04 Dezember 2022

Labortheorie Die geheimen Mails zur Herkunft des Coronavirus (WELT)

Was, wenn die hochgelobte Wissenschaft tatsächlich Verursacher der Pandemie ist?
Labortheorie
Die geheimen Mails zur Herkunft des Coronavirus (WELT)
Woher kommt das Virus? Ein jetzt veröffentlichter E-Mail-Verkehr von Top-Wissenschaftlern wie Christian Drosten zeigt, wie umstritten die Theorie über den Ursprung des Virus zu Beginn der Pandemie war - und wie die „Laborthese“ plötzlich verdrängt wurde.
Etwas als Verschwörungstheorie abzutun, ist das Totschlagargument des frühen 21. Jahrhunderts. Jede Diskussion soll so obsolet gemacht und der Anhänger einer konkurrierenden Hypothese als Schwachkopf diskreditiert werden. Zu dieser Keule griff auch die Crème de la Crème der internationalen Virologie, darunter der Charité-Chefvirologe Christian Drosten.

Am 19. Februar 2020 veröffentlichten die Forscher im Wissenschaftsmagazin „Lancet“ einen Brief, mit dem sie klarmachten, dass ein natürlicher Ursprung von Sars-Cov2 höchstwahrscheinlich sei: „Wir stehen zusammen, um Verschwörungstheorien, die darauf hindeuten, dass Covid-19 keinen natürlichen Ursprung hat, entschieden zu verurteilen.“ Das Virus sei wohl von Pangolinen, Fledermäusen oder gar Marderhunden auf den Menschen übergesprungen.

Vergangene Woche nun ist ein E-Mail-Verkehr aus dieser Zeit an die Öffentlichkeit geraten, der zeigt, wie es trotz einer unklaren Faktenlage zu solch unmissverständlichen Statements kommen konnte. Es war der US-Journalist Jimmy Tobias, der die Herausgabe der Papiere über den „Freedom of Information Act“ erzwungen hatte – in der Hoffnung, mehr zu erfahren über die Hintergründe der Pandemie, die den Planeten seit nunmehr drei Jahren in Atem hält.

Gemäß der Mails war es der US-Immunologe Anthony Fauci, wichtigster Corona-Berater der Regierung in Washington, der am 1. Februar 2020 Alarm schlug: Nach einem Gespräch mit dem dänischen Biologen Kristian Andersen sei für ihn klar gewesen, dass das Virus eine mutierte Furin-Spaltstelle aufweise – was auf einen Laborursprung hindeute. Seine E-Mail ging an mehrere Wissenschaftler, darunter der Epidemiologe Jeremy Farrar sowie die Virologen Edward Holmes und Marion Koopmans. Der einzige Deutsche: Christian Drosten. Fauci schrieb, ein Team solle zusammengestellt werden und der Sache auf den Grund gehen. Außerdem sollten umgehend die entsprechenden Behörden informiert werden.

„Ich würde mir vorstellen, dass dies in den USA das FBI und in Großbritannien das MI5 wäre“, so Fauci. Außerdem schickte er einen Artikel aus der Zeitschrift „Nature“, in dem Peter Daszak zitiert wird – und darin bereits die Laborthese als Unsinn abtut. Jener Daszak also, der mit US-amerikanischen Forschungsgeldern selbst am Wuhan Institute for Virology (WIV) geforscht hatte. Dabei ging es eben auch um jene besagte Furin-Spaltstelle.

Der E-Mail-Verkehr zeigt, dass unter den Virologen anfangs eine große Offenheit bezüglich des Virus-Ursprungs herrschte. Farrar, Direktor der Stiftung „Wellcome Trust“, forderte eine „völlig aufgeschlossene und neutrale Diskussion“, um die „evolutionären Ursprünge von 2019-nCov zu verstehen.“ Noch am gleichen Tag berief Fauci eine gemeinsame Telefonkonferenz ein; über den Inhalt indes ist nichts bekannt.

Die E-Mail-Kommunikation jedenfalls zeigt: Den Forschern war bewusst, dass der nächste genetische Verwandte von Sars-Cov2 ein Fledermaus-Virus namens RaTG13 ist. Der bedeutende Unterschied zwischen beiden Genomen ist die besagte Furin-Spaltstelle auf dem Spike-Protein – das Protein, das das Virus so ansteckend macht. Die chinesische Forscherin Shi Zhengli hatte RaTG13 im Jahr 2011 aus einer Höhle in der Provinz Yunann nach Wuhan gebracht und daran geforscht. Shis Datenbank an Coronaviren war die größte weltweit.

Der Tiermarkt liegt in der Nähe des Labors

Der Verdacht, dass die Furin-Spaltstelle vom Wuhan Institute for Virology von Menschen eingefügt worden, war schon damals nicht einfach wegzuwischen. Hinzu kommt die Nähe zum Huashan-Markt in Wuhan – ein Ableger des WIV liegt nur wenige Gehminuten vom Markt entfernt. Die zweite Möglichkeit, die des natürlichen Ursprungs, geht von einem Zwischenwirt aus, auf dem das RaTG13 zum Sars-CoV2 mutiert ist. Auch das ist möglich – aber dieser Zwischenwirt wurde bis heute nicht gefunden.

Trotzdem schrieb der Virologe Ron Fouchier der Gruppe am 2. Februar 2020, ein „nicht-natürlicher Ursprung sei höchst unwahrscheinlich“ – eine überraschende Wende. Darauf antwortete der Genetiker und US-Regierungsberater Francis Collins, Fouchier und Drosten hätten in einer Telefonkonferenz, die offensichtlich zuvor stattgefunden hatte, ihre „Argumente mit mehr Vehemenz als nötig betont“, er glaube jedenfalls eher an einen natürlichen Ursprung. Kurz darauf schreibt Jeremy Farrar: „Bei einem Spektrum von 0 (natürlicher Ursprung) und 100 (Labor) bin ich ganz ehrlich bei 50. Ich glaube, das wird eine Grauzone bleiben, solange wir nicht Zugang zum Labor in Wuhan bekommen, und das ist unwahrscheinlich“.

Es folgt ein Report, den Virologe Holmes am 4. Februar 2020 dann als „komplett neutral und wissenschaftlich“ bezeichnet. Er fügt hinzu: „Die Anomalien sind nicht erwähnt, sonst würden wir wie Idioten aussehen.“ Noch aber schwanken die Einschätzungen. Farrar schreibt: „Eddie sagt 60:40 Labor. Ich bleibe bei 50:50.“

Christian Drosten taucht am 8. Februar 2020 erstmals in der Konversation auf. „Hatten wir uns nicht getroffen, um eine gewisse Theorie auf den Prüfstand zu stellen und im Falle einer Entkräftung nicht weiterzuverfolgen?“, fragt er. Drostens Äußerung ist offensichtlich ein Telefonat vorausgegangen, bei dem sich die Teilnehmer darauf verständigt hatten, eine bestimmte Hypothese zu vertreten und andere auszuschließen. Wann genau das stattgefunden hat, wird aus der E-Mail-Konversation nicht ersichtlich.

Nach der Veröffentlichung der Mails tauchte in der vergangenen Woche bei Twitter eine eidesstattliche Versicherung Drostens aus März dieses Jahres auf; diese hatte er im Rahmen einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Hamburger Physiker Roland Wiesendanger abgegeben. Wiesendanger hatte Drosten in einem Interview vorgeworfen, die Labortheorie ausgeschlossen und die Öffentlichkeit in die Irre geführt zu haben; gegen diese Aussagen wehrte sich Drosten, erklärte in diesem Zuge im Blick auf die Telefonkonferenz mit den anderen Forschern an Eides statt, „keine Verabredung“ getroffen zu haben, „die Möglichkeit einer Laborherkunft in der Öffentlichkeit zu vertuschen“. Das Landgericht Hamburg verbot Wiesendanger entsprechende Äußerungen.

Der Physiker sieht in der E-Mail-Veröffentlichung abermals den Beleg für seine Behauptung, dass sich Drosten und seine Kollegen sehr wohl auf die Laborherkunft als Verschwörungstheorie geeinigt hätten – ein Vorwurf, den der Virologe gegenüber WELT vehement zurückweist. „Neue Vorwürfe vermeintlicher Widersprüche“ seien „konstruiert und nach wie vor allenfalls vor dem Hintergrund einer mangelnden Befassung mit den Details oder einem Belastungseifer zu erklären“, so eine Charité-Sprecherin.

In der genannten Telefonkonferenz sei es gar nicht um ein mögliches „lab leak“ gegangen, sondern einzig um mögliche Beweise einer gentechnischen Veränderung im Virusgenom. Und dass er in der Mail fragte, ob man jetzt daran arbeite, die eigene Verschwörungstheorie zu entlarven? Kryptisch antwortet ein Charité-Sprecher: „Diese (Äußerung, d. Red.) thematisiert den Versuch einiger weniger Personen, die Gruppe für sich einzunehmen, indem sie eine virologisch-fachlich haltlose Theorie zunächst unterbreiteten und deren Widerlegung dann zum Gegenstand einer gemeinschaftlichen Publikation machen wollten.“ Andere Interpretationen seien „falsch“.

Fakt ist: Die Wissenschaftler legten sich damals darauf fest, nicht von einem möglichen Laborunfall zu sprechen. „Ich würde die These vom Laborursprung nicht an die Öffentlichkeit geben“, schrieb Marion Koopmans am 9. Februar 2020: „Das würde nur manche in ihren Theorien bestätigen.“ Zehn Tage später erschien dann der „Lancet“-Brief der Gruppe, der die Theorie von der natürlichen Genese des Virus als einzige seriöse Hypothese etabliert – mit Drosten als Co-Autor. Und am 17. März folgte eine ähnlich lautende Veröffentlichung im Magazin „Nature Medicine“ – nun ohne Drosten, der in seiner Stellungnahme gegenüber WELT klarmacht, nicht daran beteiligt gewesen zu sein.

Shi Zengli klagt den Westen an

So oder so: Der Versuch, die Diskussionen um die mögliche Laborherkunft des Coronavirus im Keim zu ersticken – er ging schief. Knapp drei Jahre nach Pandemie-Beginn wird offen darüber diskutiert, woher das Virus stammt. Das konnte auch eine Veröffentlichung der chinesischen Autorin Jane Qiu im Februar dieses Jahres im US-Magazin „Technology Review“ nicht verhindern. In dem Text kommt Shi Zengli, die Chefin des Wuhaner Labors, zu Wort, die vom Regime in Peking vor neugierigen ausländischen Journalisten konsequent abgeschirmt wird.

„Früher habe ich den Westen bewundert. Früher dachte ich, es sei eine gerechte und leistungsorientierte Gesellschaft. Früher dachte ich, es muss wunderbar sein, in einem Land zu leben, in dem jeder die Regierung kritisieren kann“, wird die Wuhaner Virologin darin zitiert. „Was denkst du jetzt?“, fragt die Interviewerin: „Ich habe jetzt erkannt, dass die westliche Demokratie heuchlerisch ist und dass viele ihrer Medien von Lügen, Vorurteilen und Politik getrieben werden.“ Das Stück liest sich wie ein Propaganda-Stück des Regimes, nicht wie eine ergebnisoffene Recherche. Es war ausgerechnet Charité-Virologe Drosten, der den Text bei Twitter teilte und all jenen empfahl, „die noch inhaltlich interessiert sind“.

Woher kommt das Virus nun? Die Kommunikation der Wissenschaftler-Clique aus den Anfangstagen der Pandemie gibt darüber keinen Aufschluss. Sie macht nur klar, wie eine zunächst ergebnisoffene Diskussion plötzlich einem Dogma gewichen ist – aus bis heute undurchsichtigen Motiven.






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