08 Dezember 2022

Das Scheitern der totalitären No-Covid-Idee – und das Schweigen ihrer Verfechter (WELT+)

Das Scheitern der totalitären No-Covid-Idee – und das Schweigen ihrer Verfechter
Von Frank Lübberding (leicht gekürzt)
China steht vor dem Scherbenhaufen seiner No-Covid-Ideologie. Sie hatte auch in Deutschland Fans – von Spitzenpolitikern und Virologen bis hin zu namhaften Soziologen und Journalisten. Dass sich dieser totalitäre Irrweg bei uns nicht durchsetzte, hat nur eine Ursache.
Bei uns hat diese Krise in China andere Konsequenzen: Viele Menschen fühlen sich angesichts der Bilder an unseren eigenen Umgang mit den Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen in den vergangenen Jahren erinnert. Jeder erinnert sich noch an die Stimmungsmache in weiten Teilen der Medien, die den Protest gegen die Lockdown-Politik als staatsfeindlich brandmarkten. Jedes damals vorgebrachte Argument gegen die Wahrnehmung von in der deutschen Verfassung garantierten Grundrechten könnte heute auf die Demonstranten in China angewendet werden. Es fehlt nur noch eine auf falschen Annahmen beruhende Studie, die behauptet, Demonstranten wären für die Verbreitung des Corona-Virus verantwortlich – wie sie in Deutschland im Februar 2021 veröffentlicht wurde. Seriöse und unseriöse Publikationen bezogen sich darauf.

Wer heute die Bürgerrechte in China anmahnt, muss somit auch über das Staatsverständnis Auskunft geben, das er selbst in den letzten Jahren vertreten hat. Eine intellektuelle Herausforderung, wie sie etwa in der Stellungnahme des Bundespräsidenten zu den jüngsten Ereignissen deutlich wird. Er äußert sein Verständnis für die chinesischen Demonstranten, hat aber ein moralisches Problem: Anfang des Jahres hatte für ihn „der Spaziergang seine Unschuld verloren“. Es ging um jene Demonstranten, denen im Lockdown das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aberkannt worden war.

Im Dezember 2020 galt China in Deutschland bereits als Gralshüter einer effektiven Pandemiepolitik. Die Erfinder des Lockdowns in Wuhan? Vorbildlich, nicht zuletzt für Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die totalitäre chinesische No-Covid-Ideologie war damals längst in unserer Gesellschaft angekommen. Die Idee einer Eliminierung des Virus hatte sich festgesetzt: Wenige Tage nach dem Merkel-Auftritt auf einem Digitalgipfel  wurde eine Verschärfung des schon im November 2020 verhängten Lockdowns beschlossen. Jetzt fehlte nur noch der ideologische Überbau, der die politische Praxis mit einer passenden Theorie adelte. „Ein sehr guter Anfang“, so nannte das der Virologe Christian Drosten auf Twitter, wo er eine am 20. Januar 2021 in der „Zeit“ vorgestellte No-Covid-Kampagne empfahl.

Wie so eine konzertierte PR-Kampagne für eine politische Idee aussieht, konnte man damals sehen. Als am 26. Januar 2021 auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ enthusiastisch Werbung für „No-Covid“ machte, wurde sie von Drosten auf Twitter ebenfalls dafür gelobt: „Ohne Vision geht es nicht.“

Auf einer sehr professionellen, aber seitdem nicht mehr aktualisierten Webseite mit dem Namen nocovid-europe.eu, die sich allerdings lediglich mit Deutschland beschäftigte, steht das auch von der „Zeit“ veröffentlichte No-Covid-Manifest mit dem Titel „Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2“, publiziert am 18. Januar 2021 von einer multidisziplinär zusammengesetzte Gruppe, zu der unter anderem die Virologin Melanie Brinkmann, der Soziologe Heinz Bude, der Physiker Dirk Brockmann, der Ökonom Clemens Fuest und der Mediziner Michael Hallek gehörten. Diese Gruppe politiknaher Berater durfte ihren Plan damals sogar dem Bundeskanzleramt und den Ministerpräsidenten unterbreiten.

Unter den Autoren des Papiers findet sich auch der Bonner Politikwissenschaftler Maximilian Mayer, der zu Beginn der Pandemie zusammen mit dem Mao-Verehrer Otto Kölbl den Aufsatz „Learning from Wuhan“ verfasst und dann als Co-Autor des sogenannten „Panik-Papiers“ des Bundesinnenministeriums den chinesischen Weg der Pandemiebekämpfung empfohlen hatte.
Parallel zum No-Covid-Manifest erschien am 17. Januar 2021 außerdem noch ein „ZeroCovid“ genannter Aufruf, der das mehr oder weniger gleiche Anliegen unter anderem Etikett verkaufte und mit antikapitalistischer Folklore anreicherte. Zu seinen Erstunterzeichnern gehörten der WDR-Journalist Georg Restle, die Autoren Margarete Stokowski und Mario Sixtus, außerdem die Klimaaktivistin Luisa Neubauer.

Fast zwei Jahre später funktioniert No-Covid noch nicht einmal mehr in einem totalitären Sonnenstaat wie China. Und die deutschen Verfechter der Idee? Sie schweigen dazu so laut, dass man fast das Rascheln ihrer alten Strategiepapiere hört.

Dass sich No-Covid bei uns nicht durchsetzte, lag nicht an der Vernunft der Protagonisten oder an deren Skrupeln bei der Umsetzung.
Den einzigen Schutz boten die Institutionen einer offenen Gesellschaft: Zwar konnte man Kritiker als Staatsfeinde denunzieren, aber nicht als Staatsfeinde zum Schweigen bringen.
Der Föderalismus setzte bei uns den No-Covidianern effektive Grenzen. Nicht zuletzt der frühere NRW-Ministerpräsident Armin Laschet war politisch ein Gegenpol zu Angela Merkel, die ihre Sympathien für den chinesischen Kurs deutlich durchscheinen ließ. Die versuchte Monopolisierung wissenschaftlicher Erkenntnis scheiterte, weil Experten wie Klaus Stöhr auf Dauer nicht überhört werden konnten.

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