Das Karma von Katar (Cicero+)
Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Diese Erkenntnis wird bleiben von diesem kurzen Gastspiel in Katar. Ebenso wie die Fotoaufnahmen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die bei ihrem Stadionbesuch in der Wüste pressetauglich die One-Love-Binde trug. Abgesehen davon, dass Diplomatie eigentlich bedeutet, im Vordergrund höflich zu sein und im Hintergrund Klartext zu sprechen, noch ein lustiger Randaspekt: Damit dürfte Nancy Faeser die erste deutsche Politikerin seit 1945 sein, die mit einer politischen Armbinde in ein fremdes Land reiste. Selbstredend lehne ich mich mit diesem Vergleich weit aus dem Fenster. Aber bevor Sie direkt anfangen, einen wütenden Kommentar zu schreiben, halten Sie bitte kurz inne. Mir zuliebe.
„Aha, die Deutschen schon wieder“
Infantino findet´s lustig |
Und dann schalten Sie im November 2022 den Fernseher ein, weil sie das Spiel Deutschland gegen Japan sehen wollen. Immerhin spielt der Weltmeister von 2014 gegen ein Land, von dem sie gehört haben, dass seine Nationalelf besser sein soll, als viele Fußballfans denken. Sie schalten den Fernseher ein, und auf der Tribüne steht eine deutsche Politikerin, die Sie nicht kennen, die ihren Oberarm aber zur Litfaßsäule für eine politische Botschaft umfunktioniert hat. Was würden Sie denken, wenn die deutsche Nationalelf dann auch noch mit einer Mund-zu-Geste protestiert, weil ihr Kapitän diese politische Armbinde auch unbedingt tragen wollte? Ich würde denken: „Aha, die Deutschen schon wieder.“
„Aber dann haben sie das Spiel verloren“
Aber Spaß beiseite. Nach dem 1:0-Sieg gegen Kanada wurde Belgiens
Kapitän Eden Hazard auf genannte Mund-zu-Geste der deutschen
Nationalmannschaft vor dem Anstoß gegen Japan angesprochen. Er sagte: „Ja,
aber dann haben sie das Spiel verloren. Sie wären besser dran gewesen,
wenn sie es nicht getan und gewonnen hätten.“ Hazard hatte völlig Recht.
Einfach deshalb, weil über Katar alles gesagt, gefilmt und geschrieben
wurde in den vergangenen Monaten, und die ganze Aktion ideologisch
motiviert und damit grenzidiotisch und nutzlos war.
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Wer in ein fremdes Land reist, um sich dann unter den Augen von Millionen Zuschauern weltweit moralisch über den Gastgeber zu erheben, der wird nicht gehört, der wird bestenfalls belächelt. Und die Kataris selbst dürften den symboldeutschen Beitrag zur WM vor allem als Ausdruck verstanden haben, dass unsereiner ihre Kultur weder versteht noch respektiert. Das schrieb ich bereits an anderer Stelle. Wo also genau, frage ich mich jetzt, da der deutsche WM-Spuk vorüber ist, hat der deutsche „Protest“ irgendetwas gebracht, außer den Deutschen irgendwie das zuckerwattige Einhorngefühl, zu den „Guten“ zu gehören?
Nur Pfiffe und kein Applaus
Haben Sie das letzte Spiel gegen Costa-Rica gesehen? Haben Sie die Pfiffe von der Tribüne bemerkt? Obwohl der Kommentator auf diese Pfiffe nicht eingegangen ist, kann ich mir gut vorstellen, woher sie kamen. Von Leuten, Kataris und Nicht-Kataris, die fanden, dass es Deutschland übertrieben hat mit seinem Symbolkram. Von Leuten, die womöglich aus Ländern kommen, die unsere angeblichen „Werte“ sogar teilen, die aber nicht so blöde sind, sich davon beeindrucken zu lassen, wenn jemand gratismutig ein „Zeichen setzt“. In Deutschland mag man dafür vereinzelt wohlwollende Schlagzeilen und Tweets bekommen, anderswo gibt’s nur Pfiffe und keinen Applaus.
Fußballer sollten Fußball spielen. Nicht mehr, nicht weniger. Und nein, damit meine ich nicht, dass der Sport unpolitisch sei, das war er nie. Aber das Spiel sollte es sein. Über die ganzen 90 Minuten plus Aufwärm- und Einlaufphase und Nachspielzeit – und damit auch jeder einzelne Spieler auf dem Platz. Im Hintergrund können Politiker und Funktionäre dann immer noch Politik und Diplomatie machen. Das ist Teil solcher Veranstaltungen. Das ist das eine.
Das andere ist dies: Der Anspruch, die Welt „ein bisschen fairer und friedlicher“ zu machen – so formulierte es mir gegenüber jüngst der Chefredakteur eines Sportmagazins, der sowohl die One-Love-Binde als auch die Mund-zu-Geste in einem Beitrag lobte – in allen Ehren. Aber dies gelingt nicht über peinliches Symbolgeschleuder in der Wüste, weil es da vorrangig eben genau nicht um eine „bessere Welt“ geht, sondern um die „bessere Gesinnung“, die man wie eine Monstranz vor sich herträgt. Ein bisschen mehr Realitätssinn darf man also ruhig auch von Schreibtischarbeitern erwarten, die ganz beseelt sind von all den Zeichen, die andere setzen.
Durchwachsen, sehr gut, furios
Gleichwohl möchte ich an dieser Stelle auch eine Lanze brechen für unsere Nationalmannschaft. Denn die deutsche Blamage bei dieser WM war zuvorderst neben, nicht auf dem Platz. Das erste Spiel gegen Japan war durchwachsen, ja, mindestens der zweite Gegentreffer hochgradig selbst verschuldet. Jeder Kreisklassespieler wäre härter ins Laufduell mit dem japanischen Stürmer gegangen als Verteidiger Schlotterbeck. Das zweite Spiel gegen Spanien aber war mindestens gut bis sehr gut. Da hat man gekämpft bis zum Schluss und sich selbst mit dem Ausgleichstreffer durch „Lücke“ Füllkrug belohnt.
Fein, die zwei Tore von Costa-Rica im letzten Spiel waren unnötig. Gleichwohl hat man vorne vier Dinger gemacht und hätte noch viel mehr machen können, ach was, machen müssen. Allein in den ersten zehn Minuten gab es schon drei gute Torchancen. Irgendwann stand das Ecken-Verhältnis dann bei 13:1 für die deutsche Nationalelf. Danach habe ich aufgehört zu zählen. Drei deutsche Pfostentreffer kurz hintereinander waren ebenso Teil dieses Spiels gegen Costa-Rica wie eine Glanzparade des gegnerischen Torwarts in der 76. Minute.
Unterm Strich war die sportliche Leistung der DFB-Elf gar nicht so schlecht. Am Ende hat womöglich der letzte Biss gefehlt, die letzte Effizienz – und das Glück, ja, das auch. Schließlich war der Ball beim Siegtreffer der Japaner gegen Spanien wahrscheinlich schon im Aus. Den Treffer zu geben, wäre damit eine Fehlentscheidung gewesen, die nicht nur ein Spiel, sondern letztlich – in Kombination mit der Auftaktniederlage der Deutschen gegen Japan – eine ganze Gruppenphase entschieden hat.
Übrigens ist das zur Abwechslung mal eine schöne Pointe rund um diese Gruppenphase der Gruppe E: Da erdenkt man als Fußballverbände Unsinniges wie den Videoschiedsrichter, überall im Stadion, das künstlich heruntertemperiert wird, ist Technik verbaut und zig Kameras halten drauf. Aber in diesem einen entscheidenden Moment konnte niemand, auch die Schiedsrichter nicht, zweifellos sagen, ob der Ball noch drinnen oder schon draußen war. Die wunderbare Unfairness des Fußballs trotzt noch jedem Mikrochip. Eine sehr gute Nachricht für alle Fußballromantiker.
Was zählt, ist aufm Platz
Was lernen wir also aus diesem Debakel? Zum einen, dass sich die Verantwortlichen des DFB überlegen sollten, ob es nicht an der Zeit wäre, den Fußball wieder Fußball sein zu lassen. Fußball kann die Welt nicht retten, aber er kann sie zumindest für eine kurze Phase schöner und bunter machen, ja, vielleicht sogar Brücken bauen. Dafür muss man aber Prioritäten setzen. Auf und neben dem Platz. Zum anderen lernen wir daraus, dass der Fußballgott es gar nicht mag, wenn dieses wunderbare Spiel zweckentfremdet wird. Drei Pfostentreffer sowie zwei unnötige Gegentore hier und ein (höchstwahrscheinlich) irreguläres Tor der Japaner dort: Das hat schon was von Karma, wenn Sie mich fragen.
Verstehen Sie mich aber nicht falsch. Die Japaner sind verdient ins Achtelfinale eingezogen und die Deutschen ebenso verdient ausgeschieden. Was zählt, ist eben aufm Platz. Es wäre gut und wichtig, wenn dieser Gedanke, diese sportliche Tatsache wieder zum Leitsatz der deutschen Nationalmannschaft avancieren würde. Denn in zwei Jahren ist Fußballeuropameisterschaft. Und die findet ausgerechnet in Deutschland statt. Also wahlweise im Land des Fußballweltmeisters von 2014 – oder im Land des Moralweltmeisters von 2022.
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