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Vademecum der Freiheit (Cicero+)
Vademecum der Freiheit (Cicero+)
„Welt“-Chefreporterin Anna Schneider legt mit ihrem neuen Buch
„Freiheit beginnt beim Ich“ die erfrischende Kampfschrift einer
Individualistin vor. Und erteilt darin allen Bedenkenträgern wider die
Freiheit eine Abfuhr.
VON ALEXANDER GRAU am 29. November 2022
„Freiheit ist Freiheit. So einfach ist das.“ Und ja, so einfach ist
das tatsächlich. Die wenigsten trauen sich allerdings, das so klar zu
sagen. Anna Schneider, Chefreporterin bei der Welt, traut sich.
Und das ist wichtig. Denn insbesondere in Deutschland wird von Freiheit
und Individualität eher verdruckst und unter Vorbehalt gesprochen.
Freiheit? Findet man hierzulande im Prinzip gut, doch dann kommt zumeist
umgehend das große „Aber“: Mit der Freiheit müsse man
verantwortungsvoll umgehen. Niemals dürfe sie rücksichtslos sein. Oder
sich auf Kosten anderer ausleben. Wichtig seien Zusammenhalt und Solidarität. Und am Ende bleibt vor lauter lauwarmem Moralin von der Freiheit nichts mehr übrig.
Nicht so bei Anna Schneider. Und das ist eine Wohltat. Schneider
erteilt allen Bedenkenträgern wider die Freiheit eine Abfuhr. Freiheit
endet eben nicht dort, wo die Freiheit der anderen beginnt, sondern
umgekehrt: „Die Freiheit des anderen endet dort, wo die Freiheit des
Einzelnen beginnt.“
Wirkliche Freiheit ist anstrengend, daran lässt auch Schneider keinen
Zweifel. Und sie ist eine Herausforderung. Aber Freiheit lohnt sich,
denn sie bedeutet, von niemandem abhängig zu sein, selbstbestimmt und
autonom. Anknüpfend an den Ökonomen Friedrich August von Hayek bedeutet
Freiheit für Schneider die Abwesenheit von Zwang. Oder anders
formuliert: „Freiheit ist das Recht, in Ruhe gelassen zu werden.“
Freiheit braucht inaktive Politik
Doch wir leben in einer Gesellschaft, die den Einzelnen nicht in Ruhe
lässt. Und wer dennoch auf seine Unabhängigkeit pocht, gilt schnell als
vulgärliberal. Denn Freiheit dürfe nicht als Freibrief für
Verantwortungslosigkeit missverstanden werden. Was jedoch als
verantwortungsvoll zu gelten hat, das bestimmt im Zweifelsfall die
Gesellschaft. Das ist dann das Ende der Freiheit. Anna Schneider
beschreibt diese Logik der Unfreiheit ebenso präzise wie scharfzüngig.
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Besonders gefährlich ist der grassierende Kollektivismus, weil er
sich gerne als Individualismus ausgibt. Deutlich wird das insbesondere
in den identitätspolitischen Debatten
unserer Tage und den Hypersensibilitäten, die sich zunehmend
breitmachen. Denn Individualismus bedeutet radikale Autonomie. Mit dem
weinerlichen Einklagen von Unterstützung aufgrund irgendwelcher
Gruppeneigenschaften hat das wenig zu tun. Dennoch macht sich im Namen
angeblicher Selbstverwirklichung ein rigider Neukollektivismus breit,
der Menschen in Quoten
und Gleichstellungsmaßnahmen zwingt. Statt individueller
Gleichberechtigung herrscht kollektive Gleichmacherei. Wie formuliert
Schneider so schön: „Euer Paternalismus kotzt mich an.“
Bleibt ein Kernproblem: Wirklicher Liberalismus ist seinem Wesen nach
Antipolitik. Denn Politik bedeutet, Gesellschaften zu gestalten – der
Liberale aber möchte sich nicht gestalten lassen. An diesem Dilemma
scheitert auch regelmäßig die FDP. Ihr attestiert Schneider daher: Die
Freien Demokraten mögen demokratisch sein, frei sind sie nicht.
Anna Schneider hat etwas in Deutschland Seltenes vorgelegt: eine
erfrischende Kampfschrift einer radikalen Liberalen und Individualistin.
Schon das macht das kurzweilige Büchlein lesenswert. Es ist ein
Vademecum der Freiheit.
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