09 Dezember 2022

Razzia gegen mutmaßliche „Reichsbürger“-Bande - „Eindruck einer Inszenierung erweckt“ (Cicero)

Razzia gegen mutmaßliche „Reichsbürger“-Bande
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„Eindruck einer Inszenierung erweckt“
Durch einen großen Schlag gegen eine Gruppe mutmaßlicher „Reichsbürger“ konnte am Mittwoch ein angeblich bevorstehender Staatsstreich gerade noch verhindert werden. Aber wie plausibel sind eigentlich die Vorwürfe gegen die Beschuldigten? Und wie sieht die juristische Dimension der vermeintlichen Verschwörung aus? Der Strafrechtler Holm Putzke gibt Antworten.
INTERVIEW MIT HOLM PUTZKE am 8. Dezember 2022
Prof. Dr. Holm Putzke ist Professor für Strafrecht an der Universität Passau sowie außerplanmäßiger Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht Wiesbaden. Zudem ist er bundesweit als Strafverteidiger tätig.
Herr Prof. Putzke, am Mittwochmorgen wurden 25 mutmaßliche Mitglieder einer wohl im Reichsbürger-Milieu angesiedelten Gruppe festgenommen, die sich offenbar vorgenommen hatten, die bestehende Ordnung in Deutschland zu stürzen. Die Generalbundesanwaltschaft wirft ihnen vor, sich gemäß § 129a Strafgesetzbuch in einer inländischen terroristischen Vereinigung mitgliedschaftlich betätigt beziehungsweise diese unterstützt zu haben. Was sind denn überhaupt die Voraussetzungen, um den Tatbestand des § 129a zu erfüllen?
Bei der Strafnorm geht es um die Gründung einer Vereinigung, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet sind, bestimmte im Gesetz aufgelistete Straftaten zu begehen. Bekämpft werden sollen typische terroristische Taten, angefangen von Mord über Geiselnahme bis hin zur Zerstörung von Bauwerken oder der Störung von Telekommunikationsanlagen. Es genügt auch schon, dass eine Vereinigung mit solchen Taten drohen will; ebenso macht sich strafbar, wer eine solche Vereinigung unterstützt. Teilweise müssen die Aktivitäten geeignet sein, einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich zu schädigen.
In der Mitteilung des Generalbundesanwalts heißt es wörtlich: „Die festgenommenen Beschuldigten gehören zu einer spätestens Ende November 2021 gegründeten terroristischen Vereinigung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen. Den Angehörigen der Vereinigung ist bewusst, dass dieses Vorhaben nur durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten verwirklicht werden kann. Hierzu zählt auch die Begehung von Tötungsdelikten.“ Da stellt sich die Frage, was damit gemeint ist, den Beschuldigten sei „bewusst“ gewesen, dass es zur Erreichung ihrer Ziele militärischer Gewalt bis hin zu Tötungsdelikten bedürfe. Wie konkret muss denn eine Tötungsabsicht sein, um strafrechtliche Relevanz zu erlangen? Die Mitteilung des Generalbundesanwalts klingt im vorliegenden Fall ja eher abstrakt.
Für den Nachweis des Vorsatzes genügen keine bloßen Vermutungen. Wer auf seinem Briefpapier beim Absender neben seinem Namen auch „Königreich Bayern“ schreibt, abschätzig von der „BRD GmbH“ spricht oder sich „Freiheit für Deutschland“ wünscht, mag ein Kauz oder Spinner sein, aber allein daraus und der Zuschreibung, ein „Reichsbürger“ zu sein, lässt sich nicht ableiten, das alles mit militärischer Gewalt erreichen zu wollen.
Beim Vorsatz genügt bei § 129a StGB, dass man die Umstände kennt, die die strafbare Zwecksetzung oder Betätigung der Vereinigung ausmachen, und sich vorstellt, in der Norm genannte bestimmte Delikte zu begehen. Der Nachweis lässt sich etwa führen, indem Äußerungen in Schriftstücken oder aber auch am Telefon ausgewertet werden. Es genügt dabei auch, wenn sich etwas aus dem Kontext ergibt. Ausdrücklich muss man das gar nicht sagen.
Ebenfalls teilt die Generalbundesanwaltschaft mit: „Die Beschuldigten verbindet eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, die im Laufe der Zeit bei ihnen den Entschluss hat wachsen lassen, sich an ihrer gewaltsamen Beseitigung zu beteiligen und hierfür in konkrete Vorbereitungshandlungen einzutreten.“ Wie konkret müssen entsprechende Vorbereitungen gediehen sein, damit strafrechtliche Relevanz entsteht?
Um sich strafbar zu machen, braucht es nicht viel, etwa beim Tatbestandsmerkmal des Gründens einer solchen kriminellen Vereinigung genügt es, wenn der Zusammenschluss bewirkt wird, wofür ein weiterführender und richtungsweisender Beitrag ausreicht. Das ist alles immer Einzelfallfrage und bedarf einer Gesamtbewertung. Das Sich-Beteiligen als Mitglied setzt eine einvernehmliche Eingliederung in die Organisation voraus und irgendeine Tätigkeit zur Förderung der kriminellen Ziele der Vereinigung.
Nach Lage der Dinge ist es schlichtweg nicht vorstellbar, dass ein 71-jähriger Immobilienunternehmer wie Heinrich XIII. Reuß mit seiner Gefolgschaft ernsthaft die Macht in Deutschland an sich reißen kann. Spielt das in der strafrechtlichen Beurteilung eine Rolle?
Die Strafbarkeit der Bildung einer kriminellen Vereinigung hängt nicht davon ab, ob die Mitglieder tatsächlich die Macht übernehmen, aus deren Reihen etwa jemand „König von Deutschland“ wird. Neben der subjektiven Bestimmung, die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen der Bundesrepublik zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, bedarf es objektiv einer Schädigungseignung.
Diese soll nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann gegeben sein, wenn dem Staat ein relevanter Schaden droht, was der Fall ist, wenn die Straftaten geeignet sind, die Bevölkerung in erheblicher Weise einzuschüchtern, eine Behörde rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen des Staates erheblich zu beeinträchtigen. Dieses Merkmal ist für sich genommen konturenlos und wenig aussagekräftig, weshalb hier ein großer Beurteilungsspielraum besteht und sehr genau ausgewertet werden muss, was genau geplant war. Ohne Kenntnis der vorhandenen Beweise ist das aber nicht möglich.
Nochmal zur Mitteilung des Generalbundesanwalts. Dort heißt es wörtlich: „Auf der Basis dieser Ideologie haben die Beschuldigten spätestens seit Ende November des Jahres 2021 mit sich seitdem immer weiter in ihrer Intensität steigernden Vorbereitungen begonnen. Diese umfassen die Planung verwaltungsähnlicher Strukturen, die Beschaffung von Ausrüstung, die Durchführung von Schießtrainings sowie die Rekrutierung neuer Mitglieder. Zentrales Gremium der Gruppierung ist der ,Rat‘, dem Heinrich XIII P. R. vorsteht. Er gilt innerhalb der Vereinigung als zukünftiges Staatsoberhaupt. Als sein persönlicher Referent fungiert Thomas T. Die Mitglieder des ,Rates‘ haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen. Das Gremium verfügt ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über verschiedene Ressorts, beispielsweise ,Justiz‘, ,Außen‘ und ,Gesundheit‘. Für die Leitung solcher Ressorts sind jedenfalls die Beschuldigten Birgit M.-W., Paul G., Ruth L., René R. und Melanie R. vorgesehen.“ Das klingt fast so, als hätten sich da ein paar Irre in einer Art Rollenspiel in eine Phantasiewelt hineingesteigert. Wo verlaufen aus juristischer Sicht die Grenzen zwischen Hirngespinsten und juristisch relevanten Handlungen?
Selbstverständlich ist es denkbar, dass dies alles eine große Spinnerei ist. Was sich für die einen ganz ernst anhört, kann für andere ein Hirngespinst sein – und andersherum. Um die Ernsthaftigkeit aufzuklären, gibt es das Ermittlungsverfahren und die Auswertung der Beweise. 
Einige der festgenommenen Personen sind beziehungsweise waren offenbar Angehörige der Polizei oder der Bundeswehr. Inwieweit wäre dies von strafrechtlicher Relevanz?
Es ist nicht überraschend, dass es, ganz allgemein gesprochen, auch unter Polizisten oder Soldaten „Spinner“ gibt – auch gefährliche. Gefährlich wird es immer dann, wenn diese Leute ernsthafte Bedrohungen darstellen, weil sie mit der Handhabung von Waffen vertraut sind, im Besitz von Waffen oder Zugang dazu haben. Soweit sich dies feststellen lässt, kann dies etwa für die Beurteilung der Schädigungseignung sehr wohl relevant sein.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach im Zusammenhang mit den Razzien und den Festnahmen von einem „Abgrund einer terroristischen Bedrohung“. Deckt sich diese Einschätzung mit der aktuellen Faktenlage?
Ich wäre vorsichtig mit vorschnellen Beurteilungen, erst recht, wenn sie aus dem Mund von Politikern stammen, die zudem noch unter dem öffentlichen, teilweise selbst erzeugten Druck stehen, beweisen zu müssen, dass sie es ernst meinen mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Das soll keineswegs die unbedingt berechtigten Anstrengungen des Einsatzes gegen jede Form von Extremismus infrage stellen. Aber vor allem wer mit Strafverteidigung befasst ist, weiß, dass mancher Vorwurf und manche Hypothese von Ermittlungsbehörden bei näherer Betrachtung schon in sich zusammengefallen sind.
Das heißt nicht, dass man am Ende nicht auch in einen von der Innenministerin so beschriebenen „Abgrund“ blickt. Aber dafür müssen erst einmal alle vorhandenen Beweise sorgfältig, unbefangen und objektiv gewürdigt werden. Und man sollte den Beschuldigten auch erst einmal Gelegenheit geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern und – falls sie sich dafür entscheiden – anhören, was sie zu sagen haben.
Wie bewerten Sie die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung der Beschuldigten in einem Strafprozess? Worauf wird es vor Gericht ankommen?
Bei Gericht kommt es darauf an, dass die Richter am Ende der Beweisaufnahme ohne begründete Zweifel zu haben zu der Überzeugung gelangen, dass der Vorwurf der Anklage hinsichtlich der Begehung von Straftaten zutrifft. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg und es wäre ohne Kenntnis der Akten unseriös, irgendeine Prognose abzugeben. 
Gehen Sie davon aus, dass die Beschuldigten bis zum Prozess in Haft bleiben müssen?
Das hängt auch und vor allem vom Vorliegen von Haftgründen ab, etwa Flucht- oder Verdunklungsgefahr. Von außen lässt sich das nicht wirklich seriös beurteilen. 
Etliche Medien waren vorab über die Razzia informiert worden und berichteten live vom Ort des Geschehens. Kann das eine Auswirkung auf das juristische Verfahren haben?
Zunächst einmal ist dazu zu sagen, dass dieser Umstand bemerkenswert und skandalös zugleich ist, zum einen, weil es eine immense Gefahr für den Erfolg der Ermittlungen begründet, zum anderen, weil es den Eindruck einer Inszenierung erweckt. Es sollte dringend geklärt werden, wer hier wen worüber und warum informiert hat. Auf die Beurteilung, ob die Beschuldigten sich strafbar gemacht haben, wirkt sich das freilich nicht aus. Allerdings können die Gerichte eine mediale Berichterstattung strafmildernd berücksichtigen, wenn sie weit über das gewöhnliche Maß hinausgeht und sich dies besonders nachteilig für einen Angeklagten auswirkt.
Inwieweit waren durch die Berichterstattung die Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten verletzt?
Beschuldigte sind für die Medien kein Freiwild. Vor allem, wenn es um die identifizierende Verdachtsberichtserstattung geht, muss sehr genau abgewogen werden, ob das Informationsinteresse der Allgemeinheit besonders schwer wiegt, damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht dahinter zurücktritt. Dabei kommt dem Gegenstand der Berichterstattung entscheidende Bedeutung zu.
Grundsätzlich gilt: Wer den Rechtsfrieden bricht, muss – wie der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs es kürzlich formuliert hat – auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird. Nur sollte bei alledem nicht vergessen werden, dass eine identifizierende Berichterstattung in der Regel auch eine enorme stigmatisierende Wirkung hat. Und das lässt sich selbst dann nicht rückgängig machen, wenn die Vorwürfe sich nicht oder nur teilweise bestätigen.

Die Fragen stellte Alexander Marguier.

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