Von Dr. Friedrich Pürner, Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Epidemiologe,13.11.2022
Als im neu beginnenden Zeitalter des Corozäns die ersten Maßnahmenkritiker von Zensur sprachen, war der Aufschrei der folgsamen und solidarischen Menschen ziemlich groß. Wenn es doch eine Zensur gäbe, dann könne man doch so etwas wie Zensur gar nicht öffentlich sagen. Daher gibt es keine Zensur. Dies war die Reaktion auf die Hinweise, dass die Öffentlichkeit nur durch einen Filter Informationen erhalte. Nun ja. Vielleicht war dieser Argumentationsstrang nicht vollständig durchdacht. Tatsächlich aber hatten Teile der Bevölkerung und skeptische Fachexperten den Eindruck, dass Gegenmeinungen zum öffentlichen Corona-Narrativ unterdrückt werden.
Nun erschien bei Springer Link am 1. November 2022 eine Studie (in Englisch) mit der Überschrift: „Zensur und Unterdrückung von Covid-19 Heterodoxie: Taktik und Gegentaktik.“ Aber ja, Sie haben Recht. Der Titel lädt nun nicht direkt zum Lesen ein. Und als Eyecatcher taugt er auch nicht. Und was bitte ist eine Heterodoxie? Die Heterodoxie kann als abweichende Lehre oder Meinung verstanden werden. Wer das in diesem Sinne übersetzt, wird vermutlich mehr Interesse an diesem Artikel bekommen.
Worum geht es in der Studie? Im Prinzip wird aufgezeigt, dass
Personen und deren abweichende Meinungen zu Covid-19 zensiert und dem
Ansehen dieser Personen absichtlich geschadet wurde. Mittels bestimmter
Unterdrückungstaktiken wurden der Ruf und die Karriere geschädigt – und
dies unabhängig des akademischen oder medizinischen Status und dem
gesellschaftlichen Ansehen der Personen. Die Taktiken und Gegentaktiken
werden in dieser Studie anschaulich beschrieben und einen
aufgeschlossenen Leser wird es bei der Lektüre schaudern.
Galt dies bislang nicht eher als Verschwörungstheorie? Wer sollte
Interesse daran haben, abweichende Meinungen aus der Wissenschaft so
brutal anzugehen und gleich dazu auch noch die jeweilige Person zu
diffamieren? Wer die Fäden gezogen hat, geht aus der Studie nicht
hervor. Unterstützt wird dieses krude Gebaren aber von
Medienorganisationen und Unternehmen der Informationstechnologie. Es
liegt auf der Hand, welchen Einfluss und Möglichkeiten diese Konzerne
haben.
Galileos Beispiel ist nun mehrere hundert Jahre alt. Haben wir uns nicht weiterentwickelt? Ist Wissenschaft nicht vor allem durch den Dialog und Austausch geprägt? Durch die Entwicklung von Thesen und deren Diskussion? Meinung und Gegenmeinung: Ein wissenschaftlich und offen geführter Diskurs ist so wichtig wie das Salz in der Suppe.
Doch spätestens seit Corona gibt es diesen wissenschaftlichen Diskurs nicht mehr. Beziehungsweise es darf ihn nicht mehr geben. Abweichende Meinungen werden nicht gehört. Die Person dahinter wird diskreditiert und gecancelt. Vor allem im ÖRR saßen meist nur Angehörige des Mainstreams. Mutige Gegenstimmen gab und gibt es von Anfang an. Nur wurden diese Personen nicht eingeladen. Kritische Nachfragen durch Journalisten, Redakteure und Moderatoren hatten die Mainstreamer nicht zu befürchten. Sie schwammen auf einer sanften Welle der Sympathie und konnten gelassen den Talkshow-Abend als Teilnehmer vorbeiziehen lassen. Eine Befragung wie durch die Inquisition hatten diese auserwählten Talkshow-Gäste nicht zu erwarten.
Zurück zur Studie. Wie liefen nun die Unterdrückungsmaßnahmen ab? In
den sozialen Medien wurden beispielsweise Accounts von kritischen
Einzelpersonen und Gruppen gelöscht. Auch wurde die – ich übersetze
folgend aus der Studie – „Sperrung der Sichtbarkeit von Inhalten eines
Nutzers, ohne ihn darüber zu informieren“, veranlasst. Es wurden
Accounts von Personen oder Gruppen gelöscht bzw. deren geäußerten
Inhalte „unsichtbar“ gemacht. Grund dafür ist, dass deren gegenteilige
Meinung nicht zum öffentlichen Narrativ passen mochte.
Möglich macht dies auch die Technik. Dieser Fakt darf nicht ungeachtet
bleiben. Die technischen Möglichkeiten der Einflussnahme von
Informationstechnologieunternehmen sind nahezu unbegrenzt. Einerseits
bieten diese sogenannten sozialen Medien eine schier unvorstellbare
Kontaktvernetzung in aller Welt – und das in Sekunden. Dafür zahlen die
Nutzer den Preis der Kontrolle – und letztendlich müssen sie damit
rechnen, zensiert zu werden.
Ein sehr nachdenklich stimmendes Beispiel aus der Studie möchte ich nicht vorenthalten. Drei Epidemiologen der Universitäten Harvard, Stanford und Oxford veröffentlichten im Oktober 2020 eine Erklärung, die sogenannte Great Barrington Declaration. Diese Erklärung wurde von vielen namhaften Wissenschaftlern und Ärzten, darunter auch ein Nobelpreisträger, unterzeichnet. Auch die Initiatoren dieser Erklärung waren keine Unbekannten in der wissenschaftlichen Landschaft. In dieser Erklärung sprachen sich die Wissenschaftler gegen allgemeine Lockdowns aus. Sie plädierten vielmehr dafür, dass man sich auf den Schutz der vulnerablen Gruppen konzentrieren solle. Um nun diese sogenannte Gefährdung durch Andersdenkende zu verringern, veränderte Google kurzerhand seinen Suchalgorithmus. Im Klartext: Diese Erklärung sollte nicht mehr so einfach via Suchmaschine gefunden werden. Auch Facebook war nicht untätig und löschte eine Seite, welche von einer Gruppe von Wissenschaftlern eingerichtet worden war, die an der bereits oben genannten Erklärung beteiligt waren.
Besonders hart traf es einen in der Epidemiologie prominenten und weltweit meist zitierten Fachkollegen. Dieser wurde auf Twitter deshalb zensiert, weil er es als Epidemiologe und Experte für Infektionskrankheiten gewagt hatte zu sagen, dass nicht jeder den Covid-19-Impfstoff brauchen würde. Das Account-Profil des Experten wurde zwar nicht gelöscht, jedoch erfolgte eine Verwarnung. Nutzer von Twitter wurden daran gehindert, seinen kritischen Beitrag über die Impfung zu liken oder auf Twitter weiterzuverbreiten, also zu retweeten.
Weitere Beispiele, liebe Leser, entnehmen Sie bitte der Studie. Klar
ist jedenfalls, dass unter Beteiligung von Technologieunternehmen die
Möglichkeiten der Zensur auf eine neue Schwelle gehoben worden ist,
unter der sogar namhafte Wissenschaftler zu leiden hatten.
Haben Sie, liebe Leser, vor der Lektüre dieses Artikels von der nun
erwähnten Studie gehört? Gelesen? Nein? In der Pandemie gab es viele
Kollateralschäden. Ganz besonders traf es die Wissenschaft und ihre
Glaubwürdigkeit. Aber auch die Glaubwürdigkeit einzelner Institutionen
litt. Dies zeigt die genannte Studie deutlich auf. Besonders in
Krisenzeiten kann eine Zensur kritischer, anderslautender oder
gegenteiliger Meinungen und Ansichten für die Bevölkerung schädlich
sein. Krisen zeichnen sich gerade auch durch große Verunsicherung der
Öffentlichkeit aus.
Werden nun bestimmte Meinungen offen negiert, weggeleugnet oder unterdrückt, so verstärken sich das Misstrauen und die Unsicherheit der Bevölkerung. Es beginnt ein regelrechter Respektverlust gegenüber bestimmten Behörden oder Institutionen. Beispielhaft können hier das RKI (Robert-Koch-Institut) oder die Stiko (Ständige Impfkommission) angeführt werden. Allein die Tatsache, dass das RKI bis heute nicht zwischen „mit“ oder „an“ Covid verstorben unterscheiden kann, führte von Beginn an zu einem massiven Vertrauensverlust in die Zahlen und Aussagen des RKI.
Auch die Impfkommission hat jahrelanges Vertrauen aufgrund nicht nachvollziehbarer Covid-Impfempfehlungen verspielt. Es gab in beiden Fällen auch kritische Stimmen aus den Fächern der Epidemiologie, der Virologie und der Infektiologie. Gehört wurden diese Stimmen nicht. Und so darf es nicht wundern, wenn durch Zensur neben einem enormen Vertrauensverlust auch wichtige Informationen und wissenschaftliche Erkenntnisse übersehen werden. Das alles können Sie in dieser Studie nachlesen.
Wie endete nun meine Diskussion über das Rasenmähen? Gut. Denn schnell waren wir uns einig, dass jeder für seinen eigenen Rasen verantwortlich ist. Und wenn nun meine Grashalme aufgrund der Länge durch den Schnee abbrechen und der Schimmel sich unter der Schneedecke bildet, dann ist es so. Ein wenig Gelassenheit kann auch im Garten nicht schaden. Als wir uns freundlich verabschiedeten und ich weiter durch die kalte Morgenluft spazierte, hörte ich mich selbst sagen: „Und er wächst doch eh wieder.“
Dr. Friedrich Pürner, Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Epidemiologe
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