01 Dezember 2022

Der andere Blick Deutschlands Fachkräfte-Fiasko: wie man Leistungsträger abschreckt und Leistungsempfänger anzieht (NZZ)

Der andere Blick
Deutschlands Fachkräfte-Fiasko: wie man Leistungsträger abschreckt und Leistungsempfänger anzieht (NZZ)
Die Ampel-Koalition will Ausländern den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Gute Idee. Aber das Land ist für gut ausgebildete Menschen längst nicht mehr so attraktiv wie früher.
Marc Felix Serrao, 01.12.2022
Fangen wir mit einem Lob an: Es ist richtig, dass die deutsche Regierung etwas gegen den Fachkräftemangel im Land tun will. In vielen Branchen können Unternehmen freie Stellen nicht besetzen, weil geeignete Bewerber fehlen. Das ist kein Luxusproblem, sondern eine Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen und den Wohlstand des ganzen Landes.
Erstes Beispiel: Reicht die anerkannte Qualifikation eines Ausländers, um eine bestimmte Arbeitsstelle anzutreten? Die Regierung will diese Entscheidung künftig dem Arbeitgeber überlassen. Gut so. Unternehmen wissen am besten, wen sie brauchen und was ihre Mitarbeiter können müssen. Sie brauchen dafür kein grünes Licht eines Beamten.
Zweites Beispiel: Für IT-Spezialisten gelten in Deutschland heute schon Sonderregeln, künftig sollen sie auch keinen Nachweis von Deutschkenntnissen mehr vorlegen müssen. Auch das ist sinnvoll. Sprachkenntnisse sind wichtig, aber Kenntnisse in Programmiersprachen sind im internationalen Wettbewerb noch wichtiger. Ein Land, das besonders umkämpfte Fachkräfte anziehen will, muss pragmatisch sein.
Deutschland ist nicht mehr so attraktiv wie früher
Doch ein bisschen mehr Pragmatismus und etwas weniger Bürokratie im Umgang mit Fachkräften werden nicht ausreichen. Deutschland mag noch die grösste Volkswirtschaft Europas sein, aber das Land ist längst nicht mehr so leistungsstark und attraktiv wie früher einmal. Die Gründe sind vielfältig.
«Make it in Germany» heisst das Portal, mit dem die deutsche Regierung im Netz um Fachkräfte wirbt. «Make it» – das klingt nach: beruflichen und privaten Erfolg haben, Wohlstand aufbauen, ein Häuschen haben, den Kindern eine gute Zukunft bieten. In Deutschland ist all das schwierig geworden. Die Steuerlast ist so hoch wie in kaum einem anderen westlichen Land, und sie wird wohl weiter steigen. Immobilien sind kaum noch bezahlbar. Auf dem Land, vor allem im Osten, erleben Menschen, denen man ihre fremde Herkunft ansieht, oft rassistische Anfeindungen. Und die Qualität zumindest der öffentlichen Schulen ist vielerorts miserabel.
Sicher, Deutschland ist im globalen Massstab immer noch ein relativ reiches und sicheres Land. Aber andere Länder bieten bei den Faktoren, die mit darüber entscheiden, ob man «es schafft» im Leben, wesentlich bessere Voraussetzungen, und damit ist nicht nur die Schweiz gemeint. Wer eine gefragte Fachkraft und mobil ist, hat heute viele Gründe, sich gegen Deutschland zu entscheiden. Dafür kommen dann andere.
Leistungsempfänger statt Leistungsträger
Die Millionen Migranten, die in den vergangenen Jahren aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder aus afrikanischen Staaten nach Deutschland geströmt sind, sind überwiegend nicht diejenigen, die das Land so dringend braucht, also Ärzte, Ingenieure, Handwerker oder Programmierer. Es sind Menschen, die den Staat überproportional als Leistungsempfänger belasten und ihm nicht als Leistungsträger zur Verfügung stehen. Von den vielen Syrern in Deutschland leben beispielsweise, je nach Schätzung, zwei Drittel bis drei Viertel ganz oder teilweise von Hartz IV (künftig «Bürgergeld»).
Ernstgemeinte Anstrengungen, diese Migration in die Sozialsysteme zu begrenzen oder abgelehnte Asylbewerber ohne Perspektive auszuschaffen, sind in der Ampel-Koalition nicht zu erkennen. Das liegt vor allem an SPD und Grünen. Die beiden linken Regierungsparteien stellen Migration pauschal als Segen dar. Je «bunter» das Land, desto besser.
Auch die deutsche Staatsbürgerschaft wollen SPD und Grüne künftig unter überschaubaren Voraussetzungen anbieten, nur ein Teil der mitregierenden FDP probt noch den Aufstand (vermutlich nicht allzu lange). Er fände es «sehr gut, wenn diejenigen, die so lange bei uns leben, sich auch dafür entscheiden, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben», sagt Kanzler Olaf Scholz. Was für eine Botschaft.
Deutschland fragt nicht, so wie jedes normale Land der Welt: Bist du würdig, zu uns zu gehören – und kannst du das durch deine Arbeit, deinen Spracherwerb, dein soziales Engagement, dein Interesse an unserer Geschichte und Kultur belegen? Scholz-Deutschland fragt: Sind wir deiner würdig? Kleiner kann man sich kaum machen.

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