütze aufbringen würden. Sozialromantik ist auch eine Klassenfrage
  • Je weiter man weg ist, desto leichter fällt das Mitleid. Die Lidl-Verkäuferin hat nichts als Verachtung übrig für die Nichtsnutze, die sich im Hartz-IV-Leben eingerichtet haben und sie im Zweifel noch dafür verspotten, dass sie sich durch den Tag quält. 
  • Gibt es unverschuldete Armut? Aber ja. Man muss sich nur bei einer Tafel in die Schlange einreihen, um das zu erkennen. 
  • Aber nicht jeder, der Hartz IV bezieht, ist ein Opfer der Verhältnisse. Für manche ist es einfach eine Frage der Kalkulation. Wer heute als Vorstand einer vierköpfigen Familie an der Ladenkasse steht oder Umzugskisten schleppt, könnte morgen den Job quittieren, ohne dass er sehr viel schlechter dastände. Auf 2100 Euro netto belaufen sich die Zuwendungen für einen Hartz-IV-Haushalt mit zwei Kindern inklusive Miete. Sind mehr als zwei Kinder im Haus, sind es noch einmal deutlich mehr. 
  • Die Politik kann sich entscheiden, die Leute in Ruhe zu lassen. Wir nehmen auch künftig hin, dass Hunderttausende auf Kosten derer leben, die den Laden am Laufen halten. 
  • Womit wir aber aufhören sollten, ist so zu tun, als träumte jeder Hartz-IV-Bezieher von einem Job, der sich aus unerfindlichen Gründen nie einstellt.

Wer angesichts von 1,7 Millionen verwaisten Stellen keinen Arbeitsplatz findet, ist entweder arbeitsunfähig oder arbeitsunwillig. Einen anderen Schluss lässt die Lage nicht zu. 

 

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