Tatsächlich hat Taibbi in seiner 30-jährigen Journalistenkarriere schon Preise erhalten, er deckte die Verflechtungen der Wall Street mit der amerikanischen Politik auf. Wenn schon, galt er als Linker. Dass dies geändert hat, hängt mit Taibbis Ansichten zur Meinungsfreiheit zusammen. Er sieht sie auch von Linken bedroht – und nun hat ihn auch noch Elon Musk engagiert, der aktuell zweitreichste Mann der Welt, der Elektroautos verkauft, den Weltraum besiedeln will und kürzlich den Kurznachrichtendienst Twitter gekauft hat.
Gegen die «Nazis» im Weissen Haus
Zusammen
mit der Journalistin Bari Weiss und dem Autor Michael Shellenberger hat
Taibbi den Auftrag, die sogenannten «Twitter-Files» auszuwerten. Denn
Elon Musk ist überzeugt, dass Twitter den öffentlichen Diskurs in den
letzten Jahren manipuliert und zensuriert hat – zugunsten der
Demokraten. Von diesen hat sich der einstige Liebling des linken
Bürgertums entfremdet, unter anderem wegen der Covid-Politik und dem
«Wokeism», den Demokraten pervertiert haben. Die Abneigung ist
gegenseitig, insbesondere, seit Musk bei Twitter das Sagen hat.
Was Taibbi, Bari Weiss und Michael Shellenberger der Öffentlichkeit nach der Sichtung Tausender Dokumente präsentiert haben – natürlich auf Twitter, wie von Elon Musk gewünscht –, ist nicht alles neu. Aber es ist mehr als ein «Nothingburger», ein Hamburger ohne Fleisch, wie linke Kommentatoren höhnen. Bekannt ist, dass die Twitter-Verantwortlichen den Demokraten 2020 indirekt Wahlkampfhilfe leisteten, indem sie einen Artikel der «New York Post» über problematische Auslandsgeschäfte von Joe Bidens Sohn Hunter Biden unterdrücken liessen. Dies mit dem fadenscheinigen Argument, der Artikel basiere womöglich auf gehackten Daten.
Laut
Matt Taibbi intervenierten im Wahlkampf sowohl Demokraten als auch
Republikaner bei Twitter, um missliebige Äusserungen zu tilgen. Dass die
Demokraten damit generell erfolgreicher waren, geht aus den
«Twitter-Files» bis anhin nicht hervor. Taibbi verweist einzig darauf,
dass die Wahlkampfspenden der Twitter-Mitarbeiter in den letzten Jahren
zu 96 bis 99 Prozent an die Demokratische Partei gingen. Zudem erklärte
ein hochrangiger Twitter-Mitarbeiter 2017, im Weissen Haus regierten
«Nazis».
Gemeint war Donald Trump – und den bekämpfte Twitter auch nach dem Wahlsieg von Joe Biden. Trump behauptete bekanntlich, die Wahl sei gefälscht und gestohlen worden. Nachdem seine Anhänger am 6. Januar das Capitol gestürmt hatten, forderten Demokraten wie Michelle Obama Trumps dauerhafte Sperrung auf Twitter, obwohl der Ex-Präsident zumindest nicht explizit zur Gewalt aufgerufen hatte. «Be there, will be wild!», schrieb er am 6. Januar, forderte die Protestierenden aber dazu auf, friedlich zu bleiben.
«Millionen Franzosen töten»
Wie die «Twitter-Files» zeigen, war Trumps Verbannung selbst bei Twitter umstritten. Eine Anstiftung zur Gewalt sei schwer zu beweisen, schrieben Mitarbeiter in internen Nachrichten. Gleichzeitig unterzeichneten 300 Twitter-Mitarbeiter einen offenen Brief an den damaligen Twitter-CEO Jack Dorsey, in dem Trumps Sperrung verlangt wurde. Am 8. Januar lenkte die Twitter-Führung ein – und sperrte Trumps Konto. Der Entscheid wirkt umso willkürlicher, als gewaltverherrlichende Aussagen bei Twitter oft folgenlos bleiben, wie Bari Weiss mit zahlreichen Beispielen belegt.
Der indische Premierminister Narendra Modi durfte sein Twitter-Konto behalten, obwohl er drohte, Hunderte Twitter-Mitarbeiter in Indien verhaften zu lassen. Der ehemalige malaysische Premierminister durfte bei Twitter bleiben, obwohl er nach dem Mord an Samuel Paty erklärte, Muslime hätten das Recht, «Millionen Franzosen zu töten». Der iranische Diktator Ayatollah Ali Khamenei darf bis heute twittern, obwohl er seine Bürger hinrichten lässt und obwohl er Israel 2018 als Krebsgeschwür bezeichnete, das vernichtet gehöre.
Mit
rund 400 Millionen Nutzern ist Twitter zwar ein eher kleines soziales
Netzwerk, aber da es Medien, Wissenschafter, Politiker und
Staatsoberhäupter nutzen, ist sein Einfluss nicht zu unterschätzen. Bari
Weiss, die bei der «New York Times» wegen ihrer politischen Ansichten
hinausgemobbt wurde, spricht von der «Macht einer Handvoll Menschen» bei
Twitter. Diese würden «den öffentlichen Diskurs und die Demokratie
beeinflussen».
Das mag verschwörungstheoretisch klingen. Die Einflussmöglichkeiten des Twitter-Managements sind jedoch beträchtlich. Dieses hat offiziell stets bestritten, die Reichweite und die Sichtbarkeit missliebiger Konten einzuschränken ohne dies den Nutzern mitzuteilen. «Faktenchecker» in Europa übernahmen dieses Konzern-Wording, indem sie derartige Vorwürfe in die Nähe von Verschwörungstheorien rückten. Dies vermutlich, weil sie vornehmlich von rechter und konservativer Seite kamen.
Reger Austausch mit staatlichen Behörden
Nun zeigt sich allerdings, dass «Shadow-Banning» ein Mittel war, das keineswegs nur gegen Trolle und Hetzer eingesetzt wurde. Betroffen war laut den «Twitter-Files» unter anderem der Stanford-Professor Jay Bhattacharya. Er weckte mutmasslich den Unmut der Twitter-Aufpasser, weil er Corona-Lockdowns und Schulschliessungen kritisierte. Von «Shadow-Banning» betroffen waren auch der Account Libs of Tiktok, der linke Aktivisten mithilfe von deren eigenen Videos der Lächerlichkeit preisgibt, oder der konservative Aktivist Charlie Kirk.
Hier stellt sich erneut die Frage der Willkür, egal, was man politisch von den Betroffenen hält. Matt Taibbi sagte in einem Podcast, das Ausmass der Kontrolle über jeden einzelnen Account habe ihn und seine Kollegen schockiert: Twitter tausche Unmengen Daten aus mit staatlichen Behörden wie dem Federal Bureau of Investigation (FBI). Diese würden die Daten mit Bemerkungen versehen und zurückschicken. In internen Twitter-Berichten heisse es dann, das FBI habe dies und das markiert, und man diskutiere darüber, ob ein Konto gesperrt oder mit einem «Shadow-Ban» belegt werden solle. Ein solches Arrangement mit dem Staat habe jedes soziale Netzwerk, «aber wir wissen noch nicht genau, wie es funktioniert».
Diese Erkenntnis müsste eigentlich über ideologische (Partei-) Grenzen hinweg Besorgnis auslösen. Elon Musk hat angekündigt, er wolle Twitter wieder zu einem Hort der Meinungsfreiheit machen. Gleichzeitig lässt er sich linke und linksextreme Accounts melden, um diese sperren zu lassen. Er ist politisch schwer fassbar und neigt zu sprunghaften Entscheiden. Linke sind also zu Recht besorgt. Aber dass sie es erst jetzt sind, sagt auch einiges aus.
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