21 Dezember 2022

Corona und die Medien - In weiter Ferne, zu nah? (Cicero)

Corona und die Medien
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In weiter Ferne, zu nah? (Cicero)
Wie nahe standen sich Regierung und Medien in der Corona-Krise? Ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags lässt Zweifel an der Informationspolitik des Bundespresseamtes und der Regierung Merkel aufkommen. Es ist an der Zeit, dass sich der Corona-Journalismus ehrlich macht.
VON RALF HANSELLE am 20. Dezember 2022
Die heiße Phase der Pandemie ist vorbei. Auch für die großen Rundfunkanstalten und Medienhäuser. Jetzt wäre es an der Zeit, sich ehrlich zu machen; verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen; um jene zu kämpfen, die zu Recht oder zu Unrecht Zweifel an der Corona-Berichterstattung hatten. Das mag vielleicht nur langsam gehen, aber auch Langsamkeit beginnt wie alles im Leben mit dem sprichwörtlichen ersten und mutigen Schritt.

Dabei muss man sich nicht mal alleine vorwagen. Einen ersten zögerlichen Tapser nämlich hat längst der Berliner Tagesspiegel unternommen. Und das schon im Juli 2021. In einem eigentlich harmlosen Porträt des einstigen Regierungssprechers Steffen Seibert berichtete Tagesspiegel-Redakteur Georg Ismar damals darüber, wie die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Vorabend wichtiger Bund-Länder-Treffen zur Corona-Lage ausgewählte Journalisten zusammengerufen habe, um diese auf die harte Lockdown-Schiene der Regierung einzuschwören.

Bei diesen Zusammenkünften, so Ismar weiter, sei die Pandemiesituation stets „so eindringlich dargestellt [worden], dass es zum Gipfeltag in Zeitungen und Onlineportalen stand – und Druck auf die Bundesländer aufbaute“. Einige Ministerpräsidenten wiederum sollen laut Georg Ismar – als Leiter der Hauptstadtredaktion immerhin gut unterrichteter Kenner der Szene – von diesen heimlichen Treffen zwischen Macht und Medien Wind bekommen und nun ihrerseits Vorab-Schalten mit Journalisten durchgeführt haben, um so ihre Sicht der Dinge in den öffentlichen Diskurs einzuspeisen. So wurde aus der einstmals stolzen vierten Gewalt ein festgezurrter Gulliver, der sich willfährig mal ins „Team Vorsicht“, dann wieder ins „Team Freiheit“ ziehen ließ.

Wasser auf die Mühlen der Skeptiker

Es war nur ein kleiner Absatz in einem sonst viel zu langen Artikel auf der legendären „Seite Drei“ der altehrwürdigen Hauptstadtzeitung. So klein, dass er den allermeisten Lesern damals wohl gar nicht aufgefallen war. Vielleicht wollte man diesen Absatz aber auch nicht bemerken, wäre er doch Wasser auf die Mühlen all jener gewesen, denen der oft so einheitlich geschnalzten Zungenschlag in vielen deutschen Leitmedien seit längerem schon verdächtig vorgekommen war.

Die Medien, so ein letztlich absurder und generalisierter, seit dem Frühjahr 2020 aber nicht mehr aus der Welt zu bekommender Vorwurf, seien nicht mehr frei und hätten sich spätestens in der Krise zu Sprechern der Regierung gemacht. Von obskuren Querdenker-Demos in der deutschen Provinz bis hin zu mit Bedacht vorgetragenen Einwänden auf den hinteren Seiten des Feuilletons reichten damals die Anwürfe gegen „die Medien“. 

Der Spaltungsreflex funktionierte

Alles Verschwörung, beeilten sich nun ihrerseits die derart Angegriffenen, um sich einer sicherlich nicht ganz angenehmen Debatte vorerst nicht weiter stellen zu müssen. Und dieser Abwehr-, ja zuweilen sogar Spaltungsreflex funktionierte eine Zeit lang auch recht effektiv. Zumindest ging es solange gut, bis im Januar 2022 recht unverhofft ein vertrauliches Video aus der benachbarten Schweiz auftauchte. In diesem fabulierte ein in Deutschland weitestgehend unbekannter Herr namens Marc Walder, CEO des Schweizer Medienimperiums Ringier, in ausgewählter Runde darüber, wie er bereits zu Beginn der Krise seine Redaktionen angewiesen habe, die Regierungen in ihrer Pandemiepolitik zu unterstützten.

Was für deutsche Ohren vielleicht nach typisch helvetischer Harmlosigkeit klang, das bedeutete den inhaltlichen Einfluss auf weltweit immerhin 186 Medienmarken: vom Business Insider Polska bis zur rumänischen Elle, von der Schweizer Landliebe bis zum gefürchteten Sonntagsblick. Im Sommer dieses Jahres dann schaltete sich zu allem Überfluss auch noch die Justizbehörde ein: Ein Sonderermittler aus Bern hatte sich aufgemacht, um die Frage zu untersuchen, ob die zur Ringier-Gruppe gehörende Boulevardzeitung Blick möglicherweise systematisch mit Insiderinformationen aus dem eidgenössischen Bundesamt für Gesundheit versorgt worden sei.

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Gut, mag da manch einer in Berlin gedacht haben, die Schweiz ist weit weg, und zwischen uns und dem Gesslerhut liegt die sichere Schneegrenze! Dann aber geschah das, was nicht hätte geschehen müssen: Ausgerechnet Wolfgang Kubicki, mithin der vielleicht konfliktfreudigste Abgeordnete im Deutschen Bundestag, erinnerte sich an einen Stapel Altpapier. In diesem: ein mittlerweile eineinhalb Jahre zurückliegender Artikel aus dem Tagesspiegel: „Der Wortschatz“ – Georg Ismar über das „System Seibert“.

Die wissenschaftliche Expertise

Und während Ismars Kollegen von der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) mittlerweile auch herausbekommen haben wollten, dass vor der Verkündung des ersten Lockdowns am 16. März 2020 zwischen 20 und 25 Kollegen in einem Zoom-Call mit dem Kanzleramt kurzgeschaltet worden waren, wollte es der Wadenbeißer von der FDP einmal ganz genau wissen. Kubicki beauftragte die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages mit der Beantwortung einer naheliegenden und in sich selbst bereits heiklen Frage: Inwieweit sind journalistische Hintergrundkreise im Auftrag öffentlicher Stellen mit dem Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot sowie mit der gängigen Rechtsprechung vereinbar? 

Die Antwort, die der streitbare Bundestagsvize dann einige Wochen vor dem diesjährigen Weihnachtsfest erhielt, mag nicht nur Steffen Seibert und die bis heute nicht namentlich bekannten Journalisten aus der Kanzlerinnenrunde ernüchtert haben: „Sowohl die Informationsweitergabe auf eigene Initiative als auch aufgrund eines Auskunftsersuchens darf „nicht auf eine Reglementierung oder Steuerung der Medien oder eines Teils von ihnen hinauslaufen“, so der Wissenschaftliche Dienst mit Blick auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von September 2019.

Und weiter: „Außerdem gilt im Rahmen staatlicher Informations- und Pressetätigkeit der Anspruch der Presse auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb.“ Der Staat müsse also Pressevertreter in Bezug auf Zeitpunkt, Inhalt und Umfang grundsätzlich gleichbehandeln. Sollte dennoch aus bestimmten Gründen eine Auswahl notwendig sein, so müsse diese auf meinungsneutralen sowie sachgerechten Kriterien beruhen.

Das Regierungsnarrativ

Nun weiß man natürlich nicht, ob Seiberts Journalisten-Auswahl vor den eingangs erwähnten Bund-Länder-Runden nicht vielleicht doch auf eben diesen meinungsneutralen und sachgerechten Kriterien beruht hat. Auf eine Anfrage der NZZ ließ das Bundespresseamt lediglich mitteilen, dass „organisatorische Einzelheiten […] weder dokumentiert noch statistisch erfasst“ würden – und das, obwohl die Wissenschaftlichen Dienste in ihrem Gutachten genau diese Dokumentation mit Verweis auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts nahelegen.

Wolfgang Kubicki selbst scheint mittlerweile ohnehin keine Fragen mehr zu haben. In einem Gastbeitrag für die Berliner Zeitung schrieb er jüngst, dass sich Journalisten während der Corona-Krise offenbar „zu Verkündern des Regierungsnarrativs“ gemacht und „ihre demokratische Aufgabe und ihre journalistische Selbstachtung an der Garderobe des Bundespresseamtes“ abgegeben hätten: „Wir haben erlebt, dass viele Journalisten irgendwann nur noch eine coronapolitische Erzählung verteidigten, auf die sie sich einmal festgelegt hatten, anstatt der Wahrheit weiterhin auf die Spur zu gehen“, so der Liberale in scharfen Worten.

Die Selbstabschaltung des Journalismus

Aber stimmt das wirklich? Noch liegt im Dunkeln, was tatsächlich im Vorfeld der sagenumwobenen Ministerpräsidentenkonferenzen mit der Kanzlerin stattfand und welche Kommunikationsflüsse es zwischen Bundeskanzleramt und ausgewählten Medien gegeben haben mag. Nur das Resultat liegt auf dem Tisch: So kommt eine bereits im Oktober 2021 vorgelegte Medienanalyse des Mainzer Medienwissenschaftlers Marcus Maurer zu dem Schluss, dass im Untersuchungszeitraum von Anfang 2020 bis April 2021 immer wieder der Grundsatz einer vielfältigen Berichterstattung außer Kraft gesetzt worden sei und dass „vergleichsweise selten über die negativen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen harter Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie berichtet [wurde]“.

Doch brauchte es für diese Selbstabschaltung journalistischer Standards wirklich Absprachen und Kungeleien in vertrauter Runde? Oder reichte nicht in den meisten Fällen bereits eine publizistische Hybris, in deren innerer Logik sich der Journalist nicht mehr als Beobachter und Vermittler von Geschehnissen sah, sondern in der er zum Lebensretter mit erheblicher Mitverantwortung für den weiteren Verlauf der Pandemie mutierte?

Wie gesagt: Es wäre jetzt an der Zeit, sich endlich ehrlich zu machen und aufzuarbeiten, was uns als Journalisten während der zurückliegenden Krise tatsächlich angetrieben hat. Es geht dabei nicht nur um verlorenes Vertrauen, es geht auch und vor allem darum, zurück in eine gesunde Autonomie gegenüber den anderen Mitspielern im demokratischen Diskurs zu finden. Die nächsten Krisen warten nämlich schon oder sind längst da. Einen Journalismus mit Distanz-Nähe-Problematik können wir uns da wirklich nicht mehr leisten.

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