19 August 2022

Neue Details im rbb-Skandal - „Es raubt mir die letzten Illusionen, wo ich eigentlich arbeite“ (Cicero+)

Neue Details im rbb-Skandal
„Es raubt mir die letzten Illusionen, wo ich eigentlich arbeite“ (Cicero+)
Bei der Belegschaftsversammlung am Donnerstag brachte die rbb-Führung ihr Personal an den Rand des Nervenzusammenbruchs. So wurde unter anderem deutlich, dass die aktuelle Verwaltungsdirektorin mit der Juristischen Direktorin verheiratet ist – und dass das Paar von der Vorsitzenden des rbb-Rundfunkrates getraut wurde. In diesem Zustand hat der Sender jedenfalls keine Zukunft mehr.
VON JENS PETER PAUL am 19. August 2022
Eineinhalb Stunden waren veranschlagt für die jüngste rbb-Belegschaftsversammlung, am Ende wurden es drei. Was dort wiederum alles am Donnerstagnachmittag auf den Tisch kam, veranlasste eine Teilnehmerin schließlich zur resignierten Feststellung: „Ich will diese ganzen schrecklichen Details gar nicht mehr hören.“ Eines dieser Details: Der einstweilige Umbau der Geschäftsleitung, notwendig geworden durch die Verzichtserklärung der Intendantin, auf die am Montagabend ihre formelle Abberufung durch den Rundfunkrat folgte, haben ein ohnehin bereits bestehendes Compliance-Problem an der Senderspitze noch gravierend verschärft.
Am 10. August wurde die bisherige Hauptabteilungsleiterin und Personalchefin Sylvie Deléglise zur kommissarischen Verwaltungsdirektorin ernannt, um Hagen Brandstäter auf diesem Posten zu ersetzen. Die 58 Jahre alte, in Nordfrankreich geborene Juristin ist verheiratet mit der unverändert amtierenden Juristischen Direktorin Susann Lange. Die beiden Frauen haben zwei gemeinsame Kinder. Nach eigenen Angaben leben sie inzwischen in Trennung.
„Alleine private Gründe“
Ob sie dessen ungeachtet nach wie vor gemeinsam ein Stadthaus in Berlin-Mitte bewohnen, wie es auf den Fluren des Funkhauses heißt, ist unsicher. Sicher ist aber, wer die beiden Frauen seinerzeit getraut hat: Friederike von Kirchbach, von 2012 bis zu ihrem Ruhestand 2021 Pfarrerin in der Kirchengemeinde St. Thomas in Berlin-Kreuzberg, seit 2007 Mitglied und seit 2013 Vorsitzende des rbb-Rundfunkrates. Für die Entscheidung, sich ausgerechnet vor Frau von Kirchbach das Ja-Wort zu geben, gab es laut Deléglise „alleine private Gründe“, die sie nicht darlegen wolle.
Es gebe aber darüber hinaus „keine privaten Kontakte“ zu Frau von Kirchbach, beteuerte sie. Sie habe, so die neue Verwaltungsdirektorin, immer alles gegenüber den Gremien und Instanzen „offengelegt“ und stets „Dienstliches und Privates sauber getrennt“. Wann immer für sie als Personalchefin die Gefahr eines Interessenkonfliktes bestanden habe, sei ihr Stellvertreter mit der Angelegenheit betraut worden, und sie selbst habe sich herausgehalten.

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Deléglise sagte weiter, sie wende sich deshalb von sich aus mit ihren privaten Verhältnissen an die rbb-Belegschaft, weil zuvor „im Chat“ kritische Fragen gerade an sie herangetragen worden seien. Deshalb habe sie sich entschieden, in ihrer persönlichen Erklärung ihre Trennung von Susann Lange quasi offiziell zu verkünden. Ein menschlich anständiges Verhältnis zu ihrer Ex-Partnerin Lange sei aber auch und besonders im Interesse der beiden gemeinsamen Kinder. Da sie als Erfinderin des Bonus-Systems gilt, speziell dessen Ausweitung auch auf Intendantin und Direktoren, die es unter der Ex-Intendantin und Schlesinger-Vorgängerin Dagmar Reim nach allen vorliegenden Informationen noch nicht gab, stand Sylvie Deléglise diesmal besonders im Feuer der kritischen Fragen und Kommentare. Tenor: „Muss man denn wirklich Frauen und Männer mit 200.000 Euro Jahresgehalt noch gesondert motivieren? Das ist doch alles völlig absurd.“
Ein Monster geschaffen

Tatsächlich hat die ehemalige Personalchefin und neue Direktorin mit Hilfe der Kienbaum-Unternehmensberatung, die hier völlig bedenkenlos agierte, mit ihrem Bonus-System ein bürokratisches Monster geschaffen und, wie einer nach Deléglises langwierigen Erklärungsversuchen sagte, „verwirrende mathematische Formeln missbraucht als Feigenblatt für gierige Interessen“.
Ihre Liaison mit der Justitiarin, die wiederum als enge Vertraute von Patricia Schlesinger gilt, war im Sender allerdings seit Jahren ein offenes Geheimnis. Wer Deléglise nun zur Direktorin gemacht hat und auf welchem Weg, wenn auch nur kommissarisch, ist zur Stunde noch unklar. Laut Paragraph 13 des rbb-Staatsvertrages kann das eigentlich nur der Rundfunkrat gewesen sein, und zwar auf Vorschlag des Intendanten, hier also Brandstäter.
Von einem entsprechenden Wahlvorgang ist aber nichts bekannt. Es gibt lediglich eine knappe Pressemitteilung des Senders, die den Vollzug der Beförderung meldet. Interessenkonflikte auf höchster Ebene des Senders, alleine schon im Hinblick auf gegenseitige Geheimhaltungspflichten, sind aber spätestens jetzt unvermeidlich. Eine unbefangene Wahrnehmung der Beratungs- und Kontrollfunktion, die die Justitiarin gegenüber dem amtierenden Intendanten und den übrigen Direktoren auszuüben hat, ist in dieser Konstellation schwerlich vorstellbar.
Ausgesprochen problematisch ist aus Sicht der Belegschaft darüber hinaus, dass Rundfunkrat und Verwaltungsrat nach wie vor regelmäßig auf den Rat und den Sachverstand der Juristischen Direktorin Lange zurückgreifen, von der nach allen vorliegenden Informationen der Dienstvertrag von Patricia Schlesinger im wesentlichen stammt, dessen Auflösung sich nun aus Sicht des Senders als enormes Problem erweist.
Frau Lange habe Frau Schlesinger stets in jeder Beziehung den Rücken freigehalten, etwa, als es um jene Boni ging, deren Existenz bis Mitte der Woche noch wahrheitswidrig von ihren Nutznießern bestritten oder mit Phantasiebezeichnungen verschleiert worden war. Das wiederum veranlasste die tagesschau am Mittwoch zu einer in der Geschichte der ARD einmaligen Berichterstattung. In dieser wird die verbliebene rbb-Geschäftsleitung, also Intendant Brandstäter und seine Direktorinnen und Direktoren, de facto als Vertuschungs-, wenn nicht Lügenverein dargestellt.
Ende der Bonuszahlungen

Unmittelbar darauf sagte Brandstäter, die Geschäftsleitung des Senders strebe „ein Ende der Bonuszahlungen“ an und wolle „in diesem Jahr keine zusätzlichen Zahlungen mehr in Anspruch nehmen“, denn sie sei sich einig, „dass dieses System der leistungsorientierten Vergütung für die Führungskräfte keine Zukunft mehr hat“.
Welche Zukunft die gesamte Geschäftsleitung des Rundfunks Berlin-Brandenburg noch hat, gilt von Tag zu Tag als ungewisser. Nach Wahrnehmung der Belegschaft teile sich ihre Führung inklusive der Hauptabteilungsleiter wie Chefredakteur David Biesingerimmer deutlicher in zwei Fraktionen auf: „Die einen gehen in Deckung und spielen toter Käfer“ (ein Beobachter), die anderen täten so, als seien sie schon immer gegen dieses schreckliche Bonussystem gewesen – von dem sie selbst profitierten – und nun „froh, dass es endlich abgeschafft wird“ (noch ein Beobachter).
Der Versuch von interessierter Direktoren- und Hauptabteilungsleiter-Seite, alle Verantwortung für Selbstbedienung und Maßlosigkeit auf Patricia Schlesinger abzuwälzen und sich selbst als glaubwürdige und endlich frei agierende Reformatoren darzustellen, wie er sich an der Masurenallee 24 Stunden lang nach der Beschlussfassung des Rundfunkrates abzeichnete, ist nach Lage der Dinge allerdings jetzt bereits als krachend gescheitert anzusehen, denn Business Insider legte – wenig überraschend – umgehend nach.
Soweit sich die Abläufe heute abzeichnen, hatte die Intendantin ihre Direktoren und Hauptabteilungsleiter, also alle, die neben ihr ebenfalls Boni nach zum Teil lächerlichen Kriterien erhielten, spätestens ab 2018 in der Hand – und jene ließen es nur zu gerne geschehen. Mindestens die vier Direktoren gelten im Maschinenraum des Senders, dort, wo das Programm gemacht wird, wie Schlesinger ebenfalls als heillos korrumpiert. Entsprechend heute die Frage einer Journalistin: „Wann gehen Sie?“ Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus gab sich einsichtig mit dem Tenor, er sehe auch für sich Konsequenzen inzwischen als unvermeidbar, während alle übrigen Hierarchen so taten, als hätten sie nichts gehört.
„Den Übergang organisieren“
Natürlich steht der rbb aber vor dem Problem, dass er nach einer tabula rasa führungslos dastünde und niemand mehr vorhanden wäre, der den Transformationsprozess hin zu einer komplett neuen, wieder innerhalb und außerhalb des Senders glaubwürdigen und anerkannten Leitung rein praktisch organisieren könnte. Deshalb könnte – Stand heute – Hagen Brandstäter mit seiner Beteuerung durchkommen, er wolle lediglich noch anständig „den Übergang organisieren“ und sich dann in den Ruhestand verabschieden – eine Lösung, die den jüngeren und ehrgeizigen Sendermanagern, etwa Chefredakteur David Biesinger, natürlich nicht zur Verfügung steht.
Die älteren Journalisten erinnert die Lage der Anstalt ein wenig an jene von Konrad Adenauer (wobei natürlich ungeachtet allen Zorns und aller Verbitterung niemand im rbb seine Chefinnen und Chefs mit alten Nazis vergleichen will), der sich 1950 rechtfertigen musste für die Übernahme von diskreditierten Beamten in sein Kanzleramt. Adenauer erwiderte: „Man schüttet kein schmutziges Wasser aus, ehe man reines hat.“ Antwort von André François-Poncet, französischer Hoher Kommissar in Deutschland: „Aber um reines Wasser zu haben, muß man schleunigst zum Brunnen laufen!
Dieser Brunnen ist für den Sender aber derzeit noch in weiter Ferne, zumal niemand weiß, in welcher Himmelsrichtung er zu suchen wäre. Jeder Versuch eines Rundfunkrates oder von sonstwem, nun nach alter Mauschel-Methode ohne lästige Beteiligung der Werktätigen einen neuen Intendanten zu rekrutieren, um den ganzen Skandal möglichst schnell vergessen zu machen, würde die Lage im Haus vollends eskalieren lassen. Die Plazierung von Namen angeblich heißgehandelter Kandidaten bis hin zu so absurden wie Tina Hassel, Ulla Fiebig oder gar Jan Schulte-Kellinghaus und Susann Lange hatte, gewollt oder ungewollt, lediglich den Effekt, dass sie noch vor jeder Ausschreibung als erledigt zu gelten haben.
Das gilt um so mehr, als auch dieser Rundfunkrat, dessen wichtigste Aufgabe, bei der er so eklatant versagt hat, die Intendantensuche und -wahl ist, in seiner jetzigen Zusammensetzung kaum Bestand haben kann.
Als Sylvie Deléglise heute offenbarte, wer sie und Susann Lange einst getraut hat, waren selbst die wortmächtigsten Redakteure im Haus des Rundfunks erst einmal sprachlos. Einer klinkte sich vorzeitig aus der Teams-Sitzung aus mit den Worten: „Es ist alles so unfassbar schlimm – ich kann nicht mehr. Es raubt mir die letzten Illusionen, wo ich eigentlich arbeite".

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