15 August 2022

Ist Freiheit „rechts“? (WELT+)

Ist Freiheit „rechts“? (WELT+)
von Anna Schneider, Chefreporterin
Auszüge:
...Um hier richtig verstanden zu werden: Es ist Nonsens, das Wort „rechts“ als Schimpfwort zu verwenden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es in der deutschen medial-politischen Debatte zum guten Ton gehört, nicht rechts zu sein – und das auch regelmäßig zu betonen.
Wenn ich nun also sage, dass ich der Meinung bin, man sollte dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner jetzigen Form sein längst überfälliges Ende bereiten gelte ich manchen, Sie ahnen es, als rechts.
Unterstrichen wird dieser Vorwurf wie immer am liebsten mit einem Kontaktschuldkonstrukt – die AfD sei ja auch dieser oder zumindest ähnlicher Meinung. Es ist das intellektuell denkbar dürftigste Argumentationsmuster, und es zieht sich, wie gesagt, seit geraumer Zeit durch viele Debatten.
Ein paar Beispiele :
  • Sie finden gendergerechte Sprache nicht so super, selbst wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk Sie täglich wissen lässt, dass sie doch sehr super ist? Rechts.
  • Sie üben scharfe Kritik an den überbordenden Corona-Maßnahmen und waren aus diesem Grund vielleicht sogar demonstrieren? Rechts.
  • Sie können mit einem sogenannten Antirassismus, der Menschen nach Hautfarben einteilt und Farbenblindheit in diesem Zusammenhang dezidiert ablehnt, nichts anfangen? Rechts.
  • Sie haben ein Problem mit den Sozialismusträumereien von Luisa Neubauer und finden daher auch die Fridays for Future nicht ganz so unterstützenswert? Rechts.
  • Sie halten Cancel Culture nicht bloß für eine Erfindung von Donald Trump oder Friedrich Merz? Rechts.
  • Sie finden das Opfer- und Quotengedöns des zeitgenössischen Feminismus eher schwierig? Rechts.
  • Sie sind der Meinung, dass es biologisch nur zwei Geschlechter gibt? Dann sind sie nicht nur rechts, sondern auch transfeindlich – Jacke wie Hose.
Diese Liste ließe sich beliebig lang fortführen. Das Muster ist immer dasselbe.
Nun haben alle diese Punkte tatsächlich etwas gemeinsam: Zwar kann man sie als politisch Rechter vertreten. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich noch etwas anderes, und zwar, dass sie ebenso für freiheitliches Denken stehen. Allein die Existenz einer Schnittmenge von gemeinsamen Ansichten unterschiedlicher politischer Pole (an dieser Stelle: liberal und rechts) liegt nur leider außerhalb der Vorstellungskraft zartbehirnter Gemüter.
Ich kann ich nicht verhehlen, dass es doch meist Kandidaten aus dem linken beziehungsweise grünen Politspektrum sind, die mit diesen gedanklich eigentlich nicht wirklich schwer fassbaren Nuancen so ihre Probleme haben.
Insbesondere durch die Freiheitsdebatte im Rahmen der Corona-Pandemie galten und gelten Wörter wie Freiheit, Eigenverantwortung oder Selbstbestimmung als vermeintlich ganz schlimmes Vokabular derer, die sich weigern, Karl Lauterbachs Panikpolitik anzuhängen, die Herr ihres eigenen Körpers bleiben möchten und die außerdem nicht glauben, dass Freiheit ein kollektives Gut ist. Dass diese Gedanken auch von tatsächlichen Corona-Leugnern und Rechtsaußenvertretern wie etwa der AfD geteilt werden, tut das Übrige zur Verunglimpfung dieser für eine liberale Gesellschaft so wichtigen Begriffe.
Der politische Begriff „Freiheit“ werde zusehends von rechts gekapert, heißt es dann, und ich frage mich wirklich, wem man hier die Schuld für seine eigenen Unzulänglichkeiten geben will.Es ist nämlich so, dass es früher einmal die politische Linke war, die Freiheit als Wert an sich hochhielt. Nicht umsonst trägt Willy Brandts Biografie den Titel „Links und frei“. „Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden wichtiger sei als alles andere, dann lautet meine Antwort ohne Wenn und Aber: Freiheit“, sagte er bei seiner Abschiedsrede am SPD-Parteitag 1987.

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