ARD und ZDF: Runter vom hohen Ross! (NZZ)
Deutschlands
öffentlichrechtliche Anstalten müssen endlich Demut und Selbstkritik
lernen. Ein Bruchteil ihres ausufernden Programms reicht aus, der
Pflichtbeitrag sollte mindestens um die Hälfte sinken.
Alexander Kissler, 25.08.2022
Sieht
in der Diskussion um eine Reform des öffentlichrechtlichen Rundfunks in
Deutschland «populistische Kräfte» am Werk: MDR-Intendantin Karola
Wille.
Die
Affäre um den RBB, diese teure, taumelnde Rundfunkanstalt aus Berlin
und Brandenburg, geht an diesem Donnerstag in die nächste Runde. Der
Rundfunkrat, der von den vielen Verfehlungen der fristlos entlassenen
ehemaligen Intendantin Patricia Schlesinger nichts mitbekommen haben
will, tritt in leicht veränderter Besetzung zusammen; vielleicht einigt
er sich bereits auf einen neuen Intendanten. Das Gremium selbst hat
schon einen neuen Vorsitzenden, ebenso kommissarisch eingesetzt wie der
neue Vertreter des bisherigen kommissarischen Intendanten – nachdem
dieser, kaum ernannt, für mehrere Wochen krankgeschrieben wurde.
Der
RBB ist, kurzum, eine einzige Baustelle. Insofern steht er sinnbildlich
für den gesamten öffentlichrechtlichen Rundfunk in Deutschland. Dieser
muss reformiert werden, um überleben zu können.
Zwei
Faktoren stehen dem Wandel allerdings entgegen. Da wäre zunächst die
«Finanzierungslogik». Der CDU-Politiker Rainer Robra, als Kulturminister
des Landes Sachsen-Anhalt ein hartnäckiger Kritiker des bisherigen
Systems, identifizierte in einem Gastbeitrag für die «FAZ» mit diesem
Begriff den stärksten Motor von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Ein
Senderverbund, der Jahr um Jahr zuverlässig, risikolos und meist in
zunehmendem Umfang von der Allgemeinheit finanziert wird, hat die
Tendenz, sich permanent auszudehnen. Wo quantitatives Wachstum sich dank
üppig sprudelnden Beitragssummen von selbst versteht, ist jedes
Gesundschrumpfen eine Denkunmöglichkeit.
Der Pflichtbeitrag müsste halbiert werden, mindestens
Eine
Rosskur wäre gleichwohl das Beste, sowohl für die Beitragszahler als
auch für das duale System. Und das hiesse: Abbau der Sender, Abbau des
Personals, Abbau des Programms und eine deutliche Reduktion des
Pflichtbeitrags, mindestens um die Hälfte. Die Devise müsste lauten:
Akzeptanz durch Exzellenz, Klasse statt Masse.
Heute
produzieren die öffentlichrechtlichen Anstalten in Deutschland rund 400
Stunden Fernsehen und knapp 1500 Stunden Radioprogramm täglich. Ein
Bruchteil davon, ein klug verknapptes Angebot statt des
Rundum-sorglos-Pakets aus Wiederholungen und Dubletten, würde reichen.
Doch
die grösste Phantasie reicht nicht für die Vorstellung aus, die
Bremische Bürgerschaft oder der Saarbrücker Landtag würden je für eine
Auflösung der defizitären Sender Radio Bremen und Saarländischer
Rundfunk votieren. Oder ein Intendant würde je sagen, man verzichte auf
die Übertragungsrechte für grosse Sportereignisse und gebe das
eingesparte Geld den Beitragszahlern zurück.
Mehr
als die eine oder andere punktuelle Strukturveränderung wird auch aus
der nun anstehenden Revision des Medienstaatsvertrags nicht resultieren.
Schon über den blossen Verzicht auf die für 2023 vorgesehene Erhöhung
des monatlichen Pflichtbeitrags werden bittere Diskussionen entbrennen.
Denn – und das ist der zweite beharrende Faktor – ohne einen Wandel in
den Köpfen wird es keinen Wandel in den Strukturen und erst recht nicht
im Programm geben. Die Einsicht, dass jenseits der Aufarbeitung des
RBB-Skandals der öffentlichrechtliche Rundfunk an viel zu vielen Stellen
morsch ist, ist noch längst nicht Allgemeingut.
Die
Intendantin des über mehrere Jahre krisengeschüttelten Mitteldeutschen
Rundfunks (MDR) gibt ein Beispiel der trotzigen Unbelehrbarkeit. Es sei
betrüblich, erklärte Karola Wille, dass die Diskussion «besonders von
populistischen Kräften genutzt» werde, die «in ganz Europa Instanzen
angreifen, die der Wahrheit verpflichtet sind».
Anfang
Oktober wird ein Prozess gegen den langjährigen MDR-Unterhaltungschef
Udo Foht beginnen. Ihm werden Betrug, Untreue, Bestechlichkeit
vorgeworfen. Foht mag der Wahrheit verpflichtet gewesen sein; genügt hat
er dieser Pflicht offenbar nicht. Zudem ist es von einem sehr hohen
moralischen Ross herab gesprochen, den privat finanzierten Medien in
Deutschland zwischen den Zeilen zu unterstellen, sie seien der Wahrheit
weniger oder gar nicht verpflichtet. In einem von der ARD in Auftrag
gegebenen Manual zum richtigen Framen, also zum begrifflichen Umcodieren
der Wirklichkeit, hiess es Anfang 2019, man solle den privaten
Mitbewerbern vorwerfen, sie unterlägen der «Profitzensur».
Claus Kleber und der «Fels im Strom der Medien»
Auch
die Einlassungen anderer ARD-Intendanten, sei es vom Bayerischen oder
vom Westdeutschen Rundfunk, deuten auf eine verminderte Bereitschaft zur
Einsicht. Man will Einzelfälle aufklären und künftige verhindern, aber
im Grossen und Ganzen die alten Strukturen beibehalten. Der hohe Ton
herrscht auch noch im Augenblick der grössten Krise. Gesetzt wurde er
einst von Claus Kleber, dem langjährigen Moderator des «Heute-Journals»
im ZDF.
Kleber
schrieb 2017 in seiner Streitschrift «Rettet die Wahrheit», die
öffentlichrechtlichen Medien seien ein «Fels im Strom der Medien, dem es
gleichgültig ist, dass parteiliche, interessenorientierte
Berichterstattung wirtschaftlich erfolgreicher sein mag als Ringen um
Fairness und Ausgewogenheit». Bei ARD und ZDF werde «aufmerksamer,
engagierter und erfolgreicher als irgendwo sonst um Aufklärung und
Wahrheit gerungen».
Nicht
erst der Skandal beim RBB hat gezeigt: Es ist an der Zeit, dass die
beitragsfinanzierten Anstalten demütiger werden und selbstkritischer.
Ihr Eigenlob und ihre oftmals vorformatierte Weltsicht sollten sie durch
echte Neugier auf die Wel ersetzen.
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