Politiker können darauf vertrauen, dass Journalisten ihnen das Klimakatastrophen-Argument abnehmen. Wichtigste Referenz lieferte ihnen eine neue Disziplin der Klimaforschung, die sogenannte Attributionsforschung. Sie will mit Klimamodellen feststellen, ob ein Wetterereignis von der globalen Erwärmung begünstigt wurde.
Ziel sei es, dass die Diagnose kurz nach einer Katastrophe zur Verfügung stünde und damit hohe Relevanz in den Nachrichten bekomme, analysierte die „New York Times“. Attribution könnte helfen, die Dringlichkeit von Klimaschutz zu erhöhen, sagt Friederike Otto vom Imperial College London, eine führende Vertreterin der Fachrichtung.
Ob aus Regen eine Flut wird, hängt von vielen Faktoren ab
Zwar kann auch die Attribution, also die Zuordnung eines Wetterereignisses zum Klimawandel, nie beweisen, ob ein Wetterereignis wegen des Klimawandels eingetreten ist. Sie erlaubt lediglich Abschätzungen darüber, ob Wetterereignisse häufiger geworden sein könnten aufgrund der menschengemachten Erwärmung. Ob aber zum Beispiel aus Regen Überschwemmungen werden, hängt wesentlich von anderen Faktoren ab als von der Regenmenge, beispielsweise von der Bodenbeschaffenheit, von der Topografie und von Sicherheitsmaßnahmen.
Dennoch beeilen sich Klimaforscher nach jeder Wetterkatastrophe,
Attributionsstudien zu liefern, welche von Medien stets begierig
aufgegriffen werden, so auch nach der Flutkatastrophe in
Westdeutschland: Schuld an der Flut wäre der Klimawandel, berichteten Medien,
nachdem Attributionsstudien lediglich ergeben hatten, dass die globale
Erwärmung höhere Regenmengen auch in Deutschland wahrscheinlicher machen
dürfte.
Zusammen mit zwei Kollegen fordert sie in einem Aufsatz in „Nature“: „Hört auf, das Klima für Katastrophen verantwortlich zu machen.“ Katastrophen entstünden, wenn Naturgefahren auf die Anfälligkeit einer Siedlung träfen: „Häufig bestimmt der soziale, politische und wirtschaftliche Status die Auswirkungen“, schreiben Otto und ihre Kollegen. Jene Faktoren müssten bekannt sein, um Katastrophen zu lindern.
Die Gefahr durch Wetterextreme ist deutlich geringer als vor 100 Jahren
Manche Wetterkatastrophen würden wahrscheinlicher wegen der
menschengemachten Erwärmung, ausgelöst beispielsweise durch
Extremregenereignisse, die in einer wärmeren Atmosphäre tendenziell
stärker ausfallen. Ob aus Regen aber eine Katastrophe werde, hänge
wesentlich davon ab, wie anfällig Siedlungen für Extremwetter seien,
schreiben die Forscher. Die Anfälligkeit wäre ein Problem, das mit
politischen Mitteln vor Ort gelöst werden müsse.
Dass stärkerer Regen nicht zwangsläufig schwerere Fluten bedeutet, beweisen Daten. Hochwasser haben trotz Klimawandel weniger schwere Folgen als früher: In Europa wären sowohl Opferzahlen als auch Schäden aufgrund von Hochwasser seit dem 19. Jahrhundert rückläufig, dokumentiert eine Studie im Wissenschaftsmagazin „Nature“.
Gleiches gelte weltweit und auch für Sturzfluten, berichten Wissenschaftler im Magazin „Global Environmental Change“. Global gehe die Wahrscheinlichkeit von Hochwassern sogar zurück – im Kontrast zur globalen Zunahme von Extremregen, berichten Wissenschaftler im Fachblatt „Geophysical Research Letters“.
Die Menschheit ist nicht hilflos gegenüber Wetterrisiken. Trotz fortschreitenden Klimawandels hat sich das Risiko für einen einzelnen Menschen wegen eines Wetterextrems zu sterben um 99,75 Prozent reduziert: Das Risiko wegen eines Wetterextrems zu sterben betrug in den 1920er-Jahren laut UN-Daten 1:1000, heute liegt es bei 1:400.000. Die Lehre lautet: Niemand muss am Klimawandel sterben, es gibt Schutz, beispielsweise mit Vorwarnung, Klimaanlagen und Deichen.
Selbst Diktatoren bekommen ein Alibi
Wetterextreme würden zu Katastrophen, sofern Risiken nicht eingeplant würden, schreiben Otto und ihre Kollegen. Mängel wurden zuhauf aufgedeckt
in den Monaten nach der Flutkatastrophe in Westdeutschland, wo es
selbst an Hochwasserwarnung der bedrohten Anwohner mangelte. Mit Verweis
auf den Klimawandel konnten verantwortliche Politiker ablenken von
ihren Versäumnissen.
Das Verhalten hat Routine. Der Gouverneur des US-Bundesstaats Washington, verantwortlich für die Wälder seines Landes, sprach von „Klimabränden“ angesichts von verheerenden Waldbränden in seinem Gebiet. Feuerökologen hingegen verwiesen vor allem auf mangelhaftes Waldmanagement, das die Ausbreitung der Feuer begünstigt hätte.
Der Bürgermeister von New York zog den Klimajoker, nachdem Anfang September vergangenen Jahres Sturzfluten seine Stadt heimgesucht hatten. Dabei waren ähnliche Regenmengen in New York im 20. Jahrhundert alle paar Jahre vorgekommen. Die unangenehme Wahrheit lautete: New Yorks Kanalisation hält normalem Starkregen nicht stand. Selbst Diktatoren bekommen ein Alibi: Migration aus Afrika und Syrien müsste dem Klimawandel angelastet werden, erklären Politikforscher.
Anfälligkeit für Katastrophen ins Zentrum stellen
„Die Natur oder das Klima für Katastrophen verantwortlich zu machen,
lenkt die Verantwortung ab“, schreiben nun Otto und ihre Kollegen. In
der Folge drohten Mängel nicht diskutiert und nicht behoben zu werden.
Der Fokus auf den Klimawandel führe auch aus einem anderen Grund in die
Irre, schreiben die Klimaforscher in „Nature“: Klimamodelle würden die
Welt zu grob darstellen, um gezielt Risiken an einzelnen Siedlungen
lindern zu können. Unterschiede von Ort zu Ort ließen sich mit
Klimamodellen nicht ausreichend genau auflösen.
Ihre Attributionsstudien wären gleichwohl sinnvoll, um herauszufinden, in welchen Regionen der menschengemachte Klimawandel Wetterrisiken prinzipiell vergrößere. Dort wäre es wahrscheinlich, dass auch die Katastrophengefahr größer würde. Auch für die Kommunikation wären die Studien geeignet: Sie könnten der Bevölkerung verdeutlichen, dass die menschengemachte Erwärmung Auswirkungen habe.
Gleichzeitig gelte, schreiben Otto und ihre Kollegen, dass „wir aufhören müssen, die Natur oder das Klima für Katastrophen verantwortlich zu machen, und stattdessen die Anfälligkeit ins Zentrum stellen müssen“.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen