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Die „Tagesschau“ meldete während der Corona-Pandemie eifrig jeden Abend
die Inzidenzzahlen, ohne diese sinnvoll einzuordnen, und zahlreiche
Redaktionen – von „Stern TV“ bis Tagesspiegel – überboten sich
darin, den Demonstranten gegen die Corona-Politik eine
menschenfeindliche Gesinnung zu unterstellen. Nicht selten, ohne auch
nur mit einem einzelnen Kritiker gesprochen zu haben. Und wenn, dann
stand die Story häufig schon fest, weshalb man sich vor Ort bemühte,
ausschließlich mit jenen ins Gespräch zu kommen, die man schon schon aus
200 Metern Entfernung als unterbelichtet hätte erkennen können. Während
jene wiederum nicht gehört wurden, die ehrliche Anliegen sowie
begründete Ängste um ihre Existenz und die Demokratie hatten.
Eine heterogene Gruppe
Nein, auch während der Corona-Pandemie sind viele Medien ihrer
Aufgabe nicht gerecht geworden. Sie sind denselben Reflexen
anheimgefallen wie einst während der Flüchtlingskrise;
Schwarz-Weiß-Denken, Spalten, homogene Lager erfinden, obwohl die Gruppe
der Corona-Protestler in bisher vielleicht ungekannter Weise heterogen
war: vom esoterischen Grünen-Wähler bis zum harten Rechtsaußen, vom
Lagerarbeiter bis zum Professor, von Menschen, die ständig
demonstrieren, bis hin zu Leuten, die überhaupt das erste Mal in ihrem
Leben auf die Straße gegangen sind.
Und wie das eben so ist, wenn man die Bevölkerung ohne Verstand in
Gut und Böse, in moralische und unmoralische Lager aufteilt, durften
auch die Häuptlinge nicht fehlen, die von regierungsfreundlichen Medien
und der Politik in der seichten Logik des Italian Westerns ernannt
wurden. Gefunden hat man diese Immerrichtigliegenden in den Zünften der
Virologen und Epidemiologen. Wer sagte, was dem Corona-Regime gerade
recht war, wurde zum Vernunftbegabten erkoren, wer nicht, der wurde für
vogelfrei erklärt und damit zum medialen Abschuss freigegeben. Und der
Stammesführer der Maßnahmenbefürworter, das war praktisch zu jeder Zeit
der Berliner Virologe Christian Drosten.
Das Muster ist bekannt
Was Drosten sagte, das war für viele Bürger und Medien Gesetz. Und
wer die Dinge anders sah als Drosten, der machte sich mindestens
verdächtig, wenn nicht direkt versucht wurde, den Corona-Delinquenten
dann gänzlich aus dem Diskurs zu drängen. Und damit meine ich nicht nur
Leute wie den Internisten Wolfang Wodarg, der schon sehr früh aus der
Corona-Debatte geschrieben wurde, sondern auch den Bonner Virologen
Hendrik Streeck, stets eher ausbalancierend auf die Corona-Maßnahmen
blickend, und der, wäre es zum Beispiel nach Deutschlands Hofnarr Nummer
Eins, Jan Böhmermann, gegangen, dafür lieber früher als später hätte gecancelt werden müssen.
Selbst der Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr, ehemaliger Leiter
des Globalen Influenza-Programms der Weltgesundheitsorganisation, wurde
für seine Expertise bisweilen von Schreibtischarbeitern angefeindet, die
im Zero-Covid-Wahn den Ausnahmezustand am liebsten bis in alle Ewigkeit
verlängern würden. Gleiches widerfuhr und widerfährt noch dem Virologen
Jonas Schmidt-Chanasit. Denn Streeck, Stöhr und Schmidt-Chanasit haben
eines gemeinsam: Sie sprechen sich schon seit Monaten mehr oder weniger
für eine Rückkehr zur Vor-Corona-Normalität aus. Ebenso wie Thomas Mertens übrigens, Leiter der Ständigen Impfkommission (Stiko), der die Pandemie bereits im Oktober für beendet erklärt hatte.
Stammesführer der Covidianer
Nun folgt auch Christian Drosten seinen Vornormalisierern und hat die Pandemie jüngst im Interview mit dem Tagesspiegel ebenfalls
für beendet erklärt („Nach meiner Einschätzung ist die Pandemie
vorbei“). Reichlich spät, muss man sagen, aber das scheint gar nicht der
entscheidende Punkt zu sein. Sondern, dass es erst des Machtworts des
Stammesführers der Covidianer bedarf, um eine breite Debatte über ein
schnelles Ende aller Corona-Maßnahmen anzustoßen.
Die üblichen Verdächtigen, allen voran Bundesgesundheitsminister Karl
Lauterbach und sein immerwarnendes grünes Pendant Janosch Dahmen,
sträuben sich dagegen zwar noch, aber der Druck auf sie und ihre
bedingungslosen Unterstützer dürfte schnell und spürbar zunehmen.
Insofern dürften wir in den kommenden Wochen wohl das letzte Aufbäumen
des Panikorchesters erleben, das schon bald sein letztes Tönchen
gespielt haben wird.
Denn
das Muster, das sich nach Drostens Aussagen bereits in ersten Zügen
offenbart, ist bekannt: Bei den großen Themen unserer Zeit stehen
Kritiker als Paria so lange in der Schusslinie bis eine von Medien und
Politik auserwählte höhere Instanz exakt das Gleiche sagt, was andere
schon seit Monaten sagen, in diesem Fall: „Corona isch over“. Und die
Frage drängt sich auf, warum eine eigentlich freie Gesellschaft immer
wieder solch höheren Instanzen hinterherrennt und deren Worte streut,
als wären sie sakrosankt. Insbesondere, wenn es sich bei diesen höheren
Instanzen um Wissenschaftler handelt, deren Aufgabe es eigentlich wäre,
sich „Schritt für Schritt nach oben zu irren“ (Vince Ebert) und nicht,
endgültige Wahrheiten auszusprechen, die gelten ab heute und bis ans
Ende aller selbst gezählten Tage.
Keine neuen Reaktionen
Ich habe in den vergangenen Monaten mit einigen Journalisten
gesprochen, auch mit Maßnahmenbefürwortern, die die Rolle der Medien
während der Corona-Pandemie weniger kritisch sehen als ich, und die
Christian Drosten als ebenjene höchste Instanz wahrgenommen und zitiert
haben, deren Einschätzungen nicht hinterfragt werden sollten; zuletzt
etwa im ZDF-Format „13 Fragen“. Die gute Nachricht: Die Erkenntnis
scheint sich langsam durchzusetzen, dass viele Redaktionen ihrer Aufgabe
während der Corona-Pandemie nicht gerecht geworden sind. Die schlechte
Nachricht lautet: Immer wieder wird dies damit begründet, dass die
Corona-Situation doch eine gänzlich neue gewesen wäre.
Ich halte das für eine Ausrede; ein bewusster oder unbewusster
Versuch, bloß nicht zu viel Verantwortung auf die eigene Kappe zu
nehmen. Ja, die Corona-Pandemie mag eine neue Situation gewesen sein;
eine, die für viel Unsicherheit gesorgt hat. Aber die Reaktionen der
Politik, großer Teile der Medien und der Öffentlichkeit waren eben nicht
neu, sondern gelernt: vom Schubladendenken bis zur Wahl der edlen
Häuptlinge, die entweder für das ausnahmslos Gute und Moralische oder
eben für das genaue Gegenteil gestanden haben sollen.
Der Di-Lorenzo-Moment
„Wir werden einander viel verzeihen müssen“, lautet das wohl
bekannteste Zitat der (nun wirklich?) beendeten Corona-Pandemie. Es
stammt bekanntermaßen vom ehemaligen Bundesgesundheitsminister Jens
Spahn (hier im Cicero-Podcast).
Bisher steht dieser Satz allerdings weitgehend nutz- und seelenlos im
Raum, weil überhaupt erstmal jemand um Entschuldigung bitten müsste, um
ihm oder ihr verzeihen zu können. Allen voran die verantwortlichen
Politiker und eine ganze Schar Journalisten.
Denn die Politik hätte zu jeder Zeit die Wahl gehabt, welche
Entscheidungen sie auf Basis welcher Einschätzungen von Drosten und Co.
trifft, anstatt sich – wie leider häufiger geschehen – hinter all den
Experten und ihren Aussagen zu verstecken. Gleiches gilt für die Medien,
deren Aufgabe die Kontrolle, nicht das Nachplappern gewesen wäre. Man
darf daher gespannt sein, ob auch die Corona-Debatte noch ihren
Di-Lorenzo-Moment erleben wird. Es wäre wünschenswert, um das Vertrauen
in unsere Demokratie, in unsere Grundrechte zurückzugewinnen.
Schonungslose Aufarbeitung der Corona-Jahre
Dennoch befürchtet der zuletzt stark gewachsene Kulturpessimist in
mir, dass versucht werden wird, das Ganze einfach sang- und klanglos
auslaufen zu lassen, obwohl es während der Pandemie zu den größten
Freiheitseinschränkungen in Nicht-Kriegszeiten gekommen ist. Und ich
befürchte auch, dass selbst eine schonungslose Aufarbeitung der Corona-Jahre nicht
dazu führen würde, dass man beim nächsten Unvorhergesehen, das über uns
hereinbricht, den immergleichen Reflexen endlich widersteht.
Genau genommen sind in der Diskussion über den Ukraine-Krieg und die
deutschen Waffenlieferungen ja ähnliche Reflexe zu beobachten, wie wir
sie aus genannten Debatten schon kennen. Wenn auch mit deutlich anderen
Vorzeichen, weil ziemlich klar ist, wer hier Aggressor und wer
Angegriffener ist. Vorsicht wäre dennoch angebrachter als die
Stigmatisierung kritischer Stimmen als „Putin-Versteher“, wenn lediglich
etwa Sinn und Wirksamkeit der Russlandsanktionen hinterfragt werden.
Denn die Risse durch unsere Gesellschaft sind wahrlich schon groß genug.
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