07 Dezember 2022

Der Schutz der eigenen Bevölkerung muss der Regierung am wichtigsten sein (NZZ)

Der andere Blick
Der Schutz der eigenen Bevölkerung muss der Regierung am wichtigsten sein (NZZ)
Die Tötung eines Mädchens, mutmasslich durch einen Asylbewerber aus Eritrea, löst Entsetzen aus. Dabei darf es nicht bleiben. Die «Ampel» muss beweisen, dass die Sicherheit der Einheimischen Priorität hat – vor den Interessen von Asylbewerbern aus aller Welt.
Alexander Kissler, Berlin, 06.12.2022
Das baden-württembergische Örtchen Illerkirchberg bei Ulm gelangte an diesem Montag zur traurigen Berühmtheit. In den Morgenstunden wurde dort ein 14-jähriges Mädchen, eine Alevitin, getötet, ein anderes schwer verletzt. Dringend tatverdächtig ist ein Asylbewerber aus Eritrea. Er wurde in der kommunalen Flüchtlingsunterkunft festgenommen.
Am Tag danach herrschen Entsetzen und Trauer, Betroffenheit und Empörung. Diese Reaktionsweisen sind menschlich verständlich. Die Politik sollte sich jedoch nicht vor einer unangenehmen Einsicht drücken: Migration hat auch ihre Schattenseiten, und die einheimische Bevölkerung ist mindestens ebenso schutzbedürftig wie die Schutzsuchenden aus aller Herren Ländern, die Deutschland so gerne willkommen heisst.
Illerkirchberg ist weder ein Einzelfall, noch darf die Gewalttat für ausländerfeindliche Ressentiments missbraucht werden. Die gesamte Migrationsdebatte hat zwei Seiten, und beide Seiten gehören zu einer realistischen Bestandsaufnahme, wie sie von der regierenden «Ampel» leider verweigert wird.
Die Regierung hat einen einseitigen Blick
In den Reihen der SPD, der Grünen und oft auch der FDP dominiert ein romantischer Blick auf sämtliche «Menschen, die auf diesem Planeten wandern». So formuliert es ein sozialdemokratischer Migrationsexperte. Wanderungsbewegungen werden vornehmlich aus der Perspektive der Hinzukommenden gesehen und fast ausnahmslos als Bereicherung für die Aufnahmegesellschaft.

Im Koalitionsvertrag heisst es: «Uns verbindet das Verständnis von Deutschland als vielfältige Einwanderungsgesellschaft.» Asyl- und Schutzsuchende sollen schneller integriert werden. Auf dieser programmatischen Linie liegen das beschlossene «Chancen-Aufenthaltsrecht» und die geplante beschleunigte Einbürgerung.

Wenn dann in Illerkirchberg einem Eritreer oder in Ludwigshafen einem Somalier Tötungsdelikte vorgeworfen werden, wenn in Frankfurt am Main ein Eritreer ein Kind und dessen Mutter vor den Zug stösst oder in Kandel ein Afghane ein Mädchen ersticht, sind Warnungen vor Vorverurteilungen schneller zur Hand als Realismus und Selbstkritik. Ja, es gibt aggressiven Fremdenhass, und er ist immer verwerflich. Ja, es gibt brutale Gewalt durch Migranten, und auch die ist immer verwerflich. Letztere aber versickert in der politischen Nachbetrachtung schnell und strategisch im Pathos der Betroffenheit.

Konstantin Kuhle von der FDP macht die Tat von Illerkirchberg «fassungslos, wütend und traurig». Der grüne baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz gibt bekannt, er sei «tief geschockt». Regierenden Politikern sollte jedoch ein anderes Instrumentarium zur Verfügung stehen als die subjektive Befindlichkeit. Sie sollten wissen, dass im Zweifel der Schutz der eigenen Bevölkerung Vorrang geniesst, und entsprechend handeln.

Die sozialdemokratische Bundesinnenministerin Nancy Faeser spricht von «furchtbaren Nachrichten», ohne ein Wort über die Hintergründe der Tat zu verlieren. Täte sie es, müsste sie sich eingestehen, dass sie ihr Versprechen aus dem Bundestag nicht halten konnte: «Für Sicherheit zu sorgen, das ist in dieser schwierigen Zeit die zentrale Priorität dieser Bundesregierung.»

So verliert der Staat schleichend seine Legitimation

Wer Migration nur unter ökonomischen oder humanitären Gesichtspunkten betrachtet, verkennt ihre Bedeutung für die innere Sicherheit. Das Bundeslagebild «Kriminalität im Kontext von Zuwanderung» von 2021 zeigt, dass bei «Straftaten gegen das Leben» der Anteil der tatverdächtigen Zuwanderer bei 12,8 Prozent liegt. Ähnlich hoch ist der Anteil an Vergewaltigungen und sexueller Nötigung. Die polizeiliche Kriminalstatistik definiert Zuwanderer als Asylbewerber, Schutz- und Asylberechtigte sowie Kontingentflüchtlinge, jeweils in Duldung oder unerlaubtem Aufenthalt. Sie stellen etwa zwei Prozent der Gesamtbevölkerung.

Daraus folgt keineswegs die Pflicht zur Abschottung – wohl aber der Auftrag, künftig genauer hinzuschauen, wen man ins Land lässt, wen man ablehnt, wen man rasch wieder ausweist. Mittelfristig wird sich die Debatte nicht vermeiden lassen, ob das Asylrecht in seiner vorliegenden Form den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird. Die Bundesrepublik wurde nicht als Arbeitsgemeinschaft zur Linderung der Leiden dieser Welt gegründet.

Aus all dem folgt: Nicht der instrumentalisiert die schlimmen Taten von Illerkirchberg, Ludwigshafen oder Kandel, der sie als eine Herausforderung für den Schutz der einheimischen Bevölkerung benennt, sondern der, der nicht darüber reden will. Wenn Politik die Augen vor wirklichen Gefahren verschliesst, wird sie selbst gefährlich. Und ein Staat, der sein Sicherheitsversprechen bricht, verliert schleichend seine Legitimation.

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