18 August 2022

Medienförderung - Journalismus in Gefahr: Unabhängigkeit ist eine Drehtür (Cicero+)

Medienförderung
Journalismus in Gefahr: Unabhängigkeit ist eine Drehtür (Cicero+)
Weil die Regierung die Unabhängigkeit des Journalismus in Gefahr sieht, hat sie ihn dieser Tage ein Stück abhängiger gemacht. Klingt paradox, doch die 2,3 Millionen Euro, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth in der letzten Woche für zehn ausgewählte Projekte zur Stärkung des Journalismus freigegeben hat, befeuern eine ohnehin bereits gefährliche Nähe zwischen Regierung und Medien. So kann es nicht weitergehen.
VON RALF HANSELLE am 17. August 2022
Der unabhängige Journalismus ist in Gefahr. Das sagen nicht wir, das sagt Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen). Und, so sollte man vielleicht ergänzen: Sie sagt es zu Recht. Denn die Probleme der Branche sind seit langem bekannt. Bereits 2014 hatte der Deutsche Journalistenverband zu diesem Thema ein alarmierendes Positionspapier herausgebracht. Unter dem Titel „Zukunft des Journalismus“ hieß es in diesem etwa: „Alle Medien unterliegen hinsichtlich ihrer Finanzierung und der Produktionsabläufe verstärktem (Rechtfertigungs-)Druck.“ Und weiter: „Die generelle Bereitschaft, für (Qualitäts-)Journalismus zu bezahlen, hat abgenommen. Die Zahl der publizistischen Einheiten, also der redaktionell selbstständigen Tageszeitungen mit Vollredaktionen, die den gesamten redaktionellen Teil herstellen, hat sich verringert. Ebenso die Zahl der Zeitungsausgaben und die Zahl der Verlage als Herausgeber von Zeitungen.“
Ja, der unabhängige Journalismus ist in der Tat in Gefahr. Die gesamte Landschaft erodiert. Sinkende Auflagen, wegbrechende Werbegelder, eine oftmals zu starke Nähe zwischen Medienhäusern und politischen wie wirtschaftlichen Akteuren, zuletzt auch noch eine Glaubwürdigkeitskrise wie im Fall Patricia Schlesinger. Nicht erst die Corona-Pandemie und ihre publizistische Begleitung haben gezeigt, dass das Wort Unabhängigkeit allzu oft gegen journalistische Ränkespiele, redaktionelle Vorurteile sowie einen wachsenden Schlendrian eingetauscht worden ist. 
Die vierte Gewalt geht Krachen
Wenn Medienhäuser wie der Hamburger Spiegel großzügig und ohne Not Großspenden von mindestens fragwürdigen Philanthropen entgegennehmen und Tageszeitungsjournalisten nach Sonnenuntergang problemlos in die Rolle von Keynote Speakern großer Konzerne switchen, dann sind einstige Selbstverständlichkeiten längst ins Rutschen geraten. Doch es geht um weit mehr: Das ehemals höchste Gut des Journalismus steht zur Disposition: die publizistische Glaubwürdigkeit. So ermittelte in der Schweiz zuletzt sogar ein Sonderermittler gegen den dortigen Großverlag Ringier und dessen CEO Marc Walder, weil der begründete Verdacht im Raum stand, es habe Abmachungen zwischen dem Schweizer Bundeshaus und einem der größten Schweizer Medienhäuser gegeben. Besonders heikel: Mögliche Indiskretionen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Die vierte Gewalt also scheint dieser Tage gewaltig Krachen zu gehen.

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Von Unabhängigkeit jedenfalls kann oft keine Rede mehr sein. Höchste Zeit also, dass auch die Politik auf das Thema aufmerksam wird. Denn ein unabhängiger Journalismus, so sagt es nicht nur Claudia Roth, ist Pfeiler und Stütze der Demokratie. An dieser Stelle aber enden auch schon die wesentlichen Übereinstimmungen zwischen der grünen Kulturstaatsministerin und den um echte Unabhängigkeit bemühten Medienrezipienten. Denn um die Autonomie der Berichterstattung wieder herzustellen, hat die Ampel-Koalition in diesem Jahr ein Programm aufgelegt, das jeden um freie Berichterstattung wirklich besorgten Bürger um den Schlaf bringen sollte: Die Bundesregierung, so heißt es in einer Mitteilung aus der vergangenen Woche, unterstützt fortan mit rund 2,3 Millionen Euro aus dem Etat für Kultur und Medien zehn Projekte zum Schutz und zur strukturellen Stärkung des Journalismus.
Geld als Versuchung

Für viele ist damit eine Grenze überschritten. Denn nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht hat in einer mittlerweile 61-jährigen Rechtsprechungstradition immer wieder auf die sogenannte Staatsferne von Rundfunk und Medien hingewiesen. „Staatsferne“, so heißt es in einer Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes der Bundesregierung aus dem November 2016, bedeute zunächst aber, „dass der Staat selbst nicht die Funktion des Rundfunkbetreibers übernehmen darf. Er darf aber auch keinen bestimmenden Einfluss auf die Programmgestaltung oder die Programminhalte nehmen können“.

Nun sind 2,3 Millionen Euro sicherlich noch kein bestimmender Einfluss – zumal die Bundesregierung nicht Zeitungen, Magazine oder Rundfunkanstalten direkt mit dem warmen Geldsegen beglückt. Aber sie sind eine Versuchung. Denn die Förderungen fließen an „Modellprojekte, die möglichst viele unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen adressieren und den Journalismus in seinen Strukturen stärken“ sollen. Zu diesen Projekten zählen etwa die Neuen Deutschen Medienmacher*innen, das Netzwerk Recherche oder das Essener Recherchezentrum Correctiv.

Unabhängigkeit ist eine Drehtür

Insgesamt zehn Projekte aus 31 Förderanträgen wurden so bedacht. Ausgewählt von einer Fachjury, in der u.a. Renate Schroeder, Direktorin der Europäischen Journalisten Föderation, der Dortmunder Journalistikprofessor Frank Lobigs, aber auch die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman, saßen. Besonderes Schmankerl: Letztere war zum Zeitpunkt der Jury-Sitzung im Mai 2022 noch Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher*innen, just jenes Vereins also, der später mit zu den glücklichen Gewinnern zählte. Und nicht nur das: Auch zwei weiteren Jurymitgliedern – Henriette Löwisch, Leiterin der Deutschen Journalistenschule, sowie Wolfgang Schulz von der Universität Hamburg – schien nichts besseres einzufallen, als die eigenen Institutionen an den staatlichen Fördertopf zu bringen. Ein wenig ist es also, als hätte sich die Schwedische Akademie den Literatur-Nobelpreis gleich selbst verliehen. Unabhängigkeit ist mithin eine Drehtür.

Doch man sollte es mit der Freiheit und den Medien ohnehin nicht allzu genau nehmen. Andernfalls stieße man ja bald wie selbstverständlich auf die eigentliche Gretchenfrage: Freiheit wofür? Unabhängigkeit wovon? Wie bei allen Freiheits- und Gleichheitsrechten, die jedem Bürger im ersten Abschnitt des Grundgesetzes zugesprochen werden, ist ja schließlich auch die in Artikel 5 festgelegte Meinungs- und Verbreitungsfreiheit von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes ursprünglich einmal als Abwehrrecht gegen den Staat gedacht gewesen. Es ging also um die Unabhängigkeit vom Leviathan selbst, die unter anderem eben auch mittels Pressefreiheit gewährleistet werden sollte.

Wenn dieser Leviathan nun aber nun ausgerechnet in Gestalt der Exekutive als fast schon willkürlicher Mäzen all jene bedenkt, die ihm tagespolitisch wohlgesonnen sind – und der Verdacht liegt bei einigen der jetzt geförderten Medienprojekte ja durchaus im Raum –, dann ist die hehre Unabhängigkeit endgültig flöten. Wohin das am Ende führen kann, das beweist nicht zuletzt ein Blick nach Österreich. Dort hatte die Inseraten-Politik des im Dezember gestürzten Ex-Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) die bei unserem südlichen Nachbarn ohnehin sehr ausgeprägte Neigung zur Pressesubvention zur Explosion gebracht. Aus einer eigentlich freien Presse hat sich Partei-, ja am Ende sogar Regierungspropaganda entwickelt. Claudia Roth hat somit Recht: Der unabhängige Journalismus ist in Gefahr. Das Rumgefinger der Regierung aber wird ihm endgültig den Garausmachen.

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