Keine Chance auf ein faires Verfahren (Cicero)
„Wer sich für die Verbreitung oder Unterdrückung von Nachrichten bestechen lässt, handelt unehrenhaft und berufswidrig“, heißt es gleich eingangs im deutschen Pressekodex. Genau dies ist hier aber, siehe oben, geschehen. „Die Presse nimmt ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen wahr.“ Das wiederum ist hier offensichtlich nicht geschehen.
„Die Berichterstattung über Ermittlungs- und Gerichtsverfahren dient der sorgfältigen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Straftaten und andere Rechtsverletzungen, deren Verfolgung und richterliche Bewertung. Sie darf dabei nicht vorverurteilen.“ Tatsächlich nahm das Ausmaß der Vorverurteilung im konkreten Fall bereits in den ersten Stunden der sogenannten Berichterstattung rekordverdächtige Ausmaße an. Kein Wunder nach bis zu zweiwöchiger, dankbar akzeptierter Vorbereitungszeit.
Weiter: „Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat.“ Auch gegen diesen Grundsatz wurde verstoßen. „Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines 'Medien-Prangers' sein. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.“
Zumwinkels Hinrichtung als Probelauf
Erstmals erprobt wurde das Verfahren der einstweiligen medialen Vorabbestrafung im Februar 2008 an Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel. Da war das ZDF sogar zwei Stunden vor den Fahndern zur Stelle; drinnen in der Villa im Kölner Stadtteil Marienburg schlief noch alles tief und ahnungslos. „Der Verrat von Informationen kam von Seiten der Behörden“, sagte Zumwinkel später. Seine Familie und er seien in den Wochen danach mit Telefonterror, Nachstellungen und Erpresserbriefen überzogen worden. Aus diesen Gesetzesbrüchen sei dann seine „mediale Hinrichtung“ geworden. Unter anderem deshalb kam er im Prozess ein Jahr später mit einer Bewährungsstrafe plus namhafter Geldstrafe davon.
Und Zumwinkel konnte sich die besten Anwälte leisten. Das war vier Jahre später beim Schwabinger Kunstsammler Cornelius Gurlitt nicht der Fall. Der alte Mann wurde von den bayerischen Behörden, Zoll und Staatsanwaltschaft, vom Kanzleramt und wiederum einer Reihe von Qualitätsmedien als angeblicher Besitzer und Händler von NS-Raubkunst vorverurteilt und regelrecht fertiggemacht, bis er 2014 in einem Krankenhaus starb. Selbst dort hatten ihn Abgesandte der Bundeskanzlerin noch heimgesucht und dreist bearbeitet. Gesühnt ist dieses Unrecht bis heute nicht.
Die unfassbaren Einzelheiten beschrieb Maurice Philip Remy 2013 zunächst in einem Dokumentarfilm für arte („Der seltsame Herr Gurlitt“) und 2017 in seinem Buch „Der Fall Gurlitt. Die wahre Geschichte über Deutschlands größten Kunstskandal“. Remy zeigte, dass von den 1280 beschlagnahmten Grafiken und Gemälden lediglich fünf eindeutig als Raubkunst nachzuweisen waren. Und nur ein einziges von diesen, die Zeichnung „Inneres einer gotischen Kirche“ von Adolph von Menzel, habe die Taskforce von Kulturstaatsministerin Monika Grütters eigenständig identifiziert. Dieses Resultat staatlicher Recherche sei, so Remy, fürwahr blamabel.
Jetzt müssen sie Höchststrafe fordern
Und heute? Wie wollen tagesschau und Spiegel, Süddeutsche und Zeit, ZDF-heute, Bild
und die ganzen SPD-Blätter eigentlich von ihrem Baum wieder
herunterkommen, sollte sich die Beweislage demnächst als noch dürftiger
herausstellen, als sie jetzt schon erscheint? Was, wenn es gegen die
Beschuldigten am Ende nicht einmal für eine längere Untersuchungshaft
reicht, geschweige für ein Hauptverfahren und eine Verurteilung? Das ist
doch bereits rein denklogisch gar nicht mehr vorstellbar angesichts der
Fallhöhe, die hier im Zusammenwirken von Innenministerin,
Justizminister, Generalbundesanwalt, Bundeskriminalamt und Journalisten
planmäßig in wochenlanger Vorbereitung erzeugt wurde.
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Darüber hinaus setzen sie sämtliche mit diesem Fall noch zu befassenden Richter und Staatsanwälte ebenfalls unter einen unheilvollen Zugzwang. Diese werden sich vom ersten Moment an mit der keineswegs nur theoretischen Gefahr des Vorwurfs konfrontiert sehen, bei nicht ausreichend zackigem Vorgehen einer verharmlosenden oder gar AfD-nahen Haltung nachzuhängen. Die hier erzeugte Vorgeschichte ist geeignet, das Selbstverständnis der Staatsanwaltschaft als objektivste Behörde der Welt, die in jedem Einzelfall und vom ersten bis zum letzten Moment ihrer Arbeit genauso sorgfältig auch entlastende Momente zu ermitteln und vorzutragen hat, zu konterkarieren.
Medial-politischer Zirkelschluss
Das Argument, die Taten seien alleine schon deshalb im schwerkriminellen, staatsgefährdenden Bereich anzusiedeln, weil die Behörden ja andernfalls ganz sicher nicht 3.000 Ermittler und die GSG 9 aufgeboten hätten, um bundesweit zur „größten Razzia aller Zeiten“ auszuschwärmen, ist an intellektueller Schlichtheit schwer zu übertreffen. Ein Vorwurf ist ein Vorwurf und ein Verdacht ist ein Verdacht. Untersuchungshaft dient der Untersuchung, nicht der Vorab-Bestrafung für alle Fälle. Durchsuchungen dienen der Beweissicherung und beweisen selbst erst einmal gar nichts.
Nachdem die Beschuldigten offenbar als letzte im Land erfahren haben, was ihnen am Morgen des 7. Dezember 2022 bevorsteht, sie jedenfalls keinerlei Anstalten machten, sich der Festnahme zu entziehen oder Beweismittel zu unterdrücken, sieht es mit Flucht- und Verdunkelungsgefahr als Haftgründen eigentlich schon jetzt nicht besonders gut aus.
Die Ermittlungsbehörden wiederum machen den Zirkelschluss im Zusammenwirken mit Bundespräsident und Bundesregierung komplett, wenn sie mit zufriedenem Grusel angesichts von Sondersendungen und Schlagzeilen konstatieren, dass sie hier offenbar tatsächlich in letzter Minute eine beispiellose staatsfeindliche Schweinerei enttarnt hätten, denn wäre es harmloser, würden die Medien ja wohl kaum derart loslegen, abgehen und frei drehen.
Rassismus und Flugblätter
Bereits die schlichte Frage, welchen Schaden die Durchsuchten und Inhaftierten bis heute tatsächlich bereits konkret angerichtet haben, könnte die Ankläger aber in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.
Der liegt nämlich nach allem, was man bis jetzt weiß, bei null, abgesehen natürlich vom „Rassismus“, dessen sich die beschuldigte Richterin und ehemalige AfD-Abgeordnete schuldig gemacht haben soll mit Behauptungen, nach denen Flüchtlinge gegen Antibiotika resistente Keime eingeschleppt haben. Plus die Flugblätter, mittels derer Heinrich XIII. die 6.500 verblüfften Einwohner von Bad Lobenstein darüber aufzuklären versuchte, sie seien gar keine deutschen Staatsbürger, was jene allerdings nur mäßig beindruckte, am Lauf der Dinge in dem kleinen ostthüringer Städtchen mit seinem schmucken Kurpark samt neuer Therme wenig änderte und auch Bad Lobensteins 11. Moorprinzessin Bionda Börner nicht zum Überlaufen ins benachbarte, aber doch arg bescheidene Jagdschlösschen Waidmannsheil veranlasste, zumal sie sich dort im Turmzimmer räumlich arg hätte einschränken müssen.
Paisleymuster als Beweis für Gefährlichkeit
Kein Wunder, dass ersatzweise Äußerlichkeiten als Indizien für gefährliche Verfassungsfeindlichkeit herhalten müssen. Heinrich XIII., so eine besonders einfältige Feststellung, bevorzuge denselben Herrenausstatter wie Alexander Gauland. So viel würdelosen Unsinn, wie sich dieser 71-jährige Prinz in den vergangenen Tagen anhören musste bis hin zu kenntnisfreien Analysen seiner Kleidung („lorbeerzweigfarbenes Sakko, kombiniert mit Krawatte und Seideneinstecktuch mit jeweils eigenen, wilden Paisleymustern“), nachdem er sich weigerte, wie ein Verwahrloster herumzulaufen, kann er selbst in zehn Jahren nicht gequasselt haben. Der Spiegel erkennt hier ernsthaft einen „banalen Schick des Antidemokratischen – in Tweed und Seide gewandet“. Gut, dass Hannah Arendt diesen Vergleich mit Adolf Eichmann, diesen unglaublichen Missgriff nicht mehr erleben muss. So viel Mühe und Geist und dann haben die doch nichts verstanden. Nichts.
Deswegen eine ganze bis an die Zähne bewaffnete Armee in Marsch zu setzen, sollte auch zutiefst um die staatliche Ordnung Besorgte fragen lassen, ob hier eigentlich noch die Relationen gewahrt wurden. Volkstümlich das Fazit der Berliner Zeitung: „Schlecht geplantes Rumgestümper vieler verschrobener Dilettanten. Das macht keine Angst und bringt einen höchstens zum Lachen.“ Sachkundig Ex-BGH-Strafrichter Thomas Fischer, mühsam an sich haltend: „Kein 'Unternehmen' der Beseitigung der Bundesrepublik (Paragraf 81 StGB) weit und breit! Keine konkrete Planung, kein Datum, keine Vorstellung vom Ablauf des 'Staatsstreichs'. Stattdessen: verfassungswidriges, rechtsradikales Geschwätz, wirres Zeug, individuelle und (vielleicht) kollektive Straftaten mit abwegiger Motivation.“ Fischers Resümee: „politische Wichtigtuerei“.
Phänomenbereich „Delegitimierung“
Wenn es nur Wichtigtuerei wäre. Über all dem schwebt ja der
multifunktionale Vorwurf der „Delegitimation staatlichen Handelns“.
Watschelt wie DDR-Sprech aus der Normannenstraße, quakt wie DDR-Sprech,
riecht wie DDR-Sprech – scheint sich um DDR-Sprech zu handeln und das
ist es auch. Ausgangspunkt seien, so das Bundesamt für
Verfassungsschutz, „die staatlichen Schutzmaßnahmen gegen die
Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Freiheitseinschränkungen“.
Die hätten nicht nur „eine breite gesellschaftspolitische Debatte“ und
„verfassungsrechtlich legitime Proteste“ ausgelöst (nicht einmal das
würde der Bundespräsident – „der Spaziergang hat seine Unschuld
verloren“ – unterschreiben), sondern „in einzelnen Fällen auch als
Vorwand und Hebel [gedient], um die demokratische und rechtsstaatliche
Ordnung als solche zu bekämpfen“. Um diese Umtriebe zu bekämpfen, habe
das Bundesamt im April 2021 „den neuen Phänomenbereich
'Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates' eingerichtet“.
Mit den Erfolgen dieser Neuerung scheint die Bundesinnenministerin aber
noch lange nicht zufrieden zu sein. Faeser will das Disziplinarrecht
ändern und die Beweislast umkehren: Beamte mit „Umsturzfantasien“
sollten künftig ihre Unschuld beweisen müssen. Rechtsstaatsprinzip adé.
Damit macht sich diese Frau, die vor ihrem Wechsel in die
Bundesregierung keine Hemmungen hatte, für kommunistische und amtlich als verfassungsfeindlich festgestellte Organisationen zu schreiben, selbst zu einem Fall für den Verfassungsschutz.
Rechte Warnungen vor Blackout
Und trotzdem ist „Delegitimierung des Staates“ ein Schlüsselwort, denn sie findet ja wirklich statt. Allerdings vor aller Augen und seit mehr als zehn Jahren, begangen ganz amtlich durch die Exekutive. Je wütender Bundesregierung und Qualitätsmedien eine Warnung vor Fehlentscheidungen und krisenhaften Zuspitzungen als verantwortungslose Verschwörungstheorie zurückweisen, desto höher inzwischen die Wahrscheinlichkeit, dass genau jene Warnung sich kein Jahr später verwirklicht.
Beispiel: Erst neulich galt eine Beschwörung eines flächendeckenden Stromausfalls noch als „rechts“ oder sogar „rechtsradikal“. Inzwischen gibt es sogar eine App namens „StromGedacht“ des Netzbetreibers Transnet BW, mittels der man sich den kommenden Blackout – zunächst begrenzt auf Baden-Württemberg, grün-schwarz regiert – ab sofort stundengenau als Push-Nachricht aufs Smartphone schicken lassen kann. Es sei denn, man folgt seiner staatsbürgerlichen Verantwortung und zieht die Einschaltung der Waschmaschine auf einen weniger riskanten Zeitraum vor: „Wir können alle gemeinsam zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen.“
Am Mittwoch um 14 Uhr wäre es angeblich beinahe erstmals für eine Stunde so weit gewesen. Warum der erste große Zusammenbruch ausblieb, ob zum Beispiel eine ausreichende Anzahl von Stromkunden und Haushalten den Betrieb ihres Geschirrspülers verlegte oder ganze Fabriken per Lastabwurf vom Netz genommen wurden, ist unbekannt und wurde auch nicht von Transnet BW kommuniziert. Sonst aber bleibt keine Frage offen. Etwa: „Bei mir wird immer nur der grüne Netzstatus angezeigt. Was mache ich falsch?“ Antwort: „Das ist keine schlechte, sondern eine sehr gute Nachricht. Denn das Stromnetz ist stabil. Der grüne Netzstatus ist der Regelfall. Nur selten springt der Status in den gelben oder roten Zustand um.“
Auf Ära Merkel folgt Ära des Mangels
Die Labilität des Stromnetzes ist bei alledem ja nur ein Detail des Desasters, das die 16 Jahre währende Ära Merkel dem Land hinterlassen hat, und gar nicht einmal die schrecklichste Folge unter anderem ihrer verheerenden Russland-Politik, die freilich durch ihre Koalitionspartner (SPD, FDP, wieder SPD) überhaupt erst verwirklicht werden konnte. Inflation und Bundeswehr-Niedergang, Überfall Putins auf die Ukraine, Zustand der Krankenhäuser und der Kinderkliniken im Speziellen, Verarmungstendenzen bis weit in die Mittelschicht hinein und Vernachlässigung der Infrastruktur, Niedergang des Wohnungsbaus, Niedergang der Deutschen Bahn, Mangel an überlebensnotwendigen Medikamenten und verantwortungslose Asyl- und Einwanderungspolitik bei gleichzeitig steil ansteigendem Mangel an Fachkräften – diese Bundeskanzlerin hat eine Delegitimation der deutschen Politik zu verantworten, einen Verlust an gesellschaftlicher Überzeugung, dass es hierzulande wenigstens im Großen und Ganzen mit rechten Dingen zugeht und „die da oben“ schon wissen, was sie tun, die den größten Untersuchungsausschuss aller Zeiten geboten sein lässt.
Aber da SPD, FDP und Grüne nur zu oft ihre Finger im Spiel hatten und nun erst recht haben, die Union ja sowieso, erscheint nun die Begeisterung, mit der sich die Regierungsparteien auf eine Gruppe von Reichsbürgern stürzen, deren Sündenregister im Vergleich zur Regierungspolitik seit 2010 lächerlich erscheint, wie eine Übersprungshandlung. Oder wie die Süddeutsche Zeitung an diesem Wochenende schreibt: „Es stimmt, dass Merkel nach der Annexion der Krim für Sanktionen sorgte, und auch für eine starke finanzielle Unterstützung der Ukraine. Entscheidender aus Moskauer Sicht aber war die Kontinuität einer Russlandpolitik, die auf billiges Gas und Beschwichtigung setzte. Das bestärkte Kremlchef Wladimir Putin in dem Irrglauben, die westliche und insbesondere die deutsche Antwort auf eine Invasion in der Ukraine nicht fürchten zu müssen.“ Spätestens nach dem Krieg werde Deutschland das Debakel einer missratenen Russlandpolitik aufarbeiten müssen, schreibt das Blatt. Und: „Merkel hat es in der Hand, ob das mit ihr oder gegen sie geschieht.“
Nur: Die wirklich gefährliche Delegitimation deutscher Politik fand und findet weiterhin im Kanzleramt statt, nunmehr unter Anleitung von SPD und Grünen und mit Mehrheitsbeschaffung durch die FDP. Daran ändert auch die mediale Vorab-Hinrichtung eines staatsfeindlich gesinnten, aber nach allem, was man heute wissen kann, völlig belang- und wirkungslosen Thüringer Prinzen samt Leibkoch und Camarilla nichts.
Es ist nicht strafbar, einen an der Waffel zu haben und dummes Zeug zu reden. Dass das auch so bleibt, ist nicht zuletzt auch im Interesse einer ganzen Reihe von Mitgliedern dieser Bundesregierung.
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