Gibt es genügend Meinungsvielfalt im deutschen Journalismus?(Cicero)
Diese Rückmeldung erreichte mich als Privatnachricht bei Twitter, also nur für Sender und Empfänger einsehbar. Es war eine Reaktion auf einen Thread, den ich kurz zuvor veröffentlicht hatte. Ein Thread ist eine Aneinanderreihung von Tweets, die für alle Nutzer sichtbar zusammenhängen. So werden die von Twitter vorgegebenen 240 Zeichen für einen Tweet umgangen, wenn ein Nutzer tiefer in ein Thema einsteigen möchte. Mein Thread beschäftigte sich mit der Frage, ob es in der Summe ausreichend Vielfalt in der politischen Medienberichterstattung gibt. Ich sage: nein. Doch das Thema ist ein bisschen heikel.
Klingt plausibel, ist aber ein Scheinargument
Wer nämlich behauptet, dies sei nicht der Fall, begibt sich auf vermintes Terrain. Freilich will sich kein Medienhaus vorwerfen lassen, unausgewogen über bestimmte Themen zu berichten. Schon gar nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinem Informationsauftrag und den 8,5 Milliarden Euro jährlich. Die Beißreflexe sind daher gelernt. Ganz schnell wird aus einer simplen Medienkritik ein Angriff auf die Pressefreiheit konstruiert. Nach dem Motto, man wolle Redaktionen vorschreiben, was und wie sie zu berichten hätten.
Es gibt weiter ein Zitat von Helmut Reitze, dem früheren Intendanten des Hessischen Rundfunks, das in solchen Fällen gerne aus der Mottenkiste geholt wird: „Nicht alles, was Sie nicht gesehen haben, haben wir nicht nicht gesendet“, lautet es. Das beliebteste Argument aber ist dieses: Es gebe keine Studie, die belegen würde, dass im deutschen Journalismus mehrheitlich „links-grün“-affirmativ berichtet wird. Und weil es eine solche Studie nicht gebe, beruhe der Vorwurf nur auf einem Gefühl – und auf Basis eines Gefühls lasse sich keine Sachkritik formulieren. Was für Außenstehende plausibel klingen mag, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Scheinargument.
Keine wissenschaftliche Evidenz für den Vorwurf
„Meinungsvielfalt: Sind sich die deutschen Medien zu einig?“, lautet der Titel der jüngsten Folge des ZDF-Diskussionsformats „13 Fragen“, an dem ich vor drei Wochen teilgenommen habe. Seit vergangener Woche ist die Folge auf YouTube und in der ZDF-Mediathek abrufbar. Das Prinzip der Sendung ist dieses: Auf Basis der Ausgangsfrage werden zwei Gruppen zu je drei Personen gebildet. Ein „Ja“- und ein „Nein“-Lager. Im Verlauf der anschließenden Diskussion, sollen sich die Gegenseiten annähern und sich am Ende idealerweise auf einen Kompromiss einigen.
Innerhalb weniger Tage hat die Folge die 100.000 Zuschauer bei YouTube geknackt. Knapp 2000 Likes und über 1300 Kommentare, lautet weiter die Zwischenbilanz. Sowohl während der Diskussion – von der Medienwissenschaftlerin Marlis Prinzing als Argument auf der „Gegenseite“ formuliert – als auch in den Kommentaren hat das Argument mit der Studienlage eine starke Gewichtung bekommen. Der Vorwurf lautet, meine Gruppe – wir beantworteten die Ausgangsfrage mit ja, also damit, dass sich die Medien oftmals zu einig seien – würde eine Behauptung aufstellen, für die es keine wissenschaftliche Evidenz gebe.
Auch Moderator Jo Schück, der – möchte ich betonen – ziemlich gut durch die Sendung moderierte, sprach mehrfach davon, dass wir und andere Menschen das „Gefühl“ hätten, dass insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine klare Tendenz vorhanden sei. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin mit meiner vorgetragenen Meinung zum Thema im Reinen, halte es aber dennoch für wichtig, den Punkt mit der Studienlage an dieser Stelle ausführlicher zu besprechen.
Zwei Eben einer Fragestellung
Vereinfacht formuliert, gibt es hier zwei Ebenen. Die erste Frage lautet, ob es Untersuchungen über die politischen Präferenzen von Journalisten gibt, zum Beispiel dahingehend, welcher Partei sie nahestehen. Solche Studien gibt es zuhauf, mal mehr, mal weniger repräsentativ, die immer zu dem gleichen Ergebnis kommen: Deutsche Journalisten stehen mehrheitlich links der Mitte. Einen guten Überblick über die Studienlage der ersten Ebene liefert Christan Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig, in diesem Beitrag.
Die zweite Ebene hat mit der Frage zu tun, ob sich die politischen Präferenzen von Journalisten in der Berichterstattung niederschlagen. Hier wiederum gibt es tatsächlich keine Studien, die das in der Summe nachweisen würden, also derart, dass sich der Vorwurf als Pauschalkritik formulieren ließe. Der banale Grund: Eine solche Studie wurde bisher schlicht nicht gemacht. Aber warum? Die Antwort lautet: Weil es extrem schwierig ist, objektive Kriterien zu formulieren, entlang derer man der Frage auf den Grund gehen könnte, inwiefern sich die Grundeinstellungen der Journalisten auf ihre Berichterstattung auswirken.
Motivationen lassen sich nicht messen
Zunächst einmal ist es kaum bis gar nicht möglich, klar zu definieren, was nun eine dezidiert „links-grüne“ Perspektive auf ein Thema ist, was eine dezidiert, sagen wir, „liberal-konservative“ Perspektive. Denn anders als gewisse Grundeinstellungen, die sich gut erfragen lassen, beschäftigt sich der Journalismus im Tagesgeschäft mit konkreten Ereignissen und deren Einordnung. Zwei aktuelle Beispiele: Wer eigentlich gegen Waffenlieferungen ist, kann mit Blick auf den russischen Überfall auf die Ukraine sehr wohl zu dem Ergebnis kommen, dass der Westen der Ukraine Waffen liefern sollte. Und wer eigentlich für den Atomausstieg ist, kann wegen der aktuellen Energiekrise sehr wohl argumentieren, dass eine Laufzeitverlängerung dennoch sinnvoll ist. Selbst Greta Thunberg, die Säulenheilige der linken Klimabewegung, spricht sich für eine AKW-Laufzeitverlängerung aus.
Das macht – selbst wenn die Klimaaktivistin damit parteipolitisch eher auf einer Linie mit der Union steht – Thunberg nicht zu einer Konservativen und ihre Sichtweise nicht zu einer dezidiert „liberal-konservativen“ Perspektive. Die allermeisten Positionen in aktuellen Debatten sind eben keine Extrempositionen. Selbst beim kontroversen Thema Migration lassen sich anhand bestimmter Positionen nicht einfach Lager bilden: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will illegale Migration bekämpfen, die Union will das auch.
Der Unterschied liegt in der Grundmotivation, warum eine konkrete Forderung gestellt wird. Diese lässt sich anhand einer Medienanalyse aber nicht messen. Übrigens ein Grund, warum auch diverse Studien zum Thema antidemokratische Ansichten in der Bevölkerung nur bedingt aussagekräftig sind. Cicero-Autor Mathias Brodkorb hat darüber unter anderem hier anschaulich geschrieben. Wer versucht, einzelne Aussagen, die keine extremen Positionen sind, pauschal in eine Gesinnungsschublade einzuordnen, arbeitet schlicht unseriös.
Berichten, was wichtig ist
Außerdem ist der Journalismus vielschichtig. Um eine finale Aussage zur Frage treffen zu können, ob es in der politischen Berichterstattung ein Ungleichgewicht gibt, würde es nicht reichen, nur das zu bewerten, was berichtet wird. Man müsste auch berücksichtigen, was nicht berichtet wurde. Der Journalismus hat eine sogenannte „Gatekeeping“-Funktion, fungiert als eine Art Türsteher, der entscheidet, welche Informationen publiziert werden und welche nicht. In dem Zusammenhang hatte ich bei „13 Fragen“ über einen jüngeren ZDF-Beitrag gesprochen. Ich habe nochmal nachgesehen: Es war ein Beitrag des ARD-Europamagazins. Mea culpa.
In der kurzen Reportage jedenfalls ging es um die politischen Entwicklungen in Schweden. Bei der Parlamentswahl im September holten die Schwedendemokraten, die sich mit der AfD vergleichen lassen, rund 20 Prozent der Wählerstimmen und wurden zweitstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten. Wer das Ergebnis erklären wolle, hieß es am Anfang des Beitrags, müsse aufs Land fahren. In der Folge wurde ein Landwirt interviewt, der sich von den politischen Eliten in den Städten nicht mehr vertreten fühlt. Der Subtext lautete, böse formuliert: Am Erfolg der Schwedendemokraten sind irgendwelche Hinterwäldler schuld, die sich von „einfachen Antworten“ einlullen lassen.
Tatsächlich stellt sich die Sache in Schweden komplizierter dar: Einst als „humanitäre Supermacht“ für eine liberale Einwanderungspolitik gefeiert, sieht sich Schweden heute großen Problemen bei der Integration gegenüber. No-Go-Areas sind entstanden, und die Gang-Kriminalität hat massiv zugenommen. Das geht so weit, dass Menschen am hellichten Tag auf offener Straße erschossen werden. Im Juli wurden im Großraum Stockholm sogar zwei spielende Kleinkinder angeschossen.
Im April war es außerdem in mehreren Städten zu Ausschreitungen gekommen, vorwiegend durch Migranten. Eine Schule ging in Flammen auf. Im Beitrag der ARD wurden die Integrationsprobleme Schwedens und ihre weitreichenden Auswirkungen auf die Bevölkerung aber nicht einmal erwähnt. Wenn Sie mich fragen, war das ein tendenziöser Beitrag unter dem Deckmantel der Neutralität.
Viele Puzzlestücke, ein Gesamtbild
Ich würde niemals behaupten, dass bei ARD, ZDF und Deutschlandradio ausschließlich wohlwollend über oder im Sinne grüner und linker Weltanschauungen berichtet wird. Auch nicht in den privaten Medien. Gleichwohl ergibt sich aus vielen kleinen Puzzlestücken eben ein Gesamtbild, das nicht schmeichelhaft für den deutschen Journalismus ausfällt.
Mal, weil der Stern eine ganze Ausgabe mit Fridays for Future macht, was eine klare Grenzüberschreitung war. Mal, weil Monitor-Chef Georg Restle es mit dem Kampagnenjournalismus übertreibt. Mal, weil die Leiterin des Hauptstadtstudios der ARD, Tina Hassel, zu euphorisch vom grünen Parteitag berichtet. Oder eben, weil in einem ARD-Beitrag über Schweden entscheidende Informationen einfach weggelassen wurden.
Ehrlich gesagt, tut es mir sogar ein bisschen leid für die vielen guten Journalisten im Land, dass sie sich wegen der Verfehlungen Einzelner immer wieder Pauschalvorwürfen ausgesetzt sehen. Die Alternative kann allerdings nicht sein, dass ich und andere Journalisten, die sich regelmäßig mit der eigenen Branche beschäftigen, den Fuß vom Gas nehmen. Zur Wahrheit gehört eben auch, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung nicht mehr repräsentiert fühlt in den Medien. Und das wiederum fällt auf die ganze Branche zurück, nicht nur auf den Stern oder die ARD.
Ein Journalismus, den keiner mehr braucht
Beispiel Corona-Berichterstattung: Eine Studie des Instituts für Journalistik an der TU Dortmund war im März dieses Jahres zu dem Ergebnis gekommen, dass die Glaubwürdigkeit der deutschen Medien im Zuge der Corona-Berichterstattung abgenommen hat. 41 Prozent der Befragten waren dieser Meinung. 43 Prozent stimmten der Aussage zu, dass der Journalismus in den vergangenen Jahren schlechter geworden sei. 62 Prozent fanden, dass im Journalismus zu sehr auf Übertreibung und Skandalisierung gesetzt werde. Und 28 Prozent stimmten der Aussage zu, der Journalismus habe den Kontakt zu Menschen wie ihnen verloren.
Freilich ließe sich auch hier mit „Nicht alles, was Sie nicht gesehen haben, haben wir nicht nicht gesendet“ kontern. Ich sehe das anders: Wenn Umfragen über den Journalismus zu derart alarmierenden Ergebnissen führen, kann man die Schuld nicht allein auf den Rezipienten schieben. Nach dem Motto, der sei zu doof oder verfüge über zu wenig Medienkompetenz, um eine fundierte Aussage über den deutschen Journalismus und seine Repräsentanten treffen zu können. Bei solch alarmierenden Ergebnissen, liegt der Fehler eindeutig im System.
Aufgabe verfehlt
Auch der Journalismus ist eine Ware, die marktwirtschaftlichen Prinzipien unterliegt. Sinkt Vertrauen in und die Nachfrage nach einem Produkt, muss sich im Zweifelsfall das Produkt ändern – nicht die Kundschaft. Mir ist bewusst, dass ich mich mit dieser Aussage weit aus dem Fenster lehne. Aber, möchte ich mit Blick auf die Corona-Berichterstattung dagegenhalten: Niemand braucht einen Journalismus, der sich als Sprachrohr der Regierenden versteht. Doch genau das haben wir in der Corona-Pandemie in der Summe erlebt. Narrative wie das von der „Pandemie der Ungeimpften“ oder Begriffe wie „Corona-Leugner“ waren fester Bestandteil der Berichterstattung.
Aber auch am Anfang der Flüchtlingskrise 2015/16 wurde vielfach in die gleiche Richtung geschrieben. Sogar die Bild trommelte damals für die deutsche „Willkommenskultur“, statt sich – was viel mehr die Aufgabe des Journalismus gewesen wäre – intensiv mit der Frage zu beschäftigen, welche negativen Folgen damit einhergehen könnten, wenn über eine Million Menschen einfach ins Land gelassen werden. Über die anfängliche Einseitigkeit in der Flüchtlingskrise-Berichterstattung gibt es sogar eine Studie: von der Otto Brenner Stiftung. Später entschuldigte sich noch Zeit-Chef Giovanni di Lorenzo öffentlich dafür, dass man „geradezu beseelt von der historischen Aufgabe“ gewesen sei.
Ein Herdeneffekt tritt ein
Ob Flüchtlingskrise oder Corona, gewisse Muster wiederholen sich eben: Ploppt irgendwo ein neues Thema auf, steht am Anfang eine kurze Phase der Unsicherheit. Weil Journalisten aber schon ihres Berufsverständnisses wegen nur schwer mit selbiger umgehen können, wird versucht, vermeintliche Gewissheiten aus der Ungewissheit zu extrahieren. So entstehen Narrative, die sich desto stärker verbreiten, je größer die Reichweite jener Medien ist, in denen sie das erste Mal formuliert wurden.
Das Ergebnis ist ein Herdeneffekt, der sich nur schwer wieder einfangen lässt. Unter anderem deshalb, weil insbesondere kleine und mittlere Redaktionen immer stärker gewissen Sparzwängen unterworfen sind. Ergo: Sie haben oft weder das Personal noch das Budget, eigene Leute über einen längeren Zeitraum auf komplexe Themen anzusetzen. Also sind sie abhängig von dem, was andere Redaktionen berichten, die dazu in der Lage sind: von Recherchen der Leitmedien und der Berichterstattung der Presseagenturen. Blasen nur ausreichend Große ins selbe Rohr, laufen viele andere Redaktionen brav hinterher.
Erfahrung sticht Evidenz
Zurück zum Studienlage-Argument: Wie erwähnt, gibt es keine Studien, die zu dem Ergebnis kommen würden, dass es ein Ungleichgewicht in der politischen Berichterstattung gebe; dass die deutsche Presselandschaft in der Summe einen „links-grünen“ Drall hätte. Der Vorwurf, dass ich und andere Kritiker deshalb nur auf der Basis eines „Gefühls“ argumentieren könnten, ist dennoch Unsinn. Wissen Sie, wenn ich morgens aufstehe in der Erwartung, dass es ein guter oder ein schlechter Tag wird, dann handelt es sich zweifellos um ein „Gefühl“. Ich kann mit dem falschen Fuß aufstehen und abends trotzdem im Lotto gewinnen. Oder ich hüpfe freudig aus dem Bett, kann später am Tag aber dennoch von einer Tram-Bahn überrollt werden.
Bei meiner Kritik am deutschen Journalismus ist das anders. Ich arbeite seit gut 15 Jahren in der Kommunikationsbranche. In der Zeit habe ich mehr als eine Redaktion von innen gesehen, darunter Cicero, Meedia, Münchner Merkur, Focus und sueddeutsche.de. Außerdem schaue ich regelmäßig ARD und ZDF und habe ingesamt einen bunten Medienkonsum, der in den vergangen 15 Jahren abertausende Stunden als Medienrezipient umfassen dürfte. Ich kenne den Pressekodex, die Branche und das journalistische Handwerk. Ich bin mittendrin im deutschen Journalismus.
Im Prinzip befindet sich mein Gehirn damit seit 15 Jahren in einer Langzeitstudie über Medien aus einem professionellen Blickwinkel. Wenn ich heute sage, dass es ein Ungleichgewicht in der politischen Berichterstattung gibt, ist das nicht nur ein „Gefühl“, sondern ein Fazit, dem die Summe meiner Erfahrungen der vergangenen Jahre zugrunde liegt. Einen Gedanken möchte ich Ihnen daher noch mitgeben: Ich halte es für naiv, zu glauben, dass Journalisten ihre politischen Präferenzen einfach vor der Redaktionstür lassen. Auch das gehört zu meinem Erfahrungsschatz. Journalisten sind eben auch nur Menschen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen