die beste aller Erfindungen ist das Leben selbst. Erst recht wenn man bedenkt, dass wir es geschenkt bekommen.
Wir mussten bei unserer Geburt keinen Aufnahmetest bestehen. Es gab keinen Numerus Clausus und keine Ratenzahlung, die wir abzustottern hätten. Ausnahmsweise hält mal kein Staat und keine Bank die Hand auf.
Die zweitbeste Erfindung ist ein Leben in Wohlstand und Freiheit. Hier allerdings ist ein wichtiger, man kann auch sagen ein schmerzlicher Unterschied zu beachten: Es wird uns nichts geschenkt. Wir müssen uns selber anstrengen; nicht einmal, nicht zweimal, sondern immer wieder.
Der Einzelne muss es tun. Und die ihn umgebende Gesellschaft muss ihn darin bestärken. Und beide zusammen haben das einmal Erreichte immer wieder gegen Neider, Rivalen und veritable Feinde zu verteidigen. Erst im Zusammenspiel von Ich und Wir lässt sich jenes Ergebnis erzielen, das wir gemeinhin Wohlstand nennen. Oder anders gesagt: Unser Wohlstand ist ein echtes Joint Venture.
Heute Morgen schauen wir durch das Schlüsselloch unserer Volkswirtschaft in jenen geheimnisvollen Raum, in dem dieser Wohlstand erzeugt wird. Und was wir da sehen, kann uns nicht erheitern.
Wir erkennen im Innern den glühend roten Kern unserer Wohlstandserzeugung, doch dieser Kern schmilzt und bildet an den Rändern seiner Erkaltung eine bläulich schimmernde Kruste aus.
- Die heute noch 45 Millionen Menschen umfassende deutsche Arbeitsgesellschaft wird bis zum Jahr 2060 nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes auf 35 Millionen schrumpfen. Besonders prekär: Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze – und damit der guten Jobs – schrumpft deutlich schneller auf nur noch 27,7 Millionen Menschen in 2060.
- Die Zahl der Rentner, die dann von dieser Stammbelegschaft der Deutschland AG mit versorgt werden muss, steigt im selben Zeitraum von heute 21 auf dann rund 29 Millionen an.
- Der Effekt einer sinkenden Geburtenrate wird sich
mittel- und langfristig verstärken. Denn die dann kleinere Ausgangsbasis
von Menschen im gebärfähigen Alter erzeugt eine immer kleiner werdende Nachwuchsschar. Wurden Anfang der sechziger Jahre noch 1,2 Millionen Babys geboren, sind es im Jahr 2021 noch rund 795.500. Nach den Prognosen des Statistischen Bundesamts wird diese Zahl bis zum Jahr 2050 um rund 30 Prozent auf etwa 560.000 Geburten pro Jahr schrumpfen.
Damit gerät Deutschland in eine Zangenbewegung. Die Erträge der Arbeitsgesellschaft werden kleiner und der Finanzierungsbedarf des Sozialstaates wird größer. Der neue Wirtschaftsweise Martin Werding rechnete vor Kurzem vor:
"Um
das Finanzloch zu schließen, bräuchte man 2040 zusätzlich 180
Milliarden Euro pro Jahr. 60 Prozent des ganzen Bundeshaushalts würden
in die Sozialversicherung gehen, das ist völlig unbezahlbar".
Damit verschieben sich im öffentlichen Haushalt der Bundesrepublik die Gewichte von der Investition zur Konsumtion.
Ohne eine Reform der Sozialversicherungen verlieren die Arbeitnehmer jeden Anreiz zur Arbeit. Laut der Bertelsmann Stiftung wird die Summe der Beitragssätze von Rentenversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Arbeitslosenversicherung bis 2040 auf fast 50 Prozent und bis 2080 gar auf 60 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens anwachsen.
Es kommt zu einer permanenten Wachstumsverlangsamung und damit zum relativen Abstieg des Landes. Die USA, China und derzeit auch alle EU-Staaten wachsen kraftvoller. Deutschland: Der Abstieg eines Superstars.
Die unbequeme Wahrheit unserer Generation ist also diese: Ein Weiter-So bedeutet die Kernschmelze der Arbeitsgesellschaft und damit unseres Wohlstandes. Das Fatale: Nicht Chinesen, Amerikaner oder die Zugewanderten fügen uns diesen Schaden zu, sondern wir selbst drücken uns aus der Spitzengruppe der Nationen heraus.
Die politische Klasse traut sich eine Trendumkehr offenbar nicht zu, weshalb die ungeschminkte Analyse unterbleibt und ein ganzes Dorf potemkinscher Scheinlösungen angeboten wird. Jedes Entlastungspaket verrät die Absicht, das Volk ruhig stellen zu wollen. Die österreichische Essayistin Ingeborg Bachmann hat in dieser Regierung offenbar keine Freunde. Ihr berühmter Satz, der auch ihre Grabplatte in Klagenfurt ziert, bleibt in Berlin ungehört:
Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.
Dazu passt: Die neu veröffentlichten Daten von eurostat, der europäischen Statistikbehörde, bestätigen den Druckabfall der deutschen Volkswirtschaft. Zwar wächst die Wirtschaft der EU verglichen mit dem Vorjahr im zweiten Quartal deutlich um vier Prozent, hingegen verzeichnet Deutschland nur ein Plus von 1,5 Prozent und belegt damit den letzten Platz.
Den größten Zuwachs konnten Slowenien (8,3 Prozent), Portugal (6,9 Prozent), Ungarn (6,5 Prozent) und Spanien (6,3 Prozent) verbuchen.
Frankreich, von deutschen Politikern oft belächelt, schneidet mit 4,2 Prozent deutlich besser ab als Deutschland.
Selbst Italien (4,6 Prozent) weist signifikant bessere Wachstumszahlen vor.
Fazit: Wenn die Unionsparteien ihren ökonomischen Markenkern nicht verraten, sondern pflegen würden, müssten sie noch heute Morgen eine Aktuelle Stunde im Bundestag beantragen. Irgendeiner im Konrad-Adenauer-Haus sollte zuvor allerdings das Funkgerät bedienen: Friedrich Merz, bitte landen, bitte landen!
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