05 August 2022

Manche Vulkanausbrüche verändern spürbar das Klima. Das passiert häufiger als gedacht (NZZ)

Manche Vulkanausbrüche verändern spürbar das Klima. Das passiert häufiger als gedacht (NZZ)
Eine Analyse von Eisbohrkernen liefert Hinweise darauf, wie oft man mit klimaverändernden Eruptionen rechnen muss. Eine international koordinierte Vorbereitung auf dieses Risiko fehlt bisher.
Sven Titz
Als Anfang des Jahres ein Vulkan im Inselstaat Tonga ausbrach, beobachteten Klimaforscher das mit Argusaugen. Denn die ersten Satellitenaufnahmen wiesen eine riesige Wolke aus Asche und Gasen nach, die bis in die Stratosphäre aufstieg. Aus dem Schwefeldioxid in solchen Wolken entstehen Partikel, die die Sonnenstrahlung abschirmen.
Handelt es sich um große Mengen, kann es auf der Erde merklich kälter werden. Sehr bekannt ist die heftige Eruption des Tambora in Indonesien im Jahr 1815. In der Folge fiel 1816 in Europa der Sommer aus. Die Temperatur über den Landflächen sank weltweit um ungefähr ein Grad Celsius.
Nach dem Ausbruch auf Tonga in diesem Jahr gab es aber rasch Entwarnung; die herausgeschleuderten Schwefelmengen waren zu gering, als dass sie sich stark auf das Klima hätten auswirken können.
Doch die Wahrscheinlichkeit, dass erneut irgendwo auf der Erde eine Eruption wie die von 1815 auftritt, ist grßser als gedacht. Das geht aus einer neuen Studie von Forschern um Michael Sigl von der Universität Bern hervor, die in der Zeitschrift «Earth System Science Data» erschienen ist.
Der Ausbruch des Tambora war nicht der kräftigste
Das Team analysierte Bohrkerne aus dem Eis von Grönland und von der Antarktis. Darin sind Spuren von schwefelhaltigen Partikeln konserviert, die nach Eruptionen bis in die Polargebiete verfrachtet wurden. Sie erlauben Rückschlüsse auf frühere Vulkanausbrüche. Die Forscher um Sigl haben anhand dessen ermittelt, wie oft Eruptionen verschiedener Stärke in der Vergangenheit aufgetreten sind.
«Noch vor wenigen Jahrzehnten dachte man, der Tambora-Ausbruch sei der stärkste der vergangenen 13 000 Jahre gewesen», sagt Sigl. Entsprechend selten, so wurde vermutet, treten solche Ereignisse auf.
Doch nach und nach wurden in der Vergangenheit immer mehr große Eruptionen entdeckt. Die Forscher stellten fest, dass es solche Ereignisse vielleicht ein- bis zweimal pro Jahrtausend gibt. Die neue Auswertung der Eisbohrkerne zeigt jetzt: Eruptionen, die ähnlich große Schwefelmengen wie der Tambora in die Atmosphäre beförderten, haben sich im Durchschnitt alle 422 Jahre wiederholt.
Grosse Vulkanausbrüche sind selten, kommen aber regelmässig vor
Vulkanologen berechnen die Wiederkehrzeit von Ausbrüchen normalerweise jeweils für jeden Vulkan einzeln – indem sie das herausgeschleuderte Material ringsum datieren. «Doch je weiter sie zurückschauen, desto weniger wissen sie», erklärt Sigl. Wegen der Erosion sei nach 10 000 Jahren nicht mehr viel übrig, vor allem in den Tropen.
Bei den Eisbohrkernen sieht das anders aus. Denn das Eis konserviert die schwefelhaltigen Partikel von Vulkanausbrüchen hervorragend. Darum seien die Bohrkerne für die Schätzung von Wiederkehrzeiten so gut geeignet, sagt der Berner Forscher.
Die Rekonstruktion verrät auch, dass in der Zeit vor 11 500 bis 9000 Jahren deutlich mehr Vulkaneruptionen auftraten als in den letzten 2500 Jahren. Die Ursache ist laut den Forschern das Abschmelzen der grossen Eisschilde gewesen. Weil sich dadurch gegen Ende der Eiszeit der Druck verringerte, nahm vorübergehend die Schmelzrate in der Erdkruste zu und damit auch die Vulkanaktivität. «Das passierte hauptsächlich in Gebieten, die zuvor vergletschert gewesen waren, zum Beispiel auf Island, in Alaska und auf der Halbinsel Kamtschatka», sagt Sigl.
Etwas Ähnliches könnte sich in Zukunft wiederholen. Dann nämlich, wenn die Gletscher und Eisschilde der Erde immer weiter abschmelzen. Doch bis die Erdkruste auf die Entlastung reagiert, dauert es Jahrhunderte.
Die Ernte könnte vielerorts ausfallen
Aber auch für gegenwärtige vulkanische Risiken ist die neue Studie relevant: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwischen 2022 und 2050 eine Eruption mit den Ausmassen von Tambora ereignet, beträgt zum Beispiel ungefähr 6 Prozent, wenn man die ermittelte Wiederkehrzeit zugrunde legt.
Der Ernstfall hätte weitreichende katastrophale Konsequenzen: Der Flugverkehr würde zusammenbrechen, Systeme für die Telekommunikation und die Navigation könnten ausfallen, und Ernteerträge sänken drastisch ab.
Auch Ausbrüche, die weniger stark wären als jener von Tambora, könnten gravierende weltweite Folgen haben, sofern sie in einer Region auftreten, deren Infrastruktur empfindlich und zugleich für die Weltwirtschaft relevant ist. Das berichteten Forscher um Lara Mani vom Centre for the Study of Existential Risk an der University of Cambridge im vergangenen Jahr in der Zeitschrift «Nature Communications». Mit solchen Ereignissen muss man noch öfter rechnen als alle 400 Jahre.
Schon seit einer Weile weisen Vulkanologen darum immer wieder mahnend darauf hin, es sei nötig, Vorbereitungen für Ausbrüche mit globaler Wirkung zu treffen. Bis anhin gibt es nur nationale oder regionale Pläne. Nach dem Ausbruch des Eyjafjallajökull in Island, der 2010 ein Flugchaos verursachte, wurde zum Beispiel die European Aviation Crisis Coordination Cell gegründet, um ein ähnliches Durcheinander beim nächsten Mal zu vermeiden. Doch eine globale Übereinkunft, wie man bei einem heftigen Ausbruch mit weltumspannenden Folgen vorgehen würde, existiert derzeit nicht.

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