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„Eindruck einer Inszenierung erweckt“
„Eindruck einer Inszenierung erweckt“
Durch einen großen Schlag gegen eine Gruppe mutmaßlicher
„Reichsbürger“ konnte am Mittwoch ein angeblich bevorstehender
Staatsstreich gerade noch verhindert werden. Aber wie plausibel sind
eigentlich die Vorwürfe gegen die Beschuldigten? Und wie sieht die
juristische Dimension der vermeintlichen Verschwörung aus? Der
Strafrechtler Holm Putzke gibt Antworten.
INTERVIEW MIT HOLM PUTZKE am 8. Dezember 2022
Prof. Dr. Holm Putzke ist Professor für Strafrecht an der
Universität Passau sowie außerplanmäßiger Professor für Strafrecht,
Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der EBS Universität für
Wirtschaft und Recht Wiesbaden. Zudem ist er bundesweit als
Strafverteidiger tätig.
Herr Prof. Putzke, am Mittwochmorgen wurden 25 mutmaßliche Mitglieder einer wohl im Reichsbürger-Milieu angesiedelten Gruppe festgenommen,
die sich offenbar vorgenommen hatten, die bestehende Ordnung in
Deutschland zu stürzen. Die Generalbundesanwaltschaft wirft ihnen vor,
sich gemäß § 129a Strafgesetzbuch in einer inländischen terroristischen
Vereinigung mitgliedschaftlich betätigt beziehungsweise diese
unterstützt zu haben. Was sind denn überhaupt die Voraussetzungen, um
den Tatbestand des § 129a zu erfüllen?
Bei der Strafnorm geht es um die Gründung einer Vereinigung, deren
Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet sind, bestimmte im Gesetz
aufgelistete Straftaten zu begehen. Bekämpft werden sollen typische
terroristische Taten, angefangen von Mord über Geiselnahme bis hin zur
Zerstörung von Bauwerken oder der Störung von Telekommunikationsanlagen.
Es genügt auch schon, dass eine Vereinigung mit solchen Taten drohen
will; ebenso macht sich strafbar, wer eine solche Vereinigung
unterstützt. Teilweise müssen die Aktivitäten geeignet sein, einen Staat
oder eine internationale Organisation erheblich zu schädigen.
In der Mitteilung des Generalbundesanwalts
heißt es wörtlich: „Die festgenommenen Beschuldigten gehören zu einer
spätestens Ende November 2021 gegründeten terroristischen Vereinigung,
die es sich zum Ziel gesetzt hat, die bestehende staatliche Ordnung in
Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen
ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen. Den Angehörigen der Vereinigung
ist bewusst, dass dieses Vorhaben nur durch den Einsatz militärischer
Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten verwirklicht werden
kann. Hierzu zählt auch die Begehung von Tötungsdelikten.“ Da stellt
sich die Frage, was damit gemeint ist, den Beschuldigten sei „bewusst“
gewesen, dass es zur Erreichung ihrer Ziele militärischer Gewalt bis hin
zu Tötungsdelikten bedürfe. Wie konkret muss denn eine Tötungsabsicht
sein, um strafrechtliche Relevanz zu erlangen? Die Mitteilung des
Generalbundesanwalts klingt im vorliegenden Fall ja eher abstrakt.
Für den Nachweis des Vorsatzes genügen keine bloßen Vermutungen.
Wer auf seinem Briefpapier beim Absender neben seinem Namen auch
„Königreich Bayern“ schreibt, abschätzig von der „BRD GmbH“ spricht oder
sich „Freiheit für Deutschland“ wünscht, mag ein Kauz oder Spinner
sein, aber allein daraus und der Zuschreibung, ein „Reichsbürger“ zu
sein, lässt sich nicht ableiten, das alles mit militärischer Gewalt
erreichen zu wollen.
Beim Vorsatz genügt bei § 129a StGB, dass man die Umstände kennt, die
die strafbare Zwecksetzung oder Betätigung der Vereinigung ausmachen,
und sich vorstellt, in der Norm genannte bestimmte Delikte zu begehen.
Der Nachweis lässt sich etwa führen, indem Äußerungen in Schriftstücken
oder aber auch am Telefon ausgewertet werden. Es genügt dabei auch, wenn
sich etwas aus dem Kontext ergibt. Ausdrücklich muss man das gar nicht
sagen.
Ebenfalls teilt die Generalbundesanwaltschaft mit: „Die
Beschuldigten verbindet eine tiefe Ablehnung der staatlichen
Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung der
Bundesrepublik Deutschland, die im Laufe der Zeit bei ihnen den
Entschluss hat wachsen lassen, sich an ihrer gewaltsamen Beseitigung zu
beteiligen und hierfür in konkrete Vorbereitungshandlungen einzutreten.“
Wie konkret müssen entsprechende Vorbereitungen gediehen sein, damit
strafrechtliche Relevanz entsteht?
Um sich strafbar zu machen, braucht es nicht viel, etwa beim
Tatbestandsmerkmal des Gründens einer solchen kriminellen Vereinigung
genügt es, wenn der Zusammenschluss bewirkt wird, wofür ein
weiterführender und richtungsweisender Beitrag ausreicht. Das ist alles
immer Einzelfallfrage und bedarf einer Gesamtbewertung. Das
Sich-Beteiligen als Mitglied setzt eine einvernehmliche Eingliederung in
die Organisation voraus und irgendeine Tätigkeit zur Förderung der
kriminellen Ziele der Vereinigung.
Nach Lage der Dinge ist es schlichtweg nicht vorstellbar,
dass ein 71-jähriger Immobilienunternehmer wie Heinrich XIII. Reuß mit
seiner Gefolgschaft ernsthaft die Macht in Deutschland an sich reißen
kann. Spielt das in der strafrechtlichen Beurteilung eine Rolle?
Die Strafbarkeit der Bildung einer kriminellen Vereinigung hängt
nicht davon ab, ob die Mitglieder tatsächlich die Macht übernehmen, aus
deren Reihen etwa jemand „König von Deutschland“ wird. Neben der
subjektiven Bestimmung, die politischen, verfassungsrechtlichen,
wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen der Bundesrepublik zu
beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, bedarf es objektiv einer
Schädigungseignung.
Diese soll nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann
gegeben sein, wenn dem Staat ein relevanter Schaden droht, was der Fall
ist, wenn die Straftaten geeignet sind, die Bevölkerung in erheblicher
Weise einzuschüchtern, eine Behörde rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung
mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen,
wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen des Staates erheblich zu
beeinträchtigen. Dieses Merkmal ist für sich genommen konturenlos und
wenig aussagekräftig, weshalb hier ein großer Beurteilungsspielraum
besteht und sehr genau ausgewertet werden muss, was genau geplant war.
Ohne Kenntnis der vorhandenen Beweise ist das aber nicht möglich.
Nochmal zur Mitteilung des Generalbundesanwalts. Dort heißt
es wörtlich: „Auf der Basis dieser Ideologie haben die Beschuldigten
spätestens seit Ende November des Jahres 2021 mit sich seitdem immer
weiter in ihrer Intensität steigernden Vorbereitungen begonnen. Diese
umfassen die Planung verwaltungsähnlicher Strukturen, die Beschaffung
von Ausrüstung, die Durchführung von Schießtrainings sowie die
Rekrutierung neuer Mitglieder. Zentrales Gremium der Gruppierung ist der
,Rat‘, dem Heinrich XIII P. R. vorsteht. Er gilt innerhalb der
Vereinigung als zukünftiges Staatsoberhaupt. Als sein persönlicher
Referent fungiert Thomas T. Die Mitglieder des ,Rates‘ haben sich seit
November 2021 regelmäßig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte
Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu
planen. Das Gremium verfügt ähnlich wie das Kabinett einer regulären
Regierung über verschiedene Ressorts, beispielsweise ,Justiz‘, ,Außen‘
und ,Gesundheit‘. Für die Leitung solcher Ressorts sind jedenfalls die
Beschuldigten Birgit M.-W., Paul G., Ruth L., René R. und Melanie R.
vorgesehen.“ Das klingt fast so, als hätten sich da ein paar Irre in
einer Art Rollenspiel in eine Phantasiewelt hineingesteigert. Wo
verlaufen aus juristischer Sicht die Grenzen zwischen Hirngespinsten und
juristisch relevanten Handlungen?
Selbstverständlich ist es denkbar, dass dies alles eine große
Spinnerei ist. Was sich für die einen ganz ernst anhört, kann für andere
ein Hirngespinst sein – und andersherum. Um die Ernsthaftigkeit
aufzuklären, gibt es das Ermittlungsverfahren und die Auswertung der
Beweise.
Einige der festgenommenen Personen sind beziehungsweise waren
offenbar Angehörige der Polizei oder der Bundeswehr. Inwieweit wäre
dies von strafrechtlicher Relevanz?
Es ist nicht überraschend, dass es, ganz allgemein gesprochen, auch
unter Polizisten oder Soldaten „Spinner“ gibt – auch gefährliche.
Gefährlich wird es immer dann, wenn diese Leute ernsthafte Bedrohungen
darstellen, weil sie mit der Handhabung von Waffen vertraut sind, im
Besitz von Waffen oder Zugang dazu haben. Soweit sich dies feststellen
lässt, kann dies etwa für die Beurteilung der Schädigungseignung sehr
wohl relevant sein.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach im Zusammenhang mit
den Razzien und den Festnahmen von einem „Abgrund einer terroristischen
Bedrohung“. Deckt sich diese Einschätzung mit der aktuellen Faktenlage?
Ich wäre vorsichtig mit vorschnellen Beurteilungen, erst recht, wenn
sie aus dem Mund von Politikern stammen, die zudem noch unter dem
öffentlichen, teilweise selbst erzeugten Druck stehen, beweisen zu
müssen, dass sie es ernst meinen mit der Bekämpfung des
Rechtsextremismus. Das soll keineswegs die unbedingt berechtigten
Anstrengungen des Einsatzes gegen jede Form von Extremismus infrage
stellen. Aber vor allem wer mit Strafverteidigung befasst ist, weiß,
dass mancher Vorwurf und manche Hypothese von Ermittlungsbehörden bei
näherer Betrachtung schon in sich zusammengefallen sind.
Das heißt nicht, dass man am Ende nicht auch in einen von der
Innenministerin so beschriebenen „Abgrund“ blickt. Aber dafür müssen
erst einmal alle vorhandenen Beweise sorgfältig, unbefangen und objektiv
gewürdigt werden. Und man sollte den Beschuldigten auch erst einmal
Gelegenheit geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern und – falls sie sich
dafür entscheiden – anhören, was sie zu sagen haben.
Wie bewerten Sie die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung
der Beschuldigten in einem Strafprozess? Worauf wird es vor Gericht
ankommen?
Bei Gericht kommt es darauf an, dass die Richter am Ende der
Beweisaufnahme ohne begründete Zweifel zu haben zu der Überzeugung
gelangen, dass der Vorwurf der Anklage hinsichtlich der Begehung von
Straftaten zutrifft. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg und es
wäre ohne Kenntnis der Akten unseriös, irgendeine Prognose abzugeben.
Gehen Sie davon aus, dass die Beschuldigten bis zum Prozess in Haft bleiben müssen?
Das hängt auch und vor allem vom Vorliegen von Haftgründen ab, etwa
Flucht- oder Verdunklungsgefahr. Von außen lässt sich das nicht wirklich
seriös beurteilen.
Etliche Medien waren vorab über die Razzia informiert worden
und berichteten live vom Ort des Geschehens. Kann das eine Auswirkung
auf das juristische Verfahren haben?
Zunächst einmal ist dazu zu sagen, dass dieser Umstand bemerkenswert
und skandalös zugleich ist, zum einen, weil es eine immense Gefahr für
den Erfolg der Ermittlungen begründet, zum anderen, weil es den Eindruck
einer Inszenierung erweckt. Es sollte dringend geklärt werden, wer hier
wen worüber und warum informiert hat. Auf die Beurteilung, ob die
Beschuldigten sich strafbar gemacht haben, wirkt sich das freilich nicht
aus. Allerdings können die Gerichte eine mediale Berichterstattung
strafmildernd berücksichtigen, wenn sie weit über das gewöhnliche Maß
hinausgeht und sich dies besonders nachteilig für einen Angeklagten
auswirkt.
Inwieweit waren durch die Berichterstattung die Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten verletzt?
Beschuldigte sind für die Medien kein Freiwild. Vor allem, wenn es um
die identifizierende Verdachtsberichtserstattung geht, muss sehr genau
abgewogen werden, ob das Informationsinteresse der Allgemeinheit
besonders schwer wiegt, damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht
dahinter zurücktritt. Dabei kommt dem Gegenstand der Berichterstattung
entscheidende Bedeutung zu.
Grundsätzlich gilt: Wer den Rechtsfrieden bricht, muss – wie der 6.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs es kürzlich formuliert hat – auch
dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der
Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird. Nur sollte
bei alledem nicht vergessen werden, dass eine identifizierende
Berichterstattung in der Regel auch eine enorme stigmatisierende Wirkung
hat. Und das lässt sich selbst dann nicht rückgängig machen, wenn die
Vorwürfe sich nicht oder nur teilweise bestätigen.
Die Fragen stellte Alexander Marguier.
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